Aktenzeichen VII R 44/10
Leitsatz
Können wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens positive Umsatzsteuerbeträge und negative Berichtigungsbeträge (§ 16 Abs. 2 UStG) im Rahmen einer Steuerfestsetzung durch Bescheid des FA nicht mehr saldiert werden, erledigt sich der Streit um die Wirksamkeit einer hinsichtlich dieser Beträge vom FA abgegebenen Aufrechnungserklärung, sobald die Steuer für das mit Insolvenzeröffnung endende (Rumpf-)Steuerjahr berechnet werden kann und nicht ausnahmsweise von der Aufrechnungserklärung als solcher fortbestehende Rechtswirkungen ausgehen, welche die Rechte des Schuldners berühren .
Da ein über die Wirksamkeit der Aufrechnung ergangener Abrechnungsbescheid in der Regel die Feststellung enthält, dass aufgrund der Berichtigung entstehende Vergütungsbeträge oder Erstattungsbeträge nicht auszukehren sind, bleibt eine Klage gegen den Abrechnungsbescheid zulässig. Ist der Berichtigungstatbestand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten, ist der Abrechnungsbescheid aufgrund des § 16 UStG ungeachtet des § 96 Abs. 1 InsO als rechtmäßig zu bestätigen .
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 29. April 2010, Az: 9 K 1968/05, Urteil
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Verwalter in dem über das Vermögen der M-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) am 1. Januar 2002 eröffneten Insolvenzverfahren. Die Eröffnung des Verfahrens war von der Schuldnerin am 29. August 2001 beantragt und aufgrund dieses Antrags mit Beschluss vom 31. August 2001 der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden.
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Die Schuldnerin hatte 2001 Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben, die aufgrund hoher Vorsteuern in allen Monaten zu Vergütungsbeträgen führten. Mit Bescheid vom 6. November 2001 hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) gegen die Schuldnerin für August 2001 Umsatzsteuer von … DM (entspricht … €) festgesetzt. Das FA stützte sich dabei darauf, dass die in den Anmeldungen Januar bis August 2001 berücksichtigten Vorsteuern aufgrund des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zu berichtigen seien, und zwar im Schätzungswege durch einen prozentualen Abschlag. In einer Umbuchungsmitteilung vom Dezember 2001 verrechnete es diese Umsatzsteuerforderung mit den von der Schuldnerin für September bis November 2001 angemeldeten Vergütungsforderungen und durch Umbuchungsmitteilung vom Februar 2002 mit dem Vergütungsanspruch Dezember 2001. Als der Kläger hiergegen Einwendungen erhob, erließ das FA den angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 19. April 2005, in dem es feststellte, dass die vorbezeichneten Vergütungsansprüche erloschen seien.
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Einspruch und Klage hiergegen blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hält in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 855 veröffentlichten Urteil die allgemeinen Aufrechnungsvoraussetzungen für gegeben und die Aufrechnung auch nicht für nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 der Insolvenzordnung (InsO) unzulässig.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der geltend gemacht wird, entgegen der Ansicht des FG habe das FA die Aufrechnungsmöglichkeit durch eine anfechtbare Rechtshandlung, nämlich seinen Bescheid vom 6. November 2001 erlangt. Es komme nicht darauf an, ob die Uneinbringlichkeit des vereinbarten Entgelts oder die Korrektur der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage anfechtbare Rechtshandlungen seien. Denn die Anfechtung richte sich gegen die Herstellung der Aufrechnungslage und diese entstehe durch den Bescheid des FA. Änderungsbescheide schrieben sich nicht automatisch. Der Anlass für die anfechtbare Rechtshandlung und mit welcher subjektiven Zielrichtung diese vorgenommen werde, seien nach § 130 InsO nicht von Bedeutung. Da gemäß § 140 InsO für die Prüfung der Anfechtungsvoraussetzung auf den Zeitpunkt der letzten Handlung abzustellen sei, welche die anzufechtende Deckung verursacht habe, sei auch ohne Bedeutung, ob die betreffenden Forderungen gegen die Schuldnerin bereits im August ausfallgefährdet waren.
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Das FA ist der Ansicht, dass die Aufrechnungslage unmittelbar auf der Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG (a.F.) beruhe, auch wenn sich im Übrigen in einer Reihe von Willensbetätigungen Rechtshandlungen finden ließen. Das Gesetz verlange die Korrektur des Vorsteueranspruchs spätestens für den Besteuerungszeitraum, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist, im Streitfall also für den Monat August 2001. Damit sei der Vorsteuerrückforderungsanspruch vor Verfahrenseröffnung entstanden bzw. begründet. Die Aufrechnungslage sei allein kraft Gesetzes durch Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen entstanden; nur weil die Schuldnerin ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Umsatzsteuerkorrektur nicht nachgekommen sei, sei der entsprechende Anspruch durch Bescheid vom 6. November 2001 festzusetzen gewesen. Die Festsetzung von Steueransprüchen durch das Finanzamt mittels Bescheid sei keine Rechtshandlung i.S. des § 129 ff. InsO.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen (§ 126 Abs. 4 FGO). Die in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid getroffene Feststellung, dass die Umsatzsteuervergütungsansprüche September bis Dezember 2001 nicht an den Kläger auszukehren sind, ist rechtmäßig.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist der Jahressteuerbescheid vom Zeitpunkt seines Ergehens an alleinige Grundlage für die Verwirklichung des Anspruchs auf die mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstandene Steuer sowie für die Einbehaltung der als Vorauszahlung für den Veranlagungszeitraum entrichteten bzw. für die Vergütung der die positiven Umsatzsteuern übersteigenden (Vorsteuer-)Beträge. Das materielle Ergebnis der in dem Kalenderjahr positiv oder negativ entstandenen Umsatzsteuer wird für die Zukunft ausschließlich in dem Jahressteuerbescheid festgestellt. Damit erledigen sich die den Veranlagungszeitraum betreffenden Vorauszahlungsbescheide i.S. des § 124 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) auf andere Weise und verlieren ihre Wirksamkeit; deren Regelungen nimmt der Jahressteuerbescheid in sich auf (vgl. Urteil des Senats vom 15. Juni 1999 VII R 3/97, BFHE 189, 14, BStBl II 2000, 46). Entsprechendes muss für gemäß § 168 AO mit Festsetzungswirkung ausgestattete Anmeldungen gelten.
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Kann aus insolvenzverfahrensrechtlichen Gründen eine Jahressteuerfestsetzung nicht ergehen, sondern ist lediglich die Steuer zu berechnen und im Insolvenzverfahren zur Tabelle anzumelden (vgl. dazu Klein/Brockmeyer, AO, 11. Aufl., § 251 Rz 26), ändert sich daran nichts: Für das Steuerschuldverhältnis ist auch in diesem Fall die nach Maßgabe der Regelungen des UStG zu berechnende Jahressteuer maßgeblich, sobald die Jahressteuer entstanden ist und berechnet werden kann.
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Bei der Festsetzung bzw. dieser Berechnung sind nach § 16 Abs. 2 UStG die in den betreffenden Besteuerungszeitraum (hier: 2001) fallenden abziehbaren Vorsteuerbeträge abzusetzen. Kann dies nicht durch den gemäß § 218 Abs. 1 AO grundsätzlich zu erlassenden Steuerfestsetzungsbescheid geschehen, weil wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine (positive) Steuer nicht mehr festgesetzt werden kann, verwirklicht sich die in § 16 Abs. 2 UStG angeordnete Rechtsfolge also gleichsam automatisch, weil die für den Inhalt des Steuerschuldverhältnisses jetzt maßgebliche Jahressteuer nur insoweit besteht, als nicht der berechneten Steuer (§ 16 Abs. 1 UStG) abziehbare Vorsteuerbeträge gegenüberstehen.
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Die vom FA in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid entschiedene Frage, ob gegen die Vergütungsansprüche der Schuldnerin September bis Dezember 2001 mit einer Umsatzsteuerzahllast August 2001 aufgerechnet werden konnte, hat sich deshalb durch den Ablauf des Jahres 2001 erledigt. Die vom FA in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid getroffene (feststellende) Regelung hinsichtlich der angeblichen Wirksamkeit der vom FA erklärten Aufrechnung ist insoweit gegenstandslos. Die betreffenden Beträge sind in die Jahressteuer eingegangen und nach Maßgabe des § 16 UStG zu saldieren, da dem nicht insolvenzrechtliche Vorschriften entgegenstehen, insbesondere etwa –anders als das FG angenommen hat– § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, dessen entsprechende Anwendung bei der Saldierung, die keine Aufrechnung im Sinne dieser Vorschrift ist (BFH-Urteil vom 24. November 2011 V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298), jenes BFH-Urteil nicht in Betracht gezogen hat. Über die Wirksamkeit einer –wie im Streitfall– zuvor erklärten Aufrechnung durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden, wird es übrigens im Allgemeinen auch an einem Anlass fehlen, weil die Frage vom Insolvenzverwalter und der Gläubigergemeinschaft im Prüfungstermin zu erörtern und nur im Fall eines Bestreitens der vom FA angemeldeten Steuerforderung vom FA durch Bescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO zu entscheiden ist, welcher ggf. in einem daran anschließenden Rechtsbehelfsverfahren überprüft werden kann.
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Allerdings kann ungeachtet des Entstehens der Jahressteuer ein Rechtsschutzbedürfnis an der Überprüfung einer vorangegangenen Vorauszahlungsfestsetzung und diesbezüglicher im Erhebungsverfahren getroffener Maßnahmen wie einer Verrechnung solcher vorauszuzahlender Steuern bestehen (vgl. Urteil des Senats in BFHE 189, 14, BStBl II 2000, 46). Es besteht jedoch nur dann, wenn unabhängig von der Jahressteuer Rechtswirkungen einer Vorauszahlungsfestsetzung bestehen bleiben, welche diese “als solche” ausgelöst hat. Zu diesen Rechtswirkungen der Vorauszahlungsfestsetzung, die in der Vergangenheit eingetreten sind und von der späteren Festsetzung der Jahressteuer unberührt bleiben, hat die Rechtsprechung des Senats u.a. die Frage gerechnet, ob Nebenleistungen zu den Vorauszahlungen zu erheben sind und ob im Hinblick auf die Vorauszahlungen eine Aufrechnungslage –etwa im Verhältnis zu einem Zessionar– entstanden ist, die durch den Jahressteuerbescheid nicht berührt wird (Senatsbeschluss vom 22. August 1995 VII B 107/95, BFHE 178, 532, BStBl II 1995, 916). Selbstredend bleibt eine Vorauszahlungsfestsetzung auch Vollstreckungsgrundlage, solange die Jahressteuer noch nicht aufgrund einer entsprechenden Festsetzung vollstreckt werden kann.
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Im Streitfall wird indes die angeblich durch die Berichtigungsfestsetzung entstandene Aufrechnungslage dadurch gleichsam überholt, dass die aufgerechneten Forderungen bei der Jahressteuerberechnung zu saldieren sind, nachdem die Ansprüche auf Vorauszahlung von Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume des Kalenderjahres materiell-rechtlich in dem Anspruch auf die für das Kalenderjahr zu entrichtende Steuer oder in dem Überschuss (§ 18 Abs. 3 Satz 1 UStG) aufgegangen sind. Dass ungeachtet dessen von der Aufrechnung als solcher weiterhin Rechtswirkungen ausgehen, welche den Kläger bzw. die Schuldnerin in ihren Rechten verletzen könnten, ist weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.
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Wenn sich auch mithin die in dem Abrechnungsbescheid getroffene Feststellung, dass die Verrechnung der Umsatzsteuerforderung August 2001 gegen die Umsatzsteuervergütungsansprüche September, Oktober, November und Dezember 2001 wirksam ist, erledigt hat, weil von ihr nach Entstehen der Jahressteuer 2001 keine solchen Rechtswirkungen mehr ausgehen, so ist die auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit des diesbezüglichen Abrechnungsbescheides gerichtete Klage gleichwohl nicht nach dem § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO zugrunde liegenden Rechtsgedanken bzw. mangels des für jede Klage erforderlichen allgemeinen Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen (vgl. dazu näher Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 18. Aufl., § 42 Rz 58). Denn der Regelungsgehalt jenes Bescheides erschöpft sich nicht in der Feststellung, dass die auf Vorsteuerüberhängen beruhenden Umsatzsteuervergütungsansprüche der Schuldnerin September bis Dezember 2001 als durch Verrechnung mit dem gegen diese gerichteten, vom FA aufgrund Berichtigung der bislang für Januar bis August 2001 angesetzten Vorsteuerbeträge wegen Uneinbringlichkeit der betreffenden Entgelte festgesetzten Umsatzsteueranspruch August 2001 erloschen sind, sondern er entscheidet damit zugleich, dass der Kläger eine Vergütung von in diese Monate fallender Vorsteuer bzw. eine Erstattung insofern entrichteter positiver Umsatzsteuer nicht beanspruchen kann. Diese Feststellung hat auch nach Entstehen der Jahressteuer Bedeutung. Sie ist jedoch rechtmäßig und die Klage daher, wie es das FG getan hat, abzuweisen, weil der Anspruch auf Absetzung der Vorsteuerbeträge zwar möglicherweise nicht schon aufgrund Aufrechnungserklärung, wohl aber aufgrund der Saldierung gemäß § 16 Abs. 2 UStG erloschen ist, bei welcher die Rechtsprechung des BFH § 96 Abs. 1 InsO nicht beachtet (BFH-Urteil in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298). Das ist als ein bloßes Element der Begründung des angefochtenen Bescheides ungeachtet dessen zu berücksichtigen, dass sich das FA in diesem Bescheid nicht auf jene Vorschrift, sondern lediglich auf die Wirksamkeit seiner Aufrechnungserklärung berufen hat.
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Die Sache ist insofern auch spruchreif (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Wie der Senat mit Urteil VII R 29/11 vom 25.07.2012, BFHE 238, 307 entschieden hat, entsteht ein bei der Steuerberechnung bzw. -festsetzung zu berücksichtigender, mithin mit den übrigen Berechnungspositionen des betreffenden Besteuerungszeitraums (hier: 2001) zu saldierender Berichtigungsbetrag, sobald einer der Tatbestände des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird. Das hat das FA zunächst für August angenommen, ohne dass der Kläger dem substantiiert entgegengetreten ist. Das FG hat sich zu der Frage zwar nicht ausdrücklich geäußert; aus seinen Erwägungen ergibt sich jedoch sinngemäß die Feststellung, dass die Schuldnerin spätestens im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens tatsächlich zahlungsunfähig war, mithin das FA zu Recht die für Januar bis August geltend gemachten Vorsteuern noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im November um einen geschätzten Anteil berichtigt hat.