Aktenzeichen M 24 K 16.4668
StlÜbk Art. 28
Leitsatz
1 Es kann offenbleiben, ob eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO, bei der der Kläger den für den Erlass eines Verwaltungsakts erforderlichen Antrag erst nach Klageerhebung stellt, zulässig ist. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Der Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose setzt die Feststellung voraus, dass der Antragsteller staatenlos im Sinne von Art. 1 Abs. 1 StlÜbk ist, d.h. dass ihn kein Staat aufgrund seines Rechts (de iure) als Staatsangehörigen ansieht. Eine lediglich ungeklärte Staatsangehörigkeit reicht dafür nicht aus. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Über die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose kann solange nicht (positiv) entschieden werden, solange die Tatsache der Staatenlosigkeit nicht feststeht. Dabei ist es Sache des Antragstellers, mit den zuständigen Behörden der in Rede stehende Staaten in Kontakt zu treten und alles Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um eine Klärung der Frage herbeizuführen, ob er deren Staatsangehörigkeit von Rechts wegen besitzt oder erlangen kann. (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Bleibt ein mitwirkungspflichtige Kläger bei der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung untätig, fehlt einer von ihm angestrengten Untätigkeitsklage das Rechtsschutzbedürfnis. In diesem Fall trifft der Vorwurf der Untätigkeit nicht den Beklagten, sondern den Kläger, der im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht dazu berufen ist, durch ein Tätigwerden die Voraussetzungen für eine positive Sachentscheidung zu schaffen. (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
1. Die Klage ist unzulässig und hat daher keinen Erfolg.
1.1. Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihm einen Reiseausweis für Staatenlose gem. § 1 Abs. 4 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) i.V.m. Art. 28 StlÜbk zu erteilen. Richtige Klageart ist, da es sich bei der Erteilung des Reiseausweises um einen Verwaltungsakt handelt, die Verpflichtungsklage (§ 42 VwGO), hier in Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO), da eine behördliche Entscheidung noch nicht ergangen ist.
1.2. Die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage ist nach dem Wortlaut des § 75 Satz 1 VwGO davon abhängig, dass ein Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts gestellt worden ist. Im vorliegenden Fall hat der Kläger den Antrag auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose erst nach Klageerhebung bei der Behörde gestellt. Die Frage der Nachholbarkeit der Antragstellung während des gerichtlichen Verfahrens wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beantwortet: Teilweise wird mit Blick auf Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Vorschrift vertreten, dass es sich bei der vorherigen Antragstellung um eine Klagevoraussetzung handele, die im gerichtlichen Verfahren nicht nachholbar sei (so z.B. BVerwG, U.v. 31.8.1995 – 5 C 11/94 – juris Leitsatz und Rn. 14; VGH BW, B.v. 19.4.1999 – 6 S 420/97 – juris Rn. 4; Rennert in Eyermann, VwGO, § 75 Rn. 5; Brenner in Sodann/Zielkow, VwGO, § 75 Rn. 27; Kopp/Schenke, VwGO, § 75 Rn. 7), teilweise wird im Antragserfordernis aber auch eine bloße Sachurteilsvoraussetzung gesehen, die erst im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen muss und bis zu diesem Zeitpunkt im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden kann (BVerwG, U.v. 24.2.1994 – 5 C 24/92 – juris Rn. 12; Kopp/Schenke, VwGO, § 75 Rn. 11). Für letztere Auffassung sprechen prozessökonomische Erwägungen.
1.3. Die Streitfrage kann im vorliegenden Fall aber offenbleiben, da die Klage im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung jedenfalls aus einem anderen Grund, nämlich wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist. Der Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose setzt die Feststellung voraus, dass der Kläger staatenlos im Sinne von Art. 1 Abs. 1 StlÜbk ist, d.h. dass ihn kein Staat aufgrund seines Rechts (de iure) als Staatsangehörigen ansieht. Eine lediglich ungeklärte Staatsangehörigkeit reicht dafür nicht aus (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, AufenthG § 1 Rn. 34). Denjenigen, der sich auf Staatenlosigkeit in diesem Sinne beruft, trifft im Hinblick auf die Sachverhaltsaufklärung eine umfassende Mitwirkungspflicht, d.h. er muss alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um eine in Betracht kommende Staatsangehörigkeit zu erlangen (vgl. BVerwG, B.v. 30.12.1997 – 1 B 223/97 – juris Rn. 6f.; OVG BB, B.v. 10.7.2013 – OVG 3 N 144.12 – juris Rn. 5f mit Verweis auf BVerwG, U.v. 17.3.2004 – 1 C 1/03 – juris Rn. 30ff.; VGH BW, U.v. 17.12.2003 – 13 S 2113/01 – juris Rn. 35 f.).
Im vorliegenden Fall kann der Beklagte über den Antrag auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose nicht (positiv) entscheiden, solange die Tatsache der Staatenlosigkeit nicht feststeht. Die Frage der Staatenlosigkeit bedarf aber der weiteren Aufklärung, da der Kläger schlicht behauptet, staatenlos zu sein, ohne dies zu belegen. Vor dem Hintergrund, dass er als „armenischer Staatsangehöriger“ als Asylberechtigter anerkannt worden war, besteht aber Anlass zur Klärung einer möglichen armenischen Staatsangehörigkeit. Darüber hinaus kommt wegen der Geburt in … (* … … …*) möglicherweise auch die russische Staatsangehörigkeit in Betracht. Es ist Sache des Klägers, mit den zuständigen Behörden der in Rede stehende Staaten in Kontakt zu treten und alles Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um eine Klärung der Frage herbeizuführen, ob er die armenische oder die russischer Staatsangehörigkeit von Rechts wegen besitzt oder erlangen kann. Bisher ist der Kläger in dieser Hinsicht noch in keiner Weise tätig geworden, insbesondere hat er keine entsprechenden Anträge auf Zuerkennung der Staatsangehörigkeit gestellt. Bleibt der mitwirkungspflichtige Kläger bei der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung untätig, so fehlt einer Untätigkeitsklage das Rechtsschutzbedürfnis. Denn dann trifft der Vorwurf der Untätigkeit nicht den Beklagten, sondern den Kläger, der im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht dazu berufen ist, durch ein Tätigwerden die Voraussetzungen für eine positive Sachentscheidung zu schaffen. Die Klage war daher als unzulässig abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.