Zivil- und Zivilprozessrecht

Zur Unwirksamkeit von Grundstückskaufverträgen wegen einer Geschäftsunfähigkeit infolge einer Intelligenzminderung

Aktenzeichen  20 U 358/20

Datum:
12.10.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47755
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 104 Nr. 2, § 105 Abs. 1
ZPO § 86, § 579 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Soweit die Prozessbevollmächtigte im Laufe des Verfahrens selbst Betreuerin des Beklagten geworden ist, ist diese eingetretene Änderung der gesetzlichen Vertretung des Beklagten im Passivprozess für den Fortbestand der Prozessvollmacht unbeachtlich, § 86 ZPO. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur durch einen gerichtlichen Sachverständigen festgestellten Geschäftsunfähigkeit eines Beklagten, der an einer leichten Intelligenzminderung leidet. (Rn. 22 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

20 U 358/20 2020-06-15 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Grund- und Teilendurteil des Landgerichts München II vom 29. November 2019, Aktenzeichen 2 O 5195/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 786.954,00 festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Grund- und Teilendurteil des Landgerichts München II vom 29. November 2019 Bezug genommen. Änderungen oder Ergänzungen im Tatbestand haben sich im Berufungsverfahren nicht ergeben.
Die Kläger wenden sich mit ihrer Berufung gegen das vorgenannte Urteil, mit dem ihre Klage auf Feststellung, dass zwei näher bezeichnete Grundstückskaufverträge wirksam seien, abgewiesen und die Widerklage des Beklagten auf Rückübereignung dieser Grundstücke für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt wurde. Sie begehren, das angegriffene Urteil des Landgerichts aufzuheben und „nach den zuletzt gestellten Anträgen der Kläger zu erkennen“. Auf die Berufungsbegründung vom 18. März 2020 (Bl. 407 ff.) wird verwiesen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 13. Mai 2020 (Bl. 438 ff.), den Klägern zugestellt am 14. Mai 2020, darauf hingewiesen, dass er die einstimmige Zurückweisung des Rechtsmittels gemäß § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtigt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
II.
Die Berufung gegen das Grund- und Teilendurteil des Landgerichts München II vom 29. November 2019, Aktenzeichen 2 O 5195/15, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Soweit die Kläger letzteres in Abrede stellen, teilt der Senat diese Bewertung nicht. Eine existentielle Bedeutung der Rückabwicklung der Kaufverträge ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil diese grundsätzlich auch die Rückzahlung des von den Klägern eingesetzten Kapitals umfasst. Dass die Sache für die Kläger wirtschaftlich bedeutsam ist, hindert die schriftliche Zurückweisung nicht (vgl. Zöller, ZPO, § 522 Rn. 40 mwN).
Zur Begründung der Zurückweisung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 13. Mai 2020 (Bl. 438 ff.) Bezug genommen, an dem nach erneuter Überprüfung in vollem Umfang festgehalten wird. Richter am Oberlandesgericht Dr. W., der an dem vorgenannten Beschluss nicht mitgewirkt hat, nun aber zur Mitentscheidung berufen ist, tritt dem Beschluss vollumfänglich bei.
Die Ausführungen der Kläger in ihrer Gegenerklärung vom 24. Juli 2020 (Bl. 460 ff.) führen zu keiner anderen Beurteilung. Im Einzelnen:
1. Entgegen der Ansicht der Kläger ist der Beklagte ordnungsgemäß vertreten.
a) Bei Zustellung der gegen den Beklagten gerichteten Klage am 16. Dezember 2015 war diesbezüglich allein die Betreuerin G. S. gesetzliche Vertreterin des Beklagten. Denn sie war bereits mit Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 22. Dezember 2014, Az. XVII 442/14 (B 14), d.h. fast ein Jahr vor der Klageerhebung, zur Betreuerin des Beklagten für die Bereiche „Vermögenssorge“ und „Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern“ bestellt worden. Dass Frau S. als Betreuerin des Beklagten Rechtsanwältin H. am 17. Dezember 2015 Prozessvollmacht erteilt hat, ist daher ersichtlich nicht zu beanstanden. Die Vollmacht erstreckt sich ausweislich der Vollmachtsurkunde auf alle Instanzen (B 13, Anl. zu Bl. 437).
Soweit die Kläger darauf hinweisen, dass Rechtsanwältin H. ausweislich des Betreuerausweises vom 26. Januar 2015 (LA 1) bei Klageerhebung im Dezember 2015 ebenfalls Betreuerin des Beklagten gewesen sei, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn Rechtsanwältin H. war nur für den Bereich „Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen, die aus der Geschäftsunfähigkeit des Betreuten resultieren“, bestellt, nicht aber zur Vertretung des Betreuten in Passivprozessen.
Die Argumentation der Kläger in dem Schriftsatz vom 20. Mai 2020 (Bl. 447 ff.), dass daraus, dass Rechtsanwältin H. neun Monate vor Frau S. zur Betreuerin bestellt worden sei, geschlossen werden müsse, dass allein Rechtsanwältin H. Betreuerin für gerichtliche Verfahren sei, ist nach Vorstehendem schon im Ansatz unzutreffend. Denn sie geht von der – wie dargestellt – falschen Annahme aus, dass die Bestellung von Rechtsanwältin H. zeitlich vor der Bestellung von Frau S. stattgefunden hätte.
Darüber hinaus berücksichtigt sie nicht, dass der Aufgabenbereich von Rechtsanwältin H. erst am 28. Dezember 2015 (B 15) – d.h. nach der Erteilung der Prozessvollmacht am 17. Dezember 2015 durch die Betreuerin Frau S. und nach der Anzeige der Verteidigungsbereitschaft durch Rechtsanwältin H. als Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2015 (Bl. 15 d.A.) – auf die Führung von Passivprozessen, nämlich die „Vertretung des Betroffenen bei der Abwehr von Ansprüchen, die gegen ihn im Zusammenhang mit dessen Geschäftsunfähigkeit erhoben werden“, erweitert wurde.
Denn aus dieser Erweiterung des Aufgabenkreises ergibt sich auch, dass der ursprüngliche Aufgabenkreis der Betreuerin H. die Vertretung in Passivprozessen gerade nicht umfasste, sondern Rechtsanwältin H. erst ab dem 28. Dezember 2015 Betreuerin des Beklagten im Hinblick auf Passivprozesse im Zusammenhang mit seiner Geschäftsunfähigkeit war.
Die Wirksamkeit der mithin ordnungsgemäß am 17. Dezember 2015 durch die Betreuerin S. erteilten Prozessvollmacht wurde durch die nachfolgende Ausdehnung des Aufgabenkreises von Rechtsanwältin H. auf die „Vertretung des Betroffenen bei der Abwehr von Ansprüchen, die gegen ihn im Zusammenhang mit dessen Geschäftsunfähigkeit erhoben werden“, nicht berührt. Denn die eingetretene Änderung der gesetzlichen Vertretung des Beklagten im Passivprozess ist für den Fortbestand der Prozessvollmacht unbeachtlich, § 86 ZPO (vgl. Zöller, ZPO, § 86 Rn. 9 mwN).
b) Bedenken hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Vertretung des Beklagten im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ergeben sich ebenfalls nicht. Beide Betreuerinnen haben im Verfahren übereinstimmend in Vertretung des Betreuten zusammengewirkt. Soweit Rechtsanwältin H. wegen der Ausweitung ihres Aufgabenkreises allein vertretungsberechtigt geworden sein sollte, hat sie diese Aufgabe durch ihre Tätigkeit als Prozessbevollmächtigte wahrgenommen. Im Übrigen hat Rechtsanwältin H. unstreitig die Tätigkeit der Betreuerin S. genehmigt, wodurch etwaige Mängel der Prozessfähigkeit geheilt wurden (vgl. Zöller, ZPO, § 51 Rn. 8, § 52 Rn. 14 mwN).
Dass Rechtsanwältin H. – wie die Kläger meinen – nicht den Beklagten, sondern die vollmachtgebende Betreuerin S. vertreten hätte, trifft nicht zu. Denn Frau S. hat Rechtsanwältin H. ausweislich der Vollmachtsurkunde (B 13, Anlage zu Bl. 437) nicht zu ihrer Vertretung bevollmächtigt, sondern zur Vertretung des Beklagten. Nicht der gesetzliche Vertreter eines Prozessunfähigen ist Partei eines Rechtsstreits, sondern der Prozessunfähige selbst (vgl. Zöller, ZPO, Vor § 50 Rn. 3); auf einen Willen von Rechtsanwältin H., sich „selbst“ zu vertreten bzw. „einen Prozess in eigener Sache zu führen“, kommt es deshalb ebenfalls nicht an.
2. Auch die sonstigen Ausführungen in der Gegenerklärung können der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen.
a) Soweit die Kläger monieren, der Senat habe ihr schriftsätzliches Vorbringen zur Stellungnahme des Privatsachverständigen Prof. Dr. S. nicht gewürdigt, trifft dies ausweislich Ziffer 2b) des Hinweisbeschlusses vom 13. Mai 2020 (Bl. 438 ff., 441 ff.) nicht zu. Auf die dortigen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Gleiches gilt für das klägerische Vorbringen zur behauptet fehlenden Vergleichbarkeit der in den Jahren 2015 und 2016 gewonnenen Testergebnisse, zu den Ergebnissen des Mini Mental State (MMST)-Tests aus dem Jahr 2015, zur unterbliebenen Vorlage der mit Schriftsätzen vom 7. Dezember 2016 und 15. Juli 2019 erbetenen Unterlagen und zur behauptet unterbliebenen Berücksichtigung von Argumenten, die für eine Geschäftsfähigkeit sprechen, wozu die Gegenerklärung nichts Neues vorträgt.
Generell übergeht die Klagepartei, dass der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. N. in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2019 (Bl. 314 ff.) zu den Fragen und Einwänden des damals anwesenden und die Klagepartei unterstützenden Privatsachverständigen Dr. S. ausführlich Stellung genommen hat. Ausweislich des Akteninhalts (vgl. Verfügung Bl. 277) waren dem gerichtlichen Sachverständigen die Einwände des Privatsachverständigen durch Übersendung der fraglichen Schriftsätze der Klagepartei zudem im Vorfeld seiner Anhörung zur Kenntnis gebracht worden. Die Klagepartei hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung explizit bestätigt, dass alle wesentlichen Fragen an den gerichtlichen Sachverständigen gestellt worden seien und ausdrücklich auf die unwesentlichen Fragen verzichtet (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2019, S. 10, Bl. 314 ff., 323).
Die Rüge, das Landgericht und der Senat hätten sich unter fehlerhafter Anmaßung fachlicher Sachkunde der Beurteilung der gerichtlichen Sachverständigen angeschlossen, ohne sich mit den Argumenten des Privatsachverständigen auseinanderzusetzen, geht damit fehl. Vielmehr ist das Gericht der gut nachvollziehbaren und fundierten Bewertung des unzweifelhaft kompetenten gerichtlichen Sachverständigen, der sich eingehend mit den Ausführungen des Privatsachverständigen auseinandergesetzt hat, aus eigener Überzeugung gefolgt.
b) Die von den Klägern auf Seite 4 der Gegenerklärung vom 24. Juli 2020 zitierte Passage des Hinweisbeschlusses vom 13. Mai 2020 befasst sich – was die Kläger wohl missverstehen – ausweislich ihres klaren Wortlauts ausschließlich mit der nach gefestigter Rechtsprechung nicht bestehenden Möglichkeit, schriftsätzlichen Vortrag durch bloße Bezugnahme auf eine Anlage zu ersetzen. Soweit die Kläger in der Gegenerklärung darauf hinweisen, dass schriftsätzliches Vorbringen einer Partei nicht übergangen werden dürfe, ist dies selbstverständlich. Allein die zitierte Passage in dem Hinweisbeschluss befasst sich mit dieser Frage nicht, weshalb auch ein Abweichen von gefestigter Rechtsprechung nicht vorliegt. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in dem Hinweisbeschluss vom 13. Mai 2020 (dort Ziffer 2a), S. 4, Bl. 438 ff., 441) Bezug genommen.
c) Dass der Hinweis des Senats auf den Ceiling-Effekt unrichtig wäre, trifft nicht zu. Der Senat folgt insoweit vielmehr den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen, deren konkrete Untersuchungen ergeben haben, dass die festgestellten durchgehenden Einschränkungen des Beklagten auf eine angeborene bzw. seit frühem bestehende ausgeprägte Intelligenzminderung zurückzuführen sind (Testpsychologisches Gutachten vom 10. Mai 2016, S. 13 f., Az. 3 O 5293/15; Sachverständigengutachten vom 1. Juni 2016, S. 19 ff., 22, Az. 3 O 5293/15; ergänzende psychiatrische Stellungnahme vom 20. Dezember 2016, S. 3 ff., Az. 3 O 5293/15; Sachverständigenanhörung, Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2018, S. 2 ff., Az. 3 O 5293/15), wobei dieses Ergebnis durch die beim Beklagten in Kindheit und Jugend aufgetretenen psychischen Auffälligkeiten gestützt wird (vgl. Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. N., Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2019, S. 5, Bl. 314 ff., 318; vgl. ergänzende psychiatrische Stellungnahme vom 20. Dezember 2016, S. 6 f., Az. 3 O 5293/15, B 8).
Der Beklagte leidet unter einer angeborenen Intelligenzminderung und kann keine differenzierten Überlegungen anstellen, weshalb eine freie Willensbildung ausgeschlossen ist, ohne dass es auf etwa später eingetretene weitere negative Einflüsse auf seine geistigen Fähigkeiten ankommt (vgl. Sachverständigengutachten vom 1. Juni 2016, S. 19 ff., Az. 3 O 5293/15, Anhörung des Sachverständigen, Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2018, S. 2 ff., Az. 3 O 5293/15). Die von der Gegenerklärung aufgeworfenen theoretischen Fragen, bis zu welcher Schwelle ein IQ noch messbar ist oder ab welcher Intelligenzminderung von einem Ausschluss der freien Willensbestimmung ausgegangen werden kann, ändern hieran nichts.
Die von den Klägern behaupteten, im Erwachsenenalter eingetretenen zusätzlichen Beeinträchtigungen des Beklagten, die behauptet zum Zeitpunkt der Untersuchung, nicht aber bei Abschluss der fraglichen Verträge vorgelegen hätten, konnten sich deshalb – wie der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. N. überzeugend ausgeführt hat – nicht mehr auf die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Beklagten auswirken. Denn – wie bereits in dem Hinweisbeschluss vom 13. Mai 2020 (Bl. 438 ff., 441) ausgeführt – spielt nach der gut nachvollziehbaren Beurteilung des Sachverständigen angesichts der Grundintelligenz des Beklagten eine zusätzliche Beeinträchtigung insoweit keine Rolle mehr (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2018, S. 3 f., Az. 3 O 5293/15). Die von den Klägern gewünschte Beweiserhebung zum Dazutreten weiterer Beeinträchtigungen ist damit entbehrlich.
Soweit die Kläger einwenden, dass diese Beurteilung der gerichtlichen Sachverständigen schon deshalb nicht zutreffen könne, weil eine Verschlechterung der Testergebnisse aus dem Jahr 2016 im Vergleich zu solchen aus dem Jahr 2015 zu verzeichnen gewesen sei, trifft dies bereits im Ansatz nicht zu. Vielmehr hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. N. in seiner Anhörung auf die entsprechende Frage des Privatsachverständigen gut nachvollziehbar und überzeugend erläutert, dass in der Gesamtschau vergleichbare Ergebnisse vorlägen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2019, S. 8 f., Bl. 314 ff., 321, 322 f.).
Auch der Einwand der Gegenerklärung, dass mit – nicht nachgelassenem – Schriftsatz vom 1. Oktober 2019 (Bl. 339 ff.) vorgetragen worden sei, dass die Ende 2015 im Krankenhaus A. durchgeführte CERAD-Testung einen IQ des Beklagten von 72 ergeben habe, weshalb der im Jahr 2016 mit dem Wechsler-Test gemessene IQ-Wert des Beklagten zwischen 56 und 64 eine Verschlechterung beweise, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn zum einen dient der CERAD-Test der Diagnostik einer dementiellen Entwicklung (vgl. Sachverständigengutachten vom 1. Juni 2016, S. 8 f., Az. 3 O 5293/15; ebenso Sachverständigengutachten vom 10. Mai 2016, S. 3 unten, Az. 3 O 5293/15), hat also eine völlig andere Zielrichtung als der Wechsler-Test, der ein umfassendes Verfahren zur Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten von Jugendlichen und Erwachsenen zwischen 16 und 89,11 Jahren ist (Sachverständigengutachten vom 10. Mai 2016, S. 8, Az. 3 O 5293/15). Zum anderen ist nicht der angegebene IQ-Wert der Testung aussagekräftig, sondern zur Interpretation des Ergebnisses vielmehr auf den intraindividuellen Vergleich, d.h. den angegebenen Prozentrang abzustellen (vgl. Sachverständigenanhörung, Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2017, S. 5, Az. 3 O 5293/15 sowie vom 4. Oktober 2017, S. 15, Az. 3 O 5293/15).
Der ausweislich K 19 (dort S. 12) für die CERAD-Testung angegebene Prozentrang von 5,48 aber bedeutet, dass 94,52% der Bevölkerung ein ähnliches oder besseres Ergebnis erzielen als der Beklagte (vgl. Sachverständigengutachten vom 10. Mai 2016, S. 8, Az. 3 O 5293/15).
Im Übrigen wurde – wie von den gerichtlichen Sachverständigen im Jahr 2016 – auch im Jahr 2015 im Krankenhaus A. beim Beklagten eine leichte Intelligenzminderung (ICD-10: F70.0) diagnostiziert (vgl. Sachverständigengutachten vom 10. Mai 2016, S. 3 f., Az. 3 O 5293/15), ebenso wie im Jahr 2014 durch die Sachverständige Dr. H. (K 4).
d) Soweit die Kläger ihre Angriffe auf das Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens, die Feststellung einer leichten Intelligenzminderung und Geschäftsunfähigkeit, wiederholen, übergehen sie weiterhin, dass nach der Beurteilung des Sachverständigen beim Beklagten eine überdauernde Beeinträchtigung der intellektuellen Fähigkeiten vorliegt, die bereits mit der Einschulung festgestellt wurde, in der Sonderschule und beim Führerscheinerwerb deutlich auffällig geworden und auch heute noch vorhanden ist (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2019, S. 5, Bl. 314 ff., 318; vgl. auch Testpsychologisches Gutachten vom 10. Mai 2016, S. 13 f., Az. 3 O 5293/15). Die Untersuchungen der gerichtlichen Sachverständigen haben – ebenso wie das im Jahr 2014 im Betreuungsverfahren erstellte Gutachten Dr. H. (K 4) – zweifelsfrei ergeben, dass beim Beklagten eine leichte Intelligenzminderung (ICD-10: F70.0; früher: Debilität) vorliegt und er nicht in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen.
Dass die Sachverständigen bei ihrer Bewertung von unzutreffenden Annahmen über die Lebenswirklichkeit des Beklagten ausgegangen wären, trifft entgegen der Ansicht der Kläger nicht zu. Soweit die Kläger sich gegen die Beurteilung wenden, der Beklagte habe schulisch völlig versagt, erlauben die vorgelegten Zeugnisse nach Überzeugung des Senats keine andere Bewertung. Denn der Beklagte musste wenige Wochen nach seiner Einschulung auf die Sonderschule wechseln und dort die erste wie auch die fünfte Klasse wiederholen. Selbst auf der Sonderschule erbrachte er wegen der ihm dort attestierten „schwachen geistigen Anlagen“ bzw. „geistigen Mängel“ (vgl. Jahreszeugnis 4. Jahrgangsstufe, Zwischenzeugnis 5. Schülerjahrgang, Zwischenzeugnis 6. Jahrgangsstufe, Entlassungszeugnis, Ergänzungen zum Schülerbogen, jeweils Anlagenkonvolut B 4) fast ausschließlich „ausreichende“ oder „mangelhafte“ Leistungen. Ausweislich des Jahreszeugnisses des 5. Jahres (Anlagenkonvolut B 4) schien der Beklagte damals „weiteren Lehrstoffanforderungen nicht mehr gewachsen zu sein“ und verließ die Sonderschule schließlich statt mit einem Abschlussmit einem Entlassungszeugnis. Das gleiche Bild zeigt sich in seiner Berufsschullaufbahn, wo er außer in den Fächern Religion und Fachpraxis nur mangelhafte und ungenügende Leistungen erbracht und das Bildungsziel ausdrücklich nicht erreicht hat (Schülernotenblatt und Entlassungszeugnis Berufsschule, Anlagenkonvolut B 4). Ein irgend gearteter schulischer Erfolg des Beklagten findet sich mithin ebensowenig wie die vom Privatsachverständigen behaupteten wechselhaften schulischen Leistungen. Soweit die Kläger meinen, dass diese Ergebnisse auch andere Ursachen haben könnten als mangelnde Intelligenz des Beklagten, steht dem bereits die vorstehend zitierte ausdrückliche Einschätzung der damaligen Lehrkräfte des Beklagten entgegen, die sich mit den Ergebnissen der Untersuchungen der gerichtlichen Sachverständigen deckt.
Soweit die Kläger den verzögerten Führerscheinerwerb auf eine bloße Leseschwäche zurückführen wollen, trifft dies – wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat – nicht zu. Vielmehr ist der Beklagte nach sachverständiger Beurteilung aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten schon seit dem Schulalter nicht in der Lage, sinnvoll zu lesen, d.h. den Sinn des Gelesenen zu erfassen; der Beklagte kann nur Vorgelesenes und mündlich Erklärtes erfassen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2019, S. 5, Bl. 314 ff., 320, 321).
Dass weitere Beweiserhebungen zum Ausmaß der vom Beklagten in Anspruch genommenen Hilfe Dritter erforderlich wären, um ein Urteil über die Geschäftsfähigkeit des Beklagten fällen zu können, haben die gerichtlichen Sachverständigen, die den Beklagten im Unterschied zum Privatsachverständigen persönlich kennengelernt und untersucht haben, aus sachverständiger Sicht nicht für erforderlich gehalten. Ihre Untersuchung hat ergeben, dass der Beklagte „bereits Schwierigkeiten mit einfachen Rechnungen, die seine tägliche Lebensrealität betreffen“ hat, „keinen logischen Zusammenhang zwischen den getätigten Grundstücksverkäufen, dem laufenden Rechtsstreit und der gutachterlichen Untersuchung herstellen“ kann und dies auch nicht versucht und er nicht erklären konnte, „was er bei den Verkäufen hätte berücksichtigen müssen“ (Sachverständigengutachten vom 1. Juni 2016, S. 23, Az. 3 O 5293/15). Darüber hinaus haben sie den Umgang des Beklagten mit Einflussnahmen untersucht und festgestellt, dass – wie auch sonst bei Menschen mit Minderbegabung – Ratschläge befolgt oder abgelehnt werden, allerdings eine Reflexion nicht stattfindet (vgl. Sachverständigenanhörung, Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2018, S. 5, Az. 3 O 5293/15).
Dass die gerichtlichen Sachverständigen unter gleichzeitiger Würdigung der beim Beklagten festgestellten ausgeprägten, wohl angeborenen Intelligenzminderung (Sachverständigengutachten vom 1. Juni 2016, S. 22, Az. 3 O 5293/15) und seinem schulischen Versagen deshalb zu dem eindeutigen Schluss gekommen sind, dass sich der Beklagte auch zu den gutachtensrelevanten Zeitpunkten in einem seine freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat, ist gut nachvollziehbar und überzeugend.
e) Soweit die Gegenerklärung die Würdigung der Aussage der Zeugen aus der Zeit des Abschlusses der Kaufverträge als unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung rügt, übergeht sie, dass – anders als ihre Ausführungen glauben machen – im Parallelverfahren tatsächlich eine Beweisaufnahme und eine Vernehmung dieser Zeugen stattgefunden hat. Ein „Übergehen“ eines „erheblichen Beweisangebots“ scheidet damit aus.
Dass das Landgericht die Aussage der Zeugen im Einklang mit der Bewertung dieser Angaben durch die gerichtlichen Sachverständigen anders gewürdigt hat als von den Klägern gewünscht, begründet keinen Gehörsverstoß.
f) Dass – wie die Kläger in der Gegenerklärung wiederholen – das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. N. fehlerhaft zustande gekommen sei, trifft nicht zu. Auf die Ausführungen in dem Hinweisbeschluss vom 13. Mai 2020 (Bl. 438 ff.) wird Bezug genommen. Die von den Klägern zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 25. Mai 2011, 2 StR 585/10, juris) dazu, dass ein Sachverständiger ununterbrochen bei der Exploration anwesend sein müsse, betrifft die Anforderungen an die Erstellung eines Gutachtens über die Beurteilung der Schuldfähigkeit in einem Strafverfahren. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Auch hängt die Verwertung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht vom ausdrücklichen Einverständnis der Parteien ab, § 411a ZPO.
g) Der Hinweis der Gegenerklärung auf die Einwände des Privatsachverständigen Dr. W. führt ebenfalls nicht zu einer anderen Bewertung. Wie die gerichtlichen Sachverständigen in ihrer Stellungnahme zu diesen Einwänden in der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2017 gut nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt haben, liegt entgegen der Ansicht des Privatsachverständigen tatsächlich ein homogenes Leistungsbild des Beklagten vor, da 14 der insgesamt 15 Untertests unterdurchschnittliche Ergebnisse geliefert haben und nur 1 Untertest ein durchschnittliches Ergebnis; in allen 4 Indizes des Wechsler-Tests hat sich ein gleichbleibend unterdurchschnittliches Ergebnis gezeigt. Alle angegebenen Prozentrangwerte befinden sich im unterdurchschnittlichen bzw. im weit unterdurchschnittlichen Bereich, wobei die Grenze zwischen unterdurchschnittlich und weit unterdurchschnittlich nach der unwidersprochenen Darstellung der Sachverständigen ungefähr bei 2,2% liegt (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2017, S. 5, Az. 3 O 5293/15). Dieser Würdigung tritt der Senat aus eigener Überzeugung bei.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


Ähnliche Artikel


Nach oben