Verwaltungsrecht

Voraussetzungen eines Zweitantrags

Aktenzeichen  M 23 S 16.34080

Datum:
3.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 36 Abs. 4 S. 1, § 71a

 

Leitsatz

1. Für einen Zweitantrag nach § 71a AsylG muss ein vorangegangener negativer Ausgang eines Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedsstaat hat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom … Oktober 2016 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angedrohte Abschiebung nach Pakistan.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge pakistanischer Staatsangehöriger, punjabischer Volkszugehörigkeit und ist islamischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben 2013 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … August 2013 bei dem Bundesamt einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylG durch das Bundesamt am … September 2016 gab der Antragsteller an, dass er in Österreich einen Asylantrag gestellt habe und ihm dort auch Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Er habe sich in Österreich zwei Jahre aufhalten dürfen und dann das Land verlassen müssen. danach habe er zwei Jahre illegal in Griechenland gelebt. Hinsichtlich der Angaben des Antragstellers wird auf die Niederschrift zur Anhörung verwiesen.
In der vorgelegten Behördenakte befindet sich kein der Nachweis über einen Eurodac-Treffer.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom … Oktober 2016, zugestellt am … November 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziff. 1 des Bescheids) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2 des Bescheids). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Pakistan aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziff. 3 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4 des Bescheids).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei dem Antrag des Antragstellers um einen Zweitantrag nach § 71a AsylG handle. Der Antragsteller habe in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Gemäß dem Vortrag des Antragstellers sei dieser abgelehnt worden. Es handle sich daher um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG. Wiederaufgreifensgründe lägen nicht vor. Es habe sich weder die Sach-, noch die Rechtslage geändert. Auch konkrete individuelle Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG seien in Bezug auf das Heimatland nicht vorgetragen oder ersichtlich. Ergänzend wird auf die Begründung im Bescheid verwiesen.
Die Bevollmächtigten des Antragstellers erhoben am 9. November 2016 Klage und beantragten den Bescheid aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen (Verfahren M 23 K 16. 34079).
Zudem beantragten sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Am 21. November 2016 legte das Bundesamt die Behördenakten vor; eine Antragstellung unterblieb.
Mit Schreiben vom 30. November 2016 Begründeten die Bevollmächtigen Klage und Eilantrag insbesondere damit, dass der erfolglose Abschluss des Asylverfahrens in Österreich nicht feststehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Hauptsacheverfahren (M 23 K 16.34079) sowie auf die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i. V. m. §§ 71a Abs. 4, 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll. Die Antragstellung erfolgte auch fristgerechnet innerhalb der Wochenfrist des § 71a Abs. 4 i. V. m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß §§ 71a Abs. 4 i. V. m. 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrages, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) der Fall.
Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die von der Antragsgegnerin gewählte Vorgehensweise, den von dem Antragsteller im Bundesgebiet gestellten Antrag als unzulässigen Zweitantrag zu bewerten, rechtmäßig ist.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24ff – bestätigt durch BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris, Pressemitteilung des BVerwG Nr. 104/2016 v. 14.12.2016). Hierbei muss – entgegen der im streitgegenständlichen Bescheid ersichtlichen Auffassung der Antragsgegnerin – der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m. w. N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedsstaat hat (vgl. VG Regensburg, B. v.12.10.2016 – RN 7 S 16.32477 – unveröffentlicht; VG Schleswig-Holstein, B. v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7 ff; VG Schwerin, U. v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 – juris Rn. 18; VG Wiesbaden, B. v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20, BeckOK AuslR/Schönenbroicher, AsylG, § 71a Rn. 1f).
Der Antragsteller hat zwar eine Asylantragstellung in einem Drittstaat eingeräumt, entgegen der Annahme der Antragsgegnerin im Bescheid hat er jedoch nicht zweifelsfrei ausgesagt, dass dieses abschließend negativ verbeschieden wurde. Im Übrigen ist der Antragsteller in der Regel nicht in der Lage über den Verfahrensablauf ausreichend Auskunft geben zu können (vgl. BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 22). Der Antragsgenerin liegt zwar wohl ein -in der vorgelegten Behördenakte nicht dokumentierter -entsprechender Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Österreich vor, offen bleibt jedoch, ob dort ein Asylverfahren mit inhaltlicher Prüfung und abschließender Sachentscheidung (vgl. BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris) durchgeführt wurde. Die fehlende Aufklärung geht zulasten der Antragsgegnerin (vgl. BayVGH, U. v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 41). Die Antragsgegnerin ist ihrer Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen. Der Vorhalt der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller keine Details zu dem dortigen Verfahren geschildert habe, verkehrt die Aufklärungspflichten.
Ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ist somit nicht nachgewiesen, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen.
Dem Antrag war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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