Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mangels Glaubhaftmachung eines schlüssigen Verfolgungsschicksals

Aktenzeichen  Au 3 K 17.32736

Datum:
3.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8897
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 4, § 3a Abs. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2, § 3c Nr. 1, § 4 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 3 S. 2, § 60 Abs. 2

 

Leitsatz

Sind schon die Angaben eines Klägers hinsichtlich des Zeitpunktes seiner Ausreise aus dem vermeintlichen Verfolgerland widersprüchlich und unwahr, so darf das Gericht davon ausgehen, dass auch das – auch im Übrigen nicht glaubhafte – Verfolgungsschicksal frei erfunden ist.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid vom 9. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
1. Eine Anerkennung als Asylberechtigter scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 GG).
2. Es besteht kein Anspruch auf die Anerkennung als Flüchtling.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Es ist Sache des Betroffenen, die tatsächlichen Umstände, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen, in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wobei in der Regel eine Glaubhaftmachung ausreicht. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein detaillierter und in sich stimmiger Sachvortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist der Einzelrichter davon überzeugt, dass der Kläger sein Heimatland nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung im o.g. Sinne verlassen hat. Denn die Angaben des Klägers sind nicht geeignet, die Annahme einer vor ihrer Ausreise tatsächlich erlittenen oder unmittelbar drohenden flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung zu rechtfertigen. Der Kläger hat darüber hinaus auch bei einer Rückkehr nach Pakistan eine solche Verfolgung nicht zu erwarten.
a) Die Angaben des Klägers sind nicht geeignet, die Annahme einer vor ihrer Ausreise tatsächlich erlittenen oder unmittelbar drohenden flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung zu rechtfertigen.
Die Angaben des Klägers zu seiner im Heimatland erlittenen Bedrohung sind unglaubhaft. Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung an, seine Angabe beim Bundesamt wegen einer Bedrohung durch den Geheimdienst ausgereist zu sein, sei richtig. Auf zweimalige Frage des Gerichts, woher der Kläger gewusst habe, dass der pakistanische Geheimdienst sich für ihn interessiert habe, machte er hierzu keine Angaben, sondern wich der Frage aus, indem er von seiner Arbeit in einer Wohltätigkeitsorganisation und dem Konflikt, der deshalb mit dem „Chef“ der Partei, der er angehört habe, entstanden sei. Dagegen hatte er noch beim Bundesamt angegeben, die Polizei habe ihn informiert, der Geheimdienst interessiere sich für ihn, weil er in seiner Zahnklinik auch Terroristen behandelt habe. Dieses Aussageverhalten in der mündlichen Verhandlung zu dem wesentlichen Aspekt des vorgetragenen Verfolgungsschicksals ist detailarm und im Vergleich mit den Angaben beim Bundesamt widersprüchlich. Der Einzelrichter kommt daher zu der Überzeugung, dass das geschilderte Verfolgungsschicksal erfunden ist.
Gegenüber dem Bundesamt hat der Kläger zweimal angegeben im Jahr 2015 ausgereist zu sein, hingegen behauptete er in der mündlichen Verhandlung schon ein Jahr vor seiner Einreise nach Deutschland, also im Jahr 2014 aus Pakistan ausgereist zu sein und eine Weile im Iran und eine Weile in der Türkei verbracht zu haben. Wenn der Kläger schon zum Zeitpunkt seiner Ausreise widersprüchliche und unwahre Angaben macht, muss das Gericht deshalb davon ausgehen, dass auch das Verfolgungsschicksal erfunden ist.
Auch wenn man dem Kläger zubilligt, sich bereits in Pakistan innerlich vom Islam und insbesondere der von seinem Vater und seinem Bruder gelebten strengen Variante distanziert zu haben, ergibt sich daraus kein Fluchtgrund. Auf die Frage, ob er in seinem Umfeld auch nur darauf angesprochen worden sei, dass er nicht in die Moschee gehe und im Ramadan nicht faste, blieb der Kläger wieder eine Antwort hierzu schuldig und erzählte stattdessen von seiner Hilfe für Kinder mit seiner Wohltätigkeitsorganisation.
Soweit der Kläger behauptet, sein „Chef“ in der Partei habe ihn vernichten lassen wollen, weil er nicht Moslem sei, ist diese Angabe nach Überzeugung des Einzelrichters wegen der Widersprüchlichkeit der Angaben zum Konflikt mit dem Parteichef unglaubwürdig. Beim Bundesamt war der Kläger bereits ausführlich auf den Konflikt mit dem örtlichen Parteichef eingegangen, ohne nur ansatzweise zu erwähnen, dass dieser Konflikt sich um seine Glaubensüberzeugung gedreht habe. Dort hatte er vielmehr ausführlich ausgeführt, der Konflikt habe sich entzündet, weil der Kläger nicht bereit gewesen sein, Wähler mit Waffengewalt zur Stimmabgabe zu drängen und weil der Kläger dann eine konkurrierende Partei gegründet habe.
b) Der Kläger droht ihm bei einer Rückkehr nach Pakistan keine Verfolgung im dargestellten Sinne aufgrund einer Abkehr vom Islam. Der Kläger gab an, bei einer Rückkehr nach Pakistan drohe ihm Gefahr von Seiten seiner Familie, die größte Gefahr für ihn sei jedoch sein früherer Parteichef, denn wenn man in diesem Gebiet sage, nicht Moslem zu sein, könne man dort nicht weiterleben.
aa) Soweit der Kläger damit geltend macht, ihm drohe wegen seiner Abkehr vom Islam Gefahren seitens der Familie und seitens seines früheren Parteichefs geht der Einzelrichter davon aus, dass es sich bei diesen erstmalig in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Angaben um unglaubhaften Vortrag handelt. Der Kläger gab trotz entsprechender Frage in der mündlichen Verhandlung nicht an, wegen der Nichtbeachtung des Fastengebots im Ramadan oder des Nichtbesuchs der Moschee im Heimatland behelligt worden zu sein. Beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung gab er zwar an, er und seine Mutter hätten den streng religiösen Lebenswandel seines Vaters und seines Bruders nicht geteilt und daher von diesen getrennt gewohnt, weil sie sich nicht für Religion interessierten. Deswegen von diesen irgendwie behelligt worden zu sein, behauptete er aber selbst nicht. Daher ist nach Überzeugung des Einzelrichters auch bei einer Rückkehr von dieser Seite keine Gefahr zu erwarten. Auch vom früheren Parteichef des Klägers ist nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr wegen der Abkehr vom Islam keine Gefahr zu erwarten, da der Vortrag, ein Konflikt mit diesem bestehe, weil der Kläger nicht Moslem sein wolle, aus den bereits dargelegten Gründen unglaubhaft ist.
bb) Auch von anderer Seite droht dem Kläger nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Pakistan wegen seiner freidenkerischen bzw. atheistischen Überzeugung nicht die erhebliche Gefahr staatlicher oder staatliche geduldeter religiöser Verfolgung.
(1) Bei der Prüfung, ob i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Schutz vor Verfolgung wegen der Religion des Schutzsuchenden zu gewähren ist, ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft umfasst, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind, umfasst. Gemäß § 3a Abs. 1 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung, die entweder aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.
Diesen Vorschriften kann entnommen werden, dass nicht jeder Eingriff in die Religionsfreiheit eine Verfolgung darstellt; vielmehr muss eine schwerwiegende Verletzung dieser Freiheit vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Dabei wird allerdings nicht unterschieden zwischen Verfolgungshandlungen, die in einen Kernbereich („forum internum“) des Grundrechts auf Religionsfreiheit eingreifen, und solchen, die diesen Kernbereich nicht berühren (religiöse Betätigung in der Öffentlichkeit, „forum externum“).
Ob ein Betroffener die Gefahr durch Verzicht auf bestimmte religiöse Betätigungen vermeiden könnte, ist grundsätzlich irrelevant. Ist vernünftigerweise anzunehmen, dass sich der Betroffene nach Rückkehr in sein Heimatland in einer Art und Weise religiös betätigen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen wird, ist ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (hierzu im Einzelnen EuGH, Urteil vom 5. September 2012 – C-71/11 und C-99/11).
In diesem Zusammenhang ist wesentlich, ob eine bestimmte Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris). Da sowohl § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG als auch der dieser nationalen Regelung zugrunde liegende Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie – QRL) eine Unterscheidung zwischen theistischer und atheistischer Glaubensüberzeugung gerade nicht treffen, gilt der soeben dargestellte Schutz, die Glaubensüberzeugung auch in die Öffentlichkeit zu tragen, werbend zu verbreiten und nach der eigenen Glaubensvorstellung zu leben und zu handeln, für Atheisten im gleichen Maße wie für religiöse Personen. (VG Münster, U.v. 26.7.2017 – 7 K 5896/16.A – juris Rn. 25; VG Chemnitz, U.v. 26.4.2017 – 6 K 921/16.A – juris Rn. 23).
(2) Nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung droht Atheisten, die nicht lediglich die Abwesenheit von Gott für sich selbst erkannt haben und ohne aktive Religionsausübung ungestört leben wollen, und für die vielmehr das offensive Werben für ihre Überzeugung und die Auseinandersetzung im Gespräch mit anderen elementarer Bestandteil dieser Überzeugung sind, in Pakistan die erhebliche Gefahr staatlicher oder staatlich geduldeter religiöser Verfolgung (VG Chemnitz, U.v. 26.4.2017 – 6 K 921/16.A – juris Rn. 36, 46; Münster Rn. 35).
Begründet wird dies damit, dass in Pakistan im Zusammenhang mit den dort geltenden Strafnormen gegen Blasphemie Angriffe auf Nichtmuslime entweder direkt vom Staat ausgehen, § 3c Nr. 1 AsylG, oder dem dem Staat jedenfalls gem. § 3c Nr. 3 AsylG zurechenbar sind, weil Verfolgungshandlungen extremistischer islamischer Organisationen weder durch die Justizbehörden noch durch die Legislative ausreichend bekämpft werden und der Staat seiner Schutzpflicht gegenüber religiösen Minderheiten nicht nachkommt.
Anders als in vielen anderen muslimisch geprägten Ländern steht die Apostasie, d.h. die Abkehr vom Islam, in Pakistan zwar nicht ausdrücklich unter Strafe. Das pakistanische Strafgesetzbuch (der Pakistan Penal Code – PPC) enthält jedoch eine Vielzahl von strafrechtlichen Vorschriften mit religiösem Bezug, die islamkritisches Verhalten bestrafen. So ist insbesondere eine Verurteilung nach dem Blasphemie-Gesetz möglich, Sec. 295 a-c PPC. Danach droht demjenigen, der absichtlich religiöse Objekte oder Gebetshäuser verletzt oder den Koran entweiht, eine erhebliche Freiheitsstrafe. Wer (auch unbeabsichtigt) abfällige Bemerkungen über den Propheten Mohammed macht, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder dem Tod bestraft.
Aber auch wenn eine Person vom Vorwurf der Blasphemie freigesprochen wird, so wird sie vielfach zum Opfer von Verfolgung durch extremistische Organisationen. Insbesondere bei Angehörigen religiöser Minderheiten geraten Familienangehörige von Angeklagten häufig ebenfalls ins Visier von Extremisten und erhalten z.B. anonyme Drohungen. Oft wird auch schon allein der Blasphemie-Vorwurf zum Anlass oder Vorwand von Mob-Gewalt oder Mordanschlägen genommen.
Daher ist davon auszugehen, dass Atheisten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche oder staatlich geduldete Verfolgung droht, wenn sie in (vermeintlich) blasphemischer Weise öffentlich gegen den Islam wenden und offensiv für ihre Überzeugung, Gott existiere nicht und der Koran habe daher dem Propheten Mohammed auch nicht von Gott offenbart werden können, werben. (ausführlich zum ganzen VG Chemnitz, U.v. 26.4.2017 – 6 K 921/16.A – juris Rn. 46 ff.; VG Münster, U.v. 26.7.2017 – 7 K 5896/16.A – juris Rn. 35 ff.)
(3) Beruft sich der Schutzsuchende auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt (vgl. BVerwG, U.v. 20.1.2004 – BVerwG 1 C 9.03 – Rn. 22; BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – B.v. 29.4.2010 – 14 ZB 10.30043, B.v. 4.2.2013 – 14 ZB 13.3002 –; alle juris). In besonderer Weise gilt dies, wenn der Schutzsuchende erstmals nach erfolglosem Abschluss des Asylerstverfahrens behauptet, er habe seine religiöse Überzeugung in der Folgezeit geändert. Er muss dann auch dafür gute Gründe anführen, um den Verdacht auszuräumen, der behauptete Glaubenswechsel sei nur vorgeschoben, um die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung zu schaffen (VGH Baden-Württemberg, U.v. 16.3.2012 – A 2 S 1419/11 – juris Rn. 24). Diese Maßstäbe sind im Grundsatz auch auf die Abwendung von einer Religion anwendbar (s. VG Lüneburg, U.v. 13.6.2017 – 3 A 136/16 – juris Rn. 33).
(4) Zwar geht der Einzelrichter nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon aus, dass der Kläger sich vom Islam losgesagt hat und Atheist ist.
Wann eine Prägung im Sinne einer ernstlichen Glaubens- oder weltanschaulichen Überzeugung anzuerkennen ist, lässt sich nicht allgemein beschreiben. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Nach dem aus der Gesamtheit des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens gewonnenen Eindruck muss sich der Schutzsuchende aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem Nichtglauben oder einem anderen Glauben zugewandt haben. Dazu sind die Persönlichkeit des Asylbewerbers und dessen Motive für den angeblichen Wechsel der religiösen Überzeugung vor dem Hintergrund seines bisherigen Vorbringens und seines Vorfluchtschicksals einer Gesamtwürdigung zu unterziehen. Hat er eine christliche Religion angenommen, genügt es im Regelfall nicht, dass der Schutzsuchende lediglich formal zum Christentum übergetreten ist, indem er getauft wurde (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 –; BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207–; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 9.6.2017, 13 A 1120/17.A, alle juris). In ähnlicher Weise kann auch nicht allein auf den formalen Beitritt zu einer freidenkerischen oder atheistischen Vereinigung wie dem Bund für, dem der Kläger im September 2017 beigetreten ist, abgestellt werden.
Auch wenn die Manifestierung seiner Abkehr vom Islam erst zwei Jahre nach seiner Einreise und die Tatsache, dass er gegen die Niederschrift über die Anhörung beim Bundesamt keine Einwände geltend machte, obwohl der der islamisch geprägte Dolmetscher seine Angaben zur Abkehr vom Islam nach seinen Angaben aus Unverständnis nicht richtig übersetzt habe, als Indiz für asyltaktisches Vorbringen gelten können, ist der Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung der Überzeugung, dass der Kläger sich tatsächlich vom Islam abgewandt hat.
Letztlich ist der Vortrag des Klägers, er und seine Mutter hätten anders als Vater und Bruder kein Interesse am Islam gehabt, er sei schon immer „allergisch gegen Religion“ gewesen, er habe sich daher mit seiner Wohltätigkeitsorganisation unabhängig von Ethnie und Religion für Kinder eingesetzt, einer der wenigen in sich stimmigen und in sich konstanten Teile seines Vortrags.
(5) Auf der anderen Seite konnte der Einzelrichter nicht die Überzeugung gewinnen, dass es dem Kläger ein Bedürfnis wäre, seine Weltanschauung in besonders öffentlichkeitswirksamer Weise auszuleben oder hierfür in einer Weise offensiv werbend tätig zu werden, die ihn bei der Rückkehr nach Pakistan in der oben dargestellten Weise einer staatlichen oder nichtstaatlichen Verfolgung im Zusammenhang mit dem Blasphemievorwurf aussetzen würde. Es ist nach dem Ergebnis des Verfahrens nicht zu erwarten, dass die weltanschauliche Prägung des Klägers ihn dazu veranlassen würde, sich in Pakistan in einer Art und Weise zu verhalten, die ihn in besonderem Maße zur Zielscheibe nichtstaatlicher Akteure machen würde. Insbesondere ist vom Kläger keine offensiv werbende Tätigkeit oder ein in besonderem Maße öffentlichkeitswirksamer Ausdruck seiner weltanschaulichen Prägung zu erwarten. Etwas anderes hat auch der Kläger letztlich selbst nicht behauptet.
Der Kläger hat nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung lediglich seine Mutter über seine Abkehr vom Islam und den Beitritt zum Bund für * informiert. Im Hinblick auf seine Mitgliedschaft im Bund für * hat er an Aktivitäten innerhalb der Vereinigung teilgenommen. Auf die Frage des Gerichts nach der Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Aktionen konnte er keine nennen. Nach Überzeugung des Gerichts sucht der Kläger auch in den Asylbewerberunterkünften, in denen er untergebracht war bzw. ist, nicht von sich aus offensiv die Auseinandersetzung über das Thema Religion bzw. Atheismus. Zwar störte er sich in seiner früheren Unterkunft an Gespräch religiöser Moslems über religiöse Themen in der Gemeinschaftsküche. Dies beweist nach Überzeugung des Einzelrichters jedoch nicht, dass es dem Kläger ein Bedürfnis ist, offensiv für die atheistische Weltanschauung zu werben. Nach eigenen Angaben vermeidet er in seiner derzeitigen Unterkunft, in der er ungefähr zeitgleich mit seinem Beitritt in den Bund für * gezogen ist, die offensive Auseinandersetzung über die Thematik.
c) Soweit der Kläger eine Bedrohung durch den früheren Parteichef, seine Familie, insbesondere seinen Vater, oder den Geheimdienst fürchtet, stünde dem Kläger, selbst wenn man seinen Vortrag diesbezüglich als wahr unterstellte in seinem Herkunftsstaat vor seiner Ausreise und auch derzeit (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) bei einer Rückkehr nach Pakistan jedenfalls eine die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausschließende zumutbare interne Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG zur Verfügung.
Der Kläger kann in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e AsylG finden. In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 20.10.2017, S. 20 – Nr. II.4). Dies ist nicht zuletzt dadurch bedingt, dass in Pakistan kein funktionierendes Meldewesen existiert, so dass die Übersiedlung in einen anderen Landesteil die Möglichkeit bietet, unerkannt und unbehelligt zu bleiben. Angesichts der hohen Bevölkerungszahl in Pakistan und mehrerer Millionenstädte landesweit ist nicht ersichtlich, dass eventuelle den Kläger bedrohende Personen die Möglichkeit hätten, diesen auch in einer anderen Provinz und/oder landesweit ausfindig zu machen und zu verfolgen.
In den Großstädten und in anderen Landesteilen Pakistans kann der Kläger als erwachsener Mann auch ein ausreichendes Einkommen finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis (vgl. z.B. VG Regensburg, U.v. 10.12.2013 – RN 3 K 13.30374 – juris). Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt (vgl. z.B. VG München, U.v. 19.5.2016 – M 23 K 14.31198 – juris; VG Augsburg, U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris; VG Regensburg, U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674 – juris; jeweils m.w.N.). Dem Kläger war es nach eigenen Angaben vor seiner Ausreise gelungen, als Zahnarzt seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ihm dies nach seiner Rückkehr nicht wieder gelingen sollte.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 2 AufenthG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Pakistan ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
4. Weiter besteht auch ein Anspruch auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht. Insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen, die sich auch der Einzelrichter zu Eigen macht (§ 77 Abs. 2 AsylG).
5. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, weist keine Rechtsfehler auf. Die Länge der Frist liegt im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dass insoweit besondere Umstände vorlägen, die eine Verkürzung der Frist als zwingend erscheinen ließen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
II.
Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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