Verwaltungsrecht

XIII ZB 81/20

Aktenzeichen  XIII ZB 81/20

Datum:
31.8.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:310821BXIIIZB81.20.0
Normen:
§ 59 AufenthG
§ 62 AufenthG
§ 44 VwVfG
Art 5 MRK
Spruchkörper:
13. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Krefeld, 23. September 2020, Az: 7 T 58/20vorgehend AG Krefeld, 13. Februar 2020, Az: 29 XIV (B) 48/20

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 23. September 2020 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 13. Februar 2020 den Betroffenen im Zeitraum vom 13. bis zum 27. Februar 2020 in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Oberhausen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

1
I. Der Betroffene, ein ukrainischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 4. Februar 2020 mit einem gültigen ukrainischen Nationalpass und einem befristeten lettischen Aufenthaltstitel, der ihn zur Arbeitsaufnahme in Lettland berechtigte, nach Deutschland ein. Er wurde am 12. Februar 2020 in der Arbeiterwohnung einer lettischen Arbeitsvermittlung (nachfolgend: Unternehmen) in Deutschland festgenommen. Nach den Ermittlungen der Polizeibehörden hatte er an das Unternehmen rund 2.000 € für die Einreise und die Arbeitsaufnahme gezahlt. Als Gegenleistung wurde ihm der lettische Aufenthaltstitel verschafft, eine Wohnung in Deutschland organisiert und Arbeit auf diversen Baustellen in Deutschland vermittelt, welche durch das Unternehmen bedient werden. Mit Ordnungsverfügung vom 12. Februar 2020 ordnete die beteiligte Behörde ohne Bestimmung einer Ausreisefrist und unter Befristung des Wiedereinreiseverbots auf vier Jahre die sofortige Abschiebung des Betroffenen in die Ukraine an.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 13. Februar 2020 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung in die Ukraine bis zum 16. März 2020 angeordnet. Nachdem in einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren wegen einer parallelen Ordnungsverfügung gegen einen anderen Ausländer seitens des Gerichts Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung erhoben worden waren, hat die beteiligte Behörde am 27. Februar 2020 die Entlassung des Betroffenen aus der Sicherungshaft veranlasst. Die – mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vollzogenen Sicherungshaft weiterverfolgte – Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
3
II. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis Erfolg.
4
1. Das Beschwerdegericht hält den Feststellungsantrag des Betroffenen für unbegründet. Der Haftanordnung des Amtsgerichts habe ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Das Amtsgericht habe die Voraussetzungen der Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung zu Recht bejaht. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig, da er unerlaubt eingereist sei; der lettische Aufenthaltstitel habe ihn nur zu einem Aufenthalt für touristische Zwecke, aber nicht zur Arbeitsaufnahme berechtigt. Die beteiligte Behörde habe mit der Ordnungsverfügung von 12. Februar 2020 die erforderliche Rückkehrentscheidung erlassen. Ob die Ordnungsverfügung sachlich richtig sei, hätten die Haftgerichte nicht zu überprüfen; das sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte. Etwas anderes gelte nur, wenn die Ordnungsverfügung gemäß § 44 VwVfG nichtig sei. Dies wiederum sei nur anzunehmen, wenn die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so erheblichem Maße verletzt worden seien, dass von niemandem erwartet werden könne, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Die Haftgründe der unerlaubten Einreise (§ 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) und der Fluchtgefahr (§ 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3b Nr. 2 AufenthG) seien gegeben.
5
2. Diese Erwägungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die von dem Betroffenen erhobenen Einwände sind zwar unbegründet; der Haftanordnung des Amtsgerichts lag aber ein unzulässiger Haftantrag zugrunde. Dieser Mangel ist auch nicht geheilt worden.
6
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde musste sich das Amtsgericht nicht mit der – von dem Verwaltungsgericht in dem erwähnten Eilverfahren verneinten – Frage befassen, ob die beteiligte Behörde von der Androhung der Abschiebung und der Bestimmung einer Ausreisefrist nach § 59 Abs. 1 AufenthG absehen durfte.
7
aa) Der Haftrichter ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Verwaltungsakte gebunden, die der Abschiebung zugrunde liegen. Er hat grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Ausländerbehörde die Abschiebung zu Recht betreibt. Mit der Prüfung dieser Frage würde der Haftrichter in unzulässiger Weise in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit übergreifen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. September 1980 – VII ZB 5/80, BGHZ 78, 145, 147, vom 11. Oktober 2017 – V ZB 41/17, FGPrax 2018, 41 Rn. 22, vom 12. April 2018 – V ZB 164/16, NVwZ 2018, 1583 Rn. 11, vom 21. August 2019 – V ZB 174/17, juris Rn. 8, vom 7. April 2020 – XIII ZB 53/19, InfAuslR 2020, 283 Rn. 12, und vom 14. Juli 2020 – XIII ZB 81/19, NVwZ 2021, 262 Rn. 12, 14). Ebenso wenig hat er zu prüfen, ob die Behörde mit der Abschiebung in das Heimatland des Betroffenen überhaupt das richtige Verfahren gewählt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2018 – V ZB 80/17, NVwZ-RR 2019, 662 Rn. 7, vom 10. Januar 2019 – V ZB 159/17, juris Rn. 14, und vom 7. April 2020 – XIII ZB 53/19, InfAuslR 2020, 283 Rn. 12).
8
bb) Etwas anderes gilt zwar entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht nur im Fall der Nichtigkeit der der Abschiebung zugrunde liegenden Entscheidung gemäß § 44 VwVfG. Erforderlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber eine offenkundige Rechtsverletzung (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 – XIII ZB 21/20, NVwZ-RR 2021, 231 [Ls] = juris Rn. 12 f., 16) oder eine offensichtliche Unrichtigkeit der behördlichen Entscheidung (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020 – XIII ZB 133/19, NVwZ 2021, 822 Rn. 8). Daran fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht hat in dem erwähnten Eilverfahren zwar ausgeführt, die beteiligte Behörde habe versäumt, ihr Ermessen nach § 59 Abs. 1 AufenthG auszuüben. Offensichtlich rechtsfehlerhaft war dies aber nicht, weil sich die beteiligte Behörde in ihrer Ordnungsverfügung vom 12. Februar 2020 mit dieser Frage befasst und die Auffassung vertreten hat, dass das Vorliegen eines Haftgrunds zugleich auch die Voraussetzungen von § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erfülle. Es ging vielmehr um die Klärung der Anforderungen von § 59 Abs. 1 AufenthG, die den Verwaltungsgerichten vorbehalten ist und der die Haftgerichte nach der Aufgabenverteilung zwischen den beiden Gerichtsbarkeiten nicht vorzugreifen haben.
9
cc) Diese Aufgabenverteilung zwischen den Haftgerichten einerseits und den Verwaltungsgerichten andererseits steht auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 5 EMRK. Absatz 3 dieser Vorschrift schreibt dem Richter, dem der Festgenommene vorgeführt wird, zwar vor, die Umstände zu prüfen, die für und gegen die Freiheitsentziehung sprechen, nach rechtlichen Gesichtspunkten darüber zu entscheiden, ob Gründe vorliegen, welche die Freiheitsentziehung rechtfertigen, und Haftentlassung anzuordnen, falls es solche Gründe nicht gibt (EGMR, Urteil vom 29. April 1999 – 25642/94 – Aquilina, NJW 2001, 51 Rn. 47). Diese unmittelbar nur für die Untersuchungshaft geltende Regelung der Europäischen Menschenrechtskonvention steht aber der beschriebenen Aufgabenverteilung zwischen den Haft- und den Verwaltungsgerichten nicht entgegen. Entscheidend ist, dass die Freiheitsentziehung der Sache nach überprüft wird (EGMR, aaO). Die Abschiebungshaft hat den Zweck, die Vollstreckung der – kraft Gesetzes bestehenden oder durch Bescheid begründeten – öffentlich-rechtlichen Pflicht eines Ausländers zur Ausreise aus Deutschland abzusichern. Dem entspricht es, dass der Ausländer seine Einwände gegen die Vollstreckung der Ausreisepflicht bei den Verwaltungsgerichten und seine Einwände gegen die Anordnung der Sicherungshaft bei den Haftgerichten geltend zu machen hat. Er kann so die in entsprechender Anwendung von Art. 5 Abs. 3 EMRK gebotene Sachprüfung seiner Einwände durch den jeweils fachlich zuständigen Richter erreichen.
10
b) Entgegen der Ansicht des Betroffenen war das Beschwerdegericht nicht gehalten, bei der von Verfassungs wegen gebotenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Sicherungshaft als Alternative zur Abschiebung des Betroffenen in sein Heimatland seine Abschiebung nach Lettland zu erwägen, wo ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung haben die Haftgerichte von der Entschließung der beteiligten Behörde auszugehen, die Abschiebung durch Rückführung des Ausländers in sein Heimatland oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zu vollziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2016 – V ZB 13/10, juris Rn. 17 f. für die Zurückschiebung). Ob diese Entscheidung sachlich richtig ist, haben nicht die Haftgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zu prüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2009 – V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50 Rn. 12 [für Zurückschiebung], vom 30. Juni 2011 – V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315 Rn. 21 [für Transitaufenthalt], vom 20. September 2017 – V ZB 118/17, NVwZ 2018, 349 Rn. 18, und vom 12. April 2018 – V ZB 164/16, NVwZ 2018, 1583 Rn. 13 [beide für Zurückweisung]).
11
c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, musste auch nicht aufgeklärt werden, ob der Betroffene 1.000 oder 2.000 € dafür aufgewandt hat, dass ihm das Unternehmen die Möglichkeit verschaffte, in Deutschland zu arbeiten. Auf diese Frage könnte es zwar im Zusammenhang mit dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, Abs. 3b Nr. 2 AufenthG (Schleuseraufwand) ankommen. Ob dieser Haftgrund gegeben war, bedurfte hier aber keiner Entscheidung. Der Betroffene war nämlich nach § 14 Abs. 1 Nr. 2, § 4 AufenthG unerlaubt eingereist, da die ihm zur Arbeitsaufnahme in Lettland erteilte Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsaufnahme in Deutschland nicht berechtigte. Die unerlaubte Einreise begründete einen Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, für den es auf das Vorliegen der Kriterien für Fluchtgefahr nicht ankommt.
12
d) Die Haftanordnung des Amtsgerichts war aber dennoch im Ergebnis rechtswidrig, weil ihr kein zulässiger Haftantrag zugrunde lag. In dem Haftantrag der beteiligten Behörde fehlte die notwendige Darlegung zur erforderlichen Dauer der Haft nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG.
13
aa) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. April 2020 – XIII ZB 53/19, InfAuslR 2020, 283 Rn. 7 mwN).
14
bb) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht. In ihrem Antragsschreiben vom 13. Februar 2020 teilt die beteiligte Behörde im Hinblick auf die beantragte Haftdauer mit, ein regulärer Flug in die Ukraine zwecks Abschiebung sei nach Auskunft der Zentralstelle für Flugabschiebungen Nordrhein-Westfalen mit einem Vorlauf von vier Wochen buchbar. Die Flugbuchung werde unmittelbar im Anschluss an die Haftanordnung vorgenommen. Weitere Arbeitsschritte seien nicht durchzuführen. Diese Angaben genügen den Anforderungen nicht. Der dem Antrag zugrunde gelegte Zeitraum von vier Wochen für die allein erforderliche Flugbuchung ist nicht so kurz, dass sich seine Notwendigkeit unter den gegebenen Umständen – der Betroffene hatte einen gültigen Reisepass, es war ein Flug ohne Sicherheitsbegleitung geplant und die Überstellung sollte in ein europäisches Land erfolgen – von selbst verstünde. Die beteiligte Behörde hätte daher vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, durch Angaben zu Terminen und zur Frequenz nutzbarer Flugverbindungen und zur Buchungslage (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. November 2018 – V ZB 54/18, Asylmagazin 2019, 79 Rn. 8, vom 12. Februar 2020 – XIII ZB 16/19, InfAuslR 2020, 241 Rn. 10, vom 25. August 2020 – XIII ZB 112/19, juris Rn. 8, und vom 23. März 2021 – XIII ZB 69/20, juris Rn. 9, jeweils mwN) oder auf sonstige Weise erläutern müssen, dass und warum ein früherer Transfer nicht möglich war.
15
cc) Der Fehler ist nicht geheilt worden (vgl. zur Möglichkeit der Heilung Beschluss vom 12. Februar 2020 – XIII ZB 16/19, InfAuslR 2020, 241 Rn. 12, mwN).
16
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Meier-Beck     
        
Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntschist infolge Versetzung an eine obersteBundesbehörde an der Unterschriftgehindert.
        
Kirchhoff
        
        
Meier-Beck
        
        
        
Roloff     
        
     Tolkmitt     
        


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