Familienrecht

Widerruf der Erlaubnis zur Kindertagespflege – Gefährdungseinschätzung

Aktenzeichen  M 18 S 20.732

Datum:
15.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10656
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
SGB VIII § 43
SGB X § 48

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20. Februar 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Februar 2020 wird wiederhergestellt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege einstweiligen Rechtschutzes gegen den sofort vollziehbaren Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Februar 2020, mit dem ihre Erlaubnis zur Kindertagespflege mit sofortiger Wirkung aufgehoben wurde.
Die 1979 geborene Antragstellerin hat vier eigene Kinder und arbeitet seit 14 Jahren als Tagesmutter.
Die Antragsgegnerin erteilte ihr zuletzt mit Bescheid vom 17. August 2017 zum 1. September 2017 bis 31. August 2022 befristet die Erlaubnis zur Kindertagespflege für vier gleichzeitig anwesende, fremde Kinder. Zur Begründung wird unter anderem ausgeführt, die Antragstellerin arbeite bereits seit vielen Jahren erfolgreich in der Kindertagespflege.
Im April 2018 nahm die Antragstellerin den am … Januar 2017 geborenen J. S. als Tagespflegekind auf.
Auf Grund von mehrfach aufgetretenen Hautrötungen, welche die Mutter von J. fotografisch festhielt, erfolgte im Juni 2019 eine Untersuchung durch eine Kinderärztin, die die Rötungen als „am ehesten Infektassoziiert, eventuell (pseudo-)allergisch bedingt, teilweise urtikariell“ (= Nesselsucht) diagnostizierte.
Am 8. November 2019 teilte die Antragstellerin dem Jugendamt der Antragsgegnerin per E-Mail mit, dass ihr vorgeworfen werde, J. geschlagen zu haben. Am Mittwoch, 30. Oktober 2019 (später korrigiert auf Montag, den 28. Oktober 2019), sei die Mutter von J., Frau S., beim Abholen der Tageskinder auf sie zugekommen und habe ihr kurz gesagt, dass J. zu Hause das Wort „verprügeln“ erwähnt habe. Frau S. habe sie gefragt, ob ihre Kinder dies zu J. gesagt hätten oder ob jemand was gemacht habe. Sie – die Antragstellerin – sei geschockt gewesen und habe Frau S. am Nachmittag ohne Beisein von Kindern angerufen. Frau S. habe das Gespräch etwas abgeblockt und gesagt, sie sei mit J. beim Arzt gewesen und warte jetzt auf die Blutergebnisse. Es „hing also im Raum“, dass die Antragstellerin J. geschlagen habe. Leider habe es dann kein weiteres Gespräch mehr gegeben. Am Montag, 4. November 2019, habe Frau S. ihren Sohn wieder zur Tagespflege gebracht. Die Stimmung sei komisch gewesen, am Nachmittag habe leider wieder kein Gespräch stattgefunden. Am Donnerstag, 7. November 2019, sei eine Nachricht gekommen, dass J. angeschlagen sei und nicht komme. Auf ihre Nachfrage, was denn los sei, habe sie erst nichts gehört und sei dann auf ein Telefonat am Wochenende oder in der nächsten Woche vertröstet worden. Am 8. November 2019 sei das Telefonat schließlich erfolgt. Frau S. habe gemeint, die Geschichte sei doch anders gewesen. J. habe ihr gesagt: „P. [Vorname der Antragstellerin] hat gesagt: soll ich dich verprügeln, dann hat sie mich verprügelt und dann war‘s wieder gut.“ Angeblich habe J. auch eine komische Stelle am Bein gehabt. Die Antragstellerin sei sprachlos gewesen. Aufgrund dieser Aussage sei eine weitere Betreuung nicht möglich. Sie habe sogleich eine Kündigung geschrieben und der Familie in den Briefkasten geworfen. Am Nachmittag habe Frau S. erneut angerufen, sie habe selbst kündigen wollen und der Antragstellerin mit einer Anzeige gedroht. Das Telefonat habe nicht gut geendet. J. sei in den letzten Wochen wirklich nicht mehr gerne gekommen, er habe geweint, sich gewehrt und kaum mit anderen Kindern gespielt. Immer wenn sie Frau S. darauf angesprochen habe, habe sie es abgetan und auf einen Entwicklungsschub oder eine Phase geschoben. Sie habe Frau S. auch ein Gespräch mit dem Jugendamt angeboten. Sie denke, dass J. eine Erkrankung wie Asperger oder ähnliches habe.
Ausweislich eines Aktenvermerks der Antragsgegnerin über einen Anruf der Antragstellerin am 11. November 2019 habe diese die Eltern ihrer anderen drei Tagespflegekinder über den ihr gegenüber geäußerten Verdacht informiert. Die Eltern hätten ihr ihr vollstes Vertrauen ausgesprochen und den Wunsch geäußert, sie möge die Kinder weiter betreuen.
Am 20. November 2019 fand ein Gespräch zwischen Vertretern der Antragsgegnerin und den Eltern von J. statt. Laut dem hierüber gefertigten Aktenvermerk informierte Frau S. über den Ablauf der Geschehnisse, die sie im Handy dokumentiert gehabt habe. Am 31. Oktober 2019 habe ihr Sohn ihr gegenüber geäußert, dass die Antragstellerin ihn verprügelt habe („Meli hat gesagt: Soll ich dich verprügeln, dann hat sie mich verprügelt und dann war es wieder gut“). Am Montag, 4. November 2019, habe sie ihren Sohn zur Antragstellerin gebracht. J. habe sich bei der Übergabe sehr gewehrt, er habe weglaufen wollen. Er habe am Oberschenkel Flecken gehabt, die er auch in den Monaten zuvor schon fünf bis sechs Mal gehabt habe. Sie habe an diesem Tag schon kurz die Antragstellerin über die Äußerung ihres Sohnes informiert. Am Dienstag, 5. November 2019, habe J. beim Abholen panisch und verschreckt gewirkt. Der 10-jährige Sohn der Antragstellerin habe kurz auf ihn aufgepasst. Am selben Tag habe sie einen Arzttermin mit J. gehabt. Am 6. November 2019 habe sie J. wieder zur Antragstellerin gebracht. Ihre Kinderärztin habe ihr telefonisch mitgeteilt, dass die Blutwerte in Ordnung seien, ihr aber empfohlen, J. nicht mehr zur Tagesmutter zu bringen. Am 7. November 2019 habe sie J. krankgemeldet. Grundsätzlich habe J., obwohl er schon seit 1 ½ Jahren bei der Tagesmutter sei, immer mehr oder weniger Probleme bei der Übergabe gehabt, in letzter Zeit wieder mehr. Sie seien grundsätzlich zufrieden mit der Betreuung bei der Antragstellerin gewesen. Es wäre schlimm für sie, wenn sie durch die Äußerungen ihres Sohnes, die evtl. nicht stimmten, in Schwierigkeiten geriete. Die Antragstellerin habe davon berichtet, dass J. bei ihr manchmal apathisch wirke und nicht an den Angeboten teilnehmen wolle. Frau S. habe sich bei ihrer Entscheidung auch mit einer befreundeten Sprachtherapeutin beraten. Vor einer endgültigen Entscheidung habe sie sich aber auch ausführlich mit ihrem Mann besprechen wollen, der beruflich bedingt nicht in München gewesen sei. Die Flecken, die J. vorwiegend am Oberschenkel und Gesicht gehabt habe, seien in folgenden Zeiträumen aufgetreten: Oktober 2018, Dezember 2018, Mai 2019, Juni 2019 und November 2019. Frau S. habe Fotos von den betroffenen Stellen gezeigt. Es habe sich eher um „rote Stellen“ gehandelt. Beide Eltern hätten bestätigt, dass J. für sein Alter über gute sprachliche Kompetenzen verfüge. Er habe offensichtlich sehr bedauert, dass das Betreuungsverhältnis von zwei anderen Kindern im Sommer beendet worden sei. Aktuell seien eher jüngere Kinder bei der Tagesmutter, mit denen er evtl. nicht so viel spielen könne. Beide Eltern hätten betont, dass sie keine Erklärung für die Äußerung ihres Sohnes hätten. Grundsätzlich sei das Verhältnis zur Antragstellerin unbelastet gewesen. Die weitere Betreuung sei für sie nicht einfach. Die Oma mütterlicherseits springe derzeit ein, sei aber chronisch krank. In der sozialpädagogischen Einschätzung des Jugendamts ist u.a. festgehalten, J. sei eventuell in der magischen Phase, während der in der kindlichen Vorstellung alles möglich sei. Es sei nicht eindeutig geklärt, was wirklich passiert sei.
Ergänzend übergaben die Eltern dem Jugendamt der Antragsgegnerin die ärztliche Stellungnahme der Kinderärztin Dr. med. B. vom 10. November 2019. Danach sei J. seit seiner Säuglingszeit dort in kinderärztlicher Betreuung. Frau S. habe J. das erste Mal im Juni 2019 in der Praxis mit Hauterscheinungen präsentiert, die damals am ehesten angemutet hätten als Infektassoziiert, eventuell (pseudo-)allergisch bedingt, teilweise urtikariell, teilweise jedoch nicht aus dem Hautniveau erhaben, rötliche Streifen, die zuvor schon gemäß der Beschreibung der Mutter ausschließlich in Zeiten aufgetreten seien, in denen J. in Fremdbetreuung bei der Tagesmutter gewesen sei. Weiter heißt es: „Seitdem gemäß Foto-Dokumentation der Mutter und Angaben uns gegenüber Wiederauftreten sehr ähnlicher Erscheinungen ausschließlich im Bereich der Extremitäten und des Gesichts/Kopfes beziehungsweise Halses“ circa fünf bis sechs Mal in acht bis neun Monaten. Drei Ereignisse, hiervon eines mit deutlichen Verletzungen im Gesicht (hierfür sei laut der Kindsmutter von der Tagesmutter als Erklärung ein Unfall beim Spielen angegeben worden), seien per Foto bereits ab Juni 2018 dokumentiert worden. „Jeweils unterschiedliche Ausmaße, gesehen haben wir diese Erscheinungen am Kind dann das zweite Mal in der Praxis am 5. November 2019“. Aufgrund der Beschreibungen der Mutter bezüglich des zeitlichen Verlaufs des Auftretens, der Abwesenheit einer plausiblen medizinischen Erklärung für diese Symptome sowie der Tatsache, dass J. jüngst am 31. Oktober 2019 „als dreijähriges Kind“ mehrfach und ohne jeglichen Kontext von körperlicher Züchtigung („verprügeln“) gesprochen habe, lasse sich aus ärztlicher Sicht die körperliche und seelische Misshandlung des Kindes nicht ausschließen.
Gemäß einem Aktenvermerk fand am 27. November 2019 ein Gespräch zwischen dem Jugendamt und der Antragstellerin statt. Die Antragstellerin habe hinsichtlich des von J. verwendeten Begriffs „Verprügeln“ die Vermutung geäußert, dass J. dieses Wort im Freundes- oder Bekanntenkreis seiner Eltern oder auf dem Spielplatz aufgeschnappt habe. Zur Situation der Antragstellerin wird ausgeführt, als alleinerziehende Mutter von vier Söhnen achte sie darauf, dass sie nach deren Schul- und Kindergartenschluss Zeit für sie habe. Die Tagespflegekinder betreue sie daher von Montag bis Donnerstag von 8.00 bis 14.45 Uhr. Ihre eigenen Kinder hätten zu den Tagespflegekindern eher wenig Kontakt. Ihre beiden ältesten Söhne hielten sich nach der Schule in ihren Zimmern auf. Ihr 11-jähriger Sohn sei bis 17.00 Uhr in einer Tagesbetreuung und ihr 5-jähriger Sohn besuche bis 15.00 Uhr den Kindergarten. Im 14-tägigen Wechsel hielten sich die Kinder bei ihrem Vater auf, von dem sie seit zwei Jahren getrennt lebe. Das Verhältnis zu ihm sei gut. Sie fühle sich mit Familie und Tagespflege nicht gestresst. Zum Verhalten von J. gab die Antragstellerin an, es handle sich um ein zartes, dünnes Kind mit blasser, fast transparenter Haut und weißblonden Haaren. In seinem Verhalten zeige es sich zurückhaltend, abwartend und ängstlich. Er beobachte gern und wenn er spiele, dann eher mit der Antragstellerin oder für sich. Seine Eingewöhnung sei weniger für J. als für dessen Mutter schwierig gewesen. Diese richte stets ihr Augenmerk auf J. und dessen Verhalten. Frau S. habe angegeben, sehr um J.s Wohl besorgt zu sein. Wegen seiner empfindlichen Haut hätten die Eltern gebeten, J. auch im Sommer immer langärmlige Kleidung tragen zu lassen. In der 1 ½-jährigen Betreuung seien ihr zweimal rote Flecken an J.s Bein aufgefallen, die sie den Eltern gezeigt habe. Nach Angaben der Eltern habe die ärztliche Abklärung ergeben, dass J. an einer Art Nesselsucht leiden könnte. Einmal sei J. mit dem Gesicht auf Bauklötze gefallen und habe sich blaue Flecken zugezogen. Dies habe sie sofort mit dem Handy fotografiert und den Eltern mitgeteilt. Etwa dreimal in diesem Jahr habe Frau S. sie auf Flecken bei J. aufmerksam gemacht, zuletzt am 8. November 2019. Sie habe die Hauterscheinungen immer auf die empfindliche Haut des Kindes zurückgeführt. Ihr sei nie in den Sinn gekommen, dass die Eltern sie des Schlagens verdächtigten. J. könne sich sprachlich bereits gut verständlich in Mehrwortsätzen ausdrücken. Ihr sei aufgefallen, dass er in seinen Erzählungen Erlebtes mit Fantasie vermische. Beim Abholen habe Frau S. berichtet, J. habe einen imaginären Freund, von dem er fantasievoll erzähle. Veränderungen in J.s Verhalten seien ihr nach dem Sommerurlaub aufgefallen. J. habe sich beim Bringen bei seiner Mutter bzw. Vater festgeklammert und geweint. Sie habe Frau S. mehrfach darauf angesprochen. Die 42-jährige Mutter habe beruflich oft unter Stress gestanden. Es könne sein, dass J. wegen des Weggangs zweier Tageskinder traurig gewesen sei und mit den jüngeren Kindern wenig habe anfangen können.
In dem Aktenvermerk wird unter dem Punkt „sozialpädagogische Einschätzung“ ausgeführt, auch nach dem Gespräch mit der Antragstellerin könne letztlich nicht geklärt werden, was wirklich passiert sei. Die Antragstellerin sei seit 2006 erfolgreich und engagiert in der Kindertagespflege tätig. Vorfälle oder Meldungen wie beschrieben seien in dieser Zeit nicht vorgekommen. Gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung hätten sich nicht ergeben. Einer Fortführung der Tagespflege und Aufnahme eines neuen Tageskindes stehe nichts entgegen.
Am 7. Januar 2020 teilten J.s Eltern dem Jugendamt der Antragsgegnerin per E-Mail mit, dass sie alle Fotos von J.s. Verletzungen, die im Anschluss an Betreuungstage bei der Antragstellerin aufgetaucht seien, befreundeten Kinderärzten in der Schweiz zugeschickt hätten. Nach deren Einschätzung sei auf dem Foto vom 4. November 2019 ein Handabdruck zu sehen, wohl herrührend von einem heftigen Hieb mit der flachen Hand. Das Foto sei am ersten Betreuungstag nach den Prügelvorwürfen ihres Sohnes entstanden, von denen die Antragstellerin an diesem Betreuungstag noch nichts gewusst habe nach einer aufreibenden morgendlichen Abgabesituation. Laut der als Anhang beigefügten E-Mail der Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin Dr. med. A. und M. P. vom 3. Januar 2020 „ist das definitiv keine Urticaria und typisch für Prellungen/Hiebe/Schläge“. Der E-Mail vom 7. Januar 2020 waren als Anlagen Fotos vom 11. Oktober 2018, 11. Dezember 2018, 9. Mai „2019“, und 4. November 2019 (jeweils Oberschenkel) sowie vom 4. Juni 2019 (Gesicht) beigefügt.
Daraufhin wurde von der Antragsgegnerin im Zeitraum 8. bis 23. Januar 2020 eine weitere Gefährdungsabklärung vorgenommen. Laut einem hierüber angefertigten Aktenvermerk der Antragsgegnerin wurden die ihr übersandten Fotos an „die“ Rechtsmedizin übermittelt, die am 10. Januar 2020 telefonisch als Ergebnis „massive Gewalteinwirkung“ mitgeteilt habe.
Am 13. Januar 2020 fand erneut ein Gespräch von Vertretern des Jugendamts mit der Antragstellerin, am 14. Januar 2020 mit den Kindseltern und am 15. bzw. 16. Januar 2020 mit den Eltern der übrigen vier Tagespflegekinder statt.
Ausweislich des hierüber angefertigten Aktenvermerks kam die Antragstellerin der Empfehlung des Jugendamts, die Betreuung der Tageskinder vorerst ruhen zu lassen, sofort nach und informierte hierüber die Eltern der übrigen Tageskinder noch am Freitag, 10. Januar 2020. Diese hätten ihr weiterhin ihr Vertrauen ausgesprochen. Zu J.s Eingewöhnung und Verhalten habe die Antragstellerin ausgeführt, sie habe Frau S. als überfürsorgliche und überängstliche Mutter wahrgenommen. Mit der Zeit sei sie gelassener geworden. Beim Bringen sei es J. und seiner Mutter schwergefallen, sich zu trennen. J. habe viel geweint, sich hierbei an Mutter oder Vater festgekrallt. Nach den Sommerferien 2019 habe J. wieder verstärkt bei der Verabschiedung geweint. Sie habe Frau S. ein gemeinsames Gespräch mit dem Jugendamt vorgeschlagen, was diese abgelehnt habe. Die Antragstellerin habe J. als Kind kennengelernt, das wenig Kontakt zu den anderen Tageskindern gesucht habe und eher allein spielen habe wollen. Er habe sich häufig nur kurz von einem Spiel oder Buch fesseln lassen. Auffallend sei seine innere Unruhe gewesen, die sich durch sein Hin- und Herlaufen im Flur ausgedrückt habe. J. habe wenig Körperkontakt zugelassen. Der von der Antragstellerin als sprachlich gut entwickelt beschriebene Junge habe gerne das Gespräch mit ihr oder auf dem Spielplatz mit Erwachsenen gesucht. Beim Erzählen sei er oft im Kreis gegangen, habe Fantasie mit Wirklichem vermischt. Den Tageskindern gegenüber habe J. nie aggressives Verhalten gezeigt. Wenn er mal hingefallen sei oder sich verletzt habe, habe er kaum geweint. Die Tageskinder hätten J. in seiner Art gelassen, hätten sich ihm gegenüber und auch untereinander nicht aggressiv verhalten. Auch ihr gegenüber habe J. nie aggressiv reagiert. Sie habe ihn gut steuern können. Beim Wickeln, das sie auf einer Wickelauflage am Boden vornehme, habe J. sich immer so positioniert, dass er sich mit dem Kopf zu ihr hingelegt habe und nicht wie alle anderen Tageskinder mit den Beinen. Sie habe ihn entweder gebeten, sich entsprechend hinzulegen oder ihn gedreht. Fest angefasst habe sie ihn hierbei nie. Das Essverhalten J.s habe ihr ebenfalls Sorge bereitet. Er habe meist wenig zu Mittag gegessen, viermal sei es vorgekommen, dass er das Essen erbrochen habe. Auf die Frage, woher bei J. der Ausdruck „prügeln“ kommen könnte, gab die Antragstellerin an, wiederholt überlegt zu haben. Ihre Söhne befänden sich während der Kindertagespflege in der Schule bzw. im Kindergarten. Bei vorzeitigem Schulschluss sei es ab und an zu Kontakten gekommen. Ihr sei nie aufgefallen, dass es zu Konflikten mit den Tageskindern gekommen sei. 2009 habe sie ein Gespräch mit dem Jugendamt geführt, weil ihr ältester Sohn damals aggressives Verhalten im Kindergarten gezeigt habe. Nach einem Kindergartenwechsel habe es keine Verhaltensprobleme mehr gegeben. Zum Thema Erkrankungen bzw. Verletzungen bei J. habe die Antragstellerin angegeben, sie glaube, im Oktober 2018 erstmals beim Wickeln rote Streifen auf J.s Oberschenkeln gesehen zu haben, 2019 auch Hautrötungen, von denen sie Fotos gemacht habe, die sie den Eltern geschickt habe. Frau S. habe gefragt, ob diese evtl. vom Heizkörper stammen könnten, was sie ausgeschlossen habe. Ab und zu habe sie bei J. blaue Flecken an den Beinen gesehen. An anderen Körperstellen sei ihr nichts aufgefallen. Frau S. habe ein zweites Mal Hautrötungen festgestellt und nach Vorstellung J.s beim Kinderarzt mitgeteilt, J. leide an Urtikaria. Am Dienstag, 29. Oktober 2019 habe ihr Frau S. mitgeteilt, dass J. sich am Wochenende beim Sturz aus dem Bett einen blauen Fleck hinter dem Ohr zugezogen habe. Das Verhältnis zu J.s Eltern habe die Antragstellerin als herzlich, den täglichen Austausch als freundlich beschrieben. Über J.s Verhalten habe sie sich viele Gedanken gemacht und oftmals das Gespräch mit den Eltern gesucht. Bis auf das unerfreuliche, sehr emotionale Telefonat am 8. November 2019 sei es zu keinen Konflikten mit den Eltern gekommen.
Über das Gespräch des Jugendamts mit J.s Eltern am 14. Januar 2020 ist in dessen Aktenvermerk festgehalten, diese hätten auf die Mitteilung, dass die Rechtsmedizin von einer Gewalteinwirkung ausgehe, sehr betroffen reagiert. J. zeige nach Beendigung der Betreuung durch die Antragstellerin keine besonderen Auffälligkeiten. Zu den Ereignissen im Herbst 2019 seien folgende Angaben gemacht worden: Am Wochenende 26./27 Oktober 2019 sei J. aus dem Bett gefallen und habe sich einen blauen Fleck hinter dem Ohr zugezogen, der sich ausgebreitet habe. Frau S. habe hierüber die Tagesmutter am Dienstag, 29. Oktober 2019, informiert, die das Hämatom nicht bemerkt habe. Am Donnerstag, 31. Oktober 2019, habe keine Betreuung stattgefunden, weil ein Kind der Antragstellerin erkrankt sei. J. habe beim Abendessen von sich aus geäußert, dass er geschlagen worden sei („Meli hat gesagt: Soll ich dich verprügeln, dann hat sie mich verprügelt und dann war es wieder gut“). Frau S. habe nachgefragt, wo sie ihn schlagen würde. J. habe an mehrere Körperstellen gezeigt. Abends habe er sich ungefragt beim Einschlafen erneut gegenüber seinem Vater geäußert. Danach habe er sich nie wieder in dieser Hinsicht geäußert. An den Tagen, an denen Fotos aufgenommen worden seien, habe es keine Äußerungen des Kindes gegeben, dass es geschlagen worden sei. Die Kindsmutter habe eingeräumt, im Zeitraum vom 4. bis 7. November 2019 ein Gespräch abgeblockt zu haben, um sich insbesondere mit ihrem Mann besprechen zu können. Zur Beschreibung von J. durch seine Eltern ist in dem Aktenvermerk festgehalten, laut der Kindsmutter sei J. ein normales Kind, das gut, aber nicht außergewöhnlich gut spreche. Die Beschreibung der Antragstellerin, J. wirke apathisch und spiele nicht, habe sie nie beobachtet. Auf dem Spielplatz gehe er nicht auf andere Kinder zu. Wenn ihm etwas weggenommen werde, wehre er sich nicht. Er klage nie, weine selten, auch wenn er sich wehtue. Er sei kein aggressives Kind. Sie wickle auf der Waschmaschine, J. lege sich hin, es gebe keine Probleme. Ihre Beziehung zur Antragstellerin sei gut. Die Antragstellerin sei als freundlich und kompetent erlebt worden. Schwierige Übergabesituationen nach den Sommerferien hätten die Eltern auf die 4-wöchige Betreuungspause und familiäre Ereignisse (Tod der Oma väterlicherseits, große Geburtstagsfeier des Vaters) zurückgeführt. Der Kindsmutter habe die Antragstellerin manchmal leidgetan, weil J. sich so gesträubt habe. Sie sei von der Antragstellerin nie darauf angesprochen worden, dass J. eine kurze Aufmerksamkeitsspanne habe, wenig mit anderen Kindern spiele. Auch ein gemeinsames Gespräch mit dem Jugendamt sei nie vorgeschlagen worden. Zu den Hautrötungen vom 11. Oktober 2018 hätten die Eltern angegeben, sie hätten vermutet, J. habe evtl. zu nah am Heizkörper gelegen. Sie seien von Hautirritationen ausgegangen. Hinsichtlich der Erscheinungen im Gesicht am 4. Juni 2019 seien sie nach der Abklärung durch die Kinderärztin (Nesselsucht) beruhigt gewesen. Bezüglich der Rötungen vom 4. November 2019 gingen sie inzwischen davon aus, dass ihr Sohn geschlagen worden sei. Derzeit werde J. an den Tagen, an denen beide Eltern arbeiten, von den Großeltern betreut.
Am 14. Januar 2020 übersandten die Kindseltern der Antragsgegnerin per E-Mail weitere Fotos vom 7. Juni 2018 (Gesicht), 3. Juni 2019 (Oberschenkel) und 28. Oktober 2019 (Hinterkopf bzw. Ohr). Auf den Fotos seien die Verletzungen dokumentiert, die vom Unfall mit dem Kaufladen bzw. dem Bettsturz am 26. Oktober 2019 herrührten. Die Fotos vom 3. Juni 2019 habe ihnen die Antragstellerin am Abend des 3. Juni 2019 zukommen lassen. Am 4. Juni 2019 habe J. dann die bereits dokumentierten Flecken im Gesicht gehabt, am 6. Juni 2019 hätten sie die beruhigende Diagnose der Kinderärztin erhalten.
Laut Aktenvermerk des Antragsgegners über die am 15./16. Januar 2020 mit den Eltern der anderen von der Antragstellerin bis Januar 2020 betreuten Tageskinder geführten Gespräche gaben diese im Wesentlichen übereinstimmend an, sie hätten die Antragstellerin als eine Tagesmutter erlebt, die auf offene und klare Kommunikation Wert gelegt habe. So habe es beim Bringen und Abholen der Kinder stets eine kurze Rückmeldung gegeben. Bei der Eingewöhnung sei sie auf die Bedürfnisse der Kinder ruhig und liebevoll eingegangen und habe auf einen schnellen Abschied Wert gelegt, wenn die Kinder geweint hätten. Gleichzeitig habe sie auch die anderen Kinder gut im Blick gehabt. Sie hätten nie eine Situation erlebt, in der die Antragstellerin gestresst oder angespannt gewirkt habe. Sie seien durch die Antragstellerin sofort über den Verdacht, dass sie J. geschlagen haben soll, informiert worden, zunächst am 8. November 2019 und erneut am 10. Januar 2020. Zum Verhalten von J. finden sich im Wesentlichen übereinstimmend die Aussagen, er wirke auf sie eher schüchtern und ängstlich. Bei der Verabschiedung habe er öfters geweint und habe sich nicht trennen wollen, insbesondere nach den Sommerferien 2019. Aggressives Verhalten oder Streit mit den anderen Tageskindern hätten sie nie bemerkt. Beim Abholen habe J. oft bei der Tagesmutter gestanden und nicht den Eindruck erweckt, dringend auf seine Abholung gewartet zu haben. Die Söhne der Tagesmutter seien zu den Betreuungszeiten eher selten anwesend.
In den Akten findet sich zudem ein von den Eltern der von der Antragstellerin bis dahin betreuten vier Tagespflegekinder unterzeichnetes Schreiben an das Jugendamt vom 12. Januar 2020, in dem diese ihren Wunsch äußern, dass die Betreuung ihrer Kinder durch die Antragstellerin baldmöglichst fortgesetzt werde. Aus persönlichen Gesprächen mit beiden Seiten seien ihnen beide Sichtweisen bekannt. Sie seien davon überzeugt, dass ihre Kinder bei der Antragstellerin gut aufgehoben seien.
Unter dem 21. Januar 2020 ist in dem Aktenvermerk ein Gespräch u.a. mit den für die Antragstellerin zuständigen Mitarbeiterinnen festgehalten. Darin heißt es, die Eingewöhnung von J. sei schwierig gewesen, habe sich auf zwölf Termine von Juli bis Oktober 2018 erstreckt. Die Termine seien hauptsächlich von dem Vater wahrgenommen worden, zu dem J. eine sehr intensive Beziehung habe. Wenn er geweint habe, habe er sich auf den Arm nehmen lassen. Er habe still geweint, habe nie laut geschrien. Er sei kein „Kuschelkind“. J. sei ein sehr sensibles, schüchternes Kind, kein Kind, das sich beschwere. Besonders mit A., die im Herbst in den Kindergarten gekommen sei, habe er gern gespielt. Er sei ein sehr blasses Kind mit häufigen Infekten. Er sei öfters gestolpert. Insgesamt sei er eher vorsichtig. Er beobachte und registriere sehr viel. Weder beim Essen noch Schlafen habe es Probleme gegeben. Er esse eher wenig. Sie hätten nie rote Stellen wahrgenommen. Die Mutter habe auch nie danach gefragt. Insgesamt sei es eine harmonische Gruppe. Kein Kind in der Gruppe falle durch Schlagen, Beißen oder Hauen auf.
In dem Aktenvermerk des Jugendamts wird weiter festgehalten, dass die Rechtsmedizin telefonisch am 22. Januar 2020 wie schon am 10. Januar 2020 mitgeteilt habe, dass es sich um Gewalteinwirkung handle. Eine Blutverdrängung sei deutlich erkennbar, Spuren dieser Ausprägung könnten auch mehrere Stunden und am Folgetag noch sichtbar sein. In einer Telefonnotiz über das mit der Rechtsmedizin geführte Gespräch vom 22. Januar 2020 wird u.a. ausgeführt, ein Gutachten aufgrund der Fotos sei möglich und koste zwischen 300 und 600 EUR.
Unter „Gefährdungsbewertung“ wird in dem Aktenvermerk u.a. festgehalten, in Überforderungssituationen könne eine Überreaktion durch die Tagesmutter oder die Eltern, vorrangig die Mutter als Hauptbetreuungsperson, erfolgt sein. Ein rechtsmedizinisches Gutachten könnte die Frage nach der Ursache klären („Gewalteinwirkung […] oder gibt es noch andere Ursachen (Hautirritationen bei einem sehr blassen, hellhäutigen Kind)?“). Zur Äußerung J.s wird unter anderem ausgeführt, evtl. setze er Unwohlsein in der Gruppe bzw. Äußerung der Antragstellerin, nicht so viel Zeit für ihn zu haben, in einen anderen Zusammenhang (magisches Denken). Evtl. zeige er Hautrötungen, weil er gestresst/belastet sei. Eine weitere Gefährdungsabklärung sei notwendig.
Mit Schreiben vom 28. Januar 2020 teilte die Antragsgegnerin den Sachverhalt an die Staatsanwaltschaft München I mit. In den Gesprächen mit allen Beteiligten habe nicht geklärt werden können, wie und durch wen das Kind körperliche Gewalteinwirkung erfahren habe.
Mit Bescheid vom 5. Februar 2020 hob die Antragsgegnerin nach vorheriger Anhörung den Bescheid vom 17. August 2017 mit sofortiger Wirkung auf (Ziffer 1 des Bescheides) und untersagte der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung, ein Kind oder eine Jugendliche/einen Jugendlichen in ihrer Familie regelmäßig zu betreuen oder ihr/ihm Unterkunft zu gewähren (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziffer 3). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, zwischenzeitlich sei ein Gutachten bei der Gerichtsmedizin in Auftrag gegeben worden. Das Ergebnis sei in Kürze zu erwarten. Die Erlaubnis zur Kindertagespflege sei aufzuheben gewesen, da sich die tatsächlichen Verhältnisse, die beim Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen hätten, im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X wesentlich geändert hätten. Die Eignung der Antragstellerin zur Kindertagespflege könne aufgrund des Verdachts einer möglicherweise von ihr ausgeübten Gewalteinwirkung jedenfalls für die Dauer des Ermittlungsverfahrens bezüglich der Verletzungen ihres Tageskindes J. S. nicht mehr angenommen werden. Nach Würdigung der Gesamtsituation könne nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass die Tätigkeit der Antragstellerin dem Anspruch auf gewaltfreie Erziehung genüge. Das Jugendamt sei nicht an die im Strafrecht geltende Unschuldsvermutung gebunden. Vielmehr sei auch zukünftig das Kindeswohl sicherzustellen („in dubio pro infante“). Allein die Aufhebung der Erlaubnis könne sicherstellen, dass jede auch nur in Betracht kommende Gefährdungslage durch die Betreuung ausgeschlossen werde. Die Vermeidung einer Gefahrenlage sei auch nicht durch ein milderes Mittel, wie etwa durch Auflagen in Form von engmaschigen Überprüfungen der Betreuungssituation möglich. Es sei auch nicht außer Acht gelassen worden, dass durch den Entzug der Tagespflegeerlaubnis ein erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit der Tagespflegeperson erfolgte. Auch sei berücksichtigt worden, dass es zwar konkrete Hinweise für Gewaltanwendung gebe, aber auch noch andere Personen, die Kontakt mit dem Kind hatten, hierfür in Frage kämen. Die konkreten Verdachtsmomente schlügen aber bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter insoweit durch, als im Hinblick auf das höherwertige Kindeswohl schon bei begründeten Zweifeln an der Eignung die Erlaubnis widerrufen werden müsse. Daher sei die Aufhebung der Pflegeerlaubnis aufgrund des bestehenden Verdachts und der Aussage des Tagesbetreuungskindes das einzige und (nach erfolgloser Ermittlung) auch letzte Mittel, um das vorrangig zu behandelnde Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit der Tagespflegekinder sicher zu gewährleisten.
Rechtsgrundlage für die Untersagung der Pflegetätigkeit im erlaubnisfreien Umgang sei Art. 40 i.V.m. Art. 35 AGSG. Der Antragstellerin werde in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens auch die Tätigkeit als Betreuungsperson im Sinne von Art. 40 AGSG untersagt. Es müsse in gleicher Weise sichergestellt werden, dass auch Kinder oder Jugendliche im erlaubnisfreien Bereich nicht gefährdet werden.
Die Anordnung des Sofortvollzugs wurde damit begründet, dass das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung überwiege. Sollten die vorgebrachten Anschuldigungen zutreffen, könne angesichts der Gefährdungslage eine fortlaufende Kindertagesbetreuung durch die Antragstellerin nicht verantwortet werden. Ansonsten stünde zu besorgen, dass Schädigungen an Gesundheit, Leib und Leben der übrigen Tagespflegekinder auftreten. Nur so könne eine Kindeswohlgefährdung mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen werden.
Im weiteren Verlauf zeigte die Bevollmächtigte der Antragstellerin deren Vertretung an und beantragte Akteneinsicht, insbesondere die Weiterleitung der per E-Mail übersandten Fotos in Farbe. Zudem beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung, die mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 19. Februar 2020 abgelehnt wurde.
Mit Schriftsatz vom 19. Februar 2020, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 20. Februar 2020, ließ die Antragstellerin Klage erheben und beantragen, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Februar 2020 aufzuheben und festzustellen, dass die Aufhebung der Kindertagespflegeerlaubnis gemäß § 43 SGB VIII rechtswidrig war (M 18 K 20.731). Mit weiterem Schriftsatz vom selben Tag beantragte sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin habe vier eigene Kinder, lebe in Scheidung und ausschließlich von den Einkünften aus der Tagespflege. J. habe – wie der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin sowie von Frau E., einer Mutter eines anderen Tagespflegekinds zu entnehmen sei – mehrfach detailreich Dinge erzählt, die gar nicht geschehen seien. Die Antragsgegnerin habe hierzu festgehalten, dass sich J. in einer „magischen Phase“ befunden habe. Im Juni 2019 habe die Antragstellerin die Eltern selbst auf eine Verletzung ihres Kindes hingewiesen. An einen Unfall im Sommer 2018 im Zusammenhang mit dem Kaufladen erinnere sich die Antragstellerin nicht. Auffallend sei, dass die in der ärztlichen Stellungnahme vom 10. November 2019 erwähnte Verletzung im Gesicht nicht näher beschrieben sei, die Ärztin sie wohl gar nicht gesehen habe. Erinnerlich sei der Antragstellerin hingegen, dass der hellhäutige J. selbst bei kleinster Berührung, bei jeder Aufregung oder Infekten Rötungen aufwies. Auffällig an der Äußerung des Kindes vom 31. Oktober 2019 sei, dass J. die Antragstellerin immer bei ihrem Vornamen und nicht „Meli“ genannt habe. Alle anderen Kinder würden sie „Mela“ und nicht „Meli“ nennen. Wann das Verprügeln stattgefunden haben soll und weshalb, sei immer noch unklar. Bei der Antragstellerin sei aufgrund der Telefonate und des weiteren Verlaufs der Eindruck entstanden, dass J.s Eltern erst aus Zorn und Enttäuschung über die „schnellere“ Kündigung der Antragstellerin auf den Vorwurf der Gewaltanwendung pochten. Die Eltern der anderen Tagespflegekinder seien vollumfänglich informiert worden und sähen – wie die beigefügten eidesstattlichen Versicherungen zeigten – die Vorwürfe als unglaubwürdig an. Trotz der umfassenden Prüfung durch das Jugendamt sei eine zweifelsfreie Feststellung, dass eine Gewalteinwirkung stattgefunden habe und diese der Antragstellerin zuzuordnen sei, nicht erfolgt. Entlastend habe die Antragsgegnerin insbesondere festgestellt, dass die behandelnde Kinderärztin die zeitnah begutachteten Hautrötungen am Oberschenkel im Juni 2019 als Ausdruck einer Hauterkrankung diagnostiziert habe, das Kind bereits nach Aussage seiner Eltern manchmal juckende Haut und infektbedingte Hautauschläge gehabt habe und Gewalt, soweit überhaupt erfolgt, auch von anderen Personen ausgehen könnte. Zwar sei ein rechtsmedizinisches Gutachten in Auftrag gegeben worden, dies liege aber noch nicht vor. Selbst wenn zweifelsfrei eine Gewalteinwirkung vorliege, sei damit immer noch nicht zweifelsfrei geklärt, wo, wann und durch wen diese erfolgt sei. Fragwürdig und für die Antragstellerin entlastend sei insbesondere, dass die Eltern so lange Hautrötungen fotografiert, aber nie auf eine zeitnahe Aufklärung hingewirkt hätten, und das von der Antragstellerin angebotene gemeinsame Gespräch mit dem Jugendamt verweigert und das Angebot verleugnet hätten. Die Rötungen im Gesicht und den Oberschenkeln könnten auch vom Schlafen auf einer Decke herrühren, die erhabene Rillen aufweise. Solche Rötungen hätten auch andere Kinder gehabt. Zudem habe die Mutter mehrfach nicht korrekte Angaben gemacht bzw. solche verschwiegen. So verneine sie, von der Antragstellerin auf auffälliges Verhalten ihres Sohnes angesprochen worden zu sein. J. sei am 5. November 2019 bei der Abholung auch nicht vom Sohn der Antragstellerin beaufsichtigt worden. Dieser sei um diese Zeit noch gar nicht zu Hause gewesen. Am 6. November 2019 habe das Kind bei der Übergabe stark geweint, es sei zur Treppe vor der Wohnung gelaufen. Mutter und Kind hätten sich auf den Boden gesetzt, geweint und sich umklammert. Die Antragstellerin habe die Mutter gebeten, ihr Kind wieder mitzunehmen, diese habe jedoch auf der Betreuung bestanden. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheids. Ein „in dubio pro infante“ bei nicht klarer Tatsachenlage sei gesetzlich gerade nicht vorgesehen. Die Nichteignung zur Kindertagespflege sei objektiv und positiv festzustellen und durch konkret nachweisbare Tatsachen zu begründen. Bloße Zweifel oder Mutmaßungen reichten nicht. Objektive Tatsachen seien vorliegend nicht gegeben. Die Antragsgegnerin stütze sich lediglich auf Vermutungen. Objektiv erwiesene Tatsachen, welche erstens zweifelsfrei eine Gewalteinwirkung erkennen ließen und zweitens zweifelsfrei auf ein klar erkennbares Fehlverhalten der Antragstellerin schließen ließen, lägen nicht vor. Daher werde auch die Untersagung keinen Bestand haben, an die noch strengere Anforderungen zu stellen seien. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei nicht hinreichend begründet worden. Das betroffene Kind sei abgezogen worden, alle anderen Eltern wünschten eine Fortsetzung der Betreuung. Die Tragweite der Entscheidung für das Leben der Antragstellerin und ihrer Kinder sei nicht miteinbezogen worden. Bereits im November 2019 hätten alle Fotos und relevanten Aussagen vorgelegen. Warum die Situation nun im Februar 2020 so brisant sei, werde nicht dargelegt. Die Antragstellerin sei bereit, Maßnahmen zur Überwachung ihrer Tätigkeit zur Sicherstellung des Kindeswohls wie z.B. Anwesenheit einer Kontrollperson, digitale Überwachung o.ä. mitzutragen. Die Eltern stünden einer solchen Maßnahme ebenfalls offen gegenüber.
Mit Schriftsatz vom 3. März 2020 beantragte die Antragsgegnerin,
den Antrag abzulehnen,
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Grundlage der Entscheidung seien die übersandten Fotos, die Aussage des Kindes J. und die bislang lediglich telefonische Einschätzung der Rechtsmedizin gewesen, wonach es sich um die Folgen von Gewalteinwirkung handle. Auch nachdem umfangreiche Gespräche mit allen Beteiligten geführt worden seien, könne eine Gefährdung der von der Antragstellerin betreuten Kinder nicht ausgeschlossen werden. Mildere Maßnahmen seien nicht ersichtlich, insbesondere eine „Überwachung“ mittels einer Kontrollperson sei weder praktikabel noch zumutbar. Eine derartige Doppelfinanzierung sei auch mit den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit nicht vereinbar. Eine digitale Überwachung könne den Schutz der Kinder nicht gleichermaßen sicherstellen. Diese könne nur der Dokumentation, nicht jedoch der präventiven Sicherung des Kindeswohls dienen. Die von der Antragstellerin betreuten Kinder könnten derzeit in einer Ersatzbetreuung betreut werden und hätten teilweise schon Angebote anderer Kinderbetreuungspersonen erhalten.
Am 13. Mai 2020 teilte die Antragsgegnerin per E-Mail mit, dass nach telefonischer Rücksprache mit dem Institut für Rechtsmedizin das angeforderte Gutachten inzwischen zwar erstellt, aber noch nicht abschließend korrigiert sei. Es komme zu dem Ergebnis, dass es Anzeichen für Gewalteinwirkung gebe, aber anhand der vorliegenden Daten keine Zuordnung zu einem Verursacher möglich sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte im Eil- und Klageverfahren und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die grundsätzlich nach § 80 Abs. 1 VwGO bestehende aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten – wie im vorliegenden Fall – besonders anordnet. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessensabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze war dem Antrag stattzugeben, weil der Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Februar 2020 voraussichtlich rechtwidrig und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Antragsgegnerin war weder zur Aufhebung der mit Bescheid vom 17. August 2017 erteilten Erlaubnis zur Tagespflege (Nr. 1 des Bescheids) noch zur Untersagung der Betreuung von Kindern bzw. Jugendlichen (Nr. 2) berechtigt.
1. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Erlaubnis zur Tagespflege kommt vorliegend allein § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Betracht, auf den die Antragsgegnerin ihren Bescheid auch ausdrücklich gestützt hat. Denn für einen Widerruf nach § 47 Abs. 1 SGB X fehlt es an dem erforderlichen Vorbehalt im Erlaubnisbescheid vom 17. August 2017. Zudem würde es für eine Anwendung von § 47 SGB X auch an der erforderlichen Ermessensausübung fehlen (vgl. auch BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 12).
Die Voraussetzungen für die Aufhebung des Bescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen nach der erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung nicht vor.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Erlaubnis zur Kindertagespflege gemäß § 43 Abs. 1 SGB VIII ist eine solche Erlaubnis mit Dauerwirkung (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Nach § 43 Abs. 1 SGB VIII bedarf eine Person, die ein Kind oder mehrere Kinder außerhalb des Haushalts des Erziehungsberechtigten während eines Teils des Tages und mehr als fünf Stunden wöchentlich gegen Entgelt länger als drei Monate betreuen will, der Erlaubnis. Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn die Person für die Kindertagespflege geeignet ist. Geeignet in diesem Sinne sind Personen, die sich durch ihre Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft mit Erziehungsberechtigten und anderen Tagespflegepersonen auszeichnen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII) und über kindgerechte Räumlichkeiten verfügen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII). Sie sollen zudem über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der Anforderungen der Tagespflege verfügen, die sie in qualifizierten Lehrgängen erworben oder in anderer Weise nachgewiesen haben (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII). Der Begriff der Eignung der Tagespflegeperson ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der vollen gerichtlichen Prüfung unterliegt (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Danach gehören zu den erforderlichen charakterlichen Eigenschaften einer Pflegeperson, die diese befähigen, die in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII normierten Ziele der Tagespflege erfüllen zu können, eine ausreichende psychische Belastbarkeit und Zuverlässigkeit, um in der Bewältigung auch unerwarteter Situationen flexibel reagieren zu können, sowie ausreichendes Verantwortungsbewusstsein und hinreichende emotionale Stabilität, damit das Kind und seine Rechte unter allen Umständen geachtet werden. Ferner muss eine geeignete Tagespflegeperson ihr Handeln begründen und reflektieren können und fähig zum konstruktiven Umgang mit Konflikten und Kritik sein (BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Diesen Anforderungen muss eine Tagesmutter insbesondere auch im Hinblick auf den vom Kindeswohl umfassten Anspruch auf gewaltfreie Erziehung (siehe § 1631 Abs. 2 BGB) genügen (OVG NW, B.v. 2.9.2008 – 12 B 1224/08 – juris, Rn. 19; BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 18). In Tagespflege aufgenommene Kinder dürfen keinen vermeidbaren, für ihre Entwicklung schädlichen Risiken oder Gefährdungen ausgesetzt werden. Die persönliche Eignung für die Kindertagespflege fehlt, wenn ein festgestellter Mangel an persönlicher Integrität und Zuverlässigkeit negative Auswirkungen von nicht unerheblichem Gewicht auf die betreuten Kinder hinreichend konkret befürchten lässt und die Pflegeperson nicht bereit oder in der Lage ist, die daraus resultierende Gefährdung abzuwenden (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 18 m.w.N.).
Ist die Erlaubnis zur Kindertagespflege allerdings einmal erteilt, so ist die Hürde für den Entzug entsprechend hoch, weil bei Erteilung der Erlaubnis die Eignung ausdrücklich festgestellt wurde. Eine Aufhebung ist – sofern ein Widerruf nicht ausdrücklich im Erlaubnisbescheid vorbehalten wurde, was vorliegend nicht der Fall ist – nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X möglich. Zudem muss der Entzug der Erlaubnis zur Kindertagespflege im Lichte des damit verbundenen erheblichen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) stets das letzte Mittel bleiben. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist deshalb zunächst zu prüfen, ob nicht andere (etwa Beratungs- und Unterstützungs-) Maßnahmen oder die Erteilung nachträglicher Auflagen analog § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ausreichen, um der befürchteten Gefahrenlage wirksam zu begegnen. In jedem Fall muss die Nichteignung positiv feststehen und durch konkret nachweisbare Tatsachen begründet werden. Bloße Zweifel genügen nicht (stRspr., vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 19f. m.w.N.).
Daran vermag auch die Berufung auf das Kindeswohl bzw. den Grundsatz „in dubio pro infante“ (vgl. dazu VG München, U.v. 2.5.2012 – M 18 K 11.1341 – juris Rn. 35; Nonninger in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 43 Rn. 14) im Ergebnis nichts zu ändern. Der Gesetzgeber hat zwar das Kindeswohl, das – ebenso wie die Berufsfreiheit – verfassungsrechtlich geschützt ist, in § 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII und § 8a SGB VIII als besonders schutzwürdig hervorgehoben. Das Kindeswohl entbindet das Jugendamt gleichwohl nicht von der Obliegenheit, bei Zweifeln an der Eignung der Tagesmutter den Sachverhalt durch eigene Ermittlungen so weit wie möglich zu klären und auf der Grundlage von Tatsachen zu einer – positiven oder negativen – Einschätzung ihrer Eignung zu gelangen. Ob abweichend davon geringere Anforderungen an die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung zu stellen sind, wenn es um den Verdacht eines sexuellen Missbrauchs und dessen schwerwiegenden Folgen für das betroffene Kind geht (vgl. etwa VG Würzburg, U.v. 22.3.2012 – W 3 K 11.463 – juris Rn. 26), braucht hier nicht entschieden zu werden; denn ein solcher Verdacht steht hier nicht im Raum.
Hiervon ausgehend kann bei summarischer Prüfung nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin in dem oben dargestellten Sinn ungeeignet ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit der Aufhebung ist dabei nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung; eine evidente Wiederherstellung der Zuverlässigkeit der Pflegeperson während eines laufenden Gerichtsverfahrens sei indes gleichwohl zu beachten (BayVGH, B.v. 18.10.2012 – 12 B 12.1048 – juris Rn. 35; kritisch hierzu VG München, B.v. 22.3.2018 – M 18 S 18.847 – juris Rn. 57). Da sich die Sachlage seit Erlass des Bescheides jedenfalls nicht wesentlich verändert hat, bedarf hier die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts keiner endgültigen Klärung.
Die Nichteignung muss – wie dargelegt – positiv feststehen; bloße Zweifel allein genügen nicht. Vorliegend genügen die aktenkundigen Umstände nicht, um von einem Mangel in der Person der Antragstellerin auszugehen.
Selbst unter der Annahme, dass wohl tatsächlich eine Gewaltanwendung bei dem Tagespflegekind J. vorgelegen haben dürfte, fehlen derzeit belastbare Tatsachen dazu, dass diese Gewaltanwendung tatsächlich von der Antragstellerin ausgegangen ist.
Die Mutter des (einzig) betroffenen Kindes hat über einen Zeitraum von knapp 1 ½ Jahren aufgetretene Hautrötungen durch Fotos dokumentiert. Ein Teil dieser Fotos – vermutlich die nach den Angaben der Eltern am 11. Oktober 2018, 11. Dezember 2018, 9. Mai 2019, 4. Juni 2019 und 4. November 2019 aufgenommenen – wurden mit den Eltern befreundeten Kinderärzten in der Schweiz sowie dem Institut für Rechtsmedizin vorgelegt, die jeweils zu dem Ergebnis kamen, es handle sich um (massive) Gewalteinwirkung. Zudem wurde J. sowohl am 6. Juni 2019 als auch am 5. November 2019 seinen ihn seit seiner Geburt behandelnden Kinderärzten vorgestellt. Letztere kamen jedoch ausweislich der Stellungnahme vom 10. November 2019 zu dem Ergebnis, dass die im Juni 2019 festgestellten Hauterscheinungen (rötliche Streifen) damals am ehesten angemutet hätten „als Infektassoziiert, eventuell (pseudo-)allergisch bedingt, teilweise urtikariell, teilweise jedoch nicht aus dem Hautniveau erhaben“. Auch die am 5. November 2019 festgestellten Hauterscheinungen – welcher Art diese genau waren, lässt sich der Stellungnahme nicht entnehmen – wurden jedenfalls nicht eindeutig auf Gewaltanwendung zurückgeführt. Vielmehr heißt es hierzu, angesichts der Angaben der Mutter, der Abwesenheit einer plausiblen medizinischen Erklärung und der Äußerung des Kindes, es sei „verprügelt“ worden, sei eine körperliche und seelische Misshandlung „nicht auszuschließen“. Insbesondere bei der von der Antragsgegnerin in zwei Aktenvermerken festgehaltenen telefonischen Aussage des Instituts für Rechtsmedizin handelt es sich jedoch um gewichtige Indizien für eine Gewaltanwendung gegenüber dem Kind, wobei allerdings eine lediglich in einem Aktenvermerk festgehaltene mündliche Äußerung wohl aus formalen Gründen nicht ausreichen dürfte, um den Nachweis einer Gewaltanwendung zu führen. Darüber hinaus lässt sich weder den Aussagen der Schweizer Kinderärzte noch des Instituts für Rechtsmedizin entnehmen, ob der Umstand, dass es sich offenbar um ein sehr hellhäutiges Kind handelt, bei dem ausweislich der Stellungnahme der das Kind seit Jahren behandelnden Kinderärzte zunächst eine allergie- oder infektbedingte Ursache der Hautrötungen in Betracht gezogen wurde, berücksichtigt worden ist.
Selbst bei Wahrunterstellung – also selbst für den Fall, dass eine Gewaltanwendung durch das noch ausstehende Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin eindeutig bestätigt würde – lässt sich der Umstand der Gewaltanwendung gegenüber dem Kind jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit gerade der Antragstellerin zuordnen.
Zwar sollen die von den Eltern aufgenommenen Fotos an Tagen aufgenommen worden sein, an denen das Kind bei der Antragstellerin betreut worden ist. Jedenfalls für den 4. November 2019 ist dies auch unstreitig. Aus den vorgelegten Behördenakten lässt sich jedoch nicht entnehmen, zu welcher Uhrzeit die Fotos entstanden sind, insbesondere ob die Fotos unmittelbar im Anschluss an die Abholung aus der Betreuung oder erst am späteren Nachmittag oder Abend aufgenommen wurden. Eine entsprechende Anfrage der Antragsgegnerin an die Eltern des Kindes blieb insoweit wohl auch unbeantwortet.
Auch die behauptete Äußerung des betroffenen Kindes genügt allein nicht, um die – als wahr unterstellte – Gewaltanwendung mit hinreichender Sicherheit der Antragstellerin zuzuordnen. Zwar hat J. nach den Angaben seiner Eltern am 31. Oktober 2019 zweimal ohne erkennbaren äußeren Anlass geäußert, von der Antragstellerin geschlagen worden zu sein. Der damals ca. 2,9 Jahre alte J. verfügte nach übereinstimmenden Angaben seiner Eltern und der Antragstellerin über gute sprachliche Fähigkeiten. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Äußerung des Kindes, das sich nach Angaben des Jugendamts in einer „magischen Phase“ befunden haben könnte und auch in anderem Zusammenhang nach Angaben der Antragstellerin sowie der Mutter eines weiteren Tagespflegekinds, Frau E., von Dingen berichtet habe, die nur in seiner Vorstellung existierten (insbesondere von einem imaginären Freund), nicht der Realität entspricht. Dahingestellt bleiben kann, ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn der Äußerung des Kindes genauer zu entnehmen wäre, wo und aus welchem Anlass es geschlagen worden sein soll. Ausweislich des Aktenvermerks der Antragsgegnerin hat das Kind auf die Frage seiner Eltern, wo es geschlagen worden sei, auf mehrere Körperstellen gezeigt. Ob es sich dabei um das Gesicht und/oder die Beine, an denen die Hautrötungen dokumentiert wurde, handelt, ist in dem Aktenvermerk nicht widergegeben. Im Übrigen hegt das Gericht Zweifel, dass im Fall einer tatsächlichen Gewaltanwendung die Beschreibung durch das Kind tatsächlich in dieser „Bericht-“Form und ohne weitere emotionale Regungen und Beschreibungen geäußert worden wäre.
Auch aus dem aktenkundigen Verhalten der Antragstellerin bzw. der Kindseltern im Zusammenhang mit den von diesen erhobenen Vorwürfen lässt sich Gewaltanwendung selbst für den Fall ihrer Wahrunterstellung weder der Antragstellerin noch einer anderen Person mit der erforderlichen Gewissheit zuordnen. Die Antragstellerin hat noch am selben Tag, an dem sie erstmals konkret verdächtigt wurde, J. geschlagen zu haben – am Freitag, 8. November 2019 – per E-Mail das Jugendamt informiert. Zwischen den Beteiligten dürfte auch unstreitig sein, dass sich die Antragstellerin schon nach Aufkommen des ersten Verdachts am Montag, 4. November 2019, um eine Klärung mit der Kindsmutter bemüht und mehrfach das Gespräch mit dieser gesucht hat. Diese hat selbst eingeräumt, das Gespräch mit der Tagesmutter zunächst abgeblockt zu haben, um sich zunächst mit ihrem auf einer Dienstreise befindlichen Ehemann besprechen zu können. Auch mit den Eltern der anderen Tagespflegekinder hat die Antragstellerin nach übereinstimmenden Angaben einen offenen Umgang gepflegt und diese zeitnah und von sich aus über die gegen sie erhobenen Vorwürfe informiert. Auch über die von der Antragsgegnerin erneut aufgenommenen Ermittlungen im Januar 2020 informierte die Antragstellerin die übrigen Eltern noch am selben Tag. Den Vorschlag des Jugendamts, sich krank zu melden, hielt die Antragstellerin nicht für stimmig, sondern zog es im Sinne der Transparenz vor, die Eltern der zum diesem Zeitpunkt noch betreuten Tagespflegekinder über die Situation in Kenntnis zu setzen. Diese sprachen noch am 12. Januar 2020 schriftlich ihr Vertrauen gegenüber der Antragstellerin aus.
Auf der anderen Seite finden sich in den Akten auch Anhaltspunkte, die eine Gewaltanwendung durch die Antragstellerin jedenfalls nicht als völlig abwegig erscheinen lassen. So gestaltete sich die morgendliche Übergabesituation sowohl nach den Angaben der Kindsmutter als auch der Antragstellerin häufig als schwierig. Auch das Wickeln des Kindes könnte eine besondere Stresssituation dargestellt haben, nachdem sich das Kind bei der Tagesmutter – nach deren eigenen Angaben – häufig verkehrt herum hingelegt hat und „gewendet“ werden musste. Die Antragstellerin könnte durch diese Verhaltensweisen des Kindes einer besonderen Stresssituation ausgesetzt gewesen sein, die eine Gewaltanwendung begünstigt haben könnte. Zudem könnte die Antragstellerin auch durch ihre Trennung von ihrem Ehemann psychisch belastet gewesen sein. Letztlich handelt es sich dabei aber um bloße Vermutungen, die ebenso wenig wie die möglicherweise durch Beruf und Familie bestehende besondere Belastung der Kindesmutter für sich allein genügen können, um von einer Gewaltanwendung gegenüber dem Kind auszugehen. Im Übrigen scheint auch eine Gewaltanwendung durch Dritte nicht völlig ausgeschlossen. Zu Gunsten der Antragstellerin fällt aber vor allem ins Gewicht, dass diese bereits seit 14 Jahren beanstandungsfrei als Tagesmutter tätig ist und die Eltern der übrigen von ihr betreuten Tagespflegekinder übereinstimmend schon im Januar 2020 bestätigt und im gerichtlichen Verfahren auch eidesstattlich versichert haben, ihre Kinder bei ihr in besten Händen zu wissen und die Betreuung ihrer Kinder in Kenntnis der gegen die Antragstellerin erhobenen Vorwürfe fortsetzen zu wollen. Ins Gewicht fällt hierbei auch der Umstand, dass ein Teil der Eltern, die der Antragstellerin ihr Vertrauen aussprechen, auch mit den betroffenen Kindseltern seit längerem bekannt sind und ihnen daher auch deren Sichtweise durchaus – wenn auch nicht im Detail – bekannt ist. Gleichwohl sind die Eltern der übrigen Tagespflegekinder bei ihrer Einschätzung bzw. dem gewonnen positiven Eindruck von der Antragstellerin geblieben.
In der Gesamtschau aller für und gegen die Antragstellerin sprechenden Umstände lässt sich jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass die nach Aussage der Schweizer Kinderärzte sowie des Instituts für Rechtsmedizin erfolgte Gewaltanwendung der Antragstellerin anzulasten ist. Dass der Antragstellerin die erforderliche Eignung fehlt, ist somit nicht positiv festgestellt, sondern – nicht mehr, aber auch nicht weniger – lediglich zweifelhaft. Dies ist für die Entziehung der Erlaubnis der Tagespflege, wie oben dargelegt, auch unter dem hochrangigen Gesichtspunkt des Kindeswohls nicht ausreichend.
Auch eine Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro infante“ kann – unabhängig von der Frage, ob es einen solchen tatsächlich gibt – vorliegend nicht erfolgen. Denn eine solche „Beweislastregelung“ kann allenfalls für den Fall gelten, dass trotz umfassender Aufklärung letzte Zweifel bestehen. Eine solche umfassende Aufklärung ist vorliegend jedoch bisher durch die Antragsgegnerin nicht erfolgt. So ist weder die Gewaltanwendung noch die zeitliche Einordnung der Fotos hinreichend aufgeklärt, trotz Möglichkeit hierzu.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 1 des Bescheids vom 5. Februar 2020 war daher wiederherzustellen.
2. Rechtswidrig ist nach summarischer Prüfung auch die Untersagung in Nr. 2 des Bescheids, die auf Art. 40 des (Bayerischen) Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) gestützt wurde.
Nach dieser Vorschrift kann das Jugendamt einer ungeeigneten Person, die nach § 43 Abs. 1 SGB VIII oder § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII keiner Erlaubnis bedarf, untersagen, ein Kind oder einen Jugendlichen bzw. eine Jugendliche in ihrer Familie regelmäßig zu betreuen oder ihm oder ihr Unterkunft zu gewähren. Das Gleiche gilt nach dessen Satz 2, wenn eine Pflegeerlaubnis wegen eines Versagungsgrundes nach Art. 35 AGSG verweigert werden müsste. Eine Konkurrenz zum SGB VIII besteht nicht, denn die Vorschrift regelt die Betreuung unterhalb der Eingriffsschwelle des § 43 SGB VIII, also für Fälle, in denen es keiner Erlaubnis nach dem SGB VIII bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2010 – 12 BV 09.2400 – juris Rn. 26). Eine Untersagung gemäß Art. 40 AGSG hätte zur Folge, dass der Antragstellerin auch die unentgeltliche Aufnahme oder Betreuung eines oder mehrerer Kinder von Verwandten oder Freunden untersagt wäre. Fehlt es – wie oben dargelegt – schon an den Voraussetzungen für die Aufhebung der Tagespflegeerlaubnis – so gilt dies „erst recht“ für den noch weiterreichenden Eingriff in Form der Untersagung der (erlaubnisfreien) Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen.
Auch hinsichtlich Nr. 2 des Bescheids war daher die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
3. Soweit die Antragstellerin darüber hinaus die mangelhafte Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs rügt, teilt das Gericht diese Zweifel nicht.
Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat.
Dem genügt die Begründung auf Seite 5 des Bescheids. Die Antragsgegnerin hat (noch) hinreichend einzelfallbezogen dargelegt, warum sie dem im öffentlichen Interesse liegenden Schutz des Kindeswohls den Vorrang vor den privaten Interessen der Antragstellerin einräumt. Ob die Begründung inhaltlich richtig ist, insbesondere ob die Antragsgegnerin der Antragstellerin zu Recht die Eignung für die Kindertagespflege abgesprochen hat, ist keine Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs, sondern – wie erfolgt – bei der summarischen Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu überprüfen. Der Umstand allein, dass die Antragsgegnerin offensichtlich selbst nicht von einem Nachweis, sondern von einem bloßen Verdacht der Gewaltanwendung durch die Antragstellerin ausgeht („Sollten die vorgebrachten Anschuldigungen betreffend das betreute Kind zutreffen…“), steht der Annahme einer ausreichenden Begründung daher nicht entgegen. Im Übrigen fallen im vorliegenden Fall, in dem die Antragsgegnerin präventiv zur Gefahrenabwehr tätig wird, das Interesse am Erlass des Bescheides mit dem an der sofortigen Vollziehung des Bescheids ausnahmsweise zusammen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).


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