Verwaltungsrecht

Waffenrechtliche (Un-) Zuverlässigkeit bei sog. “Reichsbürgern”

Aktenzeichen  21 CS 17.1964

Datum:
9.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3069
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 3, § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG Art. 52
VwGO § 80

 

Leitsatz

1 Personen, die der sog. “Reichsbürgerbewegung” zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, sind waffenrechtlich nicht zuverlässig. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug besteht auch für die mit dem Widerruf der Waffenbesitzkarte verbundenen notwendigen Anordnungen, die ausgestellten Erlaubnisurkunden zurückzugeben und vorhandene Waffen und Munition an einen Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 S 17.1196 2017-09-07 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seines Kleinen Waffenscheins und die dazu ergangenen Nebenentscheidungen.
Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller am 10. Dezember 2015 den Kleinen Waffenschein.
Mit am 10. Februar 2016 unterschriebenem Formblatt stellte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit. Dabei gab er zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit an: „Geburt (Abstammung) gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG (Stand 22.07.1913)“ und als Geburtsort „A…, Preußen (Deutschland als Ganzes)“. Als Geburtsort seines am … 1946 geborenen Vaters gab er an „H…, Preußen“, als Geburtsort seiner am … 1946 geborenen Mutter „A…, Preußen“, als eigene Wohnorte von Geburt bis 1963 „H…, Staat Preußen“ und von 1963 bis jetzt „A…, Staat Preußen“. Die Angabe, wozu er den Staatsangehörigkeitsausweis benötige, ließ er zunächst unbeantwortet. Die Fragen, ob für ihn schon einmal ein Staatsangehörigkeitsausweis ausgestellt worden sei, ob er neben der deutschen noch andere Staatsangehörigkeiten besitze und ob er nach dem 31. Dezember 1999 aufgrund freiwilliger Verpflichtung in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates eingetreten sei, beantwortete er zunächst ebenfalls nicht.
Bei einer Vorsprache am 22. Februar 2016 zur Abholung des Ausweises strich er laut Aktenvermerk der Antragsgegnerin diese Fragen komplett durch, nachdem ihm erläutert wurde, dass er dazu Angaben machen müsse, und es „nein“ bedeute, wenn er nichts ankreuze. Auf Nachfrage nach dem Verwendungszweck des Staatsangehörigkeitsausweises verlangte er laut Aktenvermerk eine schriftliche Auskunft zur Rechtsgrundlage, aufgrund welcher dies verlangt werden könne. Den zunächst vorgenommenen Eintrag „privat“ beim Verwendungszweck strich er nach dem Bezahlen der Gebühr wieder durch. Gleichzeitig machte er die Streichung zu den drei Fragen rückgängig und kreuzte jeweils „nein“ an.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 übersandte das Polizeipräsidium Schwaben Nord der Antragsgegnerin eine Auskunft, der zufolge der Antragsteller durch die im Antrag getroffenen Eintragungen sowie aufgrund der bei der Vorsprache gezeigten Verweigerungshaltung als „Reichsbürger“ einzustufen sei.
Im Rahmen der Anhörung zum beabsichtigten Widerruf seines Kleinen Waffenscheins gab der Antragsteller mit Schreiben vom 10. März 2017 an, dass er einen Eintrag, laut polizeilicher Unterstellung, als sog. „Reichsbürger“ weder beantragt habe, noch, dass ein solcher vorliege. Er gehöre „weder einzeln noch als ein Mitglied irgendeiner gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ gerichteten (gemeint ist wohl „Vereinigung“) an und beabsichtige das auch in Zukunft nicht.
Nach einer „Zeugeneinvernahme“ des Antragstellers am 15. Mai 2017 durch das Polizeipräsidium Schwaben Nord stellte dieses in einer weiteren Auskunft vom 17. Mai 2017 fest, der Antragsteller sei über die Internetseite gelberschein.de der Argumentation von Reichsbürgern gefolgt. Es sei der Eindruck entstanden, der Antragsteller habe geglaubt, auf offiziellen Seiten von Behörden zu surfen. Mehrfach habe er gefragt, warum diese Seiten dann nicht gelöscht würden. Er habe bekräftigt, kein Reichsbürger zu sein, die er pauschal in den Bereich der ehemaligen Nationalsozialisten gerückt habe. Bei der Frage zur Souveränität Deutschlands habe er allerdings erklärt, er glaube eher nicht, dass Deutschland ein souveräner Staat sei. Dies habe er aus Bemerkungen von Politikern herausgehört. Bei einer Nachschau habe man auf der Internetseite gelberschein.de eine Vielzahl von Videos gefunden, welche, aus dem Kontext gelöst, die Behauptung des Antragstellers stützten. Auch seien Ausfüllhilfen aufrufbar. Der Antragsteller habe sich offensichtlich umfangreich mit der Thematik beschäftigt. Er entspreche der Definition eines Reichsbürgers zwar nicht eindeutig, aber durch seine intensiven Recherchen zum Thema blieben Zweifel und er müsse weiterhin als Verdachtsfall behandelt werden.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2017 widerrief die Antragsgegnerin den dem Antragsteller erteilten Kleinen Waffenschein Nr. 90/15 (1.). Gleichzeitig wurde dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (4.) aufgegeben, innerhalb von drei Wochen nach Vollziehbarkeit dieses Bescheids die Erlaubnisurkunde an die Antragsgegnerin zurückzugeben (2). Für den Fall der Nichtbefolgung wurde dem Antragsteller ein Zwangsgeld angedroht (3.). Zur Begründung führte das Landratsamt aus, dass der Antragsteller laut Auskunft des Polizeipräsidiums Schwaben-Nord der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sei. Bei der Annahme der waffenrechtlichen Regelunzuverlässigkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG müsse das Vorgehen aktiv, ziel- und zweckgerichtet sein. Die Weigerung, die staatliche Rechtsordnung als solche bzw. staatliche Organe anzuerkennen, dürfte als aktives Vorgehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung gewertet werden können. Durch die Ablehnung der geltenden Rechtsordnung sowie der staatlichen Institutionen seien Personen, die der Ideologie der sog. Reichsbürger nahe stünden, nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b WaffG per se waffenrechtlich unzuverlässig.
Der Antragsteller hat gegen den am 30. Juni 2017 zugestellten Bescheid am Montag, den 31. Juli 2017 Klage erhoben und Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. September 2017 abgelehnt hat.
Dagegen richtet sich die am 23. August 2017 eingelegte Beschwerde des Antragstellers.
II.
Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO) des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder abzuändern.
1. Nach der gebotenen summarischen Prüfung fällt die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Interesses aus. Die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers gegen den angefochtenen waffenrechtlichen Bescheid sind als offen zu bewerten. Unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Argumente und Beweisangebote kann eine Aussage über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nicht mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden (1.1). Ausgehend von einem offenen Verfahrensausgang führt die vorzunehmende Interessenabwägung dazu, dass das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt (1.2).
1.1. Nach § 45 Abs. 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Das Verwaltungsgericht ist bei Anwendung dieser Vorschrift zutreffend davon ausgegangen, dass solche Personen die für eine waffenrechtliche Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, weil in diesem Fall Tatsachen die Annahme nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (Buchst. a), sie mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder sie Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c – vgl. Beschluss des Senats vom 5. Oktober 2017- 21 CS 17.1300 – juris).
1.1.1 Der Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundes (S. 90) definiert „Reichsbürger“ als eine organisatorisch wie ideologisch äußerst heterogene Szene, der jedoch die fundamentale Ablehnung des Staates, seiner Repräsentanten sowie der gesamten Rechtsordnung gemein ist. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 (S. 180 ff.) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die Reichsbürgerbewegung wird als sicherheitsgefährdende Bestrebung eingestuft. Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein (Verfassungsschutzbericht Bayern 2016, S. 185).
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird (vgl. BVerwG, B.v. 26.3.1997 – 1 B 9/97 – juris), muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. zum Ganzen: NdsOVG, B.v. 18.7.2017 – 11 ME 181/17; VG Minden, U.v. 29.11.2016 – 8 K 1965/16; VG Cottbus, U.v. 20.9.2016 – VG 3 K 305/16; VG München, B.v. 8.6.2017 – M 7 S 17.933; einschränkend VG Gera, U.v. 16.9.2015 – 2 K 525/14 Ge – jeweils juris).
1.1.2 Zur Entscheidung der Frage, ob die Verhaltensweisen des Antragstellers, die sich typischerweise als solche der sog. Reichsbürgerbewegung darstellen, die auf Tatsachen gestützte Prognose seiner waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigen, bedarf es weiterer Sachaufklärung. Die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers sind daher bei summarischer Prüfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt als offen zu bewerten.
Durch die Beantragung eines Staatangehörigkeitsausweises unter Berufung auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) in der Fassung von 1913 und unter Angabe, sowohl er als auch seine Eltern seien in Preußen geboren bzw. die Zuordnung seiner Wohnorte zum „Staat Preußen“, hat der Antragsteller entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht lediglich eine abstruse politische Auffassung geäußert, sondern ein für „Reichsbürger“ typisches Verhalten gezeigt. Ein solches Verhalten nährt den Verdacht, dass er aufgrund der Ideologie der „Reichsbürgerbewegung“ die Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt und letztlich nicht bereit ist, sich strikt an die Rechtsordnung der Bundesrepublik einschließlich der Regelungen des Waffengesetzes zu halten.
Den Antragsteller kann nicht ohne Weiteres der Umstand entlasten, dass, wie er im Beschwerdeverfahren vorbringt, bei ihm andere für Reichsbürger charakteristische Verhaltensweisen nicht vorliegen, etwa, dass er zu keinem Zeitpunkt staatliche Anordnungen oder Bescheide in Frage gestellt, Steuern nicht bezahlt oder sonst hiergegen protestiert habe. Das folgt schon daraus, dass es sich beim Begriff „Reichsbürger“ um eine Sammelbezeichnung für eine sehr heterogene Personengruppe handelt und für eine Zuordnung nicht alle typischen Merkmale zugleich erfüllt sein müssen, sondern die Zuordnung stets nur im Rahmen einer Gesamtwürdigung erfolgen kann.
Dementsprechend hat das Polizeipräsidium Schwaben Nord in der Auskunft vom 15. Mai 2017 nachvollziehbar ausgeführt, dass eine „Reichsbürgerangehörigkeit“ des Antragstellers trotz des Umstandes, dass er sich schriftlich und mündlich gegen eine solche „Einstufung“ gewehrt habe und kooperativ zu einer „Zeugenvernehmung“ erschienen sei, nicht abschließend habe ausgeräumt werden können. Vor diesem Hintergrund wird das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren zu klären haben, inwieweit die Einlassungen des Antragstellers im Einzelnen glaubhaft und geeignet sind, ihn als eine Person erscheinen zu lassen, die nicht die Ideologien der Reichsbürger als für sich verbindlich beansprucht.
1.2 Da nach alldem keine zuverlässige Prognose über den Verfahrensausgang getroffen werden kann, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich.
§ 45 Abs. 5 WaffG (angefügt durch Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften vom 26.3.2008, BGBl. I 426) beseitigt von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen nachträglichen Wegfalls der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit. Der Gesetzgeber hielt in dieser Fallgruppe die Anordnung der sofortigen Vollziehung für dringend angezeigt. In derartigen Fällen sei im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung immer eine umgehende Beendigung des Waffenbesitzes geboten bzw. ein höherwertiges legitimes Interesse an einem weiteren Waffenbesitz bis zum Eintritt von Bestands- oder Rechtskraft (u.U. mehrere Monate oder Jahre) überhaupt nicht zu erkennen. Den berechtigten Belangen der Betroffenen könnte in Ausnahmefällen durch eine abweichende (Eil-) Anordnung der Verwaltungsgerichte Rechnung getragen werden (BT-Drs. 16/7717, S. 33).
In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung unterscheidet sich die Interessenabwägung von derjenigen, die in den Fällen einer behördlichen Anordnung stattfindet. Während im Anwendungsbereich von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist in Fällen der Nummern 1 bis 3 zu beachten, dass hier der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Hat sich schon der Gesetzgeber für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte – neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21 f.).
Der Antragsteller hat insoweit keine Gründe vorgetragen, die auf besondere, über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hingewiesen hätten, aufgrund derer eine Abwägung zugunsten seiner privaten Interessen ausfallen müsste. Der im streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners verfügte Widerruf der Waffenbesitzkarte des Antragstellers dient dem besonderen Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit an einem sicheren und zuverlässigen Umgang mit Schusswaffen und daher dem Schutz überragender Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung. Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse hat das rein private Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung, das er nicht gesondert begründet hat, weniger Gewicht.
Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) besteht aus Gründen der Gefahrenabwehr regelmäßig auch für die mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die ausgestellten Erlaubnisurkunden zurückzugeben (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG, Art. 52 BayVwVfG) und vorhandene Waffen und Munition an einen Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG). Denn diese Folgeentscheidungen stellen sicher, dass der kraft Gesetzes (§ 45 Abs. 5 WaffG) sofort vollziehbare Widerruf der Waffenbesitzkarte tatsächlich umgesetzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2016 – 21 CS 15.2718 – juris Rn. 17).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 2 GKG. Für den Kleinen Waffenschein ist der Auffangwert von 5.000,00 EUR anzusetzen (BayVGH, B. v. 5. Juli 2017 – 21 CS 17.856 – juris, Rn. 14). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Streitwert zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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