Arbeitsrecht

Tarifliche Beschäftigungsdauer bei Wechsel zwischen Arbeitgebern im öffentlichen Dienst und geringfügige zeitliche Unterbrechung – Anspruch auf Krankengeldzuschuss

Aktenzeichen  8 Sa 150/17

Datum:
30.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138456
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TVöD § 20 Abs. 4, § 22 Abs. 3 S. 1 Alt. 2, § 34 Abs. 3
BUrlG § 4

 

Leitsatz

§ 34 Abs. 3 TVöD setzt für einen Wechsel keinen zeitlich “nahtlosen” Zusammenhang der Arbeitsverhältnisse voraus. Wenn das “alte” Arbeitsverhältnis erst nach Zusage des neuen Arbeitsvertrages gekündigt wurde, und zwischen den Arbeitsverhältnissen kein Arbeitsverhältnis in der Privatwirtschaft bestand, ist eine Lücke von nicht mehr als einem Monat unschädlich. (Rn. 63 – 79)

Verfahrensgang

25 Ca 8754/16 2017-02-07 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 07.02.2017 – 25 Ca 8754/16 in seinen Nrn. 1 und 2 abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 1.030,40 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.08.2016 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 2.078,62 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2016 zu zahlen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.
5. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Die gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist beiden Klageanträgen stattzugeben.
1. Die Klägerin hat Anspruch auf die Zahlung eines Krankengeldzuschusses über den 29.05.2015 hinaus bis zum 22.11.2015, dem Ende der 39. Woche seit dem Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit am 02.03.2015, in rechnerisch unstreitiger Höhe von € 5,60 pro Tag.
1.1. Denn bei einer Beschäftigungszeit im Sinne von § 34 Abs. 3 TVöD von mehr als drei Jahren ist gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1, Alt. 2 TVöD bei entsprechender Dauer der Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit der Krankengeldzuschuss bis zum Ende der 39. Woche zu zahlen.
1.2. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und der Beklagten war das Erfordernis einer Beschäftigungszeit von mehr als drei Jahren im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt, da als Beschäftigungszeit bei der Beklagten auch der Zeitraum gilt, in dem die Klägerin bei der Hansestadt G. angestellt war; dies ergibt sich aus Satz 3 des § 34 Abs. 3 TVöD, auf dessen Definition der Beschäftigungszeit in § 22 Abs. 3 TVöD in Gestalt des Klammerzusatzes Bezug genommen wird. Die Klägerin hat im tariflichen Sinne von der Hansestadt G. zur Beklagten gewechselt.
1.2.1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend die Grundsätze wiedergegeben, nach denen sich die Auslegung von Tarifverträgen richtet. Seine Ausführungen entsprechen der ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. etwa Urteil vom 06.07.2006 – 2 AZR 587/05, NZA 2007, 167-168, Juris, Rdnr. 14 m. w. N.), der sich die erkennende Berufungskammer anschließt. Insoweit wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. 1 a der Entscheidungsgründe Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
1.2.2. Die Anwendung dieser Grundsätze führt jedoch nicht zu dem Auslegungsergebnis, dass das Arbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Zwar ist es richtig, dass ein Beschäftigter nur dann von einem der in § 34 Abs. 3 Satz 3 genannten Arbeitgeber zu einem anderen „wechselt“, wenn zwischen der Beendigung des einen und der Begründung des anderen Arbeitsverhältnisses ein gewisser zeitlicher Zusammenhang besteht. Nicht erforderlich ist es jedoch, dass die beiden Arbeitsverhältnisse in zeitlicher Hinsicht „nahtlos“ aneinander anschließen. Eine zeitliche Unterbrechung ist vielmehr jedenfalls dann unschädlich, wenn sie einen Monat nicht überschreitet und die Beendigung des zeitlich früheren Arbeitsverhältnisses erfolgt ist, um das nachfolgende begründen zu können. Dem ist hier genügt, wie sich schon daraus ergibt, dass die Klägerin ihre Kündigung gegenüber der Hansestadt G. erst erklärt hat, nachdem sie von der Beklagten die Einstellungszusage erhalten hatte.
Zur Auslegung des § 34 Abs. 3 Satz 3 TVöD ist folgendes auszuführen:
a) Der Tarifwortlaut verlangt keinen unmittelbaren zeitlichen Anschluss. Wie das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 29.06.2017 – 6 AZR 364/16, Juris, Rdnr. 40) überzeugend und unter Bezugnahme auf die einschlägigen Wörterbücher ausgeführt hat, bedeutet „Wechseln“ nach allgemeinem Sprachgebrauch u. a. „aufeinanderfolgen“, „etwas durch etwas anderes der selben Art ersetzen“ oder auch „eines an die Stelle des anderen setzen“. Damit kann zwar von einem „Wechseln“ nicht mehr die Rede sein, wenn an die Stelle des alten Arbeitsverhältnisses bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes zunächst ein Arbeitsverhältnis in der Privatwirtschaft oder eine selbstständige Tätigkeit tritt, und erst nach deren Beendigung wieder eine Tätigkeit bei einem öffentlichrechtlichen Arbeitgeber aufgenommen wird (vgl. BAG, a.a.O., Rdnr. 42). Eine kurze „Lücke“ zwischen zwei Arbeitsverhältnissen bei öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern wird dadurch jedoch nicht ausgeschlossen.
b) Hinsichtlich des tariflichen Gesamtzusammenhangs ist es richtig, dass § 34 Abs. 3 TVöD einerseits – in Satz 1 und Satz 2 – mehrere Zeiträume der Beschäftigung im öffentlichen Dienst bei demselben Arbeitgeber, andererseits – in Satz 3 und Satz 4 – bei mehreren öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern anspricht. Auf dem Umstand, dass im ersten Fall jegliche Unterbrechung unschädlich ist, ist aber nicht der Schluss zu ziehen, dass im zweiten Fall überhaupt keine zeitliche Lücke auftreten dürfte. Zu folgern ist vielmehr nur, dass eine Lücke schädlich sein kann. Schon deshalb bleibt auch bei der hier vertretenen Auslegung die Unterscheidung zweier Fallgruppen durch die Tarifvertragsparteien in § 34 Abs. 3 TVöD erhalten. Die Frage, wann ein zeitlicher Abstand schädlich ist, kann nicht nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang beantwortet werden, der hierfür unergiebig ist; mit Blick auf den Wortlaut ergibt sich aber, dass schädlich eine Dauer ist, wenn sie den zu fordernden Zusammenhang zwischen den Arbeitsverhältnissen zerstört. Bei einem zeitlichen Abstand von nicht mehr als einem Monat (oder bei Lehrern: von nicht mehr als der üblichen Dauer der Sommerferien) (vgl. BAG, a.a.O., Rdnr. 42, m. w. N.) ist dies noch nicht anzunehmen.
c) Auch der Zweck der Regelung spricht für die hier vertretene Auslegung. Dieser besteht in der Förderung der Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis mit dem einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber in kürzerer Zeit durch das mit einem anderen Arbeitgeber aus dem Tarifverbund ersetzen zu können (vgl. BAG, a. a. O., Rdnr. 42).
Da den Tarifvertragsparteien der räumliche Aspekt des tariflichen Geltungsbereichs (§ 1 TVöD) bekannt gewesen ist, und kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass sie den Arbeitgeberwechsel nur dann fördern wollten, wenn er keinen Wohnungswechsel mit sich bringt, ein Umzug allgemeinkundig aber einen zeitlichen Aufwand bedeutet, liegt es fern anzunehmen, die Tarifvertragsparteien seien von einem nahtlosen Anschluss der Arbeitsverhältnisse ausgegangen.
Dem kann nicht mit dem Hinweis begegnet werden, für den Umzug könne Urlaub verwendet werden, wie die Beklagte meint. Ein Urlaubsanspruch gegen den neuen Arbeitgeber besteht in den ersten Tagen des Arbeitsverhältnisses noch gar nicht. Ob ein hinreichender Resturlaubsanspruch gegen den früheren Arbeitgeber besteht, wird im Allgemeinen fraglich sein. Nichts spricht mithin dafür, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen wären, die betroffenen Arbeitnehmer würden Urlaub für ihren Umzug verwenden.
Im Übrigen ist der Hinweis richtig, dass das Ende des Arbeitsverhältnisses beim früheren Arbeitgeber und der von Seiten des Arbeitnehmers und auch des neuen Arbeitgebers gewünschte Termin zur Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses nicht stets in einer Weise korrespondieren müssen, dass jegliche Lücke vermieden werden kann.
Dass die Anrechnung von Vordienstzeiten bei einem anderen Arbeitgeber bei der Bemessung der Kündigungsfristen bzw. bei der Regelung der tariflichen Unkündbarkeit gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 TVöD ausgeschlossen wurde, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung.
d) Unzutreffend ist schließlich die Auffassung des Arbeitsgerichts, es sei für den neuen Arbeitgeber unmöglich oder doch unzumutbar, den Anlass für eine Unterbrechung in Erfahrung zu bringen und diesen zu bewerten. Welche nennenswerten Hindernisse das Arbeitsgericht sieht, erschließt sich der erkennenden Berufungskammer aus seinen Ausführungen nicht. Die Bedenken gegen die Prak-tikabilität des hier vertretenen Auslegungsergebnisses bleiben unverständlich.
Praxisnah erscheint dem gegenüber eine Auslegung, die nicht die Augen vor dem Umstand verschließt, dass das neue Arbeitsverhältnis mit einem Umzug und dem damit einhergehenden Zeitaufwand verbunden sein kann.
1.3. Aufgrund des nur kurzen Zeitraums von 17 Tagen zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen ist hier von einem „Wechsel“ im Sinne von § 34 Abs. 3 Satz 3 TVöD auszugehen.
2. Die Klägerin kann von der Beklagten auch die Zahlung des restlichen Gehalts für April 2016 fordern (§ 611 Abs. 1 BGB). Denn ihr Vergütungsanspruch ist nicht in Höhe der vermeintlichen Überzahlung nach § 389 BGB erloschen, weil es an einer Aufrechnungslage (§ 387 BGB) fehlt. Der Beklagten stand kein Anspruch aus Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 BGB) zu, weil die Zahlung der Jahressonderzahlung nach § 20 TVöD mit Rechtsgrund erfolgt war.
Eine Verminderung nach § 20 Abs. 4 TVöD ist nicht eingetreten, weil die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Krankengeldzuschuss hatte (§ 20 Abs. 4 Nr. 2 TVöD). Insoweit kann auf die Ausführungen unter 1. verwiesen werden.
Die beantragten Zinsen kann die Klägerin nach § 291 BGB bzw. nach § 288 Abs. 1 BGB verlangen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
III.
Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Der Klägerin steht dieses Rechtsmittel gleichwohl nicht zur Verfügung, da sie durch die vorliegende Entscheidung nicht beschwert ist.
Die Beklagte kann Revision zum BAG einlegen. Es gilt im Einzelnen folgende


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