Aktenzeichen 5 Sa 222/16
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Leitsatz
1. Die Bezeichnung als AT-/ÜT-Mitarbeiter begründet bei nicht tarifgebundenen Parteien nur dann einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Wahrung eines Tarifabstands, wenn besondere Anhaltspunkte für einen so weitreichenden Bindungswillen hinzukommen. (Rn. 53 – 55)
2. Auch die Anlehnung an einen nicht normativ anwendbaren Tarifvertrag als betriebliches Vergütungssystem/Vergütungsordnung führt nicht dazu, dass wie bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber (dazu BAG BeckRS 2015, 65716; BAG BeckRS 2015, 65717 und BAG BeckRS 2009, 72156) ein Anspruch auf Wahrung eines Tarifabstandes besteht, schon weil eine betriebliche Vergütungsordnung auch den außertariflichen Bereich erfasst (so auch Parallelentscheidungen LAG München Urt. v. 27.9.2016 – 9 Sa 217/16 und LAG München Urt. v. 29.9.2016 – 7 Sa 215/16). (Rn. 57) (red. LS Ulf Kortstock)
Verfahrensgang
17 Ca 3108/15 2016-02-02 Urt ARBGMUENCHEN ArbG München
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 02.02.2016, Az.: 17 Ca 3108/15 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b) und c) statthafte und auch in der richtigen Form und rechtzeitig (§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1, 2 und 5 ArbGG) eingelegte und begründete Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Ar beitsgerichts München vom 02.02.2016 – Az.: 17 Ca 3108/15 bleibt erfolglos. Das Berufungsgericht schließt sich der sorgfältigen und ausführlichen Begründung des Arbeitsgerichts München im Ergebnis und in wesentlichen Teilen seiner Begründung an.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung, die den Tarifabstand wahrt. Soweit das Arbeitsgericht zutreffend einen Anspruch des Klägers aus Tarifvertrag, aus einer Regelungsabrede, aus einer Betriebsvereinbarung und aus einer betrieblichen Übung verneint hat, ergeben sich aus der Berufungsbegründung keine neuen Aspekte, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
Im Hinblick auf die Ausführungen der Parteien der Berufungsinstanz wird zusammenfassend noch einmal festgehalten, dass der Kläger sich auch nicht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts berufen kann, wonach eine konstitutive „Ernennung“ zum außertariflichen Angestellten bei beiderseitiger Tarifgebundenheit eine arbeitsvertragliche Zusicherung enthält, diesen Status durch Zahlung einer der Tarifentwicklung und ggf. einer tarifvertraglichen Abstandsklausel entsprechenden außertariflichen Vergütung zu erhalten (BAG 03.09.2014, 5 AZR 1020/12; BAG 03.09.2014, 5 AZR 240/13 und BAG 19.05.2009, 9 AZR 505/08).
Ein arbeitsvertraglicher Anspruch des Klägers auf Erhalt des Tarifabstandes ist insbesondere deshalb zu verneinen, weil aufgrund der fehlenden beiderseitigen Tarifgebundenheit aus den getroffenen Vereinbarungen auch durch Auslegung kein Bindungswille des Arbeitgebers hergeleitet werden kann, auf Dauer eine Vergütung zu bezahlen, die entsprechend den nicht anwendbaren tarifvertraglichen Regelungen die Definition eines außertariflichen Mitarbeiters erfüllt. Dies gilt auch für den Fall, dass bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen die Begriffe des übertariflichen Angestellten und des außertariflichen Angestellten synonym gebraucht worden sein sollten. Auf die hierzu ergangenen Parallelentscheidungen des LAG München vom 27.09.2016, 9 Sa 217/16 und vom 29.09.2016, 7 Sa 215/16 wird insoweit Bezug genommen.
1. Es besteht unstreitig keine Tarifbindung der Parteien. Eine ausdrückliche Vereinbarung über die Höhe der Vergütung des Klägers in Relation zu der höchsten tarifvertraglichen Vergütung besteht ebenfalls nicht.
2. Zu Gunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass zumindest zum Zeitpunkt seiner Berufung zum Mitarbeiter des Führungskreises der F. in der Vertragsgruppe A mit Schreiben vom 04.08.1993 und der Information über die Umbenennung des bisherigen Führungskreises in ÜT-Kreis mit Schreiben vom 26.08.1996 die Begriffe „außertariflich“ und „übertariflich“ synonym verwendet wurden. Bei seiner Ernennung galt die Betriebsvereinbarung „Entlohnungsgrundsätze für außertarifliche Angestellte“ vom 15.11.1991. Diese Betriebsvereinbarung bezeichnet die Angestellten in Vertragsgruppe A klar als außertarifliche Angestellte und beschreibt, dass „die tarifliche AT-Grenze bei 40-Stunden-Woche derzeit DM 7.525,00 beträgt, ohne allerdings einen Anspruch auf eine Vergütungserhöhung vorzusehen, die den Tarifabstand wahrt. Das Informationsschreiben an den Kläger vom 26.08.1996 nennt im Betreff „Ihr Beschäftigungsverhältnis als Mitarbeiter des ÜT-Kreises“ und verweist sodann auf die Geltung der Betriebsvereinbarung zum AT-Bereich der F., die mit dem 3. Nachtrag vom 27.06.1996 entsprechend modifiziert wurde und nach der alle Mitarbeiter der Vertragsgruppe A der Funktionsstufe 5 zugeordnet wurden.
3. Unstreitig ist auch, dass die Vergütung im Betrieb der Beklagten sich aufgrund von Betriebsvereinbarungen am ERA-Tarifvertrag der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie anlehnt, dass der Kläger vor seiner Ernennung zum Mitarbeiter des Führungskreises der F. eine Vergütung entsprechend den tariflichen Regeln erhalten hat und dass der Kläger bis einschließlich 2013 immer eine Vergütung erhalten hat, die über dem Tarifabstand lag oder diesen gewahrt hat. Ab dem Jahr 2000 hatte der Kläger einen Anspruch auf den Tarifabstand nach der BV EFA. Nach Ablösung der BV EFA von der GBV ÜT-Kreis zum 01.01.2005, die keine Regelung zum Tarifabstand enthielt, wurde erst mals 2010 der Tarifabstand unterschritten und sodann in den Jahren 2010 bis 2013 aufgrund von Sonderzahlungen am Jahresende auf Grund von Regelungsabreden gewahrt,
4. Die in der BV EFA enthaltene Tarifabstandsklausel ist nicht Inhalt des Arbeitsvertrages geworden. Vielmehr enthalten die Schreiben der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten lediglich den Hinweis auf die einschlägigen Betriebsvereinbarungen i.S. von § 77 Abs. 4 BetrVG (vgl. auch LAG München 27.09.2016, 9 Sa 217/16 und LAG München 29.09.2016, 7 Sa 215/16). Hierdurch wird nicht der Inhalt der Betriebsvereinbarung zum Inhalt des Arbeitsvertrages gemacht. Vielmehr gilt für die Betriebsvereinbarungen auf kollektiver Ebene das Ablösungsprinzip, so dass die BV EFA durch die GBV ÜT-Kreis zum 01.01.2005 wirksam abgelöst worden ist.
5. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Rechtsvorgängerin der Beklagten für den Kläger aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Führungskreis bzw. seiner Stellung als übertariflicher Mitarbeiter, für den zunächst die Betriebsvereinbarung „Entlohnungsgrundsätze für außertarifliche Angestellte“ galt, eine vertragliche Verpflichtung begründen wollte, stets eine Vergütung zu bezahlen, die den Tarifabstand wahrt, ob also die Bezeichnung „außertariflich“ Bezug nimmt auf die jeweils gültige Definition des einschlägigen MTV oder in diesem Zusammenhang lediglich übertariflich bedeutet.
5.1 Für einen so weitreichenden Bindungswillen, der dazu führen würde, dass zwischen nicht tarifgebundenen Parteien die Regelungen eines Tarifvertrages hinsichtlich der außertariflichen Mitarbeiter dynamisch die Mindesthöhe der Vergütung des Klägers bestimmt, braucht es besondere Anhaltspunkte. Erst dann, wenn solche vorliegen, stellt sich die Frage, ob eine dementsprechende Auslegung mit EG-Recht (insbesondere EuGH 18.07.2013, C-426/11 (…), zitiert nach juris) vereinbar wäre. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die vom Kläger begehrte Auslegung zu dem Ergebnis führen würde, dass ein Erwerber zwar seine Tarifbe schäftigten nur noch statisch nach dem Tarifvertrag bezahlen, aber an die übertariflich Beschäftigten die Tariferhöhung weitergeben müsste.
5.2 Derartige besonderen Anhaltspunkte für die vom Kläger begehrte Auslegung seines Arbeitsvertrages liegen nicht vor. Gegen einen solchen Willen der Parteien spricht zunächst die Tatsache, dass die Vergütung für Mitarbeiter des Führungskreises und ÜT/AT-Mitarbeiter immer wieder zunächst durch Betriebsvereinbarungen geregelt wurde und dass in die BV EFA explizit die Wahrung des Tarifabstands aufgenommen wurde. Nach deren Ablösung wurden sodann jährlich neu Regelungsabreden hierzu abgeschlossen. Das LAG München hat in seinen Entscheidungen vom 29.09.2016, 7 Sa 215/16 und 27.09.2016, 9 Sa 217/16 zu Recht darauf hingewiesen, dass hieraus gefolgert werden kann, dass die Wahrung des Tarifabstands für die Mitarbeiter des ÜT-Kreises im Betrieb gerade nicht als selbstverständlich galt. Hätte es ein allgemeines Verständnis im Betrieb gegeben, dass die Mitarbeiter des AT/ÜT-Kreises einzelvertraglich Anspruch auf Zahlung des Tarifabstands haben, hätte es dieser kollektivrechtlichen Vereinbarungen gerade nicht bedurft.
5.3 Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Vertragsänderung mit dem Inhalt der Vereinbarung eines außertariflichen Status zustande gekommen ist, weil er der Vertragsänderung nur zugestimmt hat, da er das Vertragsangebot als Angebot der Vereinbarung eines AT-Vertrages verstanden hat. Bei der Auslegung von Willenserklärungen haben Motive des Erklärenden, soweit sie nicht im Wortlaut der Erklärung oder in sonstiger Weise ihren Niederschlag finden, außer Betracht zu bleiben. Kommt der Wille des Erklärenden nicht oder nicht vollständig zum Ausdruck, gehört dies zu dessen Risikobereich (vgl. BAG 17.11.2010 – 4 AZR 127/09, Rn. 21; wie hier auch LAG München 27.09.2016, 9 Sa 217/16 und LAG München 29.09.2016, 7 Sa 215/16 für bereits entschiedene Parallelfälle).
5.4 Auf die Vereinbarung eines außertariflichen Arbeitsverhältnisses, das durch Zahlung des Tarifabstands auf Dauer als außertarifliches erhalten bleiben soll, kann auch nicht daraus geschlossen werden, weil die Vereinbarung nur mit diesem Inhalt wirksam wäre. Hier kommt es entscheidend auf die fehlende Tarifbindung der Parteien an. Anders als in den vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fällen (BAG 03.09.2014, 5 AZR 1020/12; BAG 03.09.2014, 5 AZR 240/13 und BAG 19.05.2009, 9 AZR 505/08, jeweils zitiert nach juris) ist es vorliegend mangels Tarifbindung der Parteien für die Wirksamkeit der Vereinbarung insgesamt nicht erforderlich, dass der Tarifabstand auf Dauer eingehalten wird. Da ein Arbeitsvertrag, der einen Tarifvertrag nur einzelvertraglich in Bezug nimmt, einvernehmlich einzelvertraglich geändert werden kann, ohne dass die Einschränkungen des § 4 Abs. 3 TVG entgegenstehen, kann aus der Vereinbarung einer übertariflichen Vergütung nicht geschlossen werden, dass es sich um eine außertarifliche Vergütung unter Wahrung des Tarifabstands handelt. Dass der Tarifvertrag im Betrieb als Vergütungsordnung angewendet wird, steht dem nicht entgegen. Teil der betrieblichen Vergütungsordnung ist auch die Vergütungsstruktur im sog. ÜT-Kreis. In diese kann ein Mitarbeiter durch einvernehmliche Vertragsänderung wechseln, ohne dass sich Einschränkungen aus § 4 Abs. 3 TVG ergeben. Die betriebliche Vergütungsordnung wird dadurch nicht verlassen (s. auch LAG München 27.09.2016, 9 Sa 217/16 und LAG München 29.09.2016, 7 Sa 215/16 zu Parallelverfahren).
Zudem hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, dass nur bei einer beiderseitigen Tarifgebundenheit nach der Interessenlage der Parteien davon auszugehen, dass eine konstitutive „Ernennung“ zum außertariflichen Angestellten eine so weitgehende arbeitsvertragliche Zusicherung enthält, diesen Status durch Zahlung einer der Tarifentwicklung Rechnung tragendend entsprechenden außertariflichen Vergütung zu erhalten. Denn nur bei beiderseitiger Organisationszugehörigkeit liegt der Wille der Parteien nahe, wegen des sonst geltenden Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG) den neuen Status des Arbeitnehmers durch dessen Herausnahme aus dem tarifvertraglichen Geltungsbereich zwingend konstitutiv abzusichern. Bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit gilt hingegen das Ablösungsprinzip, so dass in der Folgezeit auch tarifvertragliche Regelungen, die dem Arbeitnehmer günstiger wären (etwa zur Arbeitszeit oder Überstunden) als Korrelat zu den mit dem Status eines AT-Angestellten verbundenen Vorteilen nicht mehr gelten würden.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.
III.
Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 2 ArbGG zuzulassen, da eine Divergenz zu dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen vom 25.08.2016, 6 Sa 1424/15 besteht, das in einem Parallelfall, in dem ebenfalls keine Tarifbindung der Parteien vorlag, einen Anspruch des klagenden Arbeitnehmers auf die Tarifabstandszahlung für das Jahr 2014 bejaht hat.