Aktenzeichen M 12 K 16.33001
Leitsatz
1 Ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, kann grds. nur dann als verfolgt ausgereist iSd Art. 4 Abs. 4 RL 2004/387EG angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt nach § 3 Abs. 1 AsylG iVm Art. 1A Nr. 2 GFK nur bei Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit oder – bei de jure Staatenlosen – im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht (BVerwG BeckRS 2009, 33330). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Abs. 1 VwGO iVm § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über die Verwaltungsstreitsache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2017 entschieden werden, obwohl keiner der Beteiligten erschienen ist. Denn die Beteiligten wurden ordnungsgemäß geladen (Prozessbevollmächtigter mit PZU am 23.3.2017; Beklagte mit Schreiben vom 21. März 2017) und in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 5. September 2016 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a GG und/oder der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG, auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG und/oder auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat.
Die Klage ist bezüglich der Asylanerkennung schon mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da der Kläger seinen Asylantrag auf Feststellung von Flüchtlingsschutz beschränkt hat (Bl. 89 BA). Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 5. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit erfasst, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründeten Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 5/09, juris Rn. 23).
Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 -, juris Rn. 24 f).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt überdies voraus, dass zwischen der Verfolgungshandlung und der späteren Ausreise („Flucht“) ein objektiver Zusammenhang besteht. Zwar ist nicht nur derjenige i.S.d. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG verfolgt ausgereist, der noch während der Dauer eines Pogroms oder individueller Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlässt. Dies kann vielmehr auch bei einer Ausreise erst nach dem Ende einer Verfolgung der Fall sein. Die Ausreise muss dann aber unter Umständen geschehen, die bei objektiver Betrachtungsweise noch das äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck der erlittenen Verfolgung stattfindenden Flucht ergeben. Nur wenn ein durch die erlittene Verfolgung hervorgerufenes Trauma in einem solchen äußeren Zusammenhang eine Entsprechung findet, kann es als beachtlich angesehen werden. In dieser Hinsicht kommt der zwischen dem Abschluss der Verfolgung und der Ausreise verstrichenen Zeit eine entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland unbehelligt verbleibt, umso mehr schwindet der objektive äußere Zusammenhang mit seiner Ausreise dahin. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck einer früheren Verfolgung stehenden Flucht verliert. Daraus folgt, dass ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig stets sofort oder unmittelbar danach ausreisen müsste. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Ausreise zeitnah zur Beendigung der Verfolgung stattfindet. Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den Umständen der jeweiligen Verhältnisse ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 60/89 – juris; VGH BW, U.v. 7.3.2013 – A 9 S 1873/12 -, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 59 ff.).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b RL 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2011/95/EU).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a.a.O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist bei dem Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG festzustellen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien oder im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien landesweit von religiöser oder politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
Der Kläger macht zwar Asyl- und Flüchtlingsschutz hinsichtlich einer auf Eritrea bezogenen Verfolgungsfurcht geltend; das Gericht geht aber nicht davon aus, dass der Kläger Eritreer ist, sondern Äthiopier.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1A Nr. 2 GFK nur bei Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit oder – bei de jure Staatenlosen – im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2009 – 10 C 50/07 – juris; U.v. 8.2.2005 – 1c 29.03 – juris). Ist der Kläger aber äthiopischer Staatsangehöriger, ist die Flüchtlingseigenschaft bei ihm nicht gegeben, da er in Äthiopien keiner flüchtlingsrelevanten Bedrohung ausgesetzt ist, so dass es auf seinen Eritrea betreffenden Vortrag nicht ankommen kann. Aus denselben Gründen scheitert auch der auf Art. 16a Abs. 1GG gestützte Asylanspruch des Klägers. Dazu kommt, dass der Kläger seinen Antrag auf Feststellung von Flüchtlingsschutz beschränkt hat (Bl. 89 BA).
Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, weil Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt werden. Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit findet der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Anwendung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dementsprechend gibt es keine Beweisregel des Inhalts, dass der Nachweis der Staatsangehörigkeit eines Staates nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates geführt werden kann. Es ist nämlich gerade Sinn und Zweck der freien Beweiswürdigung, das Gericht nicht an starre Regeln zu binden, sondern ihm zu ermöglichen, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden (BVerwG, U.v. 8.2.2015 – 1 C 29/03 – juris). Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln.
Dass der Kläger mit Blick auf die geltend gemachte Verfolgungsfurcht tatsächlich eritreischer Staatsangehöriger ist, hat der darlegungs- und nach Kräften beweisbelastete Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können.
Der nach seinen Angaben am … 1994 geborene Kläger hat mit seiner Geburt in A. die äthiopische Staatsangehörigkeit erworben, da nach seinen eigenen Angaben die Mutter Äthiopierin war (Bl. 90 BA). Dies ergibt sich aus Art. 1 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930 (abgedruckt in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: September 2007, „Äthiopien“). Nach dieser Vorschrift ist äthiopischer Staatsangehöriger („Untertan“), wer als Kind eines äthiopischen Mannes oder einer äthiopischen Frau innerhalb oder außerhalb Äthiopiens geboren ist. Somit ist grundsätzlich nicht der Geburtsort, sondern die Abstammung als konstituierendes Merkmal anzusehen. Es kommt nicht vorrangig auf die Staatsangehörigkeit des Kindsvaters an; der Kläger hat jedenfalls die äthiopische Staatsangehörigkeit von seiner Mutter erworben.
Der Kläger hat neben der äthiopischen Staatsangehörigkeit nicht auch die eritreische Staatsangehörigkeit erworben. Er hat zwar erklärt, dass seine Mutter ihm gesagt habe, dass sein Vater Eritreer gewesen ist (Bl. 89 BA). Der selbständige und völkerrechtlich mit eigener Staatsangehörigkeit anerkannte Staat Eritrea bestand seit dem 24. Mai 1993. Eritrea, das bis zum 2. Weltkrieg eine italienische Kolonie war, bildete seit dem 8. Mai 1963 eine Provinz Äthiopiens. Sie erlangte erst im Jahr 1991 ihre Unabhängigkeit und ist seit dem 24. Mai 1993 ein eigener Staat mit eigener Staatsangehörigkeit (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea vom 21. November 2016, S.7).
Durch die Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 (abgedruckt in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, August 2005; im Folgenden: Proklamation) hat Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit nicht erworben. Nach Art. 2 Abs. 1 der Proklamation ist eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt, wer in Eritrea oder im Ausland als Kind eines Vaters oder einer Mutter eritreischer Abstammung geboren ist. „Eritreischer Abstammung“ ist gem. Art. 2 Abs. 2 der Proklamation, wer 1933 seinen Aufenthalt in Eritrea hatte. Grund für das Abstellen auf das Jahr 1933 war, dass die damalige Kolonialmacht Italien in jenem Jahr eine umfassende Registrierung der örtlichen Bevölkerung begann. Der Begriff der „eritreischen Abstammung“ in Art. 2 Abs. 2 der Proklamation ist also nicht mit der eritreischen Volkszugehörigkeit identisch, sondern verlangt den Aufenthalt einer Person im Gebiet des heutigen Eritrea im Jahr 1933 (VGH Baden Württemberg, U.v. 21.1.2003 – A 9 S 397/00 – juris). Nach Sinn und Zweck der Vorschrift muss es auch ausreichen, wenn die Eltern des Vater des Klägers im Jahr 1933 auf dem Gebiet von Eritrea gelebt haben (VG Münster, U.v. 22.7.2015 – 9 K 3488/13.A – juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger durch Geburt in A. die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hat (und möglicherweise die äthiopische verloren hat). Der Kläger selbst hat nach eigenen Angaben den Vater nie kennen gelernt, auch die Personalien des Großvaters väterlicherseits kennt der Kläger nicht (Bl. 89, 90 BA). Insofern kann nicht darauf geschlossen werden, dass sich irgendwelche Vorfahren väterlicherseits im Jahr 1933 auf dem Gebiet Eritreas aufgehalten haben. Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit gem. Art. 2 Abs. 5 oder Art. 3 ff. der Proklamation erworben hat. Der Kläger hat nicht dargelegt, einen Antrag an das eritreische Innenministerium zum Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit gerichtet zu haben, Art. 2 Abs. 5 der Proklamation. Auch durch Einbürgerung, Adoption oder Eheschließung hat der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit offenbar nicht erworben, Art. 3 ff. der Proklamation. Aus einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an den VGH Baden-Württemberg vom 21.11.2001 ergibt sich, dass im Ausland lebende Eritreer, auch wenn sie eine fremde Staatsangehörigkeit besitzen, als eritreische Staatsangehörige anerkannt werden, wenn sie ihre Abstammung nachweisen oder Zeugen dafür benennen können. Üblicherweise würden Eritreer bei der jeweiligen Auslandsvertretung vorsprechen und eine ID-Card oder einen eritreischen Pass beantragen. Mit diesem Antrag müssen Nachweise über die eritreische Abstammung eingereicht werden bzw. Zeugen, die die Abstammung bestätigen können, benannt werden. Dies gilt auch für Äthiopier, die in Äthiopien gelebt haben und die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzen (VGH Baden-Württemberg, U.v. 21.1.2003 – A 9 S 397/00 – juris). Der Kläger ist seiner Darlegungs- und Beweislast daher nicht nachgekommen; es spricht nichts dafür, dass er die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt; das Gericht geht davon aus, dass der Kläger äthiopischer Staatsangehöriger ist.
Bei der Anhörung beim Bundesamt hat der Kläger überhaupt keinen Sachverhalt vorgetragen, aus dem auf eine irgend geartete Verfolgung durch den eritreischen oder äthiopischen Staat geschlossen werden kann. Er trug lediglich vor, aus Äthiopien ausgereist zu sein, weil er, nachdem seine Mutter gestorben sei, einsam und ohne Perspektive gewesen sei (Bl. 90 BA). Schon deshalb ist keine Flüchtlingseigenschaft beim Kläger festzustellen.
Die Befürchtungen des Klägers bezüglich Eritreas sind irrelevant, weil der Kläger ohnehin nicht nach Eritrea abgeschoben werden soll (vgl. 4. des Bescheides).
Die Einlassung der Prozessbevollmächtigten in der Klagebegründung führt zu keinem anderen Ergebnis.
Die Ausführungen des Klägers betreffend seine Staatsangehörigkeit führen nicht dazu, dass bei ihm die eritreische Staatsangehörigkeit festzustellen ist (vgl. oben). Der Kläger selbst hat vorgetragen, die Mutter sei Äthiopierin gewesen, sie habe dem Kläger gesagt, der Vater sei Eritreer gewesen. Einen irgendwie gearteten Nachweis hat der Kläger nicht vorgelegt. Die Fragen des Bundesamtes zu seiner Nationalität hat er in keiner Weise beantworten können (Bl. 89, 90 BA). Insofern ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit hat und die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hätte (vgl. oben).
Das Vorbringen bezüglich der Befürchtung der Deportation des Klägers von Äthiopien nach Eritrea entbehrt der Grundlage. Es trifft zwar zu, dass es im Grenzkonflikt zwischen Äthiopien und Eritrea zu zahlreichen Deportationen äthiopischer Staatsangehöriger eritreischer und halberitreischer Herkunft gekommen ist, aktuell werden eritreische Flüchtlinge jedoch nicht mehr gegen ihren Willen zurückgeführt. Es sind auch keine anderen Formen von Diskriminierung zu befürchten (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Republik Äthiopien vom 4.3.2015; VG Regensburg, U.v. 17.11.2011 – RO 7 K 11.30150 – juris.). Der Kläger hat die äthiopische Staatsangehörigkeit, nicht die eritreische (siehe oben). Darüber hinaus sind in Ergänzung des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 Direktiven zur Bestimmung des Aufenthaltsstatus von Eritreern in Äthiopien („Directives issued to determine the residence status of Eritreans living in Ethiopia 2004“) – in Kraft seit 16. Januar 2004 – erlassen worden (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG Sigmaringen v. 16.6.2009). Personen, die sich – wie der Kläger – wohl nicht für die Annahme der eritreischen Staatsangehörigkeit entschieden haben (zumindest wurde dafür nichts vorgetragen), wird ein Anspruch auf die äthiopische Staatsangehörigkeit garantiert (4.2. der Direktive; Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, s.o.). Berücksichtigt man, dass diese Direktiven in der Folgezeit grundsätzlich fair umgesetzt wurden und die überwiegende Zahl der in Äthiopien verbliebenen Personen mit eritreischer Herkunft tatsächlich als äthiopische Staatsbürger anerkannt wurden bzw. die äthiopische Staatsangehörigkeit wiedererlangen konnten, hat sich die Situation für Äthiopier eritreischer oder gemischt äthiopisch-eritreischer Abstammung entschärft (OVG NRW, B. v.9.2.2010 – 8 A 72/08.A sowie die Auskünfte des Auswärtigen Amtes v. 4.12.2006 an VG Magdeburg und vom 16.6.2009 an das VG Sigmaringen; Lagebericht, II.,1.3.). Eritreer können sich danach entweder einbürgern lassen oder erhalten auf Wunsch eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Sie können eine äthiopische Identitätskarte beantragen, auf der ihre eritreische Staatsangehörigkeit vermerkt wird, ebenso wie einen äthiopischen Fremdenpass (VG des Saarlandes, U.v. 23.3.2016 – 3 K 707/15 – juris).
Das Vorbringen betreffend den Wehrdienst des Klägers führt nicht dazu, dass die Beklagte zu verpflichten wäre, dem Kläger Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen. Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, Eritreer zu sein (siehe oben). Er soll auch nicht nach Eritrea, sondern nach Äthiopien abgeschoben werden. Insofern kommt es nicht darauf an, ob der Kläger in Eritrea zum Wehrdienst eingezogen würde.
Der Kläger hat offensichtlich auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 AufenthG.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Der Kläger kann keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er bei seiner Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG vom 12.7.2001, InfAuslR 2002,52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Ca. 3,2 Mio. Äthiopier waren in 2014 auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, Die Hilfskosten wurden für 2014 auf 451,9 Mio. US-$ beziffert, darin enthalten sind neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch Non Food Items wie Kosten für Hygiene und Gesundheit. Zusätzlich werden 7.8 Mio. Menschen über das Productive Safety net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe benötigen würden (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 4.3.2015, IV.1.1.1 und vom 24.5.2016., IV.1.11). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Vor allem für Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, besteht die Möglichkeit, Arbeit zu finden oder sich erfolgreich selbständig zu machen.
Es ist für den Kläger sicher nicht leicht, wieder in Äthiopien zu leben. Es ist aber dem Kläger zuzumuten, sich in Äthiopien eine Arbeit zu suchen, wofür er als Rückkehrer gute Chancen hat.
Die Klage hat auch gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate keinen Erfolg. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei innerhalb der von § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG aufgezeigten gesetzlichen Grenzen getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist vom Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich. Die vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 und des § 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltsgenehmigung und ist auch nicht als Asylberechtigter anerkannt.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.