Verwaltungsrecht

Zur Flüchtlingseigenschaft syrischer Staatsangehöriger

Aktenzeichen  20 B 19.31187

Datum:
30.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16178
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 130a
AsylG § 3

 

Leitsatz

1. Eine illegale Ausreise aus Syrien und/oder der Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung begründenden nicht die Flüchtlingseigenschaft. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Syrien droht keine beachtlichen Gefahr der Reflexverfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung von Verwandten. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein wegen der kurdischen Volkszugehörigkeit droht keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung in Syrien. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 2 K 16.32368 2017-04-04 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 4. April 2017 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten über den ihr zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.
Die Klägerin ist eine am 2. Januar 1998 in Aleppo geborene Staatsangehörige der Arabischen Republik Syrien, kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Sie reiste nach eigenen Angaben am 30. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 28. Juni 2016 einen Asylantrag.
Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 3. August 2016 gab die Klägerin an, Syrien kriegsbedingt verlassen zu haben.
Das Bundesamt erkannte die Klägerin mit Bescheid vom 23. November 2017 als subsidiär Schutzberechtigte an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.
Das Verwaltungsgericht Würzburg hat die Beklagte mit Urteil vom 4. April 2017 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Schon die Asylantragstellung im Ausland verbunden mit einem Aufenthalt dort werde als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung angesehen und führe zu Festnahme und Folter bei Wiedereinreise. Gefahrerhöhend komme für die Klägerin hinzu, dass sich ihre männlichen Verwandten dem Militärdienst entzogen hätten und sie als nahe Angehörige mit Anwendung von Sippenhaft rechnen müsse. Außerdem wirkten sich für die Klägerin ihre kurdische Volkszugehörigkeit und ihre Herkunft aus Aleppo gefahrerhöhend aus.
Die Beklagte beantragt,
unter Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Landesanwaltschaft Bayern hat sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt.
Die Beteiligten wurden mit Schreiben des Gerichts vom 6. Februar 2020 unter Übersendung der Erkenntnismittelliste Syrien zu einer Entscheidung durch den Senat nach § 130a VwGO angehört.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin führte daraufhin mit Schreiben vom 2. und 26. März 2020 aus, es bestünden erhebliche Bedenken, ob die Berufung form- und fristgerecht eingereicht worden sei. Der Schriftsatz sei elektronisch übermittelt worden und habe daher einer qualifizierten elektronischen Signatur bedurft. Eine Signatur eines Mitarbeiters des Bundesamtes mit Befähigung zum Richteramt sei nicht ersichtlich. Es fehle daher an der gemäß § 55a Abs. 3 und 4 VwGO erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person oder der Signatur der verantwortenden Person und der Übermittlung auf sicheren Übermittlungsweg. Bei dem vorliegenden Prüfprotokoll vom 10. April 2019 seien zahlreiche für eine wirksame, formgerechte Übermittlung aus einem elektronischen Behördenpostfach notwendige Angaben nicht enthalten. So fehle insbesondere offensichtlich der vertrauenswürdige Herkunftsnachweis, alleine der Vermerk auf dem Prüfprotokoll „sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Behördenpostfach“ stelle keinen solchen Nachweis dar.
Das Bundesamt erwiderte u.a. mit Schriftsatz vom 4. Juni 2020, das Bundesverwaltungsgericht habe mit Beschluss vom 4. Mai 2020 (BVerwG 1 B 16.20) festgestellt, dass es sich bei der Einreichung eines einfach signierten elektronischen Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg um eine eigenständige Möglichkeit der elektronischen Datenübermittlung handele. Zur Wahrung der prozessualen Form gemäß § 55a Abs. 3 VwGO müsse die das Dokument verantwortende Person das elektronische Dokument entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen oder einen sicheren Übertragungsweg nutzen. Wähle sie einen sicheren Übermittlungsweg, müsse sie das Dokument zum Abschluss lediglich durch eine einfache Signatur nach dem Signaturgesetz signieren und damit zu erkennen geben, die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernehmen zu wollen. Für die Übermittlung elektronischer Dokumente zwischen einem besonderen Behördenpostfach und dem EGVP bedürfe es keiner qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person. Der Nachweis zur Verwendung eines besonderen Behördenpostfachs zur Versendung eines schriftformbedürftigen Schriftsatzes müsse nur den Postfachinhaber, nicht auch die für diesen handelnde natürliche Person erkennen lassen. Die vertretungsbefugten Personen der bei den deutschen Obergerichten prozessierenden Referate des Bundesamtes seien entsprechend der Vorschrift des § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO legitimiert und postulationsfähig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Senat kann gemäß § 130a VwGO über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da er sie einstimmig für begründet hält und die Beteiligten hierzu angehört hat. Die von der Klägerin im Rahmen der Anhörung vorgetragenen Umstände betreffen lediglich rechtliche Fragen der Zulässigkeit der Berufung und erfordern nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren.
Die Berufung ist zulässig.
Für die formwirksame Übermittlung eines elektronischen Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 55a Abs. 3 Alt. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 VwGO bedarf es keiner qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person. Nach § 55a VwGO kann eine Berufungsbegründung als elektronisches Dokument eingereicht werden. Hierzu muss das elektronische Dokument nach § 55a Abs. 3 VwGO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden; zu den sicheren Übermittlungswegen zählt nach § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO (u.a.) der hier von der Beklagten – ausweislich des bei den Akten befindlichen Transfervermerks – gewählte Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde (beBPo) und der elektronischen Poststelle des Gerichts (EGVP). Nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 55a Abs. 3 VwGO handelt es sich bei der Einreichung eines mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen elektronischen Dokuments einerseits und der Einreichung eines (einfach) signierten elektronischen Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg andererseits um zwei eigenständige Möglichkeiten der elektronischen Dokumentenübermittlung (BVerwG, B.v. 4.5.2020 – 1 B 16/20, 1 PKH 7/20 – juris). Der Berufungsbegründungsschriftsatz vom 9. April 2019 weist auch eine bestimmte natürliche Person als die für diesen Schriftsatz verantwortliche Person aus. Die für das besondere elektronische Anwaltspostfach diskutierte Frage, ob eine wirksame Einreichung bestimmender Schriftsätze aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nur möglich ist, wenn der Aussteller das Dokument eigenhändig aus seinem Postfach versendet, stellt sich für das einer Organisation zugeordnete besondere Behördenpostfach von vornherein nicht (BVerwG, B.v. 18.5.2020 – 1 B 23/20, 1 PKH 14/20 – juris).
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, sodass das Urteil zu ändern war. Die Klägerin hat zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 1 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer – soweit hier von Interesse – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin weder im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem die Klägerin ihr Herkunftsland verlassen hat (2.).
1. Die Klägerin ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat die Klägerin nicht geltend gemacht.
2. Die Klägerin kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht nicht.
Davon wäre nur dann auszugehen, wenn der Klägerin bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, sodass ihr nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage der Klägerin nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
Die Klägerin kann sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/oder den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen (a.). Auch unter dem Gesichtspunkt der beachtlichen Gefahr der Reflexverfolgung aufgrund der Wehrdienstentziehung ihrer Verwandten droht ihr keine flüchtlingsschutzrelevante Gefahr (b.). Sie muss eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte auch nicht allein aufgrund ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit befürchten (c.) Auch ihre Herkunft aus Aleppo wirkt nicht Flüchtlingsschutz begründend (d.). Dies gilt auch, wenn man alle Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemeinsam betrachtet (e.).
Die allgemeine Situation in Syrien stellt sich im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung wie folgt dar: Das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten. Ziel der Regierung ist es, die bisherige Machtarchitektur bestehend aus dem Präsidenten Bashar al-Assad sowie den drei um ihn gruppierten Clans (Assad, Makhlouf und Shalish) ohne einschneidende Veränderungen zu erhalten und das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik wiederherzustellen. Diesem Ziel ordnete die Regierung in den vergangenen Jahren alle anderen Sekundärziele unter (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht – Essay“ vom 19.2.2016). Sie geht in ihrem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor. Dabei sind die Kriterien dafür, was als politische Opposition betrachtet wird, sehr weit: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form sollen Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen geführt haben (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Fassung – im Folgenden UNHCR-Erwägungen 2017 – unter Verweis auf: United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2015, 13.4.2016; Amnesty International, Human Slaughterhouse: Mass Hangings and Extermination at Saydnaya Prison, Syria, 7.2.2017; UN Human Rights Council, Out of Sight, out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic, 3.2.2016). Seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 13.11.2018). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert; das syrische Regime stellt falsche Totenscheine offenbar mit dem Ziel aus, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf US Department of State, 2016 Country Reports on Human Rights Practices – Syria, 3.3.2017). Das Schicksal und der Aufenthaltsort zehntausender Menschen, die seit Ausbruch des Krieges von Regierungskräften inhaftiert worden waren und seitdem „verschwunden“ sind, sind nach wie vor unbekannt. Während der Haft werden Folter und andere Misshandlungen systematisch angewendet (Amnesty International, Report Syrien 2018, 22.2.2018; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf Human Rights Watch, World Report 2017 – Syria; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, 19.1.2016) (vgl. BayVGH, U.v. 12.4.2019 – 21 B 18.32459 – BeckRS 2019, 12018 Rn. 26; U.v. 9.4.2019 – 21 B 18.33075 – juris Rn. 21, unter Fortführung seiner Rechtsprechung aus der Entscheidung vom 20. Juni 2018 – 21 B 17.31605 – juris). Im Laufe der Jahre 2017 und 2018 hat das syrische Regime große bisher von oppositionellen Kräften gehaltene Gebiete zurückerobert. Als letztes größeres Gebiet, das von der Opposition kontrolliert wird, ist (abgesehen von den von kurdisch dominierten Milizen gehaltenen Gebieten im Nordosten Syriens) die Provinz Idlib verblieben. Innerhalb dieses Gebiets kämpfen jedoch unterschiedliche Gruppierungen auch untereinander um die Vorherrschaft (EASO, COI Meeting Report – SYRIA: COI Meeting 30. November – 1. December 2017, S 21 ff).
a. Die Klägerin kann sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/oder den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen.
Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung in Deutschland, dass die illegale Ausreise und die Stellung eines Asylantrags sowie der Aufenthalt im westlichen Ausland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte führen (vgl. hierzu auch VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335/19 – juris Rn. 45; VGH BW, U.v. 23.10.2018 – A 3 S 791/18 – juris Rn. 24; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 13.9.2018 – 2 LB 38/18 – juris Rn. 34 unter Verweis auf U.v. 4.5.2018 – 2 LB 17/18 – juris Rn. 36-75; OVG NRW, U.v. 3.9.2018 – 14 A 837/18.A – juris Rn. 44 ff. mit einer Übersicht über die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung Rn. 45-48; OVG Nds., U.v. 5.9.2017 – 2 LB 186/17 – Rn. 55 ff.; BayVGH, U.v. 12. April 2019 – 21 B 18.32459 – a.a.O. Rn. 27-41).
Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Senats (vgl. nur U.v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534, 20 B 19.30643 und 20 B 19.30793 – alle juris). Mangels eines expliziten diesbezüglichen klägerseitigen Vortrags wird von weiteren Ausführungen abgesehen.
b. Auch unter dem Gesichtspunkt der beachtlichen Gefahr der Reflexverfolgung aufgrund der Wehrdienstentziehung ihrer Verwandten droht ihr keine flüchtlingsschutzrelevante Gefahr.
Es besteht Einigkeit in der Rechtsprechung der deutschen Oberverwaltungsgerichte, dass Angehörige von Wehrdienstpflichtigen wegen deren Entziehung vom Wehrdienst allein nicht mit flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte rechnen müssen. Daran wird festgehalten. Zur Begründung wird auf die Rechtsprechung des 21. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 20.6.2018 – 21 B 17.31605 – juris Rn. 52 ff; U.v. 22.6.2018 – 21 B 18.30852 – juris Rn. 39), des erkennenden Senats (U.v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534 – juris Rn. 63-81), des VGH Baden-Württemberg (U.v. 9.8.2017 – A 11 S 710.17 – juris Rn. 50), des Sächsischen OVG (U.v. 7.2.2018 – 5 A 1246/17.A – juris Rn. 49-50) und des Nordrhein-Westfälischen OVG (U.v. 12.12.2018 – 14 A 847/18.A – juris Rn. 37) Bezug genommen.
Im Übrigen besteht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu den Folgen einer Wehrdienstentziehung für syrische Staatsangehörige (BayVGH, U.v. 12.4.2019 – 21 B 18.32459 – BeckRS 2019, 12018, Rn. 42 ff.), der sich der Senat angeschlossen hat (BayVGH, U.v. 9.9.2019 – 20 B 19.32017 – BeckRS 2019, 25271), auch für Wehrdienstentzieher wie den Ehemann und die Brüder der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage (vgl. hierzu ausführlich OVG Niedersachsen, B.v. 16.1.2020 – 20 B 731/19 – BeckRS 2020, 108) keine flüchtlingsrelevate Gefahr mehr. Damit kann dies auch für ihre Familienangehörige nicht mehr der Fall sein.
c. Auch allein aufgrund ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit droht der Klägerin keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung in Syrien.
Aus den dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass kurdische Volkszugehörige mit syrischer Staatsangehörigkeit ohne das Hinzutreten weiterer individueller Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte ausgesetzt sind, die an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfen. Derartiges hat die Klägerin weder im Verfahren vor dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren vorgetragen.
Aber auch der Zuschreibung einer oppositionellen Haltung und daran anknüpfenden staatlichen Verfolgungshandlungen ist die Klägerin allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt.
Dies hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem Urteil vom 4. Mai 2018 (2 LB 62/18 – juris Rn. 78 ff.) zutreffend ausgeführt (bestätigt mit Urteil vom 16.8.2019 – 5 LB 36/19 – juris Rn. 40). Auch das Oberverwaltungsgericht Münster legt in seinem Urteil vom 22. Juni 2018 – 14 A 618/18.A – juris Rn. 30 ff. (bestätigt mit Urteil vom 18.4.2019 – 14 A 2608/18.A – juris Rn. 33 ff.) überzeugend dar, dass kurdische Volkszugehörige allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit nicht vom syrischen Staat verfolgt würden und nimmt dabei Bezug auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Januar 2017 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf, Az.: 508-9-516.80/48840, Antwort auf Frage 2 und auf das Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 29. März 2017 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Antwort auf Fragen I und II1. Demnach droht politische Verfolgung unabhängig von der kurdischen Volkszugehörigkeit nur bei Verdacht auf Regimegegnerschaft.
Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat angeschlossen (U.v. 10. September 2019 – 20 B 19.32549 – juris). Da die Klägerin nicht angegeben hat, sich politisch gegen das syrische Regime exponiert zu haben, droht ihr aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.
d. Die Klägerin muss eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte auch nicht deshalb befürchten, weil sie aus Aleppo, einer vom Verwaltungsgericht als oppositionell eingestuften Stadt, stammt.
Die Frage, ob allein die Herkunft aus einem Gebiet der Opposition („Rebellenhochburg“) zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führt, ist mittlerweile in der obergerichtlichen Rechtsprechung in Deutschland einheitlich negativ entschieden (BayVGH, U.v. 9.4.2019 – 21 B 18.33075 – juris Rn. 40-43; U.v. 20.6.2018 – 21 B 17.31605 – juris Rn. 44 ff.; OVG NRW, U.v. 3.9.2018 – 14 A 837/18.A – juris Rn. 34-43; OVG Bremen, U.v. 20.2.2019 – 2 LB 122/18 – juris Rn. 57; OVG Nds., U.v. 5.9.2017 – 2 LB 186/17 – juris Rn. 55; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.5.2018 – 2 LB 17/18 – juris Rn. 83 ff.; U.v. 13.9.2018 – 2 LB 38/18 – juris Rn. 43; VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335/19 – juris Rn. 42).
Der Senat hat sich der von der obergerichtlichen Rechtsprechung einheitlich vertretenen Auffassung angeschlossen (vgl. auch U.v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534, 20 B 19.30643 – juris). Mangels eines expliziten diesbezüglichen klägerseitigen Vortrags wird von weiteren Ausführungen abgesehen.
e. Auch wenn man in die zu treffende Prognoseentscheidung alle vorgenannten Umstände einbezieht, ergibt sich daraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante (politische) Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG. Bei der Klägerin liegen keine besonderen individuellen Umstände vor, weshalb ihr vom syrischen Staat eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte und ihr deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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