Zivil- und Zivilprozessrecht

Maulkorbzwang für großen Hund, der sich von der Leine befreit hat und in einem anderen, Fall beim Anleinen entwichen ist und ein Reh gebissen hat, konkrete Gefahr und, Verhältnismäßigkeit der Anordnung bejaht

Aktenzeichen  B 1 S 22.166

Datum:
17.3.2022
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12053
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 18 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller zu 2 ist laut eigenen Angaben (Blätter 66 ff. der Behördenakte) Besitzer einer Tschechischen Wolfshündin mit dem Namen „F…“ (geb. …*) und eines Wolfshundes mit dem Namen „T…“ (geb. am …*). Die Antragstellerin zu 1 und der Antragsteller zu 2 sind Eheleute und halten die Wolfshunde unter der Adresse …, … Mit ihrem Antrag wenden sie sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung einer Maulkorbpflicht für die Hunde.
Am 15. September 2021 teilte eine Zeugin der Antragsgegnerin mit, dass sich am 8. September 2021 folgendes zugetragen habe: im Rahmen der Ferienbetreuung seien 2 Betreuerinnen mit 11 Kindern wandern gewesen. Kurz vor dem Ortseingang … habe die Hundebesitzerin von 2 großen Hunden die Gruppe aufgefordert, am Feldweg stehenzubleiben. Einer der Hunde sei ohne Leine frei im Wald umhergelaufen. Trotz längerem Rufen und Suchen sei es der Frau nicht gelungen, den Hund an die Leine zu nehmen. Der Hund sei in Richtung der Gruppe gelaufen und sei nach wiederholten Rufen der Hundebesitzerin in unmittelbarer Nähe auf der Wiese stehen geblieben.
Der Antragsteller zu 2 wurde mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2022 zum Erlass eines Bescheids mit Auflagen zur Hundehaltung angehört (mit Frist zur Stellungnahme bis zum 26. Januar 2021).
Am 19. Januar 2022 gingen weitere schriftliche Mitteilungen von Zeugen bei der Antragsgegnerin ein:
Die Mitteilerin (Frau P.) berichtete, dass sie im Oktober 2021 mit ihrer Tochter im Buggy auf die Antragstellerin zu 1, die die Wolfshunde dabeigehabt habe, getroffen sei und den Weg mit ihr gemeinsam fortgeführt habe. Sie habe ihre Tochter auf den Arm genommen. Plötzlich habe der Wolfshund-Rüde in den Fußsack des Buggys gebissen.
Am Nachmittag des 14. Januar 2022 sei Frau P. mit ihren kleinen Kindern, ihrer Hündin „…“ (Chihuahua) und einer Freundin, die ebenfalls ein Kind dabeigehabt habe, im Dorf unterwegs gewesen. Die Antragsteller seien mit dem Auto vorgefahren und hätten die Hoftür ihres Anwesens geöffnet. Die Wolfshunde hätten die Situation genutzt und seien durch das Hoftor entwischt. Sie seien auf die Mütter und ihre Kinder zugerannt und hätten sich auf die Hündin „…“ gestürzt und diese gebissen. Die Mütter hätten sich mit ihren Kindern in Panik aus der Gefahrenzone gebracht; den Antragstellern sei es gelungen, die Wolfshunde zurückzuholen. Die Hündin „…“ habe schwere Verletzungen erlitten. Auch die Kinder seien seitdem traumatisiert.
Frau P. sei im Dezember 2021 mit ihrer Tochter und ihrem Hund am Waldrand spazieren gegangen. Die „beiden Wolfshunde“ hätten sich losgerissen und seien auf die Hündin „…“ zugerannt. „T…“ habe die kleine Hündin gebissen und sie geschüttelt. Frau P. habe ihre Tochter aus dem Buggy gehoben, die Antragstellerin zu 1 habe die Hündin „…“ aus dem Maul des Hundes „T…“ gerissen und in den Buggy gelegt. Der Hund habe sich ein zweites Mal losgerissen und sei zurückgekommen, habe aber nicht noch einmal angegriffen. Die Hündin „…“ sei in der Tierklinik behandelt worden.
Es wurde eine Rechnung der Tierklinik vom 21. Dezember 2021 in Höhe von 799.21 EUR (für eine Behandlung von Bissverletzungen beidseits an Thorax und von Rippenfrakturen am 20. Dezember 2021) und eine weitere vom 15. Januar 2021 in Höhe von 985,15 EUR (für eine Behandlung einer Bissverletzung mit Pneumothorax am 14. Januar 2022 mit stationärer Versorgung am 15. Januar 2022) vorgelegt.
Der Vorfall vom 14. Januar 2022 (Blatt 92 der Behördenakte) wurde zudem aus Sicht einer weiteren Mitteilerin (Frau G.) geschildert. Diese führte aus, dass nachdem die Antragsteller auf ihren Hof gefahren seien, die Hunde hinausgestürmt seien und die Chihuahua-Hündin gebissen hätten. Sie und Frau P. seien mit ihren Kindern in Panik über die Kreisstraße hinweg gerannt, die Antragsteller hätten die Hündin … aus den „Fängen der Wolfshunde“ befreit. Durch das Zubeißen der großen Hunde und das Schütteln sei … verletzt worden. Auf Blatt 29 der Behördenakte wird der Vorfall von Frau G. abermals geschildert: „Auf dem Rückweg kamen uns die beiden Wolfshunde entgegen gerannt und versuchten gleich den kleinen Hund von (…), der sich derweil zwischen uns und den Kindern versteckt hatte, zu fassen. Einer der Wolfshunde bekam den kleinen Hund zu fassen und schüttelte ihn in der Luft und lies ihn nicht mehr los.“ Sie habe mehrmals beobachtet, dass die „Besitzerin“ mit der Kraft der Hunde beim Spazierengehen nicht zurechtkomme.
Ein weiteres Ereignis vom 28. Dezember 2020 wurde von einer anderen Mitteilerin am 18. Januar 2022 geschildert. Sie habe den Antragsteller zu 2 beim Spazierengehen mit seinen Hunden getroffen. Diese hätten ein Hundegeschirr getragen und seien an der Leine gelaufen. Der Antragsteller zu 2 habe sein Fahrrad geschoben. Als die Hunde sie und ihre Freundin bemerkt hätten, seien sie unruhig geworden, hätten gebellt und an der Leine gezerrt, sodass der Antragsteller zu 2 kaum noch aufrecht habe stehen können und über sein Fahrrad gestolpert sei. Der Hund habe sich selbständig aus seinem Geschirr befreit und sei in den angrenzenden Wald gelaufen. Er sei den beiden Frauen noch ein ganzes Stück hinterhergelaufen.
In der Behördenakte befindet sich eine Ereignismeldung der PI … Am 22. November 2020 sei dem Jagdpächter gemeldet worden, dass eine Rehgeiß von einem Hund gebissen worden sei (im Landschaftsschutzgebiet nordwestlich von …*). Als sich der Jagdpächter zu dem beschriebenen Ort begeben habe, habe der Antragsteller zu 2 das Reh bereits erlöst, nachdem es von einem seiner beiden Hunde verfolgt und niedergerissen worden sei. Der Antragsteller zu 2 gab bei der Betroffenenanhörung an, dass er mit den Hunden und seiner Frau am Waldrand spazieren gegangen sei. Als sie sich in Richtung Ort bewegt hätten, hätten sie die Hunde an die kurze Leine gehängt. Beim Umhängen sei der jüngere Hund seiner Frau entwischt und dem Reh hinterhergehetzt. Der Hund habe das Reh in den Hinterlauf gebissen und zu Boden gerissen. Der Antragsteller zu 2 habe das Reh, welches stark verletzt gewesen sei, durch einen Genickbruch getötet.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2022 (adressiert an die Antragsteller) ordnete die Antragsgegnerin an, dass die Hunde „F…“, Rasse Tschechisch-American Wolfshund, und „T…“, Rasse Tschechoslowakischer Wolfshund, ab dem Tag der Zustellung des Bescheids innerhalb bebauter Ortsteile, auf allen öffentlichen Anlagen, Wegen, Straßen und Plätzen nur angeleint auszuführen sind. Es ist jeweils eine reißfeste Leine mit schlupfsicherer, reißfester Halsung und einer maximalen Länge von 1,50 m zu verwenden. Die Leine und die Halsung sind so zu wählen, dass der Kraft und der Größe der Hunde Rechnung getragen wird. Anstelle einer Halsung kann auch ein schlupfsicheres, reißfestes Hundeführgeschirr verwendet werden (Nr. 1).
Die Hunde „F…“ und „T…“ dürfen ab einen Tag nach Zustellung des Bescheids in allen öffentlichen Anlagen, Wegen, Straßen und Plätzen innerhalb und außerhalb bebauter Ortsteile nur mit beißsicherem Maulkorb geführt werden. Es ist sicherzustellen, dass der Maulkorb für die Hunde geeignet ist und nicht durch den Hund selbst entfernt werden kann (Nr. 2).
Die Hunde „F…“ und „T…“ sind bei nicht angeleintem Auslauf außerhalb geschlossener Ortschaft ab einen Tag nach Zustellung des Bescheids unverzüglich anzuleinen, sobald sich Menschen oder Tiere in Sichtweite befinden, oder eine sonstige Situation dies aus Sicherheitsgründen erfordert und ein ungewollter Kontakt nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (Nr. 3).
Die Hunde „F…“ und „T…“ dürfen ab einen Tag nach Zustellung des Bescheids nur durch Personen über 18 Jahren ausgeführt werden, die in der Lage sind, die Hunde zu beherrschen und zum Führen der vorgenannten Hunde sowohl körperlich als auch charakterlich geeignet sind (Nr. 4).
Um ein freies Umherlaufen der Hunde „F…“ und „T…“ zu unterbinden, sind die Hunde ab einen Tag nach Zustellung des Bescheides so zu halten, dass diese das Grundstück, …, … und das Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung …, bei …, … …, keinesfalls mehr unbeaufsichtigt und unangeleint verlassen können (Nr. 5).
Die nachträgliche Änderung oder Ergänzung vorgenannter Auflagen sowie die Aufnahme weiterer Auflagen bleibt vorbehalten. Insbesondere können die Auflagen nach weiteren Erkenntnissen betreffend Hundehaltung und Hunde neu überprüft und ggf. angepasst werden (Nr. 6).
Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 bis 6 wurde angeordnet (Nr. 7).
Zur Begründung wird ausgeführt, dass auf Grund der erneuten Meldung von Vorfällen am 19. Januar 2022 ein Abwarten der Anhörungsfrist nicht für angemessen erachtet worden sei. Es sei bereits zu Beißvorfällen gekommen, bei denen ein Hund angegriffen und verletzt worden sei. Dadurch habe sich die von den Hunden ausgehende abstrakte Gefahr bereits realisiert. Es könne nicht sein, dass größere Hunde, welche völlig überraschend und offensichtlich grundlos zugebissen hätten, frei herumlaufen. Das Recht der Allgemeinheit auf Nutzung öffentlicher Wege und Straßen müsse Vorrang haben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG seien erfüllt, da durch das Verhalten der beiden Wolfshunde bereits die Gesundheit von Menschen beeinträchtigt worden sei und sie andere Hunde verletzt hätten. Es folgen Ausführungen zum Ermessen. Hierbei wird ausgeführt, dass ein Einschreiten geboten sei, um weitere Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren oder vorzubeugen. Es komme erschwerend hinzu, dass es sich bei den Hunden um große Hunde handle, von denen regelmäßig eine konkrete Gefahr für die Gesundheit Dritter ausgehe. Bei zwei Vorfällen habe ein Hund zugebissen. Die aufgeführten Vorfälle würden die Situation immer mit beiden, nicht angeleinten Hunden beschreiben. Beide Hunde hätten sich aus dem Geschirr befreit und sich losgerissen. Beide Hunde hätten sich nicht unter Kontrolle befunden. Somit sei für beide Hunde der Erlass der Anordnungen dringend geboten. Es sei nicht auszuschließen, dass das Verhalten des einen Hundes am Zustandekommen der Bisse und der Verletzungen durch den anderen Hund maßgeblich mit beigetragen habe (zum Beispiel Rudelverhalten). Allein der Freilauf von großen und kräftigen Hunden auf öffentlichen Wegen stelle in der Regel schon eine Gefahr für die Rechtsgüter Dritter dar. Es wird hierzu auf Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verwiesen (B.v. 7.4.2004 und U.v. 9.11.2010). Somit sei es für die Antragsgegnerin geboten gewesen, die Anordnungen Nr. 1 bis 5 auch auf beide Hunde zu erstrecken. Die Antragsteller hätten auf Grund der ersten Vorfälle keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um weitere Vorfälle zu vermeiden. Hinsichtlich der Nrn. 1 bis 3 wird ausgeführt, dass ein Freilauf der Hunde innerhalb geschlossener umfriedeter Grundstücke oder auf Trainingsgelände für Hunde erfolgen könne. Außerhalb bebauter Ortsteile sei der Freilauf möglich, jedoch ein Maulkorb anzulegen. Der Maulkorbzwang außerhalb bebauter Ortsteile sei zwingend erforderlich, da trotz kurzer Leine ein Beißvorfall nicht verhindert werden könne. Die beiden Hunde seien groß und kräftig und ein sicheres Halten der Hunde an der Leine sei nicht immer sichergestellt, was von den Zeugen unterstrichen werde. Der Vorfall am 14. Januar 2022 habe bestätigt, dass eine Anordnung notwendig sei, dass die Hunde das Grundstück, welches als Gartengrundstück der Antragsteller genutzt werde, nicht mehr unbeaufsichtigt verlassen können. Die Maßnahmen seien angemessen und verhältnismäßig. Das Recht der Allgemeinheit auf gefahrlose Nutzung der öffentlichen Straßen und Wege habe Vorrang. Der Auflagenvorbehalt stütze sich auf Art. 36 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG. Die Maßnahmen seien gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Das sei derjenige, der aufgrund der tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse eine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf die Hunde besitze. Die Hunde hielten sich im gemeinsamen Anwesen des Ehepaars auf, sodass zu vermuten sei, dass beide Inhaber der tatsächlichen Gewalt seien. Die Zeugen hätten erklärt, dass beide Antragsteller die Hunde ausführten. Die hundesteuerrechtliche Anmeldung der Hunde auf das Einzelunternehmen des Antragstellers zu 2 ändere am Innehaben der tatsächlichen Gewalt nichts. Es folgen Ausführungen zur Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Mit Schreiben vom 15. Februar 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 19. Februar 2022, ließen die Antragsteller Klage (gegen Nr. 2 des Bescheids) erheben und zugleich beantragen,
die aufschiebende Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 20. Januar 2022 wiederherzustellen.
Es werde auf die Begründung zur Klageschrift verwiesen. Die Vorfälle hätten sich nicht so zugetragen, wie die Antragsgegnerin schildere. Die Hunde hätten keine Menschen verletzt, „F…“ keine anderen Hunde. Zu dem Beißvorfall mit der unangeleinten und nicht abrufbaren Chihuahua-Hündin sei es gekommen, da diese „T…“ provoziert habe. Es sei auf Grund der Größenverhältnisse zu den Verletzungen der Hündin gekommen. „T…“ hätte sie aber leicht töten können – hierzu sei es nur auf Grund der guten Sozialisation nicht gekommen Es fehle an der Dringlichkeit der sofortigen Vollziehbarkeit.
Zu dem Vorfall am 8. September 2021 wird ausgeführt, dass die Hündin „F…“ von dem Grundstück entwichen sei. Sie sei aus Angst vor der Kindergruppe in den Wald gerannt. Die Hündin habe sich problemlos anleinen lassen. Sie sei zu keinem Zeitpunkt auf die Kinder zugelaufen und habe Angst vor den Kindern gehabt. Auch am 28. Dezember 2020 sei die Hündin aus dem Geschirr geschlüpft, da sie Angst gehabt habe; sie sei vor den Menschen weggerannt. Im Oktober 2021 habe „T…“ nur am Schlafsack geschnüffelt. Das Loch sei dadurch entstanden, dass die Antragstellerin zu 1 den Hund abrupt zurückgezogen habe. Der Hund sei gut sozialisiert und habe kein Problem mit Kindern.
Am 20. Dezember 2021 sei die Chihuahua-Hündin bellend auf die Antragstellerin zu 1 und die Hunde zugerannt. Dadurch provoziert habe „T…“ ruckartig an der Leine gezogen. Diese sei aus Materialermüdung gerissen. Die Chihuahua-Hündin habe sich nicht unterworfen. Während des Vorfalls sei die Hündin „F…“ am Gürtel der Klägerin gesichert gewesen und habe sich nicht in den Vorfall eingemischt. Auch am 14. Januar 2022 sei die Chihuahua-Hündin unangeleint gewesen und habe gebellt. Als die Antragsteller hinzugekommen seien, sei die Chihuahua-Hündin auf dem Boden gelegen, während „F…“ und „T…“ neben ihr gestanden seien, ohne sie zu attackieren. Die Antragstellerin zu 1 habe die Hündin in den Arm von Frau P. gelegt, wobei die Chihuahua-Hündin noch nach ihr geschnappt habe. „F…“ sei nur zweimal aus Angst vor fremden Menschen weggelaufen, habe aber nie einen Menschen oder einen anderen Hund verletzt. Wäre die Chihuahua-Hündin an der Leine geführt worden, so wäre es nicht zu der Auseinandersetzung mit „T…“ gekommen. Der Bescheid sei vor Ablauf der Anhörungsfrist ergangen. Es wird eine Stellungnahme vom 9. Februar 2021 eines Herrn R., der eine Hundeschule betreibt, vorgelegt. Beide Hunde würden keinerlei innerartliche Aggression zeigen. Bei der Hündin habe sich bei der Begegnung mit Kindern gezeigt, dass sie diesen aus dem Weg gehe und die Flucht ergreife. Zwischen der Chihuahua-Hündin und den Hunden habe sich eine Feindschaft aufgebaut. Dadurch sei auch der Beißvorfall mit dem Buggy zu erklären. Die Antragsteller hätten ein Training in der Hundeschule begonnen. Die Anwältin führt weiter aus, dass die Kläger ihre Hunde innerorts und außerorts wenn nötig ohnehin an der Leine führen würden. Ihr Grundstück hätten sie ausbruchsicher gemacht. Für die Anordnung der Maulkorbpflicht fehle es an einer Rechtsgrundlage. Ein Maulkorbzwang könne zusätzlich nur angeordnet werden, wenn der Hund auch angeleint zubeißen würde. Die Hündin „F…“ habe noch nie einen anderen Hund oder Menschen gebissen. „T…“ habe nur mit der Chihuahua-Hündin ein Problem gehabt. Herr R. habe bestätigt, dass von den Hunden keine Gefahr für Menschen ausgehe. Das Ermessen sei nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden, da nicht zwischen den zwei Hunden differenziert worden sei. „T…“ habe sich nur wegen Materialermüdung von der Leine losreißen können. Der Hund habe über eine sozialadäquate Beißhemmung verfügt, indem er die Hündin nicht getötet habe, was ihm auf Grund des Größenunterschieds ohne weiteres möglich gewesen wäre.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2022 ließ die Antragsgegnerin durch ihren Bevollmächtigten beantragen,
den Antrag kostenpflichtig abzulehnen.
Zur Begründung führte der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 4. März 2022 aus, dass die Hündin „F…“ am 22. November 2020 ein Reh über die Felder gejagt habe, es erwischte, gebissen und es zu Boden gerissen habe. Der Antragsteller zu 2 habe dieses wegen der starken Verletzungen töten müssen. Der Hund „T…“ habe im Oktober 2021 in den Fußsack des Buggys gebissen. Am 20. Dezember 2021 sei es der Antragstellerin zu 1 nicht gelungen, beide Hunde unter Kontrolle zu halten. Die Hunde seien auf Frau P., den Buggy und den Chihuahua-Hund losgegangen, der Hund „T…“ habe den Hund von Frau P. schließlich gebissen. Für die Behandlung des Hundes sei eine Tierarztrechnung in Höhe von 799,21 EUR entstanden. Am 14. Januar 2022 seien beide Hunde aus dem offenen Hoftor entwichen und hätten sich auf den Hund von Frau P. gestürzt. Der Angriff beider Hunde habe in unmittelbarer Nähe der Kinder von Frau P. stattgefunden, welche nunmehr traumatisiert seien. Die Anordnung in Nr. 2 des Bescheids sei verhältnismäßig, die beiden Hunde hätten sowohl einzeln andere Tiere gebissen als auch gemeinsam einen anderen Hund attackiert und gebissen, weshalb die Anordnung eines Maulkorbzwangs rechtmäßig sei. Dieser könne zusätzlich zum Leinenzwang angeordnet werden, wenn die Gefahr bestehe, dass sich der Hund von der Leine losreißen und zubeißen würde. Die Beißvorfälle hätten sich auch ereignet, als die Hunde angeleint gewesen seien und sich losgerissen hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechend).
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
2. Die angeordnete sofortige Vollziehung ist formell nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO in ausreichendem Maße schriftlich begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfordert zwar grundsätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse, das über das hinausgeht, was den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Allerdings kann die Behörde bei wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen, in denen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzeigen und deutlich machen, dass diese Interessenlage auch nach ihrer Auffassung im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2012- 10 CS 12.1791 – juris, Rn. 24 m.w.N.). Vorliegend regelt der streitgegenständliche Bescheid die Hundehaltung der Antragsteller und trifft somit sicherheitsrechtliche Anordnungen. Es ist daher ausreichend, dass der Bescheid in der Sache darlegt, dass von den Hunden der Antragsteller eine Gefahr für andere Tiere sowie auch für Menschen ausgeht und deshalb im öffentlichen Interesse mit den angeordneten Maßnahmen nicht bis zur Bestandskraft des Bescheids zugewartet werden kann.
3. Die Anordnung des Maulkorbzwangs in Nr. 2 des Bescheids bezüglich des Hundes „T…“ ist rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht nimmt zunächst gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und macht sich diese zu eigen. Ergänzend wird zur Sache und zum Antragsvorbringen Folgendes ausgeführt:
a) Gegen die formelle Rechtmäßigkeit wurde die fehlende Anhörung der Antragsteller gerügt. Gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG ist eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG aber unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Dies kann bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfolgen. Durch die Begründung des vorliegenden Antrags und die Erwiderung der Antragsgegnerin hierauf ist eine Heilung erfolgt.
b) Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Anordnungen ist Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG). Danach können Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen.
aa) Eine solche Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG darf allerdings nur erlassen werden, wenn im jeweils gesondert zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die betreffenden Schutzgüter vorliegt (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 19; B.v. 11.2.2015 – 10 ZB 14.2299 – juris Rn. 5 m.w.N.). Dies ist dann der Fall, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in dem zu beurteilenden Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zukunft mit einem Schadenseintritt gerechnet werden kann. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schutzwürdiger das bedrohte Schutzgut und je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 22 m.w.N.). Die Zugehörigkeit eines Hundes zu einer bestimmten Rasse vermag für sich genommen mangels einer in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherten Prognose keine abstrakte oder konkrete Gefahr zu begründen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedoch in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, eine konkrete Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist (vgl. zuletzt z.B. BayVGH, B.v. 5.6.2020 – 10 ZB 20.961 – juris Rn. 5; B.v. 12.2.2020 – 10 ZB 19.2474 – juris Rn. 4). Nach dieser Rechtsprechung genügt die Tatsache, dass es sich um einen großen Hund handelt, für sich allein allerdings nicht für die Anordnung eines Maulkorbzwangs im Außenbereich. Ein bayernweiter Maulkorbzwang für einen „großen“ Hund außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile ist nur dann rechtmäßig, wenn eine in tatsächlicher Hinsicht hinreichend abgesicherte Prognose vorliegt, dass der betreffende Hund die in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Schutzgüter (auch) im Außenbereich konkret gefährdet (BayVGH, U.v. 6.4. 2016 – 10 B 14.1054 – juris). Die Anordnung muss im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr erforderlich und bei Abwägung der gegenläufigen Interessen zumutbar sein (Bay VGH, U.v. 9.6.2020 – 10 B 18.1470 – juris Rn. 46, B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 9 ff.). Ist es bereits zu einem Beißvorfall oder sonstigen Schadensfall durch den Hund gekommen, ist eine konkrete Gefahr zu bejahen, wenn nicht dargelegt werden kann, dass eine Wiederholung auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung auszuschließen ist (BayVGH, U.v. 9.6. 2020 – 10 B 18.1470 – juris Rn. 39 f.). In diesem Zusammenhang vertritt die Rechtsprechung die Ansicht, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit bestehen muss, dass der Hund auch angeleint zubeißen oder sich von der Leine reißen würde (VG Würzburg, B.v. 2.5.2017 – W 5 S 17.333 – juris Rn. 30 unter Berufung auf BayVGH, B.v. 17.4.2013 – 10 ZB 12.2706; ebenso VG Oldenburg, B.v. 10.2.2020 – 7 B 2604/19 – juris Rn 19).
bb) Bei den beiden Hunden handelt es sich unstreitig um große und kräftige Hunde im Sinne dieser Rechtsprechung. Von dem Hund „T…“ geht eine konkrete Gefahr aus. Unstreitig hat er den Hund von Frau P. am 20. Dezember 2021 gebissen und ihm erhebliche Verletzungen zugefügt. Der Vorfall ereignete sich außerhalb der Ortschaft (am Waldesrand). Es hat sich gezeigt, dass die konkrete Gefahr, die von dem Hund ausgeht, sich außerhalb des Bebauungszusammenhangs realisiert hat. Der Vorfall konnte sich ereignen, obwohl der Hund angeleint war. Die Frage, ob die Leine an einer „Materialermüdung“ litt, ist hierbei unerheblich, da es nur darauf ankommt, dass auch durch das Anbringen einer Leine nicht verhindert werden konnte, dass der Hund einen anderen Hund gebissen hat. Auf Grund der Stärke des Hundes könnte sich die Gefahr des Losreißens von der Leine (sei es aus Materialermüdung oder auf Grund der Tatsache, dass der Hund nicht zu halten ist) somit jederzeit erneut stellen. Da sich die Gefahr bereits realisiert hat, läge es an den Antragstellern zu beweisen, dass eine Wiederholung auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung ausgeschlossen werden kann (auf die Frage, ob die Antragsteller somit körperlich in der Lage sind, den Hund „T…“ an der Leine zu halten, kommt es daher nicht streitentscheidend an).
Nicht streitentscheidend ist ebenfalls, ob die Hündin „…“ den Hund „T…“ provoziert haben könnte, da allein auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr abzustellen ist (BayVGH, Uv. 26.11.2014 – 10 B 14.1235 – juris Rn. 26). Von einem Hund geht auch dann eine konkrete Gefahr im Sinne des Art. 18 Abs. 2 LStVG aus, wenn seine Reaktion auf das Verhalten anderer Personen oder Tiere ein hundetypisches Verhalten darstellt. Sinn des Art. 18 Abs. 2 LStVG ist es, den Behörden die Ermächtigung zu geben, zur Verhütung jeglicher Gefahren für die in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter Anordnungen zur Haltung von Hunden zu treffen, und zwar unabhängig davon, in welcher Weise diese von den Hunden verursacht werden. Auch hundetypisches und artgerechtes Verhalten eines Hundes kann eine konkrete Gefahr für Passanten und andere Tiere verursachen (BayVGH, B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris Rn. 6).
Das Bestehen einer konkreten Gefahr wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass Herr R. im Schreiben vom 9. Februar 2022 ausführt, dass die Hunde keine „innerartliche Aggression“ zeigen würden. Hierbei kommen bereits Zweifel auf, aus welcher Kompetenz heraus Herr R. diese Ausführungen machen kann. Hierzu wurde von den Antragstellern nichts vorgetragen. Zum anderen und unabhängig davon kann es sich bei der Vorstellung der Hunde bei Herrn R. nur um eine Momentaufnahme handeln, die keine Garantie dafür gewährt, dass in Zukunft derartige Vorfälle verhindert werden können. Insbesondere sind keine Rückschlüsse möglich, wie sich der Hund in einer Ausnahmesituation verhalten würde.
Ermessensfehler sind für die Anordnung zum Maulkorbzwang beim Hund „T…“ nicht zu erkennen. Insbesondere ist kein Ermessensfehler darin zu sehen, dass die Antragsgegnerin nicht gewürdigt hat, dass „T…“ die Chihuahua-Hündin nicht getötet hat, und in ihrem Bescheid von einer Beißkraft des Hundes ausging. Sowohl die Bissverletzungen, die „T…“ der Hündin zugefügt hat, wie auch die Tatsache, dass er ein Loch in den Fußsack des Buggys beißen oder reißen konnte, zeigen, dass der Hund über eine hohe Beißkraft verfügt. Nach der Rechtsprechung ist nicht auf die Erheblichkeit der Bissverletzungen oder gar darauf abzustellen, ob bereits ein anderes Tier getötet wurde. Ausreichend ist in diesem Zusammenhang, dass es zu einem Beißvorfall gekommen ist.
3. Die Rechtmäßigkeit des Maulkorbzwangs in Nr. 2 des Bescheids bezüglich der Hündin „F…“ ist im Rahmen der summarischen Prüfung offen.
Zwar mag die Hündin am 14. Januar 2022 die Hündin „…“ nicht gebissen haben. Die Antragsteller haben nicht bestritten, dass die Hündin sich ebenfalls auf die Hündin „…“ zubewegt hat. Belegt durch die Rechnung der Tierklinik ist, dass die Hündin „…“ am 14. Januar 2022 gebissen wurde. Die genauen Umstände zu diesem Vorfall und der Beteiligung von „F…“ hieran können im Rahmen eines summarischen Verfahrens nicht geklärt werden. Im summarischen Verfahren muss auch offenbleiben, ob sich die Hündin „F…“ am 20. Dezember 2021 gesichert am Gürtel der Antragstellerin zu 1 befunden und sich am Vorfall nicht beteiligt hat (Vortrag der Bevollmächtigten in der Klagebegründung) oder sich (wie von der Zeugin vorgetragen) von der Leine losgerissen hat (Blatt 34 der Behördenakte: „Da rissen sich die beiden Wolfs-Hunde auch schon los und stürmten direkt auf unsere kleine Hündin … los.“). Jedenfalls scheint es schwer zu sein, die Hündin „F…“ an der Leine zu halten (Blatt 28 der Behördenakte: Zeugin zum Vorfall am 28. Dezember 2020: „Beide Hunde hatten ein Hundegeschirr und liefen an der Leine. (…) Die Hunde bellten und zerrten an der Leine, so dass Herr S… kaum noch aufrecht stehen konnte und über sein Fahrrad stolperte. Ein Hund stellte sich dann auf die Hinterbeine und befreite sich selbständig aus seinem Geschirr und rannte in den angrenzenden Wald.“) Zu diesem Vorfall ließen die Antragsteller vortragen, dass der Antragsteller zu 2 körperlich in der Lage sei, die Hunde zu halten: „F…“ schlüpfte jedoch aus dem Geschirr, weil sie Angst vor den herankommenden Menschen hatte und wegrennen wollte.“ – Seite 2 der Klagebegründung). Die Hündin „F…“ ist zudem nach Angabe des Antragstellers zu 2 am 22. November 2020 seiner Frau beim Umhängen der Leine entwischt und dem Reh hinterhergehetzt. „F…“ hat das Reh in den Hinterlauf gebissen und zu Boden gerissen.
Im Rahmen des summarischen Verfahrens steht für die Kammer somit nach dem Akteninhalt fest, dass sich die Hündin „F…“ einmal aus ihrem Geschirr befreit hat (28. Dezember 2020), beim Anleinen entwischt ist und ein Reh gerissen hat (22. November 2020), von einem Grundstück entwichen ist und sich auf die Hündin „…“ zubewegt hat (14. Januar 2022). Die Beteiligung von „F…“ bei dem Vorfall am 20. Dezember 2021 und ihr tatsächliches Verhalten am 14. Januar 2022 ist im summarischen Verfahren offen und kann nur nach einer Beweiswürdigung im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Die Tatsache, dass die Hündin bereits einmal aus dem Geschirr geschlupft ist, erachtet die Kammer in Zusammenschau mit den weiteren Vorfällen ausreichend, um sowohl eine konkrete Gefahr als auch die Verhältnismäßigkeit eines Maulkorbzwangs im Innenwie auch im Außenbereich anzunehmen.
Für den Innenbereich schließt sich die Kammer insoweit folgender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Würzburg an: „Ein Maulkorbzwang zusätzlich zu einem Leinenzwang, also eine Kombination beider Mittel ist vorliegend auch verhältnismäßig. Ein zusätzlicher Maulkorbzwang kann (nur dann) verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr unabdingbar ist, weil z.B. eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Hund auch angeleint zubeißen oder sich von der Leine losreißen würde (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2013 – 10 ZB 12.2706; VG Augsburg, B.v. 26.4.2012 – Au 5 S 12.316; beide juris; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 70). Die von der Beklagten in ihrem Änderungsbescheid vom (…) in Bezug genommenen weiteren Vorfälle mit dem klägerischen Hund „S…“ begründen eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des auch durch den Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigten Vorfalls mit dem Hund des Herrn H… vom Juli 2014, bei dem der Hund des Klägers aus dem Halsband geschlupft ist. Die Beklagte hat diesen Vorfall im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen ausdrücklich zum Anlass genommen, zusätzlich zum Leinenzwang auch einen Maulkorbzwang anzuordnen. Ob es dabei, wie die Beklagte vorgetragen hat, zu einem Beißvorfall gekommen ist oder dies entsprechend den Ausführungen des Klägers unterblieb, kann dahinstehen, weil durch diesen Vorfall jedenfalls belegt ist, dass der klägerische Hund schon einmal aus einem Halsband geschlupft ist und dieses daher allein nicht zur Gefahrenabwehr ausreichend ist“ (VG Würzburg, U.v. 27.7.2018 – W 9 K 17.332 – juris Rn. 35).
Im Außenbereich zeigt der Vorfall mit dem Reh, was geschehen kann, wenn die Hündin aus der Leine schlupfen oder beim Anleinen nicht gefasst werden kann. Zwar mag es sich bei einem Reh um ein herrenloses Tier handeln und es mögen Tiere nur als Eigentumsobjekt, nicht aber um ihrer selbst willen geschützt sein (BeckOK PolR Bayern/Schwabenbauer, 15. Ed. 1.11.2020, LStVG Art. 18 Rn. 25 – andere Ansicht: Gefährdung des Jagdrechts, welches ebenfalls dem Eigentum an Grund und Boden folgt Bengl/Berner/Emmerig, Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz Kommentar, Okt. 2019, Rn. 9 zu Art. 18 LStVG). Es hat sich aber bereits die konkrete Gefahr realisiert, dass die Hündin, obwohl sie angeleint war, entweichen konnte. Es läge auch hier bei den Antragstellern zu beweisen, dass eine Wiederholung auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung ausgeschlossen werden kann. Ohne die Anordnung eines Maulkorbzwangs hängt es nur vom Zufall ab, ob die Hündin auf ein Reh oder ein Haustier trifft. Die Beißkraft der Hündin ist jedenfalls durch den Vorfall mit dem Reh belegt.
Zur Ermessensausübung der Antragsgegnerin ist Folgendes festzustellen: Der Vorfall mit dem Reh blieb zwar im streitgegenständlichen Bescheid unerwähnt, wurde aber im Rahmen der Antragserwiderung in die Ermessenserwägungen einbezogen. Das Ermessen wurde somit zulässigerweise nachträglich ergänzt (§ 114 Satz 2 VwGO).
Nicht vorzuwerfen ist der Antragsgegnerin, dass sie nicht nach den Hunden differenziert hat, da wie dargestellt sowohl das Entweichen trotz Leine als auch die Tatsache eines Beißvorfalls (Hündin „…“ bei „T…“ und Reh bei „F…“) belegt ist.
Ob das Ermessen im Übrigen ordnungsgemäß ausgeübt wurde, kann erst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung festgestellt werden, da die genaue Beteiligung der Hündin „F…“ an den Vorfällen am 14. Januar 2022 und am 20. Dezember 2021 bei summarischer Prüfung nicht feststeht.
Sollte sich in der mündlichen Verhandlung herausstellen, dass das Verhalten von „F…“ am 14. Januar 2022 keine Auswirkungen auf die Bissverletzungen der Hündin „…“ hatte, so könnte die Antragsgegnerin ihre Ermessenserwägungen in diesem Punkt noch ergänzen. Die Kammer hält es aber nicht für ausgeschlossen, dass eine gewisse Beteiligung stattgefunden haben könnte. Dahingestellt bleiben kann, ob das Wort „Rudel“ in diesem Zusammenhang verwendet werden kann (Seite 6 des Bescheids erster Absatz – zum Begriff des „Kleinrudelverbands“: BayVGH B.v. 21.10.2002 – 24 ZB 02.2109 – juris Rn.19 – Annahme bereits bei drei Hunden). Die Antragsgegnerin hat jedenfalls ermessensfehlerfrei zum Ausdruck bringen wollen, dass sich die Hunde in ihrem Verhalten gegenseitig beeinflussen können (ebenso VG München, B.v. 12.8.2010 – M 22 S 10.3500 – juris Rn. 24: „Durch die Bindung der Artgenossen untereinander ist bereits bei zwei Hunden ein homogener Kleinrudelverband vorhanden, der mit einer erheblichen Reizschwellenabsenkung und damit korrespondierend mit einer Gefahrerhöhung verbunden ist.“).
Ob „F…“ die andere Hündin auch am 20. Dezember 2021 bedroht hat, muss zumindest im Rahmen des summarischen Verfahrens ebenfalls als offen betrachtet werden. Sollte sich herausstellen, dass die Hündin „F…“ tatsächlich am Gürtel der Antragstellerin gesichert gewesen und von ihr keine weitere Bedrohung ausgegangen sein sollte, so könnte die Antragsgegnerin ebenfalls noch im Hauptsacheverfahren ihre Ermessenserwägungen ergänzen.
Sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass das Ermessen auch nach einer noch möglichen Ergänzung durch die Antragsgegnerin nicht ordnungsgemäß ausgeübt sein sollte, so führt vorliegend zumindest die durch das Gericht vorzunehmende Interessenabwägung dazu, dass dem Antrag auch in Bezug auf die Hündin „F…“ nicht entsprochen werden kann. Es überwiegt hier vorliegend das öffentliche Interesse an einem wirksamen Schutz vor einem potenziell gefährlichen Hund. Durch den angeordneten Maulkorbzwang kann zumindest ein evtl. erneutes Zubeißen der Hündin verhindert werden, wenn sie sich ohne Leine im Innen- oder Außenbereich bewegen sollte. Demgegenüber hat das Interesse der Antragsteller, ihren Hund bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache auch ohne Maulkorb ausführen zu dürfen, zurückzutreten. Die Sicherstellung des Schutzes der Gesundheit von Menschen und Tieren, die sich im Nachhinein evtl. als nicht erforderlich erweisen mag, wiegt schwerer als eine möglicherweise zu Unrecht angeordnete Verpflichtung zum Tragen eines Maulkorbs, zumal das Tragen eines Maulkorbs auch mit den tierschutzrechtlichen Vorgaben im Einklang steht.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Höhe des Streitwerts ergibt sich aus § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 35.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).

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