Baurecht

Baueinstellung

Aktenzeichen  M 1 S 20.2875

Datum:
17.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30382
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 lit. f, Art. 75 Abs. 1 S. 1
VwZVG Art. 21a
BauGB § 35 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Voraussetzungen unter denen nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG von einer Anhörung abgesehen werden kann,sind bei einer Baueinstellungsverfügung in der Regel erfüllt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vom Bestandsschutz der baulichen Anlage sind nur solche Instandhaltungsarbeiten gedeckt, die die Identität des wiederhergestellten mit dem ursprünglichen Bauwerk wahren. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellungsanordnung und eine Zwangsgeldandrohung.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 2130/4 Gemarkung …
Für dieses Grundstück bestehen eine Baugenehmigung vom 25. Juni 1956 für den Neubau eines Kleinviehstalles für Schweine, eine Baugenehmigung vom 11. Juni 1957 für die Errichtung eines Wochenendhauses ohne Feuerstätte sowie eine Baugenehmigung vom 27. April 1959 zum Anbau einer Kleintierstallung.
Anlässlich einer Baukontrolle am 18. Mai 2020 wurde ausweislich der vorgelegten Akten der Antragsgegnerin festgestellt, dass an dem bestehenden Gebäude umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen worden seien. Nach dem sich in den Akten befindlichen Protokoll der Baukontrolleure sei die Dacheindeckung entfernt und einzelne Sparren des Dachstuhls erneuert worden. Im Osten sei das Dach des Anbaus über das ganze Gebäude verlängert worden. Im Gebäude sei eine Mittelmauer abgebrochen und versetzt wiedererrichtet worden. An den Außenwänden hätten sich dadurch schon größere Risse gebildet. Die Bauarbeiten seien sodann mündlich eingestellt worden.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 20. Mai 2020, zugestellt am 28. Mai 2020, verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller, die Bauarbeiten zum Umbau des genehmigten Wochenendhauses mit Kleintierstallung auf dem streitgegenständlichen Grundstück ab sofort einzustellen (Nr. 1). Ferner wurde der Antragsteller verpflichtet, für das genannte Bauvorhaben innerhalb von vier Wochen nach Unanfechtbarkeit dieser Anordnung einen Bauantrag nach der tatsächlichen Bauausführung bei der Antragsgegnerin einzureichen (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbeachtung der Nr. 1 des Bescheids wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 Euro und hinsichtlich der Nummer 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR angedroht (Nr. 3). Hinsichtlich Nr. 1 des Bescheides wurde der Sofortvollzug angeordnet (Nr. 4).
Im Bescheid wird unter anderem ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung stütze sich auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Die Baueinstellung diene dem öffentlichen Interesse. Ein sofortiges Einschreiten sei erforderlich, um rechtmäßige Zustände herzustellen. Ein Hinauszögern würde vollendete Tatsachen schaffen und einen Anreiz für andere darstellen, gleichermaßen rechtswidrig zu verfahren. Den Vorschriften des Baurechts, dessen Zielsetzung sinnvoll und notwendig sei, müsse sofort Geltung verschafft werden. Weitere Verstöße gegen das Baurecht müssten im Interesse der Stärkung der Baumoral verhindert werden.
Unter dem 19. Mai 2020 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Baugenehmigung „für den Anbau eines Wintergartens und eines Windfangs an das Wohnhaus sowie eines Gartenhauses an die Garage“. Der Anbau soll ausweislich der Bauantragsunterlagen eine Grundfläche von 20,70 m² aufweisen. Ferner geht aus der Baubeschreibung zum Bauantrag hervor, dass eine Sanierung des bestehenden Baukörpers mit einer Grundfläche von 88,90 m² erfolgen solle.
Mit Schriftsatz vom … Juni 2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 16. Juni 2020, hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage (M 1 K 20.2639) gegen den Bescheid vom 20. Mai 2020 erhoben.
Zudem beantragt er in diesem Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20. Mai 2020 hinsichtlich Ziffer 1 wiederherzustellen, hinsichtlich Ziffer 3 bezogen auf die Bescheidsziffer 1 anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, bei den vorgenommenen Arbeiten handele es sich um verfahrensfreie Maßnahmen im Sinne des Art. 57 BayBO. Sollte hinsichtlich der Verlängerung des Daches formelle Illegalität vorliegen, so wäre die Baueinstellung jedenfalls hierauf zu beschränken. Im Übrigen seien die Maßnahmen ausschließlich verfahrensfrei. Bei der Verlängerung des Daches handle es sich um eine Anlage im Sinne des Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. f BayBO. Die vermeintlich tragende Innenwand sei jedenfalls nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. b BayBO verfahrensfrei. Auch materielle Illegalität liege nicht vor. Der Bescheid gehe unzutreffend davon aus, dass beabsichtigt sei, abweichend vom genehmigten Bestand eine Wohnnutzung im gesamten Gebäude zu ermöglichen. Das Wohnhaus sei, wie auch im Bauantrag aus dem Jahre 1959 bezeichnet, als Wohnhaus genutzt worden. Aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts ergebe sich, insbesondere da in den damaligen Bauantragsunterlagen als eigene Wohnanschrift die Adresse des streitgegenständlichen Grundstücks angegeben worden sei, dass eine entsprechende Genehmigung zur Wohnnutzung mit Anbau einer Kleintierstallung baurechtlich genehmigt war und ist. Mithin wäre jedenfalls eine Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB gegeben. Die Erweiterung sei im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen. Das Gebäude sei nun aufgrund des streitgegenständlichen Bescheids im Dach teilweise geöffnet, es könne nur notdürftig gesichert werden und sei der Witterung ausgesetzt. Es sei nun mit erheblichen Schäden an der Substanz zu rechnen. Ein entsprechender Bauantrag sei mittlerweile eingereicht worden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die sofortige Vollziehung sei im öffentlichen Interesse angeordnet worden. Dem Betroffenen könne hier – anders als bei der Beseitigungsanordnung – zugemutet werden, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Weitere Bauarbeiten seien lediglich bis zu einer weiteren Entscheidung zu unterlassen. Nicht vertretbare oder nicht mehr zu behebende Schaden am Gebäude seien im vorliegenden Fall nicht zu erwarten, da entsprechende Notsicherungsmaßnahmen vorgenommen werden habe können. Der Antragsteller habe zudem schon seit längerer Zeit in Kontakt mit der Antragsgegnerin gestanden. Er habe aus den Gesprächen wissen müssen, dass die Antragsgegnerin das von ihm geschilderte Bauvorhaben für unzulässig gehalten habe. Die Veränderungen sollten weit über eine übliche Sanierung hinausgehen. So habe der Antragsteller am 25. Mai 2020 den Anbau eines Wintergartens und eines Windfangs an das Wohnhaus sowie eines Gartenhauses an die Garage zusammen mit den bereits ausgeführten und eingestellten Arbeiten beantragt. Es handle sich unabhängig von der Bewertung um eine baugenehmigungspflichtige Gesamtbaumaßnahme. Mit Beschluss vom 11. Juni 1957 habe die Antragsgegnerin ein Wochenendhaus genehmigt. Mit weiteren Beschluss vom 24. April 1959 habe die Antragsgegnerin den Anbau einer Kleintierstallung genehmigt. Gegenstand der Bauausführung sei lediglich der Anbau gewesen. Eine Nutzungsänderung gehe aus den Akten nicht hervor. Bei der abgebrochenen Wand handle es sich um eine ehemalige Außenwand und somit um einen tragenden Bauteil. Dieser sei nicht von der Verfahrensfreiheit erfasst. Das Bauvorhaben sei auch bauplanungsrechtlich unzulässig, da es sich im Außenbereich befinde. Eine Teilprivilegierung sei nicht gegeben, da kein genehmigter Baubestand vorliege und, selbst wenn man diesen annehmen würde, die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude nicht angemessen sei.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 1 K 20.2639 und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Eilantrag hat keinen Erfolg.
1. Der Eilantrag ist zulässig, insbesondere statthaft. Streitgegenstand ist die mündlich verfügte Baueinstellung, die sich zusammen mit der schriftlichen Bestätigung der Baueinstellung durch Bescheid vom 20. Mai 2020 als rechtliche Einheit darstellt (zweiteiliger Verwaltungsakt; vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, 136. EL Jan. 2020, Art. 75 Rn. 28). Die in der Hauptsache erhobene Klage aufgrund des im Bescheid angeordneten Sofortvollzugs der Baueinstellung hat gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Bezüglich der kraft Gesetzes (Art. 21a VwZVG) sofort vollziehbaren Zwangsmittelandrohungen ergibt sich die Statthaftigkeit des Antrags aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
2. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist in formaler Hinsicht ausreichend begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die Anordnung des Sofortvollzugs wurde im Bescheid schriftlich begründet und das überwiegende öffentliche Interesse daran, den Bau einzustellen, überzeugend mit der Notwendigkeit einer geordneten baulichen Entwicklung und der Hintanhaltung von Gefahren, die ein ungenehmigtes Bauen mit sich bringt, dargelegt. Die gegebene Begründung geht auf den Einzelfall ein und begnügt sich gerade nicht mit nur formelhaften Ausführungen.
3. Der Eilantrag ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen bzw. wiederherstellen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung, und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
a. Dies zugrunde gelegt, spricht bei einer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafür, dass die streitgegenständliche Baueinstellung rechtmäßig ist und der Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt und dementsprechend die Hauptsache voraussichtlich erfolglos ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa. Rechtsgrundlage der Baueinstellungsverfügung in Nr. 1 des Bescheids ist Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Demnach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden.
bb. Formelle Bedenken gegen die Baueinstellungsverfügung bestehen nicht. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin den Bescheid ohne vorherige Anhörung erlassen hat. Nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG kann von einer Anhörung unter anderem dann abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Diese Voraussetzung ist bei einer Baueinstellungsverfügung in der Regel erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2017 – 1 ZB 16.2186 – juris Rn. 5; Decker in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 75 Rn. 25). Eine besondere Situation dergestalt, dass im vorliegenden Einzelfall nicht zu befürchten war, dass illegal weitergebaut wird, ist nach Aktenlage nicht anzunehmen.
cc. Die Baueinstellung ist voraussichtlich auch materiell rechtmäßig, da die Voraussetzungen einer Baueinstellung nach Art. 75 Satz 1 BayBO erfüllt sind. Nach allgemeiner Auffassung ist für eine Baueinstellung die formelle Rechtswidrigkeit ausreichend; auf die Frage der Genehmigungsfähigkeit der beanstandeten Maßnahmen kommt es daher nicht an (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.672 – juris Rn 8 f. m.w.N.).
Die Bauarbeiten sind ausweislich der Fotos der Baukontrolle noch nicht abgeschlossen. Die Arbeiten wurden auch ohne die erforderliche Baugenehmigung durchgeführt.
Die Antragsgegnerin durfte insoweit von einer Genehmigungspflichtigkeit des geplanten Vorhabens ausgehen.
Die von der Antragsgegnerin festgestellten Arbeiten überschreiten den Umfang von Instandhaltungsarbeiten (vgl. Art. 57 Abs. 6 BayBO), die nicht als Errichtung, Änderung, Abbruch oder Beseitigung anzusehen sind und deshalb auch nicht nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO eingestellt werden könnten. Unter den Begriff der Instandhaltungsarbeiten sind nur solche Maßnahmen zu fassen, die dazu dienen, die Gebrauchsfähigkeit sowie den Wert von Anlagen und Einrichtungen unter Belassung von Konstruktion und äußerer Gestalt zu erhalten, soweit sie weder Errichtung noch Änderung sind (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2012 – 1 CS 12.1489 – BayVBl. 2013, 217). Zur Instandhaltung gehört das Wiedererrichten zerstörter und schadhafter Bauteile nur dann, wenn der bisherige Zustand im Wesentlichen unverändert gelassen wird. Vom Bestandsschutz der baulichen Anlage sind somit nur solche Instandhaltungsarbeiten gedeckt, die die Identität des wiederhergestellten mit dem ursprünglichen Bauwerk wahren. Das ist nicht der Fall, wenn die Instandhaltung eine statische Nachberechnung des gesamten Bauwerks erfordert oder der mit der Instandhaltung verbundene Arbeitsaufwand den für einen Neubau erreicht oder übersteigt. Wesentliche Eingriffe in die Substanz, z.B. das Auswechseln wesentlich bestimmender Bauteile, sind keine Instandhaltung, sondern eine genehmigungspflichtige Änderung einer baulichen Anlage (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 2 ZB 14.1677 – juris Rn. 8).
Bei der Baukontrolle wurde festgestellt, dass die Dacheindeckung entfernt und einzelne Sparren des Dachstuhls erneuert wurden. Das Dach wurde im Osten nicht nur neu eingedeckt, sondern über die gesamte Wandseite verlängert. Eine Mittelmauer, die ehemals eine Außenwand darstellte, wurde vollständig abgebrochen und versetzt wiedererrichtet. Die Veränderung der Dachgestaltung des Eingangsbereichs sowie die Veränderung von Trennwänden und Decken überschreiten das Ausmaß von Instandhaltungsmaßnahmen und stellen sich als bauliche Änderungen dar (vgl. auch BayVGH, B.v. 18.2.2000 – 2 ZS 00.458 – juris Rn. 3). Die bei der Baukontrolle gefertigten Lichtbilder belegen diesen Befund.
Die vorgenommenen Umbaumaßnahmen sind auch nicht verfahrensfrei gem. Art. 57 Abs. 1 BayBO. Unter Zugrundelegung der eingereichten Planunterlagen beabsichtigt der Antragsteller die Errichtung eines Wintergartens und eines Windfangs an das bestehende Gebäude sowie ein Gartenhaus an die Garage. Ein Rückgriff auf Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO scheidet nach den eingereichten Planunterlagen aus. Der Wintergarten soll ausweislich des nachträglich eingereichten Bauplans mit dem Haus durch eine Verbindungstür verbunden werden und ist an dieses angebaut. Der Wintergarten ist somit Teil eines Gebäudes. In diesem Falle ist er baugenehmigungspflichtig, da das Gebäude, dessen Teil er ist, selbst baugenehmigungspflichtig war, da es mehr als 75 m³ Brutto-Rauminhalt umfasst. Der Wintergarten stellt somit eine bauliche Änderung eines bestehenden Gebäudes dar und bedarf einer Baugenehmigung (vgl. auch Lechner/Busse in Simon/Busse, Kommentar zur Bayerischen Bauordnung, Art. 57 Rn. 52 ff.). Da die Verfahrensfreiheit nur hinsichtlich selbständiger Einzelbauvorhaben gilt, zieht die Genehmigungspflichtigkeit des Wintergartens auch die weiteren Umbaumaßnahmen – unabhängig davon, ob sie selbst verfahrensfrei wären – mit in die Genehmigungspflicht hinein.
Selbst wenn man die bisher erfolgten Umbaumaßnahmen einzeln betrachten würde, wären diese nicht verfahrensfrei.
Die aus den bei der Baukontrolle am 18. Mai 2020 gefertigten Lichtbilder ersichtliche Verlängerung des Daches auf der Ostseite des Gebäudes, beginnend bei der Hauseingangstür bis über die gesamte Länge des Hauses, ist nicht gem. Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. f) BayBO verfahrensfrei. Zwar sind bei diesem Verfahrensfreiheitstatbestand Hauseingangsüberdachungen explizit aufgeführt und es besteht auch keine gesetzliche Flächenobergrenze. Allerdings ergibt sich bereits aus der Funktion einer Hauseingangsüberdachung, dass darunter kein Vordach subsumiert werden kann, das sich über die gesamte Außenwandlänge des Gebäudes erstreckt, selbst wenn dieses auch die Eingangstüre überdacht (vgl. Lechner/Busse in Simon/Busse, Kommentar zur BayBO, Art. 57 Rn. 375). Ebenso ist der Abbruch und die Versetzung der Mittelwand nicht verfahrensfrei gem. Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. a) BayBO. Verfahrensfrei wäre nur die Errichtung und Änderung nichttragender Bauteile. Ausweislich der bei der Baukontrolle getätigten Lichtbilder und den Baugenehmigungsakten handelte es sich bei dieser Mauer vor dem Anbau des Stalls um eine frühere Außenwand und somit um einen tragenden Bauteil. Die noch bestehenden Wände zeigen ausweislich der Lichtbilder bereits größere Risse, was ebenfalls auf eine Entfernung tragender Bauteile hinweist.
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Ermessensbetätigung der Antragsgegnerin. Das der Bauaufsichtsbehörde nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO eingeräumte Ermessen ist in dem Sinne intendiert, dass ein öffentliches Interesse daran besteht, die Fortführung unzulässiger Bauarbeiten zu verhindern, sofern nicht besondere Gründe vorliegen, die eine andere Entscheidung als die Baueinstellung rechtfertigen (vgl. Decker, in Simon/Busse, Kommentar zur BayBO, Art. 75 Rn. 83 f. m. w. N.). Solche besonderen Gründe sind hier nicht ersichtlich. Wirtschaftliche Nachteile, die mit der Baueinstellung verbunden sind, müssen in aller Regel hinter dem öffentlichen Interesse zurücktreten. Es ist Sache des Antragstellers, vor Baubeginn durch einen Bauantrag oder die Vorlage anderweitiger Unterlagen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sein Vorhaben den formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2000 – 2 ZS 00.458 – juris Rn. 6).
Das Vorhaben ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Das Vorhaben liegt ausweislich des Lageplans und der Luftbilder im bauplanungsrechtlichen Außenbereich, so dass sich die Zulässigkeit nach § 35 BauGB richtet. Ein Bebauungsplan besteht für den maßgeblichen Bereich nicht. Auch die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Innenbereichs gem. § 34 BauGB sind nicht gegeben. Das Grundstück befindet sich in keinem Ortsteil. Ein Ortsteil ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14). Das Grundstück liegt nicht innerhalb eines bebauten Bereichs. Ausweislich des Luftbildes grenzen westlich lediglich fünf Wohngebäude an. Es hat somit bereits nach der Zahl der vorhandenen Bauten kein hinreichendes Gewicht und dürfte zudem keine organisch gewachsene Siedlung sein.
Für eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 BauGB ist nichts vorgetragen. Ebenso sind die Voraussetzungen einer Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB nicht gegeben. Demnach ist die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen zulässig, wenn das Gebäude zulässigerweise errichtet worden ist, die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen ist und bei der Errichtung einer weiteren Wohnung Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird. Eine Genehmigung für ein Wohngebäude wurde ausweislich der Baugenehmigungsakten nicht erteilt, sodass folgerichtig auch keine Erweiterung möglich ist. Unter dem 25. Juni 1956 wurde die Errichtung eines Kleintierstalles für Schweine und Enten genehmigt. Ausweislich der Genehmigung ist der Bauherr darauf hingewiesen worden, dass auf dem streitgegenständlichen Grundstück kein Wohnhaus gebaut werden dürfe. Unter dem 11. Juni 1957 hat die Antragsgegnerin die Errichtung eines Wochenendhauses genehmigt. In den Bauplänen befindet sich in dem Haus ein Raum mit der Bezeichnung „Aufenthaltsraum“. Mit weiterer Genehmigung vom 24. April 1959 wurde der Anbau einer Kleintierstallung genehmigt. In den Bauplänen wurde auch der Bestand dargestellt. In diesem wurde statt der vorherigen Bezeichnung „Aufenthaltsraum“ nun ein Zimmer mit „Schlafzimmer“ und ein Zimmer mit „Küche“ bezeichnet. Gegenstand der Genehmigung vom 24. April 1959 war jedoch lediglich der Anbau an das Haus. Eine Nutzungsänderung des genehmigten Wochenendhauses zu einem dauerhaften Wohnhaus wurde weder beantragt noch genehmigt. Aus der Bezeichnung „Schlafzimmer“ kann auch nicht konkludent die Genehmigung eines Wohnhauses gefolgert werden.
Als sonstiges Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt das Vorhaben öffentliche Belange gem. § 35 Abs. 3 BauGB. Ausweislich des Vortrags der Antragsgegnerin ist das Grundstück im Flächennutzungsplan als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt, so dass eine Beeinträchtigung gem. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB vorliegt. Inwiefern weitere öffentliche Belange beeinträchtigt sind bzw. die Erschließung gesichert, kann somit vorliegend dahinstehen. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit ist nicht gegeben.
Das Gericht weist daraufhin, dass ohne Verstoß gegen die Baueinstellungsverfügung die vorhandene Baumasse sichernde und erhaltende provisorische Maßnahmen, wie z. B. solche, die die Anlage gegen Witterungseinflüsse schützen, zulässig sind (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.1995 – 2 CE 95.2851; Decker in Simon/Busse, 136. EL Januar 2020, Kommentar zur BayBO Art. 75 Rn. 104). Darunter fallen jedoch nur solche Arbeiten, die zur Erhaltung der bereits geschaffenen Substanz erforderlich sind. Ausgeschlossen sind Maßnahmen, die zu einer Verfestigung des (formell) unrechtmäßigen Zustandes führen oder vollendete Tatsachen schaffen oder die letztlich nicht ein weiteres Gebrauchmachen von der Baugenehmigung darstellen, denn es ist das Ziel der Baueinstellung nach Art. 75 Abs. 1 BayBO, die Schaffung unrechtmäßiger Zustände oder deren Verfestigung durch weitere Baumaßnahmen zu verhindern.
Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsanordnung ist gegeben. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist für die Anordnung des Sofortvollzugs ein besonderes Vollzugsinteresse erforderlich. Die Vollziehung des Verwaltungsakts muss wegen öffentlicher oder überwiegender privater Interessen besonders dringlich sein und keinen Aufschub bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dulden (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2012 – 15 CS 12.130 – juris Rn. 12). Das geltend gemachte besondere öffentliche Interesse an dem sofortigen Vollzug der Baueinstellung liegt vor. Es ergibt sich bereits daraus, dass an der Beachtung des formellen Baurechts und der Durchführung erforderlicher Genehmigungsverfahren vor der Inangriffnahme genehmigungspflichtiger Maßnahmen ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht. Diesem öffentlichen Interesse konnte nur durch sofortige Vollziehung der Baueinstellung Geltung verschafft werden, da das Bauvorhaben andernfalls trotz fehlender Baugenehmigung noch vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens fertiggestellt wäre (vgl. BayVGH München, B.v. 5.2.1996 – 1 CS 95.4163).
b. Gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids bestehen keine rechtlichen Bedenken (Art. 29, 31, 36 VwZVG). Insbesondere sind die Frist sowie die Höhe des Zwangsgeldes angemessen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG und Nrn. 9.4 und 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 2.500 EUR festgesetzt.


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