Zivil- und Zivilprozessrecht

Vorwurf der Drohung mit kostspieligem Gutachten als Ausschlussgrund

Aktenzeichen  15 W 442/18

Datum:
6.4.2018
Fundstelle:
MDR – 2019, 889
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
ZPO § 41 Nr. 6

 

Leitsatz

1. § 41 ZPO führt die Ausschließungsgründe abschließend auf. Schon wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen, ist die Vorschrift einer erweiternden Auslegung im Sinne der Rechtsbeschwerde nicht zugänglich  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach § 41 Ziff. 1 ZPO ist ein Richter unter anderem in Sachen ausgeschlossen, in denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Regresspflichtigen steht. Diese Regresspflicht muss sich jedoch aus dem Streitgegenstand des Verfahrens selbst ergeben, was bei dem Vorwurf nicht der Fall ist, mit der Einholung eines kostspieligen Sachverständigengutachtens zum Vergleichsschluss genötigt zu haben. (Rn. 16 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 O 234/17 Rae 2018-03-01 Bes LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des LG Ingolstadt vom 01.03.2018 (Az.: 11 O 234/17) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Der Beklagten wenden sich gegen die Zurückweisung ihrer Ablehnungsanträge im angefochtenen Beschluss vom 01.03.2018. Wegen der geltend gemachten Ablehnungsgründe wird auf die Feststellungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Die Beklagten begründen ihre Beschwerde damit, dass ihre Vorwürfe gegen die abgelehnte Richterin inhaltlich nicht überprüft worden seien, obwohl diese ausführlich dargelegt und glaubhaft gemacht worden seien. Insbesondere sei dargestellt worden, dass das Gericht den Beklagten gegenüber eine kostspielige Wertermittlung in Aussicht gestellt habe für den Fall, dass der seitens des Gerichts vorgeschlagene Vergleich nicht angenommen werde. Dies stelle jedenfalls dann eine Nötigung dar, wenn eine Erforderlichkeit einer solchen Wertermittlung nicht gegeben sei. Die abgelehnte Richterin habe das Erfordernis eines Sachverständigengutachtens vorgeschlagen, um die gerichtsunerfahrenen und gerichtsgläubigen Beklagten zum Abschluss des Vergleichs zu bestimmen.
Bezüglich der Einzelheiten des bisherigen Verfahrensgangs wird auf den Beschluss des Landgerichts vom 01.03.2018, dort Ziffer I. (Bl. 124/132 d.A.) verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 19.03.2018 haben die Beklagten gegen den Beschluss „Beschwerde“ eingelegt und diese begründet (Bl. 133/136 d.A.).
Der sofortigen Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 21.03.2018 nicht abgeholfen (Bl. 137/141 d.A.).
II.
Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde ist unbegründet, da das Landgericht den Ablehnungsanträgen zu Recht nicht stattgegeben hat.
Die Beklagten haben ihre Ablehnungsanträge wie folgt begründet:
Im Ablehnungsgesuch vom 12.11.2017 (Bl. 99/100 d.A.) haben die Beklagten geltend gemacht, die abgelehnte Richterin sei in analoger Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO wegen Vorbefassung ausgeschlossen, nachdem sie bei Fortführung des Prozesses über die Frage entscheiden müsse, ob sie selbst durch rechtswidrige Drohung die Beklagtenseite zum Abschluss des Vergleichs genötigt habe (hierzu nachfolgend Ziffern 1 und 2).
Im Übrigen sei die abgelehnte Richterin auch deshalb befangen, weil sie im Laufe der 15 w 442/18 – Seite 3 mündlichen Verhandlung vom 19.5.2017 gegenüber der Beklagtenseite eine rechtswidrige Drohung ausgesprochen habe (Schriftsatz vom 4.1.2018, Bl. 106 d.A. mit Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 19.9.2017, Bl. 81/89 d.A. – hierzu nachfolgend Ziffer 3).
Mit einem weiteren Ablehnungsgesuch vom 12.1.2018 (Bl. 108/111 d.A.) wurde die Ablehnung wegen Befangenheit damit begründet, dass die abgelehnte Richterin die beisitzenden Richter für die Sitzung am 12.12.2017 unter Verstoß gegen Art. 102 I 2 GG ausgetauscht habe (hierzu Ziffer 4).
1. Keine analoge Anwendung des § 41 Ziffer 6 ZPO auf vorliegenden Sachverhalt:
§ 41 ZPO sieht in Ziffer 6 vor, dass ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, wenn er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt.
Der vorliegende Sachverhalt fällt ersichtlich nicht unter die von Ziffer 6 beschriebenen Konstellationen. In Betracht käme daher allenfalls eine analoge Anwendung des § 41 Ziffer 6  ZPO.
Hierzu hat der BGH jedoch folgendes entschieden (Beschluss vom 18.12.2014 – IX ZB 65/13; bei Juris Rn.9):
„Im Übrigen führt § 41 ZPO die Ausschließungsgründe abschließend auf. Schon wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), ist die Vorschrift einer erweiternden Auslegung im Sinne der Rechtsbeschwerde nicht zugänglich (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1980, aaO; vom 4. Dezember 1989 – RiZ(R) 5/89, NJW 1991, 425; Beschluss vom 20. Oktober 2003 – II ZR 31/02, NJW 2004, 163; vom 24. Juli 2012, aaO Rn. 3; BVerfGE 30, 149, 155; BVerfGE 30, 165, 168 f; BVerfG, NJW 2001, 3533).“
Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Erwägungen an. Im Übrigen bedürfte es einer (analogen) Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO schon deshalb nicht, weil es den Parteien grundsätzlich möglich bleibt, den beanstandeten Sachverhalt – wie vorliegend auch geschehen (vgl. freilich Ziffer 2) – gemäß § 42 ZPO im Wege der Ablehnung geltend zu machen (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO 38. Aufl., § 41 Rn. 1).
2. Auch ein Ausschlussgrund im Sinne des § 41 Ziffer 1 ZPO liegt nicht vor:
2.1. Nach dieser Vorschrift ist ein Richter ausgeschlossen in Sachen, in denen er selbst Partei ist oder bei denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht. In Betracht käme vorliegend allenfalls der Tatbestand der Regresspflicht aufgrund der Behauptung der Beklagten, sie seien durch die Vorsitzende Richterin widerrechtlich zum Vergleichsschluss durch die Drohung mit einem kostspieligen 15 w 442/18 – Seite 4 Gutachten genötigt worden.
2.2. Der Ausschlussgrund der Regresspflicht scheidet jedoch aus mehreren Gründen aus:
2.2.1. Zum einen hat das Landgericht zutreffend in seinem Beschluss vom 01.03.2018 darauf hingewiesen, dass das Verhalten der Vorsitzenden Richterin keine widerrechtliche Drohung darstellte, sondern transparenter Verfahrensführung zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen entsprach (Seite 5 des Beschlusses, Ziffer 2, Bl. 128/129 d.A.). Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Ein Regressanspruch ist damit schon im Ausgangspunkt nicht erkennbar.
2.2.2. Zum anderen muss sich die Regresspflicht im Sinne des § 41 Ziffer 1 ZPO aus dem Streitgegenstand des Verfahrens selbst („unmittelbarer Nachteil“, vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO 32. Aufl., § 41 Rn. 7) ergeben, was ersichtlich nicht der Fall ist (streitgegenständlich ist ein Honoraranspruch der Klageseite bzw. ein Schadensersatzanspruch der Widerklägerseite, während eine Regresspflicht allenfalls aufgrund des Vorwurfs der widerrechtlichen Drohung in der Verhandlung denkbar erschiene).
Eine eventuelle Regresspflicht aus der Verfahrensführung begründet keinen Ausschlusstatbestand. Dies ergibt sich jedenfalls aus der durch das 2. Justizmodernisierungsgesetz eingefügten Vorschrift des § 72 Abs. 2 ZPO, wonach eine Streitverkündung gegen den Richter im laufenden Prozess nicht zulässig ist. Die Bestimmung hat den Zweck, das „Hinausschießen“ eines gesetzlichen Richters durch andere prozessuale Maßnahmen einer Partei als die Ablehnung gegen ihn entgegenzuwirken (so zutreffend OLG Frankfurt, NJW-RR 2017, 191, unter Ziffer II.2.b.aa.).
3. Vorwurf der widerrechtlichen Drohung mit einem kostspieligen Gutachten als Ablehnungsgrund:
3.1. Soweit die Beklagtenseite im Wege der Richterablehnung geltend macht, die Richterin habe die Beklagten mit der Drohung der Einholung eines kostspieligen Sachverständigengutachtens zum Vergleichsschluss genötigt, kann auf diesen Sachverhalt die Ablehnung schon deshalb nicht gestützt werden, weil gemäß § 43 ZPO das Ablehnungsrecht verloren gegangen ist:
Danach kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend gemacht zu haben, in eine Verhandlung eingelassen hat oder Anträge gestellt hat.
Die Beklagten tragen vor, sie seien durch eine Drohung der Vorsitzenden Richterin zum Abschluss des Vergleichs genötigt worden. Der Sachverhalt, mit dem sie die Ablehnung begründen, war ihnen damit zwangsläufig bekannt, nachdem sie behaupten, beim nachfolgenden Abschluss des Vergleichs unter dem Eindruck der angekündigten Einholung eines Gutachtens gestanden zu haben. Dennoch haben sie sich anschließend in die weitere 15 w 442/18 – Seite 5 Verhandlung im Sinne von § 43 ZPO eingelassen, indem sie den Vergleich abschlossen (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO 38. Aufl., § 43 Rn. 4 mit Hinweis auf OLG Frankfurt, FamRZ 1991, 839).
Dass die Beklagten nicht in der Lage gewesen wären, den behaupteten Ablehnungsgrund der Drohung/Nötigung selbst geltend zu machen, ist nicht ersichtlich. Es ist kein Anhaltspunkt dafür vorgetragen, dass die Beklagten sich durch das angekündigte Gutachten dermaßen unter Druck gesetzt gefühlt hätten, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen wären, einen Ablehnungsgrund zu äußern. Zudem waren sie rechtsanwaltlich vertreten. Jedenfalls der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war in der Lage, die behauptete Drohung zu erkennen und sogleich geltend zu machen.
Damit hat die Beklagtenseite gemäß § 43 ZPO das Recht verloren, den Sachverhalt, auf den sie die behauptete Drohung stützen will, geltend zu machen.
3.2. Rein vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass auch in der Sache selbst ein Ablehnungsgrund nicht gegeben wäre.
Ein Ablehnungsgesuch kann grundsätzlich nicht auf die Verfahrensweise oder Rechtsauffassung eines Richters, hier die angekündigte Einholung eines Gutachtens, falls der Vergleich nicht zustande kommen sollte, gestützt werden (BGH, Beschluss vom 12.10.2011, Az. V ZR 8/10, NJW-RR 2012, 61 = MDR 2012, 49). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur dann geboten, wenn die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken (Vossler in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 16. Ed., § 42 Rn. 17, m. w. Nachw.).
Eine willkürliche Verfahrensweise ist vorliegend nicht erkennbar; die bloße Ankündigung, ein Gutachten einholen zu wollen, ist vielmehr Ausfluss des Gebotes, die Rechtssuchenden vor Überraschungsentscheidungen zu schützen; im Übrigen kann in diesem Zusammenhang ergänzend auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im Beschluss vom 01.03.2018, dort Seiten 5/6, Bl. 128/129 d.A. und vom 21.03.2018, dort Seite 3 Ziffer 2, Bl. 139 d.A.) verwiesen werden.
3.3. Allein aus der Tatsache, dass die Vorsitzende Richterin über die Frage der Begründetheit der Anfechtung im Rahmen des Fortgangs des Verfahrens (mit) entscheiden muss, obwohl ihr eine rechtswidrige Willensbeeinflussung vorgeworfen wird, kann sich eine Befangenheit nicht ergeben. Andernfalls würde man die abschließende Aufzählung der Ausschlussgründe des § 41 ZPO sowie die Regelung des § 43 ZPO missachten.
4. Soweit die Beklagten die Ablehnung auch darauf gestützt hatten, dass die abgelehnte 15 w 442/18 Seite 6 Richterin die beisitzenden Richter unter Verstoß gegen Art. 103 GG ausgetauscht habe, hat das Landgericht auf die einschlägigen Geschäftsverteilungspläne hingewiesen, aus denen sich die ordnungsgemäße Besetzung der Richterbank in der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2017 ergibt.
Die Beschwerde greift dies nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Ein Streitwert war nicht festzusetzen (OLG Rostock, NJW-RR 2014, 320; OLG Frankfurt, AGS 2017, 284).


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