Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag wegen Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Italien)

Aktenzeichen  M 9 S 17.40283

Datum:
1.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25554
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 36 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
EU-GRCharta Art. 4

 

Leitsatz

Die Aufnahmebedingungen in Italien für bereits anerkannte – und zurückgeführte – Schutzberechtigte weist keine Mängel auf, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 EU-GRCharta begründen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge als unzulässig.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2017, bekanntgegeben am 12. Mai 2017 (vgl. Bl. 259 d. BA), lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (i. F.: Bundesamt) die am 20. Juli 2016 (Bl. 4 und Bl. 189 d. Behördenakts – i. F.: BA -) gestellten Asylanträge als unzulässig ab (Ziff. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2). Die Antragsteller wurden aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, widrigenfalls wurde ihnen die Abschiebung nach Italien angedroht (Ziff. 3). Das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4). Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Bevollmächtigte der Antragsteller hat am 16. Mai 2017 Klage und Eilantrag gegen den Bescheid erhoben. Er beantragt im hiesigen Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine Begründung erfolgte nicht.
Das Bundesamt hat sich weder eingelassen noch Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG e contrario und nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen.
Maßstab ist dabei, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO analog. Angegriffener Verwaltungsakt in diesem Sinne ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die nach § 35, § 36 Abs. 1, § 34 Abs. 1, Abs. 2 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung als selbstständiger Verwaltungsakt (vgl. BVerwG, B.v. 23.10.2015 – 1 B 41/15 – juris; BeckOK AuslR, AsylG, Stand: 18. Ed. 1.8.2017, § 34 Rn. 36ff.). Ernstliche Zweifel sind nur dann gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; Marx, AsylG, Stand: 9. Auflage 2017, § 36 Rn. 51). Maßnahme in diesem Sinne ist die Abschiebungsandrohung – mit nachfolgender Abschiebung des Betroffenen -, die sich hier auf die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig stützt und die deren Folge ist, weswegen Anknüpfungspunkt der (summarischen) Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – vermittelt über § 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 35 AsylG – die Frage sein muss, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt hat (siehe BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; Marx, AsylG, Stand: 9. Auflage 2017, § 36 Rn. 43). Die Prüfung schließt das (Nicht-) Vorliegen von Abschiebungshindernissen ein, vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG (vgl. statt aller VG München, B.v. 3.5.2018 – M 21 S 17.43792 – juris; B.v. 30.4.2018 – M 9 S 17.47613 – juris; BeckOK AuslR, AsylG, Stand: 18. Ed. 1.8.2017, AsylG § 36 Rn. 42.2). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG.
1. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind vorliegend gegeben.
Die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 gewährt hat. Durch den Verweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist klargestellt, dass mit der Gewährung internationalen Schutzes (nur) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und/oder die Gewährung subsidiären Schutzes gemeint ist (BeckOK AuslR, Stand: 20. Ed. 1.11.2018, AsylG § 29 Rn. 76).
Vorliegend ist den Antragstellern in Italien – und damit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – subsidiärer Schutz zuerkannt worden, wie sich aus den vorgelegten Aufenthaltstiteln ergibt. So findet sich auf Bl. 171 d. BA ein PERMESSO DI SOGGIORNO für die Antragstellerin zu 2.; als Art des Aufenthaltstitels ist „PROT. SUSSIDIARIA“ angegeben (= subsidiärer Schutz). Der Schutzstatus der Antragstellerin zu 3. leitete sich nach dem für sie vorliegenden PERMESSO DI SOGGIORNO von der Kindsmutter ab („ALLEGATO MINORI“). Der Kindsvater – der Antragsteller zu 1. – erhielt nachfolgend eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen (Bl. 110 d. BA).
Die Antragstellerin zu 4. kam erst im Bundesgebiet – und nach Antragstellung der übrigen Familienmitglieder – zur Welt. Ihr nach § 14a Abs. 1 AsylG fingierter Asylantrag ist ebenfalls der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unterworfen, die Dublin-Regelungen sind nicht, auch nicht analog anzuwenden (vgl. BayVGH, B.v. 22.11.2018 – 21 ZB 18.32867 – juris).
2. Die aufschiebende Wirkung war auch nicht deshalb anzuordnen, weil ein Abschiebungsverbot festzustellen (gewesen) wäre.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; VG München, B.v. 31.10.2018 – M 8 S 18.33226 – unveröffentlicht).
Eine Veranlassung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots, namentlich: nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK, ergibt sich weder aus den Vorlagebeschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts (a) noch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (b).
a) Die Vorlage vom 23. März 2017 (1 C 17/16) zielt auf die Abklärung der Situation in Bulgarien und ist damit für eine Rückführung nach Italien nicht einschlägig.
Die Vorlage vom 27. Juni 2017 (1 C 26/16) stellt ausdrücklich klar, dass das Vorabentscheidungsersuchen nicht darauf gerichtet ist, zu hinterfragen, ob die Ausgestaltung des internationalen Schutzes in Italien – und damit: die dortigen Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge – gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 EU-GRCharta verstößt; es befasst sich ausdrücklich nur mit einer Bewertung anhand von Art. 20ff. RL 2011/95/EU (i. F.: Qualifikationsrichtlinie).
*Unabhängig davon ruft die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 (1 C 26/16) auch unter Anlegung des dort gewählten Maßstabs beim erkennenden Gericht keine ernstlichen Zweifel an der Abschiebungsandrohung bzw. an der zugrunde liegenden Unzulässigkeitsentscheidung hervor. Wie aus Rn. 32ff. (zitiert nach juris) ersichtlich wird, geht der Senat diesbezüglich selbst davon aus, dass kein Anspruch auf ein weiteres Anerkennungsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat besteht. D. h. selbst wenn es unterhalb der Schwelle von Art. 4 EU-GRCharta und Art. 3 EMRK tatsächliche Probleme beim Zugang zu den Leistungen, die Art. 20 ff. Qualifikationsrichtlinie vermitteln, geben sollte, so wäre die Unzulässigkeitsentscheidung dennoch rechtmäßig. In einer solchen Situation würde durch die Annahme des Anspruchs auf ein weiteres Anerkennungsverfahren zum einen das gemeinsame europäische Asylsystem und das ihm zugrunde liegende gegenseitige Vertrauen unterlaufen. Sie würde die schon in erheblichem Umfang stattfindende Sekundärmigration von Schutzberechtigten und das sogenannte „asylum shopping“ fördern, deren Verhinderung eines der Ziele des gemeinsamen europäischen Asylsystems ist. Zum anderen ergibt sich selbst im Fall der Bejahung eines über Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCharta hinausgehenden Schutzbedarfs nicht die Notwendigkeit eines weiteren Asylverfahrens, weil sich als Alternativen hierzu ausländerrechtliche Lösungen anbieten (vgl. BVerwG, a. a. O.; VG München, B.v. 24.9.2018 – M 21 S 18.33539 – juris). Das gilt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7/13 – NVwZ 2014, 1460, 1464) auch für ein (erneutes) Begehren auf Zuerkennung subsidiären Schutzes.
*Unabhängig davon macht sich das Gericht die obergerichtliche Rechtsprechung zu eigen, wonach die Aufnahmebedingungen in Italien auch für bereits anerkannte – und zurückgeführte – Schutzberechtigte keine Mängel aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 EU-GRCharta begründen könnten (NdsOVG, B.v. 21.12.2018 – 10 LB 201/18 – juris; B.v. 6.4.2018 – 10 LB 109/18 – juris; OVG Rh-Pf, B.v. 20.12.2018 – 10 A 11029/18 – juris; OVG NW, U.v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A – juris; auch bei BayVGH, B.v. 9.1.2019 – 10 CE 19.67 – juris). Der Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (B.v. 15.3.2017 – A 11 S 2151/16 – juris) befasst sich demgegenüber mit einer hier bereits von vorn herein nicht einschlägigen Konstellation, nämlich mit der Frage, ob eine Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat unzulässig ist, wenn er für den Fall einer späteren Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus dort im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risikos ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCharta zu erfahren. Davon abgesehen, dass von Letzterem nach oben zitierter Rechtsprechung und nach Auffassung des Gerichts nicht auszugehen wäre, betrifft die Vorlage also eine Situation, in der das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen – und kein Schutzstatus zuerkannt – ist; auch mit dem dem Antragsteller während des Berufungsverfahrens aus humanitären Gründen erteilten Aufenthaltstitel (vgl. VGH BW, a. a. O., juris Rn. 10) geht keine Schutzgewährung i. S. v. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG einher (vgl. zuletzt VG München, B.v. 28.2.2019 – M 9 S 17.40251 – wird veröffentlicht).
b) Auch die Tarakhel-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12, Tarakhel /Schweiz – NVwZ 2015, 127) spielt vorliegend keine Rolle. Die Frage, ob individuelle Garantieerklärungen bzw. Zusicherungen Italiens für die Unterbringung der Familie – relevant wegen der unter 3-jährigen Antragstellerin zu 4. – vorliegen, ist für die hiesige Entscheidung nicht virulent. Sollte keine adäquate Unterkunft bereitgestellt bzw. keine diesbezügliche Zusicherung abgegeben werden, so begründete dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Nichtannahmebeschluss v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – juris) doch nur ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen von § 34 AsylG nur die für die Rückführung zuständige Ausländerbehörde, nicht aber das Bundesamt zu beachten hätte (vgl. statt aller BeckOK AuslR, Stand: 21. Ed. 1.8.2018, AsylG § 34 Rn. 24).
Die Kostenfolge fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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