Aktenzeichen M 21 K 15.3207
Leitsatz
1 Der sog. nachgeheirateten Witwe steht kein Unterhaltsbeitrag (§ 22 Abs. 1 BeamtVG) zu, wenn sie den Ausschlussgrund der Versorgungsehe nicht widerlegen kann. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die bei einer Ehedauer unter einem Jahr eingreifende gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BeamtVG) kann widerlegt werden, wenn von der Versorgungsabsicht unabhängige Gründe überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Eheschließung und Kenntnis von der tödlichen Erkrankung spricht für eine Versorgungsabsicht. Nicht maßgeblich ist, ob die Witwe wegen einer anderweitigen finanziellen Absicherung auf die Versorgung angewiesen ist. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein bereits vor der Erkrankung gefasster und aus nachvollziehbaren Gründen nur aufgeschobener Heiratsentschluss spricht gegen eine Versorgungsabsicht. Die Verzögerung der Eheschließung über 13 Jahre lässt sich aber nicht wirklichkeitsnah erklären. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist entsprechend dem zuletzt gestellten Klageantrag auf die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 22 BeamtVG nach Maßgabe der von der Beklagten vorgelegten fiktiven Berechnung gerichtet. Die Änderung des Antrags gegenüber der ursprünglich auf Gewährung einer Witwenrente gerichteten Antragstellung ist als Klarstellung anzusehen, wäre i.Ü. aber auch als Klageänderung mit Einwilligung der Beklagten nach § 91 Abs. 1 und 2 VwGO zulässig.
Die Klage ist mit diesem Inhalt zulässig, aber unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Wird ein Witwengeld nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG nicht gewährt, weil die Ehe – wie vorliegend – erst nach dem Eintritt des Beamten in den Ruhestand geschlossen worden ist und der Ruhestandsbeamte zur Zeit der Eheschließung die Regelaltersgrenze nach § 51 Abs. 1 und 2 des Bundesbeamtengesetzes bereits erreicht hatte (sog. nachgeheiratete Witwe), so erhält die Witwe nach § 22 Abs. 1 BeamtVG einen Unterhaltsbeitrag in Höhe des Witwengeldes, auf den Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen in angemessenem Umfang anzurechnen sind, sofern die besonderen Umstände des Falles keine volle oder teilweise Versagung rechtfertigen. Dies gilt jedoch nur, wenn dem Witwengeld keine sonstigen Gründe entgegenstehen, insbesondere der Ausschlussgrund der Versorgungsehe nach Maßgabe von § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG widerlegt ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2016 – 3 ZB 13.1644 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG besteht ein Anspruch auf Witwengeld nicht, wenn die Ehe mit dem Verstorbenen nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen.
Eine Ehedauer von weniger als einem Jahr begründet die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe. Besondere Umstände, die die Vermutung einer Versorgungsehe entkräften können, sind solche, die auf einen anderen Beweggrund der Heirat als die Versorgungsabsicht schließen lassen. Umstände, bei denen ein anderer Beweggrund als die Versorgungsabsicht nahe liegt, sind etwa gegeben, wenn der Beamte unvorhergesehen verstorben ist, im Zeitpunkt der Heirat also nicht mit seinem Tod zu rechnen war. Musste hingegen im Zeitpunkt der Heirat mit dem Tod des Beamten gerechnet werden – etwa bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung -, liegt die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nahe, sie kann indes widerlegt werden. Auch ein bereits vor der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung getroffener Heiratsentschluss kann ein besonderer Umstand im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG sein, sofern die Heirat aus wirklichkeitsnahen Gründen nur aufgeschoben wurde, der Heiratsentschluss aber nicht aufgegeben worden ist. Die Vermutung einer Versorgungsehe ist widerlegt, wenn eine Gesamtbetrachtung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Ausreichend für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung ist, dass für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat. Allerdings müssen die gegen eine Versorgungsehe sprechenden Umstände umso gewichtiger sein, je offenkundiger und lebensbedrohlicher die Krankheit des Beamten zum Zeitpunkt der Heirat war. Für die Widerlegung der Vermutung stehen der Witwe alle zulässigen Beweismittel zur Verfügung. Ihr Vorbringen ist im Rahmen der Beweiswürdigung zu werten, wobei Behörde bzw. Gericht die volle Überzeugung davon gewinnen müssen, dass die von ihr vorgetragene Motivation für die Heirat der Wahrheit entspricht (BVerwG, U.v. 28.1.2016 – 2 C 21/14 – juris Rn. 15 ff.; zusammenfassend BayVGH, B.v. 20.6.2016 a.a.O. – juris Rn. 4).
Entsprechend diesen Maßstäben wurde die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sprechen nicht ausreichend viele Gründe dafür, dass die von der Versorgungsabsicht unabhängigen Beweggründe überwogen haben oder zumindest gleichwertig waren.
Für eine mit der Eheschließung verfolgte Versorgungsabsicht spricht insbesondere der enge zeitliche Bezug der Eheschließung zur Kenntnis von der Krebserkrankung des verstorbenen Ehemanns der Klägerin, bei der absehbar mit dem Tod zu rechnen war. Dabei kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass die gestellte Diagnose nicht zwingend zu einem Ableben innerhalb eines Jahres hätte führen müssen und die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann auf eine längere Restlebensdauer gehofft haben. Ferner ist zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass der Tod des verstorbenen Ehemanns erst ca. zehn Monate nach Eingehung der Ehe und damit ca. zwei Monate vor Ablauf der für die Regelvermutung in § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG maßgeblichen Jahresfrist eintrat. Zu Ihren Lasten spricht jedoch, dass die konkreten Vorbereitungen für die Ehe – Anforderung von Urkunden – sowie die nachfolgende Eheschließung im Februar 2014 und damit in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Kenntniserlangung im Januar von der schweren Krebserkrankung standen. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang zudem selbst eingeräumt, dass ihrem Mann auch wichtig gewesen sei, dass sie als Ehefrau einen besseren Status bei Ärzten und Behörden gehabt habe, auch im Hinblick auf erbrechtliche Fragen. Die Eingehung der Ehe stand damit erkennbar auch im Zusammenhang mit der Erkrankung und dem möglichen Tod des Ehemanns. Damit liegt der Schluss nahe, dass bei der Entscheidung zur Eingehung der Ehe für die Klägerin und ihren Mann – ungeachtet einer bereits bestehenden finanziellen Absicherung der Klägerin durch ihre Rente sowie eine Erbregelung zum Nießbrauch an der Eigentumswohnung des Ehemanns – auch die Begründung beamtenversorgungsrechtlicher Ansprüche zugunsten der Klägerin eine Rolle spielte. Darauf, ob die Klägerin im Hinblick auf eine anderweitige finanzielle Absicherung auf eine beamtenrechtliche Versorgung angewiesen war, kommt es dagegen nicht an (BVerwG, B.v. 19.1.2009 – 2 B 14/08 – juris Rn. 9).
Demgegenüber genügen die von der Klägerin aufgeführten Gesichtspunkte nicht für eine hiervon abweichende Bewertung und lassen nicht auf ein Überwiegen oder eine Gleichwertigkeit versorgungsunabhängiger Beweggründe für die Ehe schließen – insbesondere hat das Gericht auch nicht die Überzeugung gewonnen, dass sich die Eheschließung als Umsetzung eines bereits vor Kenntnis der Erkrankung gefassten Heiratsentschlusses darstellte und die Heirat aus wirklichkeitsnahen Gründen nur aufgeschoben, der Heiratsentschluss aber nicht aufgegeben worden war.
Eine langjährige Beziehung sowie wiederholte Gespräche bzw. Bekundungen allgemeiner Heiratsabsichten genügen für das Bestehen eines konkreten Heiratsentschlusses nicht. Selbst in Fällen, in denen eine auf unbegrenzte Zeit angelegte Bindung seit Jahrzehnten bestand und nur die formelle Legalisierung unterblieb, stellt sich die spätere Eheschließung nach der gesetzlichen Vermutung in der Regel als Versorgungsehe dar Das Bestehen einer langjährigen Lebensgemeinschaft reicht daher als solches nicht aus, die Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen, wenn sich die Partner angesichts einer ernsthaften Erkrankung zur Heirat entschließen (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2006 – 14 ZB 04.2400 – juris Rn. 5 und 6; B.v. 24.8.2011 – 14 ZB 09.1067 – juris Rn. 5 und 6 m.w.N.).
Auch die seitens der Klägerin erstmals im Klageverfahren geltend gemachte Verlobung im Oktober 2000 lässt nicht darauf schließen, dass mit der Eheschließung ein bereits vor der Erkrankung gefasster und fortbestehender Heiratsentschluss umgesetzt wurde.
Das mit einer Verlobung verknüpfte Heiratsversprechen kann formlos und auch stillschweigend wieder aufgegeben werden (vgl. Roth in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2016, BGB, § 1297 Rn. 9). Bei der Bewertung, ob eine Verlobung stillschweigend aufgehoben worden ist, kommt auch dem Zeitablauf Bedeutung zu (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2006 a.a.O. – juris Rn. 8).
Selbst wenn man – trotz bestehender Zweifel vor allem im Hinblick auf die Aussage der Klägerin im Verwaltungsverfahren, über eine Heirat sei erst einige Jahre nach dem Kennenlernen gesprochen worden – zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass zu Beginn der Beziehung eine konkrete Heiratsabsicht bestand und eine Verlobung im Jahr 2000 tatsächlich erfolgt ist, so kann im Hinblick auf den Zeitablauf von über 13 Jahren mangels plausibler Darstellung wirklichkeitsnaher Gründe nicht davon ausgegangen werden, dass ein damaliges Heiratsversprechen im Zeitpunkt der Kenntnis von der Erkrankung des Ehemanns noch fortbestand.
Insofern zeigt bereits das Verschweigen der Verlobung im Verwaltungsverfahren, dass die Klägerin diesem Gesichtspunkt keine Bedeutung zumaß und davon ausging, dass ein Heiratsversprechen im Hinblick auf eine Verlobung nicht mehr fortbestand. Die Erklärung der Klägerin dazu in der mündlichen Verhandlung, ihr sei im Verwaltungsverfahren die rechtliche Bedeutung der Verlobung für das Bestehen einer Versorgungsehe nicht bewusst gewesen, überzeugt nicht. Auch wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass dieser die maßgeblichen Anforderungen der Rechtsprechung zur Entkräftung der Vermutung einer Versorgungsehe nicht bekannt waren, war ihr im Zusammenhang mit den von der BFD SW an sie gerichteten Fragen zur Hinterbliebenenversorgung die Problematik einer Versorgungsehe im Kern klar. Bei einem fortbestehenden Heiratsentschluss aufgrund der Verlobung wäre auch ohne rechtliche Detailkenntnisse die Benennung der Verlobung zu erwarten gewesen.
Die Zweifel am Fortbestehen eines konkreten Heiratsentschlusses werden durch die weiteren Umstände, die die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren dargestellt und in der mündlichen Verhandlung nochmals erläutert hat, bestätigt. Die von ihr geltend gemachten Gründe können die lange Verzögerung der Eheschließung trotz eines konkreten Heiratsentschlusses nicht wirklichkeitsnah erklären. Das gilt zunächst im Hinblick auf Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Beschaffung von Urkunden – die Beschaffung der erforderlichen Urkunden war nach Kenntnis der Erkrankung des verstorbenen Ehemanns innerhalb kurzer Zeit möglich. Auch Erkrankungen der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemanns sowie Erkrankungen und Todesfälle im Familienkreis erklären die Verzögerung der Eheschließung über einen Zeitraum von über 13 Jahren nicht. Das Gericht geht im Hinblick auf die Aussagen der Klägerin vielmehr davon aus, dass sie und ihr verstorbener Ehemann vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Lebenserfahrungen, ihres Alters und ihrer Selbständigkeit innere Zweifel an einer erneuten Eheschließung hatten und deswegen Heiratsabsichten, die möglicherweise zu Beginn der Beziehung noch konkret waren, nicht konsequent verfolgten. Dafür spricht auch, dass selbst auf eine gemeinsame Wohnung aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen und zur Vermeidung von Konflikten verzichtet wurde.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO