Sozialrecht

Rückwirkende Befreiung einer Syndikusanwältin von der Rentenversicherungspflicht für die Zeiten vor dem 1. April 2014

Aktenzeichen  L 14 R 717/18

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 44514
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 231 Abs. 4b
SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Die Tatbestandvoraussetzungen, dass „einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden”, die erfüllt sein müssen, damit eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusanwalt für die Zeiten vor dem 1. April 2014 wirkt, sind dahingehend auszulegen, dass es für den Zahlungszeitpunkt auf den Beschäftigungszeitpunkt ankommt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beiträge müssen sich zum Zeitpunkt des Befreiungsantrags nicht noch beim Versorgungswerk befinden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 30 R 2218/17 2018-09-27 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.09.2018 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in der Berufungsinstanz.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.09.2018 ist rechtmäßig ergangen. Die Klägerin hat Anspruch auf rückwirkende Befreiung auch für den Zeitraum 01.01.2011 bis 31.03.2014. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der dafür in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI sind erfüllt. Die Vorschrift lautet:
“Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt wurde, wirkt auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 01.04.2014 (Sätze 1- 3).
Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden (Satz 4). (…).”
Die Klägerin stellte rechtzeitig einen Befreiungsantrag nach neuem Recht, sodass der Antrag grundsätzlich vom Beginn derjenigen Beschäftigung an wirkt, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Nachdem die Klägerin ihre Tätigkeit seit 2004 beim gleichen Arbeitgeber ausübt, sollte sie grundsätzlich für diese Tätigkeit rückwirkend befreit werden, bei Zahlung einkommensgerechter Beiträge auch für Zeiten vor dem 01.04.2014.
1. Die Norm des § 231 Abs. 4b SGB VI steht im Zusammenhang mit der Novellierung des Berufsrechts der Rechtsanwälte im Jahr 2016. Beschäftigte Syndici waren nach langjährig geübter Rechtspraxis der Beklagten entgegen § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI contra legem von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit worden. Diese Rechtspraxis wurde durch die Verwaltung beendet, weil die Syndikustätigkeit keine rechtsanwaltschaftliche Tätigkeit sei. Nach divergierenden Entscheidungen der Instanzgerichte bestätigte das Bundessozialgericht die geänderte Verwaltungspraxis der Nichtbefreiung (BSG vom 03.04. 2014, BSGE 115, 267; B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R, Juris; siehe auch Bayer. LSG, Urt. v. 18.12.2013, L 14 R 816/12, Juris).
Daraufhin wurde der Gesetzgeber berufsrechtsändernd tätig und erschuf den Typus des zugelassenen (angestellten) Syndikusrechtsanwalts, so dass ab erteilter Zulassung als Syndikusrechtsanwalt, die neben der Zulassung als (selbständiger) Rechtsanwalt bestehen kann, grundsätzlich nach § 6 Abs. 1 S. Nr. 1 SGB VI zu befreien ist. Dabei stellen die Änderungen der Bundesrechtsanwaltsordnung für Zeiten ab Inkrafttreten der Neuregelung die rechtlichen Maßstäbe im Ergebnis wieder her, die die Beklagte ehemals contra legem angewandt hatte (sog. vier Kriterien).
Da die auf der Grundlage des geänderten Berufsrechts erteilte Befreiung erst ab Syndikusanwaltszulassung erteilt werden kann, jedoch die Tätigkeiten der “neuen” Syndici meist in der Vergangenheit begonnen wurden und häuftig Beiträge zum berufsständischen Versorgunggswerk gezahlt worden waren, wurde vom Gesetzgeber die Übergangsregelung des § 231 Abs. 4b Sätze 1-3 SGB VI geschaffen. Danach wirkt die Befreiung bis zum Beginn derjenigen Beschäftigung zurück, in der eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage der geänderten Bundesrechtsanwaltsordnung erfolgt. Sie wirkt darüber hinaus für zeitlich unmittelbar davorliegende andere Beschäftigungen in den Fällen eines Beschäftigungswechsels. Voraussetzung ist in allen Fällen, dass während den Beschäftigungen zumindest eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk – nicht unbedingt auch eine einkommensbezogene Beitragszahlung an das Versorgungswerk – bestand, mithin ein Bezug zur berufsständischen Versorgung – gegebenenfalls auch neben einer Pflichtbeitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung – gegeben war. Diese Rückwirkung gilt unabhängig davon, ob die Pflichtbeiträge für die Beschäftigung als Syndikus zur gesetzlichen Rentenversicherung oder zur berufsständischen Versorgung entrichtet wurden. Die Regelung hat, so die Begründung des Gesetzentwurfs, nur Bedeutung für diejenigen Personen, die für ihre zum Zeitpunkt der Urteile des Bundessozialgerichts vom 03.04.2014 ausgeübten Beschäftigungen keinen gültigen Befreiungsbescheid besaßen, stets Pflichtmitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung waren und nunmehr als Syndikusrechtsanwälte oder Syndikuspatentanwälte befreiungsfähig sind (siehe BT-Drs. 18/5201 vom 16.06.2015, Seite 46).
Jedoch setzte der Gesetzgeber einen Stichtag als zeitlichen Endpunkt der rückwirkenden Befreiung fest. Hiermit sollte im Interesse der Rechts- und Beitragssicherheit vermieden werden, dass in Fällen, in denen eine Befreiung zwar nach neuem Berufsrecht, nicht aber nach alter Rechtspraxis möglich war oder angestrebt wurde, unter Umständen eine langjährige, u. U. erwerbslebenslange Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung rückabzuwickeln wäre. Als zeitlichen Endpunkt der Rückwirkung der Befreiung setzte der Gesetzgeber den 01.04.2014 fest, weil das Bundessozialgericht mit Urteil vom 03.04.2014 (a. a. O.) hierzu grundlegend entschieden hatte. Aufgrund dessen hatten viele Arbeitgeber die bei ihnen beschäftigten Syndici zur gesetzlichen Rentenversicherung rückwirkend umgemeldet, um Nachforderungen der Beklagten zu vermeiden. (zum Ganzen: BT-Drs 18/5201 vom 16.06.2015, S. 46).
Als Ausnahme von dem festgesetzten Endpunkt einer rückwirkenden Befreiung bestimmt § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI, dass die Begrenzung der Rückwirkung der Befreiung auf April 2014 nicht in den Fällen gelten solle, in denen (insbesondere in der Annahme des Bestehens einer gültigen Befreiung) für die schon vor dem Stichtag ausgeübte gleiche Beschäftigung seinerzeit nur einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgung gezahlt wurden, nicht jedoch zur gesetzlichen Rentenversicherung (so BT-Drs. 18/5201, S. 47 oben). Die Vorschrift bezweckt damit, eine umfassende Rückabwicklung der zur berufsständischen Versorgung entrichteten Beiträge zu vermeiden und im Ergebnis die tatsächliche Beitragszahlung an das Versorgungswerk nachträglich zu legalisieren (Fichte, in: Hauck Noftz, SGB VI, § 231 Rn 46). Der Gesetzgeber wollte mit dieser Neuregelung weitestgehend den bisherigen Status quo aufrechterhalten bzw. wiederherstellen (vgl. BT-Drs aaO, Seite 22).
2. Die Tatbestandmerkmale “einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden” sind nach Überzeugung des Senats so auszulegen, dass es für den Zahlungszeitpunkt auf den Beschäftigungszeitpunkt ankommt.
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin seit dem Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 2004 ausschließlich Beiträge aus ihrer Angestelltentätigkeit – beim gleichen Arbeitgeber – an das Versorgungswerk gezahlt. Die Beigeladene hat eine Beitragszahlung aus dem Einkommen aus der Angestelltentätigkeit in den streitigen Jahren auch bestätigt. Nur durch die rückwirkende Umbuchung der Beiträge an die Beklagte, die auf eine Veranlassung der Einzugsstelle und nicht auf eine Eigeninitiative des Arbeitgebers zurückging, befinden sich die Beiträge nicht mehr beim Versorgungswerk.
Die rückwirkende Umbuchung der noch nicht verjährten Beiträge an die Beklagte würde hier im Ergebnis dazu führen, dass die Klägerin für etwas über drei Jahre keine Anwartschaften in der Versorgungskammer, jedoch in der gesetzlichen Rentenversicherung hätte. Dieses Ergebnis spricht bereits nicht für die vom Gesetzgeber gewollte Aufrechterhaltung des Status quo. Typischerweise sind hier Personen betroffen, die in der Annahme einer gültigen Befreiung durchgehend Beiträge an die Versorgungskammer gezahlt hatten und dann von Ummeldungen für begrenzte Zeiträume erfasst wurden. Die Begründung des Gesetzentwurfs hatte die Fälle der Ummeldung zur Rentenversicherung im Zuge der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts explizit als Grund genannt, weshalb die rückwirkende Befreiung bis zum 01.04.2014 aus Vertrauensschutzgründen gewährt werden sollte. Nach Überzeugung des Senats wurde dabei aber nicht an diejenigen gedacht, bei denen nicht nur eine Ummeldung für Zeiten ab dem 01.04.2014 erfolgt ist, sondern – auf Veranlassung der Einzugsstelle – auch die Beiträge bis zur Verjährung rückwirkend umgebucht worden sind. Auch dieser Personenkreis bedarf aber wegen der Aufrechterhaltung einer möglichst einheitlichen Alterssicherung des besonderen Schutzes.
Nach Meinung des Senats lässt sich überdies aus den Redebeiträgen der Abgeordneten Dr. S. L. (CDU/CSU) und J. F. (SPD) sowie des Justizministers H. M., wie sie sich aus den Plenarprotokollen zur 1. und 2./3.Lesung des Gesetzentwurfs (BT-Plenarprotokoll 18/113 vom 19.06.2015, Seite 10935 bis 10941 und BT-Plenarprotokoll 18/146 vom 17.12.2015, Seite 14418) ergeben, folgern, dass ein umfassender Vertrauensschutz gewollt war. Wer jahrzehntelang, im Vertrauen auf einen von der Rentenversicherung erteilten Befreiungsbescheid, Beiträge an das Versorgungswerk gezahlt hatte, sollte sich nach dem Willen des Gesetzgebers auf seine Alterssicherung bei den Versorgungswerken verlassen können.
So erklärte Bundesminister M.: “der Gesetzentwurf schafft Vertrauensschutz: Wer bis zu den Urteilen des Bundessozialgerichts von der Versicherungspflicht befreit war und anschließend in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, der kann seine Beiträge nun in die anwaltliche Versorgung zurückführen. … wir schützen das Vertrauen der Syndikusanwälte in ihre Alterssicherung, ….”
Dr. L. hob die besondere Wichtigkeit des Vertrauensschutzes für diejenigen Syndikusanwälte hervor, die schon einen Bescheid über eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht haben. Die weiteren Details werden wir im Gesetzgebungsverfahren noch ansprechen.
Der Abgeordnete Fechner postulierte: “Die Syndikusanwälte hatten auf ihre Alterssicherung bei den Versorgungswerken vertraut und sich darauf eingestellt.”
Der Arbeitgeber der Klägerin hat mit ihr zusammen auf den Befreiungsbescheid, der ihr von der Beklagten im Jahr 2001 als Rechtsanwältin erteilt worden war, vertraut. Damit wurden auch im Fall der Klägerin in der Annahme einer gültigen Befreiung Beiträge ausschließlich an das Versorgungswerk und nicht an die Beklagte entrichtet. Damit entspricht die Klägerin genau dem Personenkreis, der von der rückwirkenden Befreiung bis zum Beschäftigungsbeginn profitieren sollte.
3. Der Gesetzeswortlaut stützt die Auffassung der Beklagten, die Beiträge müssten sich zum Zeitpunkt des Befreiungsantrags noch beim Versorgungswerk befinden, nicht.
In § 231 Absatz 4b Satz 4 SGB VI wird nur gefordert, dass für den Zeitraum vor dem 31.03.2014 einkommensbezogene Beiträge an die Versorgungskammer gezahlt wurden. Genau das lag hier vor. Weshalb die Beiträge zum Zeitpunkt der Antragstellung noch beim Versorgungswerk verblieben sein müssen, wie die Beklagte meint, ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 19.07.2016, Az. 1 BvR 2584/14 ausgeführt, dass dann, wenn einkommensbezogene Pflichtbeiträge, deren Höhe nach dem vom Kläger erzielten Einkommen für jeden Monat individuell errechnet worden und an das Versorgungswerk gezahlt worden sind und die auf dieser Grundlage geleisteten zusätzlichen Zahlungen nachträglich nach Verkündung des mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Urteils des Bundessozialgerichts vom 03.04.2014 an den Rentenversicherung ausgekehrt worden sind, ihre rechtlichen Qualifikation als einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne von § 231 Absatz 4b Satz 4 SGB VI nicht entgegenstehen, weil es schon nach dem Wortlaut der Norm allein auf den Zahlungszeitpunkt ankommt. Zudem sind diese Zahlungen auf Grundlage des vom Gesetzgeber in § 286f Abs. 1 SGB VI angeordneten internen Ausgleichs zwischen dem Rentenversicherungsträger auf der einen und den Versorgungswerken auf der anderen Seite nachträglich wieder auszugleichen. Daraus folgt, so das Bundesverfassungsgericht, dass dem Beschwerdeführer wegen der zwischenzeitlichen Erstattung der an das Versorgungswerk geleisteten Zusatzbeiträge kein Nachteil erwachsen kann.
Genau dieser Fall liegt auch bei der Klägerin im streitigen Verfahren vor. Der Arbeitgeber der Klägerin hatte seit dem Jahr 2004 bis zur Aufforderung durch die Einzugsstelle im Jahr 2015 die Beiträge aus der Beschäftigung der Klägerin, im Vertrauen auf eine bestehende Befreiung, an die Versorgungskammer gezahlt. Die Klägerin hatte einen Befreiungsbescheid aus dem Jahr 2001, der vom Arbeitgeber als gültiger Befreiungsbescheid angesehen wurde. Denn darin wurde die Klägerin als Rechtsanwältin, ohne Nennung eines Arbeitgebers, befreit. Erst im Zuge der nahenden Entscheidung des Bundessozialgerichts zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Syndikusanwälten wurde von der Klägerin ein Befreiungsantrag nach § 6 SGB VI gestellt. Dieser Antrag ist bis heute nicht rechtskräftig abgelehnt, so dass § 231 Absatz 4b Satz 5 SGB VI einer rückwirkenden Befreiung auch über den April 2014 hinaus nicht entgegensteht. Jedoch führte die Antragstellung dazu, dass die Einzugsstelle über die ablehnende Entscheidung der Beklagten informiert wurde und daher nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.04.2014 eine Abführung der Beiträge an die Beklagte forderte. Dies kann, in Übereinstimmung mit dem BVerfG, nicht zum Nachteil für die Klägerin erwachsen.
Auch die Einzugstelle wies darauf hin, dass die Beitragsumbuchung im Jahr 2014 noch keine abschließende Entscheidung darstellt, sondern eine Erstattung der Beiträge zur Rentenversicherung durchgeführt wird, wenn die Klägerin obsiegt. Daraus lässt sich ggf. auch ein Vertrauensschutz konstruieren. Es kann auch nicht sein, dass es vom Tätigwerden der jeweiligen Einzugstelle abhängt, ob die Beiträge rückwirkend umgebucht wurden oder nicht. Ein solches Ergebnis kann man nur vermeiden, wenn man das Wort “seinerzeit” so interpretiert, dass es auf den Zeitpunkt der Beitragszahlung und nicht auf den des Beitragserstattungsantrags ankommt. Nach dem Duden bedeutet “seinerzeit: “zu jener Zeit; damals”. Der Wortgegensatz heißt: “heute, heutzutage, jetzt, gegenwärtig”. Auch daraus ist zu erkennen, dass nur die vom Senat vorgenommen Interpretation der Vorschrift dem tatsächlich Gewollten entspricht.
4. Es ist der Beklagten zuzugestehen, dass aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein gültiger Befreiungsbescheid, der sich auch auf die Tätigkeit der Klägerin bei der F. GmbH bezieht, nicht vorliegt. Gleichwohl kommt es darauf im Rahmen des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI nicht an. Denn wenn ein gültiger Befreiungsbescheid vorgelegen hätte, würde sich die Frage einer rückwirkenden Befreiung gar nicht erst stellen. Nur weil die Klägerin und der Arbeitgeber in der Annahme einer gültigen Befreiung die Beiträge in der Vergangenheit ausschließlich zur Versorgungskammer gezahlt haben, bedarf es überhaupt einer Entscheidung zu einer rückwirkenden Befreiung. Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs wird immer wieder von der Annahme eines Bestehens einer gültigen Befreiung gesprochen. Damit ist der Vertrauensschutz der Klägerin auf die gültige Befreiung über den neu eingeführten § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI auf die Zeit vor dem 01.04.2014 hinaus auszudehnen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen der Klägerin auch in der Berufungsinstanz.
Soweit für den Senat erkennbar, wurde die vorgenommene Auslegung des § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI hinsichtlich der Zahlung einkommensabhängiger Pflichtbeiträge noch nicht höchstrichterlich geklärt, so dass die Revision zuzulassen war.


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