Verwaltungsrecht

Keine Abschiebungsverbot nach Afghanistan

Aktenzeichen  13a ZB 19.31767

Datum:
29.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14585
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige ist angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 2 K 17.35270 2018-11-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. November 2018 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Zur Begründung seines Zulassungsantrag hat der Kläger vorgebracht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Es sei zu klären, „ob die bisherige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, nach der die Lage in Afghanistan für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige auch ohne familiäres oder soziales Netz nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre, nach der UNHCR Richtlinie in der Fassung vom 30.08.2018 und nach dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur aktuellen Sicherheitslage vom 12.09.2018 noch haltbar ist oder ob nicht vielmehr die UNHCR-Richtlinien in der Fassung vom 30.08.2018 und der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur aktuellen Sicherheitslage vom 12.09.2018 zur Auffassung führen müssten, dass grundsätzlich nicht mehr davon auszugehen ist, dass alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige ohne familiäres oder soziales Netzwerk eine Situation vorfinden, die keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellt, so dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob in der Person des Rückkehrenden ein Ausnahmefall vorliegt, der es rechtfertigen würde, ausnahmsweise anzunehmen, dass der Rückkehrende mit hinreichender Sicherheit in der Lage sein wird, seine Existenzgrundlage zu sichern, so dass kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vorliegt und ein Abschiebungsverbot ausnahmsweise nicht vorliegt.“ Im Gegensatz zu den Richtlinien des Jahres 2016 komme der UNHCR im Jahr 2018 nunmehr zu dem Ergebnis, dass Rückkehrmöglichkeiten allenfalls in einer Ausnahmesituation gegeben sein könnten. Die Annahme, dass die allgemeine Versorgungslage keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstelle, bzw. die Feststellung, dass die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige Staatsangehörige nicht so ernst sei, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstelle, sei nicht mehr tragfähig.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 13a ZB 19.30070 – juris Rn. 5; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 4; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit das Vorbringen im Zulassungsantrag den Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG gerecht wird. Denn die vom Kläger im Zulassungsantrag im Kern aufgeworfene Frage, ob sich die Lage in Afghanistan derart darstellt, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzunehmen wäre, ist jedenfalls nicht klärungsbedürftig: Es ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris Rn. 31 ff., 57 ff.; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33359 – juris Rn. 17 ff.; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33508 – juris Rn. 18 ff.; in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. auch BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 14 ff.; B.v. 17.1.2020 – 13a ZB 20.30107 – juris Rn. 13 ff.). Auf ein stützendes Netzwerk in Afghanistan oder einen vorherigen Aufenthalt im Heimatland kommt es nicht an; ausreichend ist vielmehr, dass eine Verständigung in einer der Landessprachen möglich ist (BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris Rn. 32; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33359 – juris Rn. 17, 25; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33508 – juris Rn. 19, 27). Soweit der Kläger auf einige Erkenntnismittel verweist, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof in den oben genannten Urteilen vom 14. November 2019 (13a B 19.31153, 13a B 19.33359 und 19.33508 – juris) explizit mit den aktuellen Erkenntnismitteln wie etwa dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 2. September 2019, dem UNAMA-Bericht vom 17. Oktober 2019, den EASO-Berichten vom 1. Juni 2019, dem Länderinformationsblatt Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Juni 2018 mit Einfügungen vom 4. Juni 2019, den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 und dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2019 auseinandergesetzt und diese bei seiner Bewertung der Sicherheitslage und der humanitären Lage berücksichtigt hat.
Auch aus den UNAMA-Berichten vom 22. Februar 2020 (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2019) und 27. April 2020 (UNAMA, Afghanistan First Quarter Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 31 March 2020) ergibt sich kein erneuter Überprüfungsbedarf: Die zivilen Opferzahlen für das ganze Jahr 2019 sind laut dem Bericht vom 22. Februar 2020 im Vergleich zum Vorjahr 2018 um 5 v.H. zurückgegangen und befinden sich auf dem niedrigsten Stand seit 2013. Im ersten Quartal 2020 (UNAMA-Bericht v. 27.4.2020) sind die zivilen Opferzahlen mit insgesamt 1.293 Getöteten und Verletzten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar um 29 v.H. zurückgegangen und haben den niedrigsten Stand für ein erstes Quartal seit 2012 erreicht. Bei einer proportionalen Hochrechnung dieser Opferzahlen für 2020 insgesamt (5.172 zivile Opfer) und einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Menschen ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:5.220. Dieses Risiko bleibt deutlich unter 1:800 und damit unverändert weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 f.).
Sollte der Kläger vorliegend auch und gerade rügen, dass das Verwaltungsgericht in seinem Fall zu Unrecht die Voraussetzungen eines Schutzstatus verneint habe, ist darauf hinzuweisen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils keinen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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