Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  Au 3 K 17.34406

Datum:
24.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2125
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3,§ 3c Nr. 3, § 4, § 77 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1,§ 113 Abs. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid vom 14. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
1. Es besteht kein Anspruch auf die Anerkennung als Flüchtling.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Es ist Sache des Betroffenen, die tatsächlichen Umstände, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen, in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wobei in der Regel eine Glaubhaftmachung ausreicht. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein detaillierter und in sich stimmiger Sachvortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist der Einzelrichter davon überzeugt, dass der Kläger sein Heimatland nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung im o.g. Sinne verlassen hat. Denn die Angaben des Klägers sind nicht geeignet, die Annahme einer vor ihrer Ausreise tatsächlich erlittenen oder unmittelbar drohenden flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung zu rechtfertigen. Der Kläger hat darüber hinaus auch bei einer Rückkehr nach Pakistan eine solche Verfolgung nicht zu erwarten.
a) Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist. Die Angaben des Klägers sind widersprüchlich und damit unglaubhaft.
Dies betrifft zum einen seine Angaben zu seinen allgemeinen Lebensumständen vor der Ausreise aus Pakistan. Der Kläger gab beim Bundesamt an, er habe vor der Ausreise als Taxifahrer gearbeitet und dabei im November 2016 den Schleußer kennengelernt. Vor der Tätigkeit als Taxifahrer habe er drei oder vier Jahre in einem Laden gearbeitet, an den genauen Beginn der Tätigkeit erinnere er sich jedoch nicht. Ausgehend von diesen Angaben (dreijährige Verkäufertätigkeit, Beginn der Tätigkeit als Taxifahrer spätestens im November 2016) hat der Kläger spätestens im Herbst 2013 mit der Tätigkeit als Verkäufer begonnen. Demgegenüber gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, er habe ab Februar oder März 2016 ungefähr ein Jahr mit dem Wagen des Fahrers als Fahrer für „…“ gearbeitet. Davor sei er sechs Monate in einem Geschenkeladen tätig gewesen. Von 2009 bis 2014 sei er in Liberia gewesen, wo er nationaler Leiter der Organisation der jungen Männer der Gemeinde gewesen sei. Zwischen der Rückkehr aus Liberia und der Tätigkeit im Geschenkeladen sei er arbeitslos gewesen. Gegen eine tatsächliche herausgehobene Position des Klägers in der Ahmadiyya-Gemeinde Liberias spricht auch, dass dies in der vorgelegten Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland K.d.ö.R. nicht erwähnt wird, obwohl weit unwichtigere Positionen in Pakistan aufgezählt werden. Daher erachtet der Einzelrichter die erstmalig in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben des Klägers zu seinem Aufenthalt und religiösen Engagement in Liberia als gesteigert und unglaubhaft.
Zum Verfolgungsschicksal gab der Kläger beim Bundesamt u.a. an, sein Vater habe im Februar 2016 Drohanrufe erhalten. Demgegenüber steigerte der der Kläger sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung dahingehend, dass er auch selbst einen Drohanruf erhalten habe. Der Kläger hat seinen Angaben zum Verfolgungsschicksal in der mündlichen Verhandlung durch erstmaligen Vortrag dahingehend weiter gesteigert, dass er seine Tätigkeit im Geschenkeladen deshalb habe aufgeben müssen, weil im Geschenkeladen seine Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Religion bekannt geworden sei.
Selbst dann, wenn der klägerische Sachvortrag insgesamt als zutreffend angesehen würde, wäre eine vom Kläger in Pakistan erlittene oder zum Zeitpunkt seiner Ausreise unmittelbar drohende flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG nicht zu bejahen. Selbst unmittelbar zu Schaden gekommen zu sein, gibt der Kläger – abgesehen von dem einmaligen Drohanruf und der Beschädigung der Gravur mit dem Glaubensbekenntnis am Haus des Vaters – nicht an. Diese beiden in deutlichem zeitlichen Abstand voneinander und von der Ausreise vorgekommenen Ereignisse erreichen auch in ihrer Kumulierung nicht die Schwere, dass von schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG auszugehen wäre. Im Übrigen fehlt es deswegen, weil zwischen dem letzten Vorfall am 7. September 2016 und der Ausreise Anfang März 2017 sechs Monate liegen, auch an der erforderlichen Kausalität der Vorfälle für die Ausreise des Klägers.
b) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Pakistan keine Verfolgung allein wegen seiner Religionszugehörigkeit, denn die Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft unterliegt in Pakistan keiner Gruppenverfolgung. Aufgrund der aktuellen Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass allein die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya und die Betätigung des Glaubens durch das Gebet in Gebetshäusern noch nicht die Gefahr einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung nach sich zieht (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 29.7.2019, S. 12 f.; vgl. zur Situation der Ahmadi in Pakistan ausführlich VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 59 ff.).
Nichts anderes ergibt sich auch, soweit der Kläger sich darauf beruft, dass die pakistanische Personenstandsbehörde NADRA nun ein neues Formular verwende, das von Ahmadi bei der Beantragung von Pässen und Personalausweisen (ID-Cards) verlange, eine Erklärung abzugeben, kein Muslim zu sein. Abgesehen davon, dass die zum Nachweis dieser neuen Praxis der NADRA in unleserlicher Weise übermittelte angebliche Kopie eines solchen Formulars einen Tag vor der mündlichen Verhandlung und damit verspätet i.S.d. § 87b Abs. 3 VwGO vorgelegt wurde, ändert dies nichts daran, dass keine Gruppenverfolgung vorliegt. Gegebenenfalls müssten Ahmadis bei den zuständigen pakistanischen Gerichten um Rechtsschutz nachsuchen. Letztlich wäre der erzwungene Verzicht auf einen Personalausweis nicht so schwerwiegend, dass dies eine religiöse Verfolgung im Sinn von § 3 Abs. 1 AsylG darstellen würde. Die meisten Rechtsgeschäfte, insbesondere diejenigen des täglichen Lebens, können in Pakistan ohne ID-Card abgewickelt werden (VG Augsburg, U.v. 25. April 2019 – Au 3 K 16.32296; VG Augsburg, U.v. 15.2.2019 – Au 3 K 17.34134 – jeweils unveröffentlicht).
c) Der Kläger gehört nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 VwGO) auch nicht zum Kreis der Ahmadis, für die eine öffentlichkeitswirksame Religionsausübung identitätsprägend ist und die deshalb in Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt sind.
aa) Auch wenn die Angehörigen der Amahdiyya-Glaubensgemeinschaft in Pakistan keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, kann im Einzelfall etwas anderes gelten für diejenigen Ahmadi, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und ihr Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen. Für diese Personen besteht in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen würden (VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 116). Sie haben mit einem erheblichen Risiko für Leib und Leben durch die Gefahr einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten oder gravierenden Übergriffen privater Akteure zu rechnen (VG Gießen, U.v. 11.7.2013 – 5 K 1316/12.GI.A – juris Rn. 24 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 12.6.2013, – A 11 S 757/13 – juris; siehe zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 – Au 6 K 13.30418 – juris Rn. 16).
Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung kann dabei nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum) liegen, sondern auch in der Verletzung der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (forum externum), so dass schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine beachtliche Verfolgungshandlung i.S.v. Art. 9 Abs. 1 QualfRL darstellen kann. Die gilt unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Leitsätze 2 bis 4). Das Verbot weist jedoch nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Leitsatz 6). Maßgeblich ist demnach, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Leitsätze 2 bis 4 Rn. 28 ff. im Anschluss an EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – NVwZ 2012, 1612).
Bei der Feststellung der religiösen Identität als innerer Tatsache kann nur im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen geschlossen werden. Allein der Umstand, dass der Betroffene seinen Glauben in seinem Herkunftsland nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, ist nicht entscheidend, soweit es hierfür nachvollziehbare Gründe gibt. Ergibt jedoch die Prüfung, dass der Betroffene seinen Glauben auch in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in seinem Herkunftsland der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 22/12 – NVwZ 2013, 936/939, Rn. 26; siehe zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 – Au 6 K 13.30418 – juris Rn. 17).
Erforderlich ist letztlich eine Gesamtwürdigung der religiösen Persönlichkeit des Betroffenen anhand aller vorliegenden Gesichtspunkte. Bloße Kenntnisse über die Glaubensinhalte der Ahmadiyya, eine Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Deutschland, regelmäßige Moschee-Besuche oder die Teilnahme an jährlichen Großveranstaltungen der Ahmadiyya oder an sonstigen Aktionen der Ahmadiyya (mit den üblichen Helferdiensten) lassen daher für sich genommen nicht bereits auf eine individuelle Glaubensüberzeugung und ein nach außen wirkendes Glaubensvermittlungsbedürfnis schließen. Erforderlich ist vielmehr ein Bedürfnis, aus dem ahmadischen Glauben heraus bekennend zu leben und auch andere Menschen an dieser Haltung teilhaben zu lassen. In diesem Sinne muss es sich beim Betroffenen um einen aus der Allgemeinheit der Ahmadis hervorstechenden Gläubigen handeln, dessen Glauben sich öffentlich manifestiert.
bb) Hiervon ausgehend ist das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Praktizierung seines Glaubens in der Öffentlichkeit und das Werben für seinen Glauben ein zentrales Element der religiösen Identität des Klägers und für ihn unverzichtbar ist.
Was seine Glaubensaktivitäten vor der Einreise nach Deutschland angeht, hat der Kläger angegeben, in Liberia zunächst Leiter des Khuddam von … und dann von ganz Liberia gewesen zu sein. Auf die Frage des Klägerbevollmächtigten nach missionarischen Aktivitäten in Liberia antwortete der Kläger ausweichend, dort könne man nach 18.00 das Haus nicht mehr verlassen. Es habe keine Flyerverteilung und Infostände, sondern nur Veranstaltungen in der Moschee gegeben. Nach der Rückkehr aus Liberia sei er örtlicher Leiter der Kinderorganisation, die eine Gruppe von 15, von ihm unterrichteter Kindern umfasst habe, sowie Vizeleiter des örtlichen Khuddam und Sekretär für bestimmte Spenden gewesen. Als solcher habe er Spenden registrieren und die Mitglieder an die Spenden erinnern müssen. Er habe die Moschee nicht fünfmal am Tag besucht und beim Freitagsgebet Sicherheitsdienst geleistet. Außer den Gebeten in der Moschee habe es wenig Gemeindeaktivitäten gegeben. Im Geschenkeladen habe er die Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Religion zunächst nicht bekannt gemacht und erst nach dem Besuch der Mullahs auf ausdrückliche Nachfrage der Kollegen zugegeben und die Arbeit dort am gleichen Tag beendet. Die Gebete habe er während der Arbeit dort auf Zeiten außerhalb seiner Arbeitszeit verschoben. Was die Angaben zur Tätigkeit in Liberia angeht, erachtet das Gericht diese als unglaubhaft (s.o.). Die Tätigkeit in Pakistan zeigt ein im Wesentlichen auf den inneren Bereich der örtlichen Glaubensgemeinschaft beschränktes Wirken.
Auf eine besondere religiöse Prägung lassen auch die vorgetragenen religiösen Aktivitäten des Klägers in Deutschland nicht schließen.
Der Kläger hat eine Mitgliedsbescheinigung der Gemeinschaft vorgelegt, wo-nach er regelmäßig die Moschee besuche, an lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teilnehme, die Beiträge entrichte und bei ehrenamtlichen Tätigkeiten wie beispielsweise an Infoständen mithelfe; sein Verhalten gegenüber der Religionsgemeinschaft sei „zufriedenstellend“. Dies allein ist nicht geeignet, eine intensive und persönlichkeitsbezogene religiöse Geprägtheit zum Ausdruck zu bringen. Allein aus der vorgelegten Mitgliedsbescheinigung lässt sich eine innere Religiosität in Bezug zur Ahmadiyya-Glaubensrichtung nicht entnehmen.
Zu seinem religiösen Verhalten in Deutschland gibt der Kläger an, sich der Gemeinde in, wo sein Onkel wohne, angeschlossen zu haben. Dort verbringe er die Wochenenden, besuche die Moschee und sei in der Gemeinde als Vizeleiter des Khuddam und Sekretär für bestimmte Spenden aktiv. Er unterstütze als Vizeleiter den Leiter, insbesondere beim Einladen zu Versammlungen. Er habe u.a. im Jahr 2017 auch auf Bayernebene verschiedene Ämter gehabt so als Sekretär für Handel und Gewerbe. Am Wohnort sei er der einzige Ahmadi, weshalb er allein für sich bete. Mit Mitbewohnern aus anderen Nationalitäten habe er sich über den Glauben unterhalten, letztlich lebe man nun aber aneinander vorbei. Der Kläger hat eine Vielzahl von Lichtbildern vorgelegt, die ihn bei Gemeindeveranstaltungen zeigen, u.a. auch an der Verteilung von Flugschriften. Diesbezüglich gab er an, bei Nachfragen von Flugschriftenempfängern auf andere Mitglieder mit besseren Deutschkenntnissen zu verweisen. Das Gericht erachtet die Angaben des Klägers zu einer herausgehobenen Position auf Bayernebene im Jahr 2017 für unglaubhaft, da diese in der aus dem Jahr 2017 datierenden Mitgliedsbescheinigung anders als andere Aktivitäten in Deutschland und Ämter in Pakistan gerade nicht erwähnt sind. Ungeachtet dessen lassen die – gemeinschaftsbezogenen und innerhalb der Gemeinde wirkenden – Aktivitäten des Klägers nicht auf eine besondere religiöse Prägung schließen. Soweit der Kläger an öffentlichen Veranstaltungen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft teilgenommen hat, beschränkten sich seine Tätigkeiten auf untergeordnete Hilfsdienste oder die bloße (passive) Teilnahme. Auch seine Teilnahme an der Verteilung von Flugschriften ist als untergeordnet einzustufen.
Insgesamt konnte das Gericht nicht den Eindruck gewinnen, dass der Kläger in einer Weise religiös geprägt wäre, die erwarten ließe, dass er sich in Pakistan in verfolgungsrelevanter Weise betätigen oder dies nur aus Furcht vor Verfolgung unterlassen würde. Zunächst ist darauf zu verweisen, dass das Gericht die Angaben zu seinen Glaubensaktivitäten in Liberia wie in Deutschland nicht (im Ganzen) für glaubhaft erachtet. Berücksichtigt man das Verhalten des Klägers in Pakistan, ergibt sich für das Gericht der Eindruck, dass der Kläger seine Religionsausübung durchaus pragmatisch seinen übrigen Lebensumständen unterordnet. Bei einer Gesamtwürdigung aller Faktoren ist das Gericht nicht der Überzeugung, dass die Praktizierung seines Glaubens in der Öffentlichkeit und das Werben für seinen Glauben ein zentrales Element der religiösen Identität des Klägers und für ihn unverzichtbar ist.
d) Jedenfalls unter der Prämisse, dass es sich beim Kläger nicht um einen Ahmadi handelt, für den eine öffentlichkeitswirksame Religionsausübung identitätsprägend ist, stand und stünde dem Kläger in seinem Herkunftsstaat vor seiner Ausreise und auch derzeit (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) bei einer Rückkehr nach Pakistan eine die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausschließende zumutbare interne Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG zur Verfügung.
Der Kläger kann – auch als Ahmadi – in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e AsylG finden. In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 29.7.2019, S. 19 – Nr. II.4). Dies ist nicht zuletzt dadurch bedingt, dass in Pakistan kein funktionierendes Meldewesen existiert, so dass die Übersiedlung in einen anderen Landesteil die Möglichkeit bietet, unerkannt und unbehelligt zu bleiben. Angesichts der hohen Bevölkerungszahl in Pakistan und mehrerer Millionenstädte landesweit ist nicht ersichtlich, dass eventuelle den Kläger bedrohenden Personen die Möglichkeit hätten, diesen auch in einer anderen Provinz und/oder landesweit ausfindig zu machen und zu verfolgen. Diese inländische Fluchtalternative besteht nach Auskunftslage auch für Ahmadis, solange sie – wie der Kläger – keine überregionale Bekanntheit erlangt haben. Für Ahmadis ohne überregionale Bekanntheit bietet insbesondere auch ein Umzug nach Rabwah, ihrem religiösen Zentrum, eine Ausweichmöglichkeit, um Repressionen zu entgehen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 29.7.2019, S. 19 – Nr. II.4).
In den Großstädten und in anderen Landesteilen Pakistans kann der Kläger als jüngerer Mann auch ein ausreichendes Einkommen für sich und seine Familie finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis (vgl. z.B. VG Regensburg, U.v. 10.12.2013 – RN 3 K 13.30374 – juris). Dem Kläger ist es bereits in der Vergangenheit gelungen, seinen Lebensunterhalt in Pakistan zu erwirtschaften. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ihm dies nicht erneut gelingen sollte. Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt (vgl. z.B. VG München, U.v. 19.5.2016 – M 23 K 14.31198 – juris; VG Augsburg, U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris; VG Regensburg, U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674 – juris; jeweils m.w.N.).
e) Nichts anderes ergibt sich letztlich auch im Hinblick darauf, dass den Kläger möglicherweise nach rechtskräftiger Ablehnung seines Antrages die Verpflichtung trifft, sich an der Passbeschaffung zu beteiligen, das Passformular des pakistanischen Staates einen Eintrag zur Religionszugehörigkeit vorsieht und im Falle der Eintragung der Religionszugehörigkeit als „Muslim“ eine besondere Erklärung für Muslime zu unterzeichnen ist.
Die Verpflichtung bei der Beantragung eines Reisepasses in den Passformularen unter dem Betreff „Religion“ „Ahmadi“, statt „Muslim“ einzutragen, stellt keinen Eingriff in die Religionsfreiheit dar (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 11.1.2017 – A 3 K 2343/16 – juris Rn. 37 ff.). Daher kann sich daraus auch keine Verfolgung des Klägers wegen seines ahmadischen Glaubens ergeben.
Auch wenn man – wie möglicherweise der EGMR (vgl. EGMR, U.v. 2.2.2010 – Isik/Türkei, Nr. 21924/05) – davon ausgeht, dass bereits die Eintragung der Religionszugehörigkeit als solche in Pass- und Ausweisdokumenten eine Verletzung der Religionsfreiheit darstellt, liegt darin nicht automatisch auch eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG.. Nicht jede Verletzung der Menschenrechte stellt schon eine Verfolgungshandlung im Sinne des Asylgesetzes dar. Die bloße Eintragung der Religionszugehörigkeit in Pass- und Ausweisdokumenten ist in ihrer Schwere den in § 3a Abs. 2 AsylG aufgezählten Verfolgungshandlungen nicht vergleichbar. Die geschilderten Erklärungspflichten erreichen offenkundig – wenn nicht bereits in objektiver, so jedenfalls unter der Prämisse, dass es sich beim Kläger nicht um einen Ahmadi handelt, für den eine öffentlichkeitswirksame Religionsausübung identitätsprägend ist, – in subjektiver Hinsicht nicht die erforderliche Schwere, um als religiöse Verfolgungshandlung oder Menschenrechtsverletzung angesehen zu werden zu können (BayVGH, B.v. 24.10.2019 – 6 ZB 19.33691 – Rn. 9; BayVGH, B.v. 17.12.2019 – 6 ZB 19.34225 – Rn. 4).
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 2 AufenthG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Pakistan ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
3. Weiter besteht auch kein Anspruch auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen, die sich auch der Einzelrichter zu Eigen macht (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, weist keine Rechtsfehler auf. Die Länge der Frist liegt im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dass insoweit besondere Umstände vorlägen, die eine Verkürzung der Frist als zwingend erscheinen ließen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
II.
Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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