Aktenzeichen M 9 K 16.2183
Leitsatz
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung, weswegen der ablehnende Bescheid zu Recht ergangen ist, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Seinem genehmigungspflichtigen (1.) Vorhaben stehen die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 19 entgegen (2.). Eine etwaige anfängliche Unwirksamkeit des Bebauungsplans kann der Kläger nicht (mehr) für sich in Anspruch nehmen (3.), Anzeichen für ein Funktionsloswerden der einschlägigen Festsetzungen sind nicht ersichtlich (4.). Auch eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans kommt nicht in Betracht (5.).
1. Das Bauvorhaben ist genehmigungspflichtig, weswegen zu Recht ein Antrag auf Baugenehmigung beim Landratsamt gestellt wurde, Art. 55 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO; Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b BayBO greifen nicht. Die maßgebliche Bruttogrundfläche des gesamten Gebäudes (Garagen- und Geräteschuppenteil) liegt nach der Bauvorlage über 50 m²; bei einer Raumhöhe von etwa 2,50 m und einer Firsthöhe von über 4 m wird damit auch die 75 m³-Grenze aus Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO überschritten. Die einzelnen Gebäudeteile sind hier als Einheit anzusehen, da bei nicht selbstständigen Teilen eines Gesamtbauvorhabens ein Aufsplitten und „Rosinenpicken“ – d.h. eine Anwendung von Nr. 1 Buchst. a auf den Bereich des Geräteschuppens, eine Anwendung von Nr. 1 Buchst. b auf den Garagenteil – den Privilegierungstatbeständen nicht gerecht würde (vgl. Simon/Busse, BayBO, Stand: 123. EL August 2016, Art. 57 Rn. 41 und Rn. 14). Dies gilt auch nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (VGH BW, B.v. 11.1.2001 – 5 S 2545/00 – juris) jedenfalls dann, wenn eine bauliche und funktionale Einheit gegeben ist; eine solche ist bei der vorliegenden Gestaltung – einheitliches Gebäude „unter einem Dach“, auf derselben Seite zugänglich – anzunehmen. Insofern ist der ebenfalls beim Landratsamt gestellte Antrag auf isolierte Befreiung untunlich, aber unschädlich bzw. kann als Antrag auf Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB verstanden werden.
2. Das Vorhaben ist nach dem Bebauungsplan Nr. 19 in der maßgeblichen Fassung der 2. Änderung nicht genehmigungsfähig, § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. Ziff. 2.2, 4.2 und 8.2 der textlichen Festsetzungen. Das geplante Nebengebäude (Garage und Geräteschuppen) liegt außerhalb des durch Baugrenzen festgelegten Bauraumes; eine Ausnahme nach § 23 Abs. 5 Satz 1 und 2 BauNVO 1977 i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplans scheidet aus, da das Gesamtkonzept die Zulässigkeit von Garagen nur in den rot markierten Bereichen vorsieht und untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ausschließt (vgl. Ziff. 2.2 und 8.2 der textlichen Festsetzungen).
3. Eine etwaige anfängliche Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 19 in der Fassung der 2. Änderung kann der Kläger nicht (mehr) für sich in Anspruch nehmen.
Unabhängig davon, dass – wie die Kammer bereits im Urteil vom 8.6.2011 – M 9 K 10.3978 – juris, bestätigt durch BayVGH, B.v. 29.4.2013 – 2 ZB 11.1830 – Entscheidungsabdruck für dasselbe Grundstück entschieden hatte – gegen die einschlägigen Festsetzungen des Bebauungsplans keine durchgreifenden Bedenken bestehen, kann sich der Kläger nach BayVGH, a.a.O., Rn. 3f. nicht mehr auf eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 19 berufen, nachdem er ihn zu seinem eigenen Vorteil ausgenutzt hat; dies gelte insbesondere auch für das Vorbringen, es hätte ein großzügigerer Bauraum festgesetzt werden müssen. Alles andere würde einen Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium darstellen (zum Ganzen: BayVGH, a.a.O.).
Zudem besteht in zeitlicher Hinsicht keine Möglichkeit einer Inzidentkontrolle mehr, etwaige Mängel der Bauraumfestsetzung auf dem klägerischen Grundstück sind nicht mehr überprüfbar. Die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 19 trat 1989 in Kraft. Nach dem damals geltenden § 215 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BauGB 1987 mussten Mängel der Abwägung binnen sieben Jahren ab Inkrafttreten geltend gemacht werden; anders als nach heutiger Rechtslage war ein Abwägungsfehler nach der gemäß § 233 Abs. 2 Satz 2 BauGB weiter anwendbaren Rechtslage mithin kein sog. Ewigkeitsmangel (vgl. dazu BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 1 B 14.1652 – juris; OVG NW, U.v. 22.2.2017 – 7 A 1397/15 – juris), sondern die Rügemöglichkeit verfiel nach Ablauf der Frist. Letzteres gilt analog auch für Klagen betreffend Einzelvorhaben und für die Möglichkeit einer Inzidentkontrolle des einschlägigen Bebauungsplans (siehe BayVGH, a.a.O. und OVG NW, a.a.O.). Vorliegend rügt der Kläger einen derartigen Abwägungsmangel, da er nur sein Grundstück durch die Festsetzung eines zu geringen Bauraums benachteiligt sieht; es wird gerade nicht behauptet, dass der Bebauungsplan insgesamt die Vorgaben des § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BauNVO überschreiten würde – das ist auch unabhängig vom klägerischen Vortrag nicht ersichtlich. Eine nach Meinung des Klägers nicht hinreichende Gewichtung seiner Belange aber stellt einen (behaupteten) Abwägungsmangel dar, für den im Zeitpunkt der Entscheidung keine Berufungsmöglichkeit mehr besteht.
4. Auch für eine Funktionslosigkeit der Festsetzungen ist nichts ersichtlich. Festsetzungen eines Bebauungsplans werden nur dann funktionslos, wenn die tatsächliche Entwicklung einen Zustand erreicht hat, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und wenn die dadurch fehlende Steuerungsfunktion der Festsetzung offenkundig ist, so dass ein Vertrauen auf die Fortgeltung der Festsetzung nicht mehr schutzwürdig ist (statt aller BayVGH, B.v. 14.2.2017 – 1 ZB 14.2641 – juris). Der Kläger beruft sich mit seiner schriftsätzlichen Nennung etwaiger Bezugsfälle nicht auf Überschreitungen der Baugrenzen, sondern darauf, dass die angesprochenen Grundstücke im Umgriff „eine deutlich höhere Nutzungsmöglichkeit“ aufwiesen. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine tatsächliche Entwicklung zu belegen, die ein Umsetzen der Maßgaben des Bebauungsplans unmöglich machen würde. Gleiches gilt für die Ergänzungen des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung. Hingewiesen wurde lediglich auf zwei vermeintliche Bauraumüberschreitungen in der Umgebung, was von vorn herein nicht geeignet ist, ein Funktionsloswerden – das nur bei eklatanten Abweichungen in Betracht kommt – zu belegen. Die Überschreitung der Stellplatzfläche auf FlNr. 155 werde nach Aussage der Vertreter des Beklagten aufgegriffen, die behauptete Überschreitung auf FlNr. 163/5 ist auch nach den Erkenntnissen des Augenscheins bereits dem Grunde nach zweifelhaft, da der Bebauungsplan in der südwestlichen Ecke des Grundstücks an sich ein Nebengebäude als Bestand ausweist; die Frage, ob sich die derzeitige Bebauung mit dem Altbestand deckt, war vom Baugrundstück aus nicht abschließend festzustellen, werde aber vonseiten des Beklagten aufgenommen und geprüft. Unabhängig davon können die angesprochenen Anlagen leicht zurückgebaut werden und stehen der weiteren Realisierung der Festsetzungen somit ohnehin nicht entgegen.
5. Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB scheitert bereits daran, dass eine Umsetzung des klägerischen Vorhabens die Grundzüge der Planung berühren würde. Mit den Grundzügen der Planung umschreibt das Gesetz die planerische Grundkonzeption, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zugrunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt. Hierzu gehören die Planungsüberlegungen, die für die Verwirklichung der Hauptziele der Planung sowie den mit den Festsetzungen insoweit verfolgten Interessenausgleich und damit für das Abwägungsergebnis maßgeblich sind. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Veränderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Weg der (Um-)Planung möglich ist. Ob eine Befreiung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, nämlich dem im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen (zum Ganzen BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 2 B 16.1574 – juris).
Gemessen an diesen Vorgaben würde eine Befreiung hier Grundzüge der Planung berühren. Wie aus den Festsetzungen und aus der Begründung der Ursprungsfassung des Bebauungsplans Nr. 19 hervorgeht, war ein maßgebliches Ziel der Planung ein „Einfrieren“ des Bestands; bauliche Veränderungen im unmittelbaren Uferbereich des S.-Sees sollten nur noch vereinzelt und in bescheidenem Umfang möglich sein. Das geht Hand in Hand mit dem Zweck, in diesem „bevorzugten Bereich“ [sic!] ein Hauptaugenmerk auf die Förderung der bestehenden Fremdenverkehrsnutzung zu legen; eine Nachverdichtung soll in der ohnehin schon eng bebauten Uferlinie nicht nur wegen der Sichtbeziehungen zum See engen Beschränkungen unterworfen werden.
Das Vorhaben würde diesen Leitlinien widersprechen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Verwirklichung des Nebengebäudes auf dem – durch das Ferienhaus und die Gasthofterrasse – ohnehin schon stark beanspruchten Grundstück des Klägers eine weitere Verdichtung der Bebauung in der Uferzeile darstellen würde, die den Zielen einer Erhaltung der letzten Freiflächen und einer Auflockerung der baulichen Situation zuwiderläuft. Auch die Situation des klägerischen Grundstücks als „Vorderlieger“ spricht dafür, eine derartige Überschreitung des Bauraums nicht zuzulassen; dies folgt nicht nur, aber auch aus der möglicherweise beeinträchtigten Sichtlinie der Gasthausbesucher auf der im nördlichen Bereich befindlichen Terrasse zum See. Die angesprochenen Leitlinien sind auch bis heute verfolgt und umgesetzt worden: Die oben bereits behandelten Bezugsfälle begründen, selbst wenn man sie in diesem Zusammenhang fruchtbar machen könnte – was auch für die Überschreitung der Stellplatzfläche fraglich ist, da ein Nebengebäude wie das hier geplante Vorhaben nicht vergleichbare, weit erheblichere Vorbild- und Folgewirkungen zeitigen würde (vgl. dazu BayVGH, B.v. 1.4.2016 – 15 CS 15.2451 – juris) -, keine Abkehr von den Grundzügen der Planung. Damit würde eine Funktionslosigkeit der Festsetzungen einhergehen (vgl. auch EZBK, BauGB, Stand: 124. EL Februar 2017, § 31 Rn. 36a), die oben bereits abgelehnt wurde.
Nachdem die Grundzüge der Planung durch das Vorhaben berührt werden, kann dahinstehen, dass die angeführten Bezugsfälle – ihrer geringen Anzahl und ihrer zweifelhaften Vergleichbarkeit wegen – auch nicht geeignet wären, eine städtebauliche Vertretbarkeit des klägerischen Vorhabens im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB zu begründen (vgl. dazu BayVGH, B.v. 29.4.2013 – 2 ZB 11.1830 – Entscheidungsabdruck Rn. 9). Nur der Vollständigkeit halber ist noch anzumerken, dass die Bezugsfälle auch nicht zu einem Befreiungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung, Art. 3 Abs. 1 GG, führen können. Liegen, wie die Vertreter des Beklagten vermuteten, keine Genehmigungen vor, liegt dieses Ergebnis auf der Hand. Wären Befreiungen erteilt und wäre dies rechtmäßig erfolgt, sind die Sachverhalte nicht vergleichbar. Wären die Befreiungen rechtswidrig erteilt, besteht kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (vgl. BayVGH, B.v. 1.4.2016 – 15 CS 15.2451 – juris). Schließlich spricht gegen eine Befreiung der Umstand, dass mit der 2. Änderung des Bebauungsplans für das klägerische Grundstück unter Abwägung aller relevanten Gesichtspunkt ein Baurecht in bestimmtem Umfang hergestellt wurde und weitere Bebauungsmöglichkeiten ausgeschlossen blieben. Durch diese Anpassung der Planungskonzeption wurde die Grundlage geschaffen für die aus Sicht des Beigeladenen noch in Betracht kommenden, (abschließend) mit den erläuterten Zielen in Einklang zu bringenden Veränderungen; darüber hinausgehende Erweiterungen gehen mit dem planerischen Willen (endgültig) nicht mehr konform und können dann auch nicht im Wege einer Befreiung umgesetzt werden (vgl. dazu auch Battis u.a., BauGB, Stand: 13. Aufl. 2016, § 31 Rn. 29; zur Berücksichtigung sogar von noch nicht realisierten Planänderungsabsichten BVerwG, U.v. 19.9.2002 – 4 C 13/01 – juris; BayVGH, U.v. 30.3.2009 – 1 B 05.616 – juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.