Verwaltungsrecht

Vorgetragenes Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft

Aktenzeichen  M 4 K 16.34064

Datum:
18.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Zwar ist die aktuelle Situation im Irak äußerst unübersichtlich und in einigen Gebieten durch die Kampfhandlungen des IS offenbar gefährlich; diese Entwicklung reicht jedoch für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht aus; zudem besteht in den kurdischen Autonomiegebieten eine innerstaatliche Fluchtalternative. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak vor. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 18. April 2017 entscheiden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. In der ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
I.
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Das Gericht verweist insoweit auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Den Klägern steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Asylgesetz -AsylG-) oder des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) zu. Die Asylanerkennung wurde vor dem Bundesamt schon nicht weiterverfolgt.
1. Die Kläger haben zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, §§ 3 ff. AsylG.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furch nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Nach diesen Grundsätzen droht den Klägern bei einer Rückkehr ins Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung in diesem Sinne.
Die Klägerin zu 1 hat in der mündlichen Verhandlung einen so unglaubwürdigen Eindruck gemacht, dass das Gericht die vorgetragene Verfolgungsgeschichte nicht glaubt. Zudem sind die Kläger nach eigenen Angaben nicht persönlich verfolgt worden; die Klägerin zu 1 hat sich von ihrem Ehemann getrennt.
Zumindest hätten sie einer Verfolgung durch einen Umzug in eine andere Region entgehen können. Zumindest in den kurdischen Autonomiegebieten besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
Soweit sich die Kläger darauf stützen, als Sunniten schlecht behandelt worden zu sein, kann auch dies keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen, denn es liegt aktuell keine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak vor. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung weitgehend geklärt (vgl. zuletzt BVerwG v. 21.4.2009, Az.: 10 C 11.08, AuAs 2009, 173-175, zu Sunniten im Irak; ferner BVerwG v. 1.2.2007, Az.: 1 C 24.06, NVwZ 2007, 590 = InfAuslR 2007, 211 = AuAS 2007, 68, zu Tschetschenen; BVerwG v. 5.1.2007, Az.: 1 B 59.06, juris; BVerwG v. 18.7.2006, Az.: 1 C 15.05, BVerwGE 126, 243 = NVwZ 2006, 1420 = DVBl 2006, 1512 = ZAR 2006, 410 = InfAuslR 2007, 33 = BayVBl 2007, 151, zu Christen im Irak; jeweils mit weiteren Nachweisen). Nach Auffassung des Gerichts liegt die für eine Gruppenverfolgung von Sunniten erforderliche Gefahrendichte in der Herkunftsregion der Kläger nicht vor. Zwar wurde die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Iraks bildete, nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003 insbesondere in den Jahren 2006 bis 2014 aus öffentlichen Positionen gedrängt. Allerdings erkennt die Verfassung des Iraks das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an und es findet keine systematische Diskriminierung oder Verfolgung von religiösen oder ethnischen Minderheiten durch Behörden statt. (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18. Februar 2016, S. 9, 13; vgl. auch die ständige Rechtsprechung der Kammer und des BayVGH).
2. Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 c der RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu.
a) Hinsichtlich des von den Klägern vorgetragenen persönlichen Verfolgungsschicksals wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
b) Auch herrscht in … kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Dass nicht gleichsam jede Zivilperson im Irak allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, folgt bereits daraus, dass bei einer Gesamtbevölkerung mit etwa 32 bis 34 Millionen Einwohnern (vgl.http: …www.asien-auf-einen-blick.de/irak/,http: …www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/ Laenderinfos/01-Laender/Irak.html) die Zahl der zivilen Todesopfer im Jahr 2015 mit insgesamt 17.502 (2014: 20.169 vgl. https: …www. iraqbodycount.org/database/ vom 29.09.2016) angegeben ist. Auch wenn die Opferzahlen 2016 bzw. 2017 angestiegen sind bzw. ansteigen sollten, reicht die abstrakte Gefahr, angesichts von Kampfeshandlungen in einigen Bereichen im Irak Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht aus. Eine Rückkehr nach … erscheint unter diesen Gesichtspunkten möglich.
Aus aktuellem Anlass ist noch darauf hinzuweisen, dass die Situation im Irak derzeit unübersichtlich und in einigen Gebieten durch die Kampfhandlungen der ISIS offenbar gefährlich ist. Doch reicht diese bisherige Entwicklung für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. BVerwG vom 27.04.2010, Az. 10 C 4/09) nicht aus. Festzustellen ist, dass …, der Heimatort der Kläger, von den Kämpfen selbst nicht betroffen war/ist. Die stattgefundenen Kampfhandlungen drangen bislang nicht bis in die Stadt … vor. Dies ergibt sich aus der täglichen Berichterstattung der Medien.
3. Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Ziff. 5, wonach die Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert werden, keinerlei Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn sie sind, wie oben ausgeführt, weder als Flüchtlinge anzuerkennen, noch steht ihnen subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu; sie besitzen auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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