Verwaltungsrecht

Notwendigkeit eines Bauprogramms bei Abschnittsbildung im Straßenausbaubeitragsrecht

Aktenzeichen  4 M 20/22

Datum:
12.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 4. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0412.4M20.22.00
Spruchkörper:
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Leitsatz

Eine Abschnittsbildung im Straßenausbaubeitragsrecht setzt voraus, dass die Gemeinde bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Abschnittsbildung über ein Bauprogramm zum konkreten Ausbau der gesamten Verkehrsanlage verfügt, das einen hinreichenden gestalterischen Detaillierungsgrad aufweist (Anschluss an: OVG Sachsen, Urteil vom 11. April 2018 – 5 A 197/16 -, juris).(Rn.5)

Verfahrensgang

vorgehend VG Magdeburg, 17. Januar 2022, 2 B 218/21 MD, Beschluss

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg – 2. Kammer – vom 17. Januar 2022 geändert und der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 805,28 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Ihre Einwände gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben Anlass, die erstinstanzliche Entscheidung zu ändern.
I. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 17. Januar 2022 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 8. August 2021 gegen den Straßenausbaubeitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 2. August 2021 mit der Begründung angeordnet, hinsichtlich der Beitragserhebung sei mit Ablauf des 31. Dezember 2019 Festsetzungsverjährung eingetreten, weil für den ersten Abschnitt der K-Straße in A-Stadt, beginnend an der Einmündung An der B. bis zur Einmündung F-Straße, auf der Grundlage des Abschnittsbildungsbeschlusses vom 16. April 2015 sachliche Beitragspflichten bereits an diesem Tag entstanden seien. Der Abschnittsbildungsbeschluss sei auch rechtmäßig, da er selbst von einem ersten Bauabschnitt beginnend An der B. bis zur F-Straße spreche. Darüber hinaus erwähne er einen zweiten Bauabschnitt beginnend am Kreuzungsbereich F-Straße und endend an der H-Straße. Schon daraus folge, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung von der Antragsgegnerin beabsichtigt gewesen sei, auch den zweiten Abschnitt der K-Straße auszubauen. Aus der Begründung der Beschlussvorlage folge wörtlich, dass der Ausbau des zweiten Bauabschnitts (der K-Straße) zu einem späteren Zeitpunkt erfolge. Nach den vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt in seinem Beschluss vom 13. Juni 2012 (Az: 4 L 162/10, juris) aufgestellten Grundsätzen sei damit im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Abschnittsbildung am 16. April 2015 ein weiterer, über den ersten Abschnitt hinausgehender Ausbau der K-Straße absehbar gewesen. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass der Stadtrat der Antragsgegnerin den Beschluss über die Abschnittsbildung am 1. September 2016 aufgehoben habe. Denn eine Gemeinde könne ihre Entscheidung für eine Abschnittsbildung nur solange wieder ändern, wie für den gebildeten Abschnitt noch keine sachlichen Straßenausbaubeitragspflichten entstanden seien. Sachliche Beitragspflichten für den ersten Abschnitt der K-Straße seien aber bereits am 16. April 2015 entstanden, also weit bevor der Stadtrat seinen Aufhebungsbeschluss am 1. September 2016 gefasst habe.
II. Nach den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen bestehen allerdings entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts keine ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Beitragsbescheide im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3, Abs. 5 VwGO, die es gebieten würden, das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Bescheide gegenüber dem Aufschubinteresse des Antragstellers zurückstehen zu lassen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 8. August 2021 anzuordnen.
1. Dies ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin allerdings nicht bereits daraus, dass das Verwaltungsgericht den Abschnittsbildungsbeschluss vom 16. April 2015 „fehlgedeutet“ habe. Denn nach dem Wortlaut dieses Beschlusses („Der Stadtrat beschließt im Rahmen der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen in A-Stadt die Aufwandsspaltung und Abschnittsbildung für den Ausbau der Fahrbahn, des Gehweges und der Oberflächenentwässerung im Bereich K-Straße/…“) hat die Antragsgegnerin zum damaligen Zeitpunkt zweifelsohne eine Abschnittsbildung beschließen wollen.
2. Die Antragsgegnerin weist allerdings zu Recht darauf hin, dass ein rechtmäßiger Abschnittsbildungsbeschluss voraussetze, dass bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung ein konkretes, weiterführendes Bauprogramm vorgelegen haben müsse, was zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 16. April 2015 jedoch nicht der Fall gewesen sei.
Bei der Abschnittsbildung handelt es sich um ein Vorfinanzierungsinstitut (vgl. hierzu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Juni 2012 – 4 L 162/10 -, juris Rn. 13; VG Magdeburg, Urteil vom 5. Juni 2018 – 2 A 212/16 -, juris Rn. 56; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 7. März 2017 – BVerwG 9 C 20.15 -, juris Rn. 35 zum Erschließungsbeitragsrecht), das den Gemeinden eine gesonderte Abrechnung von Ausbauabschnitten ermöglicht, wenn die gesamte Straße gleichartig erneuert oder verbessert werden soll, jedoch aus Kostengründen ein abschnittsweiser Ausbau und eine abschnittsweise Abrechnung erfolgt, damit die Gemeinde nicht den Ausbau der Gesamtanlage vorzufinanzieren hat (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Juni 2012 – 4 L 162/10 -, juris Rn. 13). Um dem Gemeinderat die Prüfung zu ermöglichen, ob die gesamte Straße gleichartig erneuert oder verbessert werden soll, setzt eine Abschnittsbildung im Straßenausbaubeitragsrecht voraus, dass die Gemeinde bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Abschnittsbildung ein hinreichend konkretes Bauprogramm für die Fortsetzung des Ausbaus auch der jetzt noch nicht vom Ausbau betroffenen Teilstrecke aufgestellt hat (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. April 2017 – 4 L 162/16 -, n. v.; so auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 9 ME 108/09 -, juris Rn. 6; OVG Sachsen, Urteil vom 11. April 2018 – 5 A 197/16 -, juris Rn. 31). Hingegen reicht es nicht aus, erstmals im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausbau des jeweiligen Straßenabschnitts konkrete Vorstellungen über die zukünftige Ausgestaltung der gesamten Verkehrslage zu entwickeln, wenn der Ausbau voraussichtlich einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt. Ein Gemeinderat, der einen Abschnittsbildungsbeschluss fasst, ohne über Inhalt und Umfang des weiterführenden Bauprogramms informiert zu sein, würde sein Ermessen von vornherein nicht ermessensgerecht ausüben können (vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 21. März 2013 – 2 A 199/12 -, juris Rn. 29 f.).
Diesen rechtlichen Vorgaben entspricht die von der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 16. April 2015 vorgenommene Abschnittsbildung nicht. Denn ein Bauprogramm, das den Ausbau der gesamten Verkehrsanlage „K-Straße“ vorsieht, vermag der Senat – jedenfalls nach dem im Beschwerdeverfahren erkennbaren Sach- und Streitstand – nicht festzustellen. Hiervon kann erst die Rede sein, wenn der zeitliche Rahmen bis zur endgültigen Herstellung absehbar ist und die Planungen einen hinreichenden gestalterischer Detaillierungsgrad erreicht haben (vgl. OVG Sachsen, Urteil vom 11. April 2018 – 5 A 197/16 -, juris Rn. 31). Wie ein solches Bauprogramm im Einzelnen auszusehen hat, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden, da sich im zeitlichen Zusammenhang zur Beschlussfassung am 16. April 2015 den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin nicht einmal ansatzweise konkrete Ausbauplanungen der Antragsgegnerin entnehmen lassen. Zwar sollte der Ausbau der K-Straße in zwei Bauabschnitten erfolgen; konkrete Planungen erfolgten aber erst im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausbau des jeweiligen Abschnitts (2012 bzw. 2016), ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt eine Gesamtplanung für die Verkehrsanlage vorgelegen hätte. Es versteht sich dabei von selbst, dass eine konkrete Ausführungsplanung noch nicht zu fordern ist. Die bloße Anordnung einer Abschnittsbildung genügt allerdings ebenso wenig, wenn sich ihr – wie hier – keinerlei Anhaltspunkte für die planerischen Vorstellungen der Gemeinde entnehmen lässt. Auch aus dem Schreiben des Wasser- und Abwasserzweckverbands „B.-W.“ vom 1. September 2011 lässt sich ein Bauprogramm „der Antragsgegnerin“, das sich allenfalls auf die Straßenentwässerung beziehen könnte, nicht herleiten. Schließlich lässt auch die Fotodokumentation in der Beiakte A lediglich den Schluss zu, dass die Antragsgegnerin den Ausbau der gesamten Verkehrsanlage geplant hat; dies stellt die Antragsgegnerin im Übrigen nicht in Frage. Indes stellen diese Fotos kein Bauprogramm im o. g. Sinne dar.
Der Antragsteller weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Abschnittsbildung nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 13. Juni 2012 – 4 L 162/10 -, juris Rn. 13, und vom 6. April 2016 – 4 L 162/16 -) nicht voraussetze, dass der Gesamtausbau der gesamten Straßenstrecke zwingend schon zeitlich genau bestimmt sei oder in absehbarer kurzer Zeit erfolge. Der Gesamtausbau müsse nur überhaupt irgendwann konkret beabsichtigt sein. Nur dann, wenn von vornherein und offensichtlich eine Weiterführung der Straßenbauarbeiten nicht beabsichtigt und ein weiterer Teilstreckenausbau in keiner Weise absehbar sei, sei eine Abschnittsbildung willkürlich und unwirksam.
Allerdings müssen auch dann im Zeitpunkt der Abschnittsbildung hinreichend konkrete Ausbauabsichten für den weiteren Ausbau vorgelegen haben, d. h. konkrete Festlegungen in einem Bauprogramm erfolgt sein (so OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. April 2017 – 4 L 162/16 -). Daran fehlt es hier.
Sind mithin für den ersten Bauabschnitt der K-Straße sachliche Beitragspflichten erst mit der endgültigen Herstellung des zweiten Bauabschnitts der K-Straße und damit der gesamten Verkehrsanlage entstanden, war der Beitragsanspruch der Antragsgegnerin auch nicht gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b KAG-LSA i. V. m. §§ 169, 170 AO festsetzungsverjährt und durfte die Beitragsfestsetzung mit Bescheid vom 2. August 2021 erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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