Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag wegen fehlender Personenidentität von Anhörer und Entscheider

Aktenzeichen  W 5 S 16.32672

Datum:
29.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 122420
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 36 Abs. 4
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 1
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 114

 

Leitsatz

1 Im Asylverwaltungsverfahren müssen Anhörer und Entscheider nicht zwingend ein und dieselbe Person sein. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes bestehen bei einer Personenverschiedenheit von Anhörer und Entscheider, wenn die Trennung im konkreten Fall tatsächlich zu einem Rechtsfehler geführt haben könnte. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung ganz wesentlich auf einer Glaubwürdigkeitsprüfung beruht. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Dezember 2016, Geschäftszeichen …, wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Dem Antragsteller wird für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, …, bewilligt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben am … 1973 in Herat (Afghanistan) geborener afghanischer Staatsangehöriger, schiitischen Glaubens und von der Volksgruppe der Bayat, reiste am 3. April 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 11. April 2014 einen Asylantrag.
1. Bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 3. November 2016, die durch die anhörende Entscheiderin Frau B. durchgeführt wurde, gab der Antragsteller – in der Sprache Dari – im Wesentlichen an, dass er sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan zusammen mit seiner Ehefrau, seiner Mutter und seinen drei Brüdern in Herat aufgehalten habe. Er sei dann ca. neun Monate in der Türkei und ca. vier Monate in Griechenland gewesen. Zu seinen Ausreisegründen befragt, erklärte der Antragsteller, dass neben seinem Geschäft eine andere Reparaturwerkstätte gewesen sei, die von Drogendealern betrieben worden sei. Als er gehört habe, dass diese eine Person entführen wollten, habe er dies einem Bekannten, der Polizist sei, erzählt. Nach der Entführung und einer Schießerei, bei der einer der vg. Personen erschossen worden sei und nach der die anderen beiden Drogendealer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden seien, hätten die Bedrohungen angefangen. Es sei auch ein Anschlag mit einem PKW auf ihn durchgeführt worden. Er sei von den Familien des getöteten und der inhaftierten Drogendealer bedroht worden, so dass er alles verkauft und Afghanistan verlassen habe. Zuvor habe er sich an die Polizei gewandt, die jedoch gesagt habe, dass sie nur dann etwas machen könne, wenn er Beweise habe.
Laut Untersuchungsvermerk der Physikalisch-Technischen Urkundenuntersuchung des Bundesamtes vom 29. November 2016 (Bl. 134 ff. der Behördenakte) liegt hinsichtlich der vom Antragsteller vorgelegten Tazkira wie auch der von ihm vorgelegten Heiratsurkunde ein vorläufiger Manipulationsverdacht vor. Ausweislich des Vermerks wurden bei der Inaugenscheinnahme Beanstandungen am Dokument festgestellt, welche auf eine Manipulation schließen lassen. Der Grad der Manipulation steht hiernach noch nicht abschließend fest; auch wird noch nicht abschließend beurteilt, ob bei der Beanstandung die Personalisierung und somit die Identität des Dokumenteninhabers betroffen ist und dadurch infrage steht.
2. Mit Bescheid vom 12. Dezember 2016, zur Post gegeben am 14. Dezember 2016, wurden der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheides) sowie auf subsidiären Schutz (Ziffer 2) als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 3). Der Antragsteller wurde aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht; der Antragsteller könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Übernahme verpflichtet sei (Ziffer 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 5).
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nicht vorlägen. Der Antragsteller sei kein Flüchtling und kein subsidiär Schutzberechtigter im Sinne des § 3 bzw. § 4 AsylG. Die Würdigung aller Umstände, vor allem die Angaben des Ausländers in der persönlichen Anhörung, führten nicht zu der Überzeugung, dass er die afghanische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitze. Die mangelnde Glaubhaftmachung ergebe sich im vorliegenden Fall aus einer Gesamtschau folgender Umstände: Der Ausländer habe lediglich gefälschte Personaldokumente vorlegen können. Aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit und dem damit verbundenen unbekannten Herkunftsland des Antragstellers habe die geschilderte Furcht vor Verfolgung und die geschilderte Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schaden als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden können. Der Vortrag des Antragstellers sei insgesamt oberflächlich gewesen. Er habe weder die ihn bedrohenden Familien mit Namen benannt noch habe er z.B. seine Verletzungen durch den angeblichen Anschlag mit dem Auto nachgewiesen. Auch der Schutz durch die Polizei sei lapidar als unzureichend beschrieben worden. Dem Antragsteller sei es trotz der geschilderten erheblichen Bedrohung gelungen, sein gesamtes Hab und Gut zu verkaufen, um danach nach Kabul zu fliehen. Einen Grund, warum er Kabul verlassen habe, habe der Antragsteller nicht vorgetragen. Der Asylantrag sei zudem als offensichtlich unbegründet abzulehnen gewesen. Denn gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG sei ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täusche oder diese Angaben verweigere. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Denn aufgrund der unglaubhaften Angaben des Antragstellers komme eine Abschiebung in das angebliche Herkunftsland Afghanistan nicht in Betracht und außerdem habe der Antragsteller hinsichtlich anderer Staaten keine Gründe für die Annahme einer dort drohenden Gefahr geltend gemacht.
Der Bescheid wurde vom Einzelentscheider bzw. von der Einzelentscheiderin W. unterzeichnet.
3. Der Antragsteller ließ durch seinen Bevollmächtigten am 22. Dezember 2016 Klage erheben (W 5 K 16.32671). Gleichzeitig ließ er im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, sowie ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten zu gewähren.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller sei afghanischer Staatsangehöriger und habe sein Heimatland aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen. Er habe seine afghanische Staatsangehörigkeit durch Vorlage einer Tazkira und einer Heiratsurkunde belegt. Dementsprechend sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Antragsgegnerin die Staatsangehörigkeit des Antragstellers anzweifele. Der vorverfolgt ausgereiste Antragsteller könne auch nicht darauf verwiesen werden, in einem anderen Landesteil Schutz zu suchen. Auch nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK ergebe sich ein Anspruch des Antragstellers auf subsidiären Schutz. Hilfsweise habe der Antragsteller auch einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Zumindest lägen unter Berücksichtigung der Angaben des Antragstellers im Rahmen des Vorverfahrens als auch den Ausführungen in der Antragsbegründung die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten strengen Kriterien eines Offensichtlichkeitsurteils nicht vor. Somit sei jedenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
4. Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der am 22. Dezember 2016 erhobenen Klage anzuordnen ist ebenso begründet wie der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides ist zulässig, insbesondere wurde er innerhalb der Wochenfrist nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
2. Der Antrag ist auch begründet, weil nach Aktenlage ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
2.1. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Prüfungsmaßstab zur Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs ist die Frage, ob die für die Aussetzung der Abschiebung erforderlichen ernstlichen Zweifel bezogen auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes vorliegen. Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – DVBl. 1996, 729).
Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält (§ 30 Abs. 2 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 02, 146; vom 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 93, 196). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamts in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe bei der gebotenen summarischen Prüfung mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
2.2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Bescheid des Bundesamts vom 12. Dezember 2016 zu beanstanden.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet bestehen schon aufgrund der Trennung des Anhörungs- und des Entscheidungsverfahrens beim Bundesamt. Denn die Person, die die nach § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG erforderliche persönliche Anhörung des Antragstellers am 3. November 2016 durchgeführt hat, ist nicht identisch mit der Person, die die angefochtene Entscheidung vom 12. Dezember 2016 getroffen hat. Zwar schließt sich das Gericht der Rechtsprechung verschiedener Verwaltungsgerichte an, wonach sich aus dem Asylgesetz nicht zwingend ableiten lässt, dass Anhörer und Entscheider identisch zu sein haben (vgl. VG Bremen, B.v. 5.1.2016 – 5 V 2543/15; VG Göttingen, B.v. 17.8.2010 – 2 B 301/10 – beide juris m.w.N.). Denn das Asylgesetz schreibt nicht zwingend vor, dass Anhörung und Entscheidung von ein und derselben Person getroffen werden müssen. Aus den maßgeblichen Vorschriften der §§ 25 und 31 AsylG ergibt sich nicht, dass allein der Umstand, dass der zur Entscheidung berufene Einzelentscheider den jeweiligen Asylbewerber nicht persönlich angehört hat, zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung über den Asylantrag führt. So ist die fehlende Identität von Anhörer und Entscheider u.a. dann nicht relevant, wenn sich aus dem Vortrag des Antragstellers, dessen Richtigkeit unterstellt, überhaupt keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer politischen Verfolgung ergeben (VG Augsburg, B.v. 31.3.2010 – Au 7 S. 10.30096; B.v. 29.3.2010 – Au 7 S. 10.30066 – beide juris).
Etwas anderes ist jedoch dann anzunehmen, wenn die Trennung im konkreten Fall tatsächlich zu einem Rechtsfehler geführt haben könnte. Dies ist der Fall, wenn die persönliche Anhörung des Asylsuchenden grundsätzlich für die Beweiswürdigung von entscheidungserheblicher Bedeutung ist und die Entscheidung über ein Asylbegehren bzw. Flüchtlingsanerkennung ganz wesentlich auf einer Glaubwürdigkeitsprüfung beruht und somit grundsätzlich eine verfahrensrechtliche Trennung von Anhörung und Entscheidung weder sachgerecht noch möglich erscheint (VG Würzburg, B.v. 11. 7.2016 – W 5 S. 16.30874; B.v. 28.8.2014 – W 1 S. 14.30466; VG Göttingen, B.v. 17.8.2010 – 2 B 301/10; VG München, B.v. 15.9.2008 – M 24 S. 08.60056; VG München, B.v. 29.4.2003 – M 21 S. 03.60155; VG Frankfurt/Oder, B.v. 23.3.2000 – 4 L 167/00 – alle juris; Hofmann/Hoffmann, HK-Ausländerrecht, 2016, § 25 AsylG Rn. 20). Denn zum einen sind die tatsächlichen Angaben so gut wie nie vollständig im Anhörungsprotokoll vermerkt. Zum anderen fehlt es an einer Niederlegung der persönlichen Eindrücke etwa über das Verhalten des Asylsuchenden. Daraus ist zu folgern, dass es dem Entscheider, der nicht selbst die Anhörung durchgeführt hat, sondern sich nur auf die Niederschrift stützen kann, versagt bleiben muss, seine Entscheidung auf Ungereimtheiten und mangelnde Substanziiertheit des Vortrages des Asylsuchenden sowie auf Erkenntnisse zu stützen, die nur durch den persönlichen Eindruck gewonnen werden können (vgl. Hofmann/Hoffmann, GK-AsylG, § 25 AsylG Rn. 20).
Im vorliegenden Fall beruht die Entscheidung, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abzulehnen, ausweislich der Bescheidsgründe (S. 2 f. des Bescheides, Bl. 139 f. der Bundesamtsakte), zumindest wesentlich auf der Einschätzung, das Vorbringen des Antragstellers im Rahmen der Anhörung sei nicht glaubhaft. Tragend für die negative Entscheidung ist nämlich die Aussage des Bundesamts (S. 2 des Bescheids), dass „die Würdigung aller Umstände, vor allem die Angaben des Ausländers in der persönlichen Anhörung“ nicht zu der Überzeugung geführt hätten, dass er die afghanische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitze und dass aus diesem Grund „die geschilderte Furcht vor Verfolgung und geschilderte Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden“ kann. So sei der Vortrag des Antragstellers „insgesamt oberflächlich“. Er habe weder die ihn bedrohenden Familien mit Namen benannt noch habe er Verletzungen nachweisen können. Auch der Schutz durch die Polizei sei lapidar als unzureichend beschrieben worden. Dem Antragsteller sei es trotz der geschilderten erheblichen Bedrohung gelungen, sein gesamtes Hab und Gut zu verkaufen, um dann nach Kabul zu fliehen. Einen Grund, warum er Kabul verlassen habe, habe der Antragsteller nicht vorgetragen.
Im Falle der Personenidentität von Anhörer und Entscheider hätten diese Unklarheiten jedoch in der Anhörung durch Nachfrage aufgeklärt werden können, zumal der Antragsteller im Rahmen der Anhörung durchaus weiterführende Angaben hinsichtlich der bedrohenden Familien sowie auch hinsichtlich des Anschlags mit dem Auto gemacht hat.
Darüber hinaus ist sehr fraglich, ob der vom Bundesamt zugrunde gelegte Ausgangspunkt, dass der Antragsteller „lediglich gefälschte Personaldokumente“ vorgelegt hat, tatsächlich richtig ist. Denn ausweislich des Untersuchungsvermerks der Physikalisch-Technischen Urkundenuntersuchung des Bundesamtes vom 29. November 2016 (Bl. 134 ff. der Behördenakte) liegt zwar hinsichtlich der vom Antragsteller vorgelegten Tazkira wie auch der von ihm vorgelegten Heiratsurkunde ein „vorläufiger Manipulationsverdacht“ vor, allerdings ist von „gefälschten Personaldokumenten“ dort nicht die Rede. Ausweislich des Vermerks wurden bei der Inaugenscheinnahme zwar Beanstandungen am Dokument festgestellt, welche auf eine Manipulation schließen lassen. Allerdings steht der Grad der Manipulation hiernach noch nicht abschließend fest. Auch wird noch nicht abschließend beurteilt, ob bei der Beanstandung die Personalisierung und somit die Identität des Dokumenteninhabers betroffen ist und dadurch infrage steht.
Darüber hinaus lässt sich einem Aktenvermerk, der anlässlich einer Vorsprache des Antragstellers bei der Regierung von Oberbayern am 16. April 2014 gefertigt wurde (Bl. 49 f. der Behördenakte), entnehmen, dass der „Betroffene recht glaubhaft“ gewirkt habe und „besondere Zweifel an seiner afghanischen Herkunft“ nicht aufgetreten seien. Insgesamt habe er „zu jeder Frage präzise Angaben“ gemacht und sich in keinerlei Widersprüche verstrickt.
Nach allem bestehen erhebliche Zweifel an der Einschätzung des Bundesamts, wonach der Antragsteller gefälschte Personaldokumente vorgelegt habe und damit die Staatsangehörigkeit des Antragstellers ungeklärt sein soll, zumal noch darauf zu verweisen ist, dass der Antragsteller die Landessprache Afghanistans, nämlich Dari, spricht.
Nach allem liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Grund für die Abweisung des Antrags als unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genauso wenig vor wie ein solcher nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Fehlt es aber insoweit an einer ordnungsgemäßen Aufklärung des Sachverhalts betreffend den wesentlichen Kern des Verfolgungsgeschehens, lässt sich insbesondere die Ablehnung des Antrags auf Flüchtlingsanerkennung als offensichtlich unbegründet zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aufrechterhalten. Darüber hinaus ist auch ein subsidiärer Schutzstatus nicht völlig auszuschließen. Schließlich könnten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AsylG vorliegen. All diese Aspekte – die letztlich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens noch aufzuklären sein werden – stehen aber dem sofortigen Vollzug der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung entgegen (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
4. Nach allem war dem Antragsteller gemäß § 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

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