Aktenzeichen X B 212/09
§ 118 Abs 2 FGO
§ 116 Abs 3 S 1 FGO
Leitsatz
NV: Die Rechtsprechung, wonach bei Differenzen zwischen dem Absendevermerk des FA einerseits und dem Poststempel andererseits dem Poststempel der Vorrang gebühre (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 18. Juli 1986 III R 216/81, BFH/NV 1987, 12), ist nicht einschlägig, wenn ein privater Postdienstleister in seinem Stempelaufdruck nicht den Tag der Einlieferung, sondern im Regelfall den Tag der Zustellung ausweist .
Verfahrensgang
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 10. November 2009, Az: 14 K 113/09, Urteil
Gründe
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Die Beschwerde ist unbegründet.
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1. Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) liegt nicht vor.
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a) Der Senat legt die ursprüngliche Beschwerdebegründung der Kläger vom 13. Januar 2010 zu deren Gunsten dahingehend aus, dass bereits mit diesem Schriftsatz im Kern nicht die –wörtlich allein geltend gemachte– “fehlerhafte Fristberechnung durch das Finanzgericht” gerügt werden sollte, sondern der Verfahrensmangel der unberechtigten Entscheidung durch ein Prozess- statt durch ein Sachurteil.
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b) Auch bei Zugrundelegung dieser Auslegung hat die Verfahrensrüge aber keinen Erfolg.
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aa) Zwar stellt es nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung einen Verfahrensmangel dar, wenn über eine zulässige Klage nicht in der Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 13. März 2003 VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, unter II.3., und vom 5. Oktober 2004 II B 140/03, BFH/NV 2005, 237, jeweils mit weiteren Nachweisen).
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Vorliegend hat das Finanzgericht (FG) die Klage jedoch zu Recht als unzulässig verworfen, da die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage (§ 47 Abs. 1 FGO) bereits abgelaufen war.
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bb) Nach den Feststellungen des FG hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) die den Klägern mit einfachem Brief übermittelte Einspruchsentscheidung tatsächlich am 17. Februar 2009 (Dienstag) einem privaten Postdienstleister (P) übergeben (vgl. § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung –AO–). Die Klage ist aber erst am 23. März 2009 (Montag) beim FG eingegangen. Ferner hat das FG festgestellt, dass P die durch ihn beförderten Postsendungen mit einem Stempel versieht, in dem nicht etwa das Datum der Übergabe der Postsendung an P, sondern der folgende Werktag, der im Regelfall zugleich den Tag der Zustellung an den Empfänger darstellt, ausgewiesen ist. Im Streitfall lautet dieser Stempelaufdruck auf den 18. Februar 2009.
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Diese Feststellungen des FG fallen zwar nicht unter die Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO, weil sie die Sachentscheidungsvoraussetzungen betreffen, die der BFH in einem künftigen Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen hätte (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980, unter II.1. vor a). Es ist jedoch auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Kläger –die mit Ausnahme des Verweises auf den Poststempel keinerlei konkrete Angaben zum Zeitpunkt der Absendung oder des Zugangs gemacht haben– angesichts der Erläuterungen des FA zu dem allgemein und im konkreten Fall praktizierten Absendeverfahren sowie der Erklärung des P zur Frage der Stempelung beförderter Postsendungen nicht ersichtlich, dass der Senat in einem künftigen Revisionsverfahren zu einer anderen Würdigung kommen könnte als derjenigen, dass die Einspruchsentscheidung das FA am 17. Februar 2009 verlassen hat.
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Danach endete die Klagefrist gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 20. März 2009 (Freitag). Sie ist durch die erst am 23. März 2009 eingegangene Klageschrift nicht gewahrt worden.
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cc) Die Kläger können sich nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung berufen, wonach bei einem Auseinanderfallen von Absendevermerk einerseits und Poststempel andererseits dem Poststempel der Vorrang gebühre (vgl. BFH-Urteile vom 9. Oktober 1962 I 313/61 U, BFHE 76, 70, BStBl III 1963, 25; vom 29. Oktober 1974 I R 37/73, BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155; vom 4. März 1977 VI R 242/74, BFHE 121, 389, BStBl II 1977, 523, und vom 18. Juli 1986 III R 216/81, BFH/NV 1987, 12). Denn sämtliche dieser Entscheidungen betrafen Postbeförderungen durch die damalige Deutsche Bundespost, bei der die Anweisung galt, Sendungen mit einem Stempelaufdruck zu versehen, der Tag und Stunde der Einlieferung bei der Postdienststelle bzw. der Stempelung ausweist (vgl. die Nachweise auf Dienstvorschriften der damaligen Deutschen Bundespost in den BFH-Urteilen in BFHE 76, 70, BStBl III 1963, 25, und in BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155). Hingegen nimmt P eine Vordatierung vor, so dass der Stempelaufdruck im Regelfall den Tag des Eingangs der Postsendung bei deren Empfänger ausweist. Ein solcher Stempelaufdruck lässt aber gerade nicht den –von den Klägern begehrten– Schluss zu, der Absender habe die Sendung dem Postunternehmen erst an dem im Stempelaufdruck ausgewiesenen Tag übergeben.
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Das von den Klägern darüber hinaus genannte BFH-Urteil vom 19. Dezember 1984 I R 7/82 (BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485) enthält von vornherein nicht den von den Klägern angeführten Rechtssatz, in Zweifelsfällen gebühre dem Poststempel der Vorrang.
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dd) Die von den Klägern geltend gemachten Vertrauensschutzgesichtspunkte sind nicht geeignet, zu einer abweichenden Berechnung der Klagefrist zu führen. Sie hätten den Klägern allenfalls Anlass zur Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bieten können. Indes haben sich die Kläger erstmals in einem am 3. August 2009 beim FG eingegangenen Schriftsatz auf den Stempelaufdruck berufen, obwohl das FG sie bereits mit Schreiben vom 16. April 2009 –unter Setzung einer zweiwöchigen Frist– auf die Vorschrift des § 56 FGO hingewiesen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO aber bereits abgelaufen.
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2. Soweit die Kläger erstmals in ihrem am 26. April 2010 eingegangenen Schriftsatz geltend machen, die Revision sei auch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, ist die Beschwerde unzulässig. Die –gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO zweimonatige– Frist zur Begründung der Beschwerde gegen das den Klägern am 21. November 2009 zugestellte Urteil des FG war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen. Nach Ablauf der Begründungsfrist können keine Zulassungsgründe mehr nachgeschoben werden (BFH-Beschluss vom 27. Januar 2006 II B 13/05, BFH/NV 2006, 1299, unter II.2. mit weiteren Nachweisen).