Aktenzeichen B 7 K 17.31482
AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 10 Abs. 1, § 74 Abs. 1
Leitsatz
1 Im Einzelfall kann ein Verschulden iSv § 60 Abs. 1 VwGO bei der Zustellung eines behördlichen Bescheids während der Urlaubsabwesenheit des späteren Klägers entfallen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Betroffene wegen gesonderter behördlicher Bestimmungen vorzusorgen hat, dass ihn Schriftverkehr stets erreicht (wie VG Bayreuth BeckRS 2017, 113147), oder wenn der Betroffene aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls mit dem Zugang des Bescheids während seiner Abwesenheit rechnen musste (vgl. BVerwG BeckRS 1981, 31253055). (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Nach einer erfolgten Anhörung im Asylverfahren muss stets mit einer zeitnahen Entscheidung und Zustellung des Bescheids gerechnet werden. (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die nach § 10 Abs. 1 AsylG einen Asylbewerber treffende Pflicht, während der Dauer des Asylverfahrens dafür Vorsorge zu treffen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamts stets erreichen (wie VG Bayreuth BeckRS 2017, 113147), gilt umfassend. Hierunter fällt auch das Einrichten eines Nachsendeantrags oder die Sicherstellung der Benachrichtigung und Weitergabe der Post bei Posteingang. (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Über die Klage konnte das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (Schriftsatz vom 30.07.2017 bzw. Generalerklärung der Beklagten vom 27.06.2017).
II.
Die am 25.04.2017 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangene Klage hat keinen Erfolg.
1. Die Klage ist verfristet und damit bereits unzulässig.
Gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG muss die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylG – abgesehen von den Sonderfällen des § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG – innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden. Der streitgegenständliche Bescheid vom 04.04.2017 wurde – mit zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung:- ausweislich der Postzustellungsurkunde, der Beweiskraft zukommt (§§ 181 Abs. 1 Satz 2, 418 ZPO), am 07.04.2017 ordnungsgemäß im Wege der Ersatzzustellung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zugestellt. Somit begann die Klagefrist am Tag nach der Zustellung, also am 08.04.2017 zu laufen und endete mit Ablauf des 21.04.2017 (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Die Klage ging jedoch erst am 25.04.2017 bei Gericht ein.
Den Klägern ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur dann erfolgreich, wenn die Kläger glaubhaft machen können, dass sie ohne Verschulden daran gehindert gewesen waren, die Klage rechtzeitig zu erheben. Ein Verschulden ist dabei immer anzunehmen, wenn dem Säumigen zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er die Frist ungenutzt hat verstreichen lassen. Derjenige, der ein Verwaltungsverfahren betreibt, muss nämlich die Sorgfalt walten lassen, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Kläger geboten und nach den gesamten Umständen zumutbar ist. Das Maß an Achtsamkeit und Vorsorge, das die Einhaltung der der Rechtssicherheit dienenden Fristvorschriften erfordert, bestimmt sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Vorliegend trifft die Kläger ein solches Verschulden an der Fristversäumung. Die Kläger haben nach eigenen Angaben im Klageverfahren die ihnen zugewiesene Gemeinschaftsunterkunft am 05.04.2017 verlassen und sind erst am 21.04.2017 zurückgekehrt. Infolge des Wochenendes wurde die in diesem Zeitraum eingehende Post erst am Montag, den 24.04.2017 von der Klägerin zu 1) abgeholt und geöffnet. Während des Urlaubsaufenthaltes in … haben die Kläger nicht ausreichend Sorge dafür getragen, dass sich jemand um eingehende Post kümmert und sie über Posteingänge informiert. Zwar kann im Einzelfall ein Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO bei Zustellung eines behördlichen Bescheides während der Urlaubsabwesenheit der Kläger entfallen (vgl. Schmidt in Eyermann VwGO, 14. Auflage 2014, § 60 Rn. 11 m.w.N.). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Betroffene wegen gesonderter gesetzlicher Bestimmungen vorzusorgen hat, dass ihn Schriftverkehr stets erreichen kann (vgl. VG Trier, U.v. 19.1.2012 – 2 K 1144/11.TR – juris; VG Bayreuth, B.v. 6.4.2017 – B 4 S 17.31002 – juris) oder wenn der Betroffene wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls mit dem Zugang eines Bescheids während seiner Abwesenheit rechnen musste (vgl. BVerwG, U.v. 8.7.1981 – 6 C 174/80 – juris). Nach einer erfolgten Anhörung im Asylverfahren muss stets mit einer zeitnahen Entscheidung und Zustellung des Bescheides gerechnet werden. Insbesondere können sich die Kläger nicht mit der Einlassung exkulpieren, die Anhörung sei erst am 14.03.2017 erfolgt, so dass während des Urlaubsaufenthaltes im April 2017 noch nicht mit einem Bescheid gerechnet werden konnte. Der Zeitpunkt des Bescheidserlasses im Asylverfahren hängt nach den Erfahrungen des Gerichts im Wesentlichen vom Verlauf der Anhörung, der Schwierigkeit des Falles und der Auslastung der entscheidenden Einheit des Bundesamts ab. Es ist insbesondere nicht ungewöhnlich oder gar ausgeschlossen, dass Ablehnungsbescheide bereits einige Tage nach der Anhörung ergehen. In Anbetracht dessen besteht gemäß § 10 Abs. 1 AsylG die Verpflichtung der Kläger, während der Dauer des Asylverfahrens dafür Vorsorge zu tragen, dass sie Mitteilungen des Bundesamts stets erreichen können (VG Trier, U.v. 19.1.2012 – 2 K 1144/11.TR – juris; VG Bayreuth, B.v. 6.4.2017 – B 4 S 17.31002 – juris). Die Pflicht des Asylbewerbers, Vorkehrungen zu treffen, damit ihn Mitteilungen des Bundesamts jederzeit erreichen können, ist umfassend. Hierunter fallen auch das Einrichten eines Nachsendeantrags oder die Sicherstellung der Benachrichtigung und Weitergabe der Post bei Posteingang (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 10 AsylG, Rn. 6 und 7). Es wäre den Klägern daher – in Anbetracht des ausstehenden Bescheids des Bundesamts – ohne weiteres möglich gewesen, jemanden mit der Abholung und Sichtung der Post und einer ggf. notwenigen Weiterleitung an die Kläger bzw. zumindest mit einer entsprechenden Information der Kläger zu beauftragen, zumal sich die Kläger rund 15 Tagen ununterbrochen außerhalb der zugewiesenen Unterkunft aufgehalten haben. Solche (zumutbaren) Maßnahmen haben die Kläger aber offensichtlich nicht ergriffen, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, sich zum Empfang von Erklärungen oder Entscheidungen bereitzuhalten. Sie wurden vom Bundesamt auf diese Verpflichtung auch ausdrücklich in der Landessprache hingewiesen (vgl. Bl. 4-10 der Bundesamtsakte). Da die Kläger schuldhaft der Verpflichtung aus § 10 Abs. 1 AsylG nicht nachgekommen sind, scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Die Klagefrist endete daher mit Ablauf des 21.04.2017, so dass die am 25.04.2017 erhobene Klage verspätet ist.
2. Im Übrigen ist die Klage auch unbegründet.
Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a GG. Subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ebenfalls nicht zu gewähren. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht nimmt insoweit vollumfänglich Bezug auf den angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AslyG).
Ergänzend ist auszuführen, dass der Vortrag der Klägerin zu 1) zum Fluchtgeschehen dem Gericht zudem unglaubwürdig erscheint. Es ist nicht nachvollziehbar, warum es der Vater der Klägerin zu 1), der angeblich den Vergewaltiger unterstützt hat, zugelassen hat, dass sich die seinerzeit minderjährige Klägerin zu 1) und ihr Bruder in die Obhut einer Freundin der Mutter begeben haben bzw. dort verbleiben durften, obwohl die Freundin der Mutter den Vater und den Vergewaltigter angezeigt und damit den Geschäftspartner des Vaters ins Gefängnis gebracht hat.
Die Klägerin zu 1) erklärte zudem gegenüber dem Bundesamt, der Vater des am 21.12.2015 in Deutschland geborenen Klägers zu 2) sei der syrische Staatsangehörige …, den sie offensichtlich in Griechenland kennengelernt hat. Dieser hat zwar die Vaterschaft des Klägers zu 2) anerkannt. Der syrische Staatsangehörige Mohamad Kadib-Alban reiste aber ausweislich der eindeutigen Feststellungen in dessen Asylverfahren (Az. …) bereits am 06.08.2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Anhaltspunkte dafür, dass er nach seiner Einreise die Bundesrepublik Deutschland – kurzzeitig – wieder in Richtung Griechenland verlassen hat, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin zu 1) erklärte hingegen bei ihrer Anhörung am 14.03.2017 beim Bundesamt, sie sei erst Anfang Juli 2015 schwanger nach Deutschland eingereist. Zu dieser Zeit sei der Vater des Kindes, der zunächst versucht habe, die Kläger im Rahmen des Familiennachzugs nachzuholen, bereits in Deutschland gewesen. In Anbetracht dieser zeitlichen Gegebenheiten ist es für das Gericht nicht nachvollziehbar, wie der bereits seit August 2014 in der Bundesrepublik Deutschland verweilende … der Vater des Klägers zu 2) sein kann. Der Kläger zu 2) wurde am 21.12.2015 geboren. Demnach muss die Zeugung des Klägers zu 2) um den 29.03.2015 erfolgt seien (vgl. www.zeugungstermin-zeugungsdatum.de). Zu diesem Zeitpunkt war aber der angebliche Vater schon rund neun Monate in Deutschland. Die Klägerin zu 1) war hingegen noch bis Juli 2015 in Griechenland. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass mit der angeblichen Vaterschaft des als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Syrers bessere Erfolgsaussichten im Asylverfahren der Kläger angestrebt werden.
Da die Kläger – begründet mit der weiten Anreise – nach Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichteten, konnte insoweit auch keine weitere Sachaufklärung erfolgen. Es wäre den Klägern ohne weiteres zumutbar gewesen, zur mündlichen Verhandlung vor dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht Bayreuth zu erscheinen. Dass die Kläger diese Gelegenheit nicht wahrnehmen, zeugt wiederum davon, dass offensichtlich kein gesteigertes Interesse an einem ergänzenden Sachvortrag bzw. am Ausgang des Asylverfahrens besteht.
Für den Kläger zu 2) wurden keine weitergehenden Asyl- bzw. Fluchtgründe vorgebracht. Da der Kläger zu 2 niemals in Äthiopien gelebt hat, scheidet eine Vorverfolgung bereits denknotwendig aus. Nachfluchtgründe sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid und den ergänzenden Ausführungen des Gerichts ist auch kein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes oder auf Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten ersichtlich. Insbesondere ist eine existenzsichernde Unterstützung der Kläger – sollte tatsächlich eine Abschiebung nach Äthiopien erfolgen – jedenfalls durch den Vater des Klägers zu 2), der in Deutschland Schutz genießt und einer Erwerbstätigkeit nachgehen bzw. entsprechende Sozialleistungen beziehen kann, im absolut notwendigen Umfang möglich. Die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.