Aktenzeichen Au 8 S 19.640
BayKG Art. 1, Art. 2, Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 S. 2 lit. c
ZPO § 114
Leitsatz
1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, denn von dieser Norm erfasste Forderungen sollen grundsätzlich ohne Rücksicht auf ihre Anfechtung durch den Pflichtigen vollziehbar sein, um die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und eine sinnvolle Haushaltsplanung zu gewährleisten. Hiermit soll verhindert werden, dass sich der Pflichtige allein durch die Einlegung von Rechtsbehelfen, die sich möglicherweise später als unbegründet erweisen könnten, der Leistung vorerst entzieht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf Verwaltungsakte, die weder unmittelbar der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs dienen noch nach festen Sätzen erhoben werden, sondern für deren Grund und Höhe die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend sind, findet § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO keine Anwendung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Amtshandlungen der Polizei werden grundsätzlich keine Kosten erhoben, so dass im Ausnahmefall die Kostenerhebung nicht zur Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs erfolgt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt isoliert die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung.
In der Nacht des 8. März 2019 befand sich der Antragsteller in alkoholisiertem Zustand in einem Waldgebiet in der Nähe von …. Um 1.18 Uhr wählte der Antragsteller von seinem Mobiltelefon aus den Polizeinotruf und gab an, sich verlaufen und die Orientierung verloren zu haben. Daraufhin wurden vom zuständigen Polizeipräsidium Suchmaßnahmen eingeleitet. Nach einer Durchsuchung des angrenzenden Waldgebietes, einer erfolglosen Befragung der Eltern des Antragstellers sowie eines Absuchens ihres Anwesens wurde ein Diensthundeführer der Bundespolizei hinzugezogen. Um 2.32 Uhr wurde der Antragsteller auf einer Wiese in unmittelbarer Nähe des bereits abgesuchten Gebiets aufgrund von Hilferufen gefunden. Um 2.50 Uhr traf der hinzugerufene Rettungsdienst ein und brachte den Antragsteller zur Überprüfung seines Gesundheitszustandes wegen einer Unterkühlung ins Krankenhaus nach ….
Mit Schreiben vom 21. März 2019 teilte das zuständige Polizeipräsidium dem Antragsteller die beabsichtigte Kostenerhebung mit und gab ihm Gelegenheit, sich dazu zu äußern.
Mit Schreiben vom 24. März 2019 führte der Antragsteller aus, dass er während eines nächtlichen Spaziergangs in einem Wald in der Nähe des Ortsteils „…“ in ein Gebüsch gestürzt sei, die Orientierung verloren und nach einigen Selbstversuchen den Weg aus dem Wald hinaus nicht mehr gefunden habe. Aufgrund der abkühlenden Temperaturen habe er die Polizei kontaktieren müssen. Zu dieser Uhrzeit sei niemand anderes mehr telefonisch erreichbar gewesen. Der Antragsteller habe gefühlt Stunden auf die Polizei gewartet und sich schließlich wegen der abfallenden Temperaturen selbst auf die Suche nach dem Waldweg gemacht. Währenddessen sei er in ein Bachbett gestürzt, habe sich jedoch aus eigener Kraft retten können. Unterkühlt und von seinem Sturz leicht verletzt habe er eine Wiese erreicht und aus den Augenwinkeln das Licht von Taschenlampen wahrgenommen. Die eintreffenden Polizisten hätten ihn mitgenommen und an den Rettungsdienst übergeben. Es könne davon ausgegangen werden, dass er sich zum Zeitpunkt der polizeilichen Suchmaßnahmen zumindest im zweiten Stadium einer klinischen Hypertonie befunden habe.
Mit Bescheid vom 24. April 2019 wurden dem Antragsteller für den Polizeieinsatz vom 8. März 2019 Kosten in Höhe von 1.080,00 EUR auferlegt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller vorgegeben habe, sich in einer hilflosen Lage zu befinden, und sich im Rahmen der Suchmaßnahmen gezielt von den Suchkräften wegbewegt hätte, um nicht aufgefunden zu werden. Bei Auffinden des Antragstellers habe dieser weiterhin Hilflosigkeit vorgetäuscht, obwohl eine solche nicht bestanden habe. Aufgrund dieser missbräuchlichen Inanspruchnahme der Polizei seien nach Art. 1, 2, 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. c BayKG i.V.m. Tarif-Nr. 2.II.5/2, 2.II.5/4 Kosten in genannter Höhe zu erheben.
Mit Schreiben vom 1. Mai 2019 beantragte der Antragsteller für die beabsichtigte Klage gegen den Kostenbescheid vom 24. April 2019 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts (Au 8 K 19.638). Über diesen Antrag auf Prozesskostenhilfe ist noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom selben Tag beantragte der Antragsteller für den beabsichtigten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Zur Begründung verwies der Antragsteller auf seine mit Schreiben vom 21. März 2019 vorgebrachten Einwände.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass auf den Notruf des Antragstellers hin Suchmaßnahmen eingeleitet worden seien. Der Antragsteller sei dazu aufgefordert worden, seinen Standort nicht zu verlassen. Eine um 1.32 Uhr durchgeführte Standortortbestimmung mittels SMS-Ortung habe ergeben, dass sich der Antragsteller in einem Umkreis von höchstens 20 Metern um ein Anwesen in … befunden habe. Als die Beamten gegen 1.40 Uhr dort eingetroffen seien, habe sich der Antragsteller dort nicht mehr aufgehalten. Als der Antragsteller um 2.32 Uhr auf einer Wiese in der Nähe des bereits abgesuchten Waldgebiets aufgefunden worden sei, sei dessen Kleidung taubedingt feucht gewesen. Vom Antragsteller mitgeführte Gegenstände seien trocken gewesen. Im Umkreis von 400 Metern vom Fundort des Antragstellers habe sich kein Gewässer befunden. Auf dem Weg in begehbares Gelände sei der Antragsteller zweimal gezielt zusammengesackt, wobei er die Beamten auf deren Mitteilung hin, dass seine Täuschung durchschaut sei, verbal angegriffen habe.
Auf den Schriftsatz wird verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2019 erwiderte der Antragsteller, dass er sich nicht im Umkreis von 20 Metern um ein Anwesen in … befunden habe. Zudem könne es bei einer SMS-Ortung zu Positionsungenauigkeiten kommen. Er habe seiner Mutter am Folgetag die Stelle, an der er sich befunden habe, gezeigt. Diese sei 15 bis 20 Meter von dem Bach „…“ entfernt. Dort hätten sich noch zwei Bierflaschen befunden, die ihm in der Nacht aus dem Rucksack gerutscht seien. Das Wasser habe aufgrund der Temperaturen in seine Kleidung einfrieren können. Er sei weder gezielt gestürzt noch habe er die Polizeibeamten verbal angegriffen.
Auf den Schriftsatz wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da es an den hinreichenden Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung fehlt (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
Der beabsichtigte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist voraussichtlich unzulässig, da kein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO vorliegt. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten. Die für den Polizeieinsatz vom 8. März 2019 erhobenen Kosten stellen jedoch keine öffentlichen Abgaben und Kosten i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO dar. Die von dieser Norm erfassten Forderungen sollen grundsätzlich ohne Rücksicht auf ihre Anfechtung durch den Pflichtigen vollziehbar sein, um die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und eine sinnvolle Haushaltsplanung zu gewährleisten. Es soll verhindert werden, dass sich der Pflichtige allein durch die Einlegung von Rechtsbehelfen, die sich möglicherweise später als unbegründet erweisen könnten, der Leistung vorerst entziehen. Die erforderlichen Einnahmen sollen der öffentlichen Hand vielmehr zur kontinuierlichen Erfüllung ihrer Aufgaben zunächst einmal zur Verfügung stehen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 25; Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 80 Rn. 46). Da § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO den Grundsatz der aufschiebenden Wirkung einer Klage aus § 80 Abs. 1 VwGO einschränkt, ist die Vorschrift restriktiv auszulegen. Dies steht einer Ausdehnung seines Anwendungsbereichs auf Verwaltungsakte entgegen, die weder unmittelbar der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs dienen noch nach festen Sätzen erhoben werden, sondern für deren Grund und Höhe die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend sind (BayVGH, B.v. 25.2.2009 – 2 CS 07.1702 – juris Rn. 17).
Da gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BayKG für Amtshandlungen, die von der Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 2 des Polizeiaufgabengesetzes vorgenommen werden, Kosten grundsätzlich nicht erhoben werden, dient die ausnahmsweise erfolgende Kostenerhebung gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c BayKG wegen einer vorgetäuschten Gefahr nicht unmittelbar der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs. Ebenso sind für Grund und Höhe der vorliegenden Kosten die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend, insbesondere die Dauer der Suche sowie die Anzahl der eingesetzten Polizeibeamten, so dass keine Erhebung nach festen Sätzen vorliegt.
Da kein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorliegt ist der beabsichtigte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung voraussichtlich unzulässig. Die Klage gegen den Kostenbescheid vom 24. April 2019 entfaltet aufschiebende Wirkung, so dass der Antragsteller vor einer Entscheidung über die Klage die ihm auferlegten Kosten nicht begleichen muss.