Verwaltungsrecht

Konkurrentenstreitverfahren, Besetzung der Stelle des/der Vizepräsidenten/-in eines Landgerichts (R 3), Vergleich zweier Anlassbeurteilungen, Beurteiler seit ca. 10 Monaten, Vorgesetzter des Antragstellers, Beurteilungsbeitrag des vorherigen Präsidenten in mündlicher Form, Fehlen einer schriftlichen Dokumentation

Aktenzeichen  3 CE 22.862

Datum:
20.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12095
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
VwGO § 123
LlbG Art. 54 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 2 E 21.1580 2022-03-21 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 26.706,65 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht, auf dessen Darstellung des Sachverhalts im angefochtenen Beschluss vom 21. März 2022 verwiesen wird, hat den Antrag,
dem Antragsgegner zu untersagen, die Stelle des Vizepräsidenten des Landgerichts Augsburg mit dem Beigeladenen zu besetzen, solange über die Bewerbung des Antragstellers keine neue Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts getroffen worden ist,
zu Recht abgelehnt.
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die vorgetragenen Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen zu keiner anderen Beurteilung. Der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers nach Art. 33 Abs. 2 GG wird durch die vom Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung (Besetzungsbericht des Präsidenten des Oberlandesgerichts München vom 10.5.2021, gebilligt mit Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz v. 24.6.2021), die ausgeschriebene Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen, nicht verletzt. Die vom Antragsgegner vor dem Hintergrund der maßgeblichen Anlassbeurteilungen (vgl. Art. 54 Abs. 1 Satz 1 LlbG) vorgenommene Einschätzung, der Beigeladene sei der leistungsstärkere Bewerber, weil er die um einen Punkt bessere Beurteilung (14 gegenüber 13 Punkten) aufweise und seine Eignung für das ausgeschriebene Amt noch besser sei („sehr gut“ gegenüber „gut“), ist nicht zu beanstanden. Sie bewegt sich im rechtlich vorgegebenen Rahmen. Danach ist maßgebend „für den Leistungsvergleich in erster Linie das abschließende Gesamturteil der Beurteilung, dass durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist“ (stRspr, z.B. BVerwG, B.v. 22.11.2012 – 2 VR 5.12 – juris Rn. 25).
Zur Begründung seiner Beschwerde beschränkt sich der Antragsteller auf den Vortrag, der Besetzungsvermerk sei deswegen nicht korrekt zustande gekommen, weil er auf der vom aktuellen Präsidenten des Landgerichts verfassten Anlassbeurteilung beruhe, obwohl dieser nur für einen Bruchteil des Beurteilungszeitraums Vorgesetzter des Antragstellers gewesen sei. Für den wesentlich längeren Beurteilungszeitraum sei kein Beurteilungsbeitrag des vormaligen Präsidenten (Dr. V.) eingeholt worden. Es werde zwar nachträglich behauptet, der Beurteiler habe einen in zwei Gesprächen eingeholten mündlichen Beurteilungsbeitrag (BA S. 19) zugrunde gelegt, hierzu gebe es jedoch keine schriftliche Dokumentation, obwohl das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 1. März 2018 (2 A 10.17) Entsprechendes verlange. Der Beurteiler habe in seiner Stellungnahme vom 22. September 2021 auch kein Datum für die beiden Gespräche mit seinem Vorgänger genannt, sie ergäben sich nicht aus den Akten und seien auch nicht im Beurteilungsgespräch am 16. April 2021 oder bei der Eröffnung der Anlassbeurteilung am 29. April 2021 erwähnt worden. Genüge aber die Anlassbeurteilung nicht der vorgeschriebenen Dokumentationspflicht, komme es nicht mehr darauf an, dass der Inhalt der Beurteilung in Widerspruch zu den Mitteilungen des früheren Präsidenten stehe.
Mit diesem Vorbringen, das im Grunde nur den zentralen Aspekt erstinstanzlichen Vorbringens wiederholt, wird die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht erschüttert. Nur weil der Präsident des Landgerichts die Funktion des Dienstvorgesetzten des Antragstellers zum Zeitpunkt der Beurteilung erst kurze Zeit innehatte, scheidet er nicht als Beurteiler aus (vgl. OVG NW, B.v. 5.6.2012 – 1 B 368/12 – juris). Verfügt der Beurteiler – wie hier – nicht über hinreichende eigene Erkenntnisse über Leistung und Befähigung des Beamten, um allein auf dieser Grundlage die Beurteilung sachgerecht erstellen zu können, muss er sich die Informationen verschaffen, die es ihm ermöglichen, diejenigen in der Beurteilung zu bewertenden Elemente der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zutreffend zu erfassen, über die er keine aus eigener Anschauung gewonnene Erkenntnis besitzt. Die Auswahl der heranzuziehenden Erkenntnisquellen unterliegt dabei grundsätzlich seiner gerichtlich überprüfbaren Einschätzung (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 9.9.2021 – 2 A 3.20 – juris Rn. 32, 33 m.w.N.). Dieser Verpflichtung ist der Beurteiler nachgekommen, wie sich aus seiner dienstlichen Stellungnahme vom 22. September 2021 (S. 2, 3) ergibt. Dabei hat er sich insbesondere in zwei ausführlichen Gesprächen mit seinem Amtsvorgänger über dessen dienstliche Kenntnisse der beurteilungsrelevanten Aspekte informiert und ausgetauscht. Dass sich weder die genauen Daten der Gespräche aus den vorliegenden Akten des Antragsgegners ergeben noch der Inhalt der Gespräche in Form eines Vermerks festgehalten worden ist, lässt nicht den Schluss zu, es liege kein wirksamer Beurteilungsbeitrag vor oder er könne jedenfalls allein schon wegen Verstoßes gegen die „Dokumentationspflicht“ nicht verwertet werden.
Beurteilungsbeiträge müssen die Informationen enthalten, die es dem Beurteiler erlauben, diejenigen in der Beurteilung zu bewertenden Elemente der Eignung, Befähigung und Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG) zutreffend zu erfassen, über die er keine aus eigener Anschauung gewonnene Erkenntnis besitzt (BVerwG, U.v. 27.11.2014 – 2 A 10.13 – juris Rn. 23). Vor diesem Hintergrund hat im vorliegenden Fall der Beurteiler eine ausreichende Tatsachenbasis für die Anlassbeurteilung des Antragstellers dadurch gewonnen, dass er das damalige dienstliche Umfeld – bezogen auf den Zeitraum vor dem 1. August 2020 – einbezogen hat, hierunter insbesondere Dr. V. als vorangegangenen Dienstvorgesetzten des Antragstellers. Er hat dann am 16. April 2021 ein dreistündiges Beurteilungsvorgespräch durchgeführt, in dem ausführlich sämtliche leistungsrelevanten Merkmale angesprochen wurden (vgl. dienstliche Stellungnahme v. 22.9.2021), darunter zwangsläufig dann auch die Erkenntnisse aus den mündlichen Beiträgen des vormaligen Präsidenten des Landgerichts. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller in dem Gespräch am 16. April 2021 zumindest allgemein darüber informiert wurde, dass und mit welchem Ergebnis der Präsident mit seinem Vorgänger über die zu fertigende Beurteilung gesprochen hat. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller nach Eröffnung der Anlassbeurteilung am 29. April 2021 hiergegen keine Einwendungen erhoben hat, und zwar weder im Hinblick auf die infrage gestellte Zulässigkeit mündlicher Beurteilungsbeiträge noch auf eine angeblich notwendige Dokumentation noch auf ihre inhaltliche Vertretbarkeit.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass Beurteilungsbeiträge keinem Schriftformerfordernis unterliegen. Nach der Rechtsprechung des Senats können die notwendigen Erkenntnisse des Beurteilers auch im Rahmen persönlicher Gespräche – auch von Telefongesprächen – gewonnen werden, denn hierbei handelt es sich um zulässige und grundsätzlich auch ausreichende Erkenntnisquellen (BayVGH, B.v. 18.1.2016 – 3 ZB 13.1994 – juris Rn. 11; U.v. 7.5.2014 – 3 BV 12.2594 – juris Rn. 33 zu allgemeinen Informationen durch Befragung Dritter). Auch die einschlägigen Beurteilungsrichtlinien statuieren kein Schriftformerfordernis für Beurteilungsbeiträge (anders § 5 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie für die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Bundesministerium der Finanzen v. 5.4.2018 zit. nach OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.3.2020 – OVG 10 S 31.19 – juris Rn. 28). Vom Beurteiler zu verlangen, sich lediglich auf der Grundlage schriftlicher Unterlagen ein zutreffendes Bild des zu beurteilenden Beamten zu machen, würde unzulässig in seine Beurteilungsermächtigung eingreifen (BVerwG, U.v. 26.6.1980 – 2 C 8.78 – juris Rn. 24). Entscheidend ist, dass der Beurteiler die Beurteilungsbeiträge in seine Überlegungen einbezieht, Abweichungen nachvollziehbar begründet und damit sicherstellt, dass Werturteile auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruhen und sich an den von Art. 33 Abs. 2 GG vorgegebenen Kriterien orientieren (BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16.09 – juris Rn. 23). Dass dieses Ziel verfehlt worden sein könnte, zeigt die Beschwerde nicht auf.
War aber die Abgabe eines Beurteilungsbeitrags auch in mündlicher Form rechtlich zulässig, besteht nicht allein aus diesem Grund heraus eine Verpflichtung des Beurteilers, ihn in schriftlicher Form festzuhalten. Allerdings besteht die Verpflichtung zur hinreichenden Plausibilisierung der Art und Weise, wie sich der Beurteiler die erforderlichen Kenntnisse über die vom Antragsteller im fraglichen Zeitraum erbrachten Leistungen verschafft hat, sowie hinsichtlich der sich daraus für die dienstliche Beurteilung ergebenden Bewertung (vgl. Fall einer mangelhaften Plausibilisierung: BVerwG, U.v. 2.3.2017 – 2 C 21.16 – juris Rn. 26). Im vorliegenden Verfahren stellt die Beschwerde die (auch im Klage- und Antragsverfahren noch zulässige) Plausibilisierung der dienstlichen Beurteilung nicht infrage, die insbesondere durch die dienstliche Stellungnahme des Beurteilers vom 23. September 2021 in nachvollziehbarer Weise erfolgt ist.
Soweit sich der Antragsteller auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 2018 (a.a.O. Rn. 33) beruft, in dem die Anfechtung einer Regelbeurteilung den Streitgegenstand bildete, zielt er ins Leere. Zwar wird dort in der Tat von einem zur Verfügung zu stellenden schriftlichen Beurteilungsbeitrag gesprochen, dessen Kenntnis zur effektiven Rechtsverfolgung unabdingbar sei (BVerwG, U.v. 1.3.2018, a.a.O. Rn. 33). Allerdings lag dem dortigen Sachverhalt ein schriftlicher Beurteilungsbeitrag auf einem eigens dafür vorgesehenen Formblatt (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2018, a.a.O. Rn. 4) zugrunde, sodass sich dem Bundesverwaltungsgericht die Frage nach der Wirksamkeit eines lediglich mündlichen Beurteilungsbeitrags nicht in entscheidungserheblicher Weise gestellt hat. Damit lässt sich eine Aussage zur Unzulässigkeit der Verwertung lediglich mündlich abgegebener Beurteilungsbeiträge, die nicht nachträglich im weiteren Beurteilungsverfahren durch den Beurteiler verschriftlicht wurden, aus der vom Antragsteller zitierten Passage nicht entnehmen. Im Übrigen spricht gegen diese Annahme – worauf der Antragsgegner in seiner Erwiderung hinweist – die im gleichen Urteil an anderer Stelle enthaltene eindeutige Ausführung, es kämen „schriftliche oder mündliche Beurteilungsbeiträge von Personen in Betracht, die die Dienstausübung des zu beurteilenden Beamten aus unmittelbarer eigener Anschauung kennen“ (BVerwG, U.v. 1.3.2018, a.a.O. Rn. 22; mit identischer, nicht entscheidungstragender Formulierung: U.v. 9.9.2021 – 2 A 3.20 – juris Rn. 32; weiter BVerwG, U.v. 2.3.2017 – 2 C 21.16 – juris Rn. 21).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG. Der Streitwert beträgt ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge des von dem Antragsteller angestrebten Amtes (R 3) mit Ausnahme von nicht ruhegehaltfähigen Zulagen, wobei auch die jährliche Sonderzahlung (Art. 82 ff. BayBesG) Berücksichtigung findet (BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 3 CE 19.1896 – juris Rn. 32). Danach entspricht der Streitwert für das Beschwerdeverfahren demjenigen, der im Erstverfahrens (vgl. BA S. 29) festgesetzt wurde (26.706,65 Euro).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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