Aktenzeichen 483 C 2817/16 WEG
WEG § 16 Abs. 2
GVG § 23 Nr. 2 c
ZPO § 138 Abs. 3, § 308 Abs. 1 S. 1
BGB § 38, § 195, § 203
Leitsatz
Ergibt sich ein Anspruch der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Nutzungsentschädigung gegen einzelne Sondereigentümer für bestimmte Räume nach Grund und Höhe des Anspruchs aus der Gemeinschaftsordnung, bedarf es für das Entstehen und die Geltendmachung des Zahlungsanspruchs keiner Beschlussfassung. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin, zu Händen der Verwalterin, EUR 5.041,56 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 1.117,80 seit 13.01.2016 sowie aus EUR 3.923,74 seit 13.07.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin, zu Händen der Verwalterin, EUR 837,76 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.12.2015 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 58 % und die Beklagte 42 % zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
6. Der Streitwert wird auf EUR 13.245,12 festgesetzt.
Gründe
Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
I.
Das Amtsgericht München als Wohnungseigentumsgericht ist örtlich und sachlich ausschließlich zuständig, §§ 23 Nr. 2 c GVG, 43 Nr. 2 WEG. I.
Die Beitreibungsbefugnis der Hausverwaltung folgt aus den zu TOP 3 der ETV vom 22.04.2016 (K1) gefassten Beschlüssen.
II.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung rückständiger Nutzungsentschädigung für den Zeitraum 2012 bis 2015 in Höhe von EUR 5.041,56 aus dem Nachtrag zur Teilungserklärung vom 08.11.1972 i.V.m. § 9 Ziff. 2 der GO. Nachdem sich Grund und Höhe des Anspruchs aus einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer ergeben, bedurfte es insoweit keiner Beschlussfassung der Gemeinschaft.
Gem. § 9 Ziff. 2 der GO von 1972 hat jeder Wohnungseigentümer als Abschlagszahlung monatlich DM 1,60 pro 1/1000 Miteigentumsanteil zu bezahlen. Hieraus errechnet sich für die Wohnung Nr. 4 der Klägerin, die unstreitig über 66,4/MEA verfügt, für das Jahr 1972 ein monatlicher Betrag von DM 106,24 bzw. EUR 54,32 und nicht wie klägerseits vorgetragen DM 113,24 bzw. EUR 67,10.
Insoweit bestreitet die Beklagte zu Recht nicht nur, dass die Höhe des Wohngeldes für die Wohnung Nr. 4 zum Zeitpunkt des Nachtrags zur Teilungserklärung im Jahr 1972 EUR 67,10 betragen habe, sondern auch, dass die Entschädigung für die beiden Kellerräume 38,10 % des monatlichen Wohngelds betragen habe. Vielmehr betrug diese unter Zugrundelegung des nach der Teilungserklärung 1972 monatlich geschuldeten Wohngelds von EUR 54,32 tatsächlich 47,05 % des monatlichen Wohngelds.
Soweit die Beklagte ferner bestreitet, dass die jährlichen Steigerungen bzw. Ermäßigungen des Wohngelds der Klägerin in den Jahren 2007 bis einschließlich 2015 jeweils konstant gleich geblieben seien, ist auch dies nicht unzutreffend. Allerdings handelt es sich bei der Bezugsgröße zwischen dem 1972 geschuldeten Wohngeld und der 1972 geschuldeten Nutzungsentschädigung um eine Konstante, welche zwar nicht 38,09 %, sondern – wie oben ausgeführt – tatsächlich 47,05 % beträgt, ein Umstand, der sich im Vergleich zu den Berechnungen der Klägerin zum Nachteil der Beklagten auswirken würde.
Den weiteren Vortrag der Klägerin, wonach das monatliche Wohngeld für die Wohnung Nr. 4 2012 EUR 376,00, 2013 EUR 449,00, 2014 und 2015 jeweils EUR 457,00 betragen habe, hat die Beklagte nicht bestritten, so dass dies als zugestanden gilt, § 138 Abs. 3 ZPO. I. ü. wäre insoweit im Hinblick darauf, dass die Beklagte bereits seit 1994 Eigentümerin der Wohnung Nr. 4 ist, ein einfaches Bestreiten durch die Beklagte auch untauglich.
Somit ergibt sich unter Zugrundelegung der klägerischen Auslegung der Teilungserklärung, wonach zur Berechnung der geschuldeten streitgegenständlichen Nutzungsentschädigung auf die jeweils geschuldeten Wohngeldvorschüsse abzustellen ist, für 2012 eine monatliche Nutzungsentschädigung von EUR 176,91, für 2013 von EUR 211,25 sowie für 2014 und 2015 von EUR 215,02.
Folgt man der beklagtenseits präferierten Auslegung der Teilungserklärung, ergibt sich demgegenüber unter Zugrundelegung der nach den Einzelabrechnungen 2012 – 2015 auf die Wohnung Nr. 4 entfallenden anteiligen Kosten von EUR 5.923,61, EUR 12.612,28, EUR 6.523,99 bzw. EUR 4.772,16 und Ansatz einer Bezugsgröße von 47,05 % für 2012 eine monatliche Nutzungsentschädigung von EUR 232,23, für 2013 von EUR 494,50, für 2014 von EUR 255,79 sowie für 2015 von EUR 187,10.
Nachdem die klägerseits den geltend gemachten Forderungen zu Grunde gelegten monatlichen Beträge mit EUR 143,25 für 2012, EUR 171,06 für 2013 bzw. Euro 174,11 für die Jahre 2014 und 2015 jeweils unter den vorstehend errechneten Beträgen liegen, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, welcher Auslegung der Teilungserklärung der Vorzug zu geben ist, zuzusprechen waren der Klägerin jedenfalls die beantragten Beträge, § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO.
2. Für den Zeitraum 2007 bis 2011 steht der Klägerin ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung mangels Verjährung dagegen nicht zu. Die geltend gemachten Ansprüche unterliegen gem. § 195 BGB der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren. Die Verjährung begann gemäß § 199 Abs. 1 BGB für die Ansprüche aus 2007 am 01.01.2008, für Ansprüche aus 2008 am 01.01.2009, für Ansprüche aus 2009 am 01.01.2010, für Ansprüche aus 2010 am 01.01.2011 und für Ansprüche aus 2011 am 01.01.2012, jeweils 0.00 Uhr, zu laufen und endete grundsätzlich am 31.12.2010, 31.12.2011, 31.12.2012, 31.12.2013 bzw. 31.12.2014, jeweils um 24 Uhr.
Eine Verjährungshemmung der Ansprüche aus den Jahren 2007 – 2011 ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht erfolgt, insbesondere ist vorliegend der Hemmungstatbestand des § 203 BGB nicht erfüllt.
Nach dieser Vorschrift ist, sofern zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben, die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Der Begriff der Verhandlung ist dabei weit auszulegen. Der Gläubiger muss klarstellen, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn im Kern stützen will. Anschließend genügt jeder Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, es sei denn, dass der Schuldner sofort erkennbar Verhandlungen ablehnt. Nicht erforderlich ist, dass der Schuldner Vergleichsbereitschaft in Aussicht stellt. Es genügen Erklärungen, die den Gläubiger zu der Annahme berechtigen, der Schuldner lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs ein, beispielsweise durch eine Anfrage des Schuldners, ob und ggf. welche Ansprüche geltend gemacht werden sollen, durch seine Erklärung, zur Aufklärung des dem Anspruch zugrunde liegenden Sachverhalts beizutragen, falls der Gläubiger ihn näher darlege oder auch durch die Erklärung des Schuldners, er wolle dem Gläubiger seinen Standpunkt, der Anspruch sei verjährt, in einer Besprechung erläutern (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 77. Auflage 2018, § 203, Randziffer 2 m.w.N.).
Auch unter Zugrundelegung dieses weiten Verhandlungsbegriffs handelt es sich weder bei der Beschlussfassung auf der ETV vom 23.06.2009 unter TOP 7, noch bei dem Schreiben des damaligen Bevollmächtigten der Beklagten vom 02.02.2010 (Anlage K 5), noch bei den auf den Eigentümerversammlungen vom 23.08.2011 und 08.11.2011 beklagtenseits geäußerten Kaufabsichten um Verhandlungen über die streitgegenständlichen Nutzungsentschädigungen.
Die Beschlussfassung auf der ETV vom 23.06.2009 unter TOP 7 stellt schon deshalb keine Verhandlung im vorgenannten Sinne dar, weil durch diesen Beschluss der – untaugliche – Versuch unternommen wurde, eine eigenständige Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Ansprüche zu schaffen.
Was das Schreiben vom 02.02.2010 anbelangt, so sind zwar grundsätzlich die Erklärungen ihres Bevollmächtigten der Beklagten zuzurechnen, dies gilt jedoch nicht für dessen Äußerungen, wonach die Beklagte verpflichtet sei, die Nutzungsentschädigung für die beiden vorerwähnten Räume angepasst an das Wohngeld zu bezahlen, weil er insoweit durch die Formulierung „Für mich persönlich“ klargestellt hat, dass es sich insoweit um die Äußerung seiner persönlichen, seiner Mandantin nicht zurechenbaren Rechtsauffassung handelt.
Soweit die Beklagte auf den Eigentümerversammlungen vom 23.08.2011 und 08.11.2011 Kaufabsichten hinsichtlich des „Hobbyraum(s) im Keller“ bzw. der „unteren Räumlichkeiten im Keller“ geäußert hat, stellt dies keinen Austausch über die streitgegenständlichen, für die Vergangenheit geschuldeten Nutzungsentschädigungen dar.
3. Die seitens der Beklagten ggü. der Klageforderung hilsweise erklärte Aufrechnung scheitert bereits an der fehlenden Gegenseitigkeit der Forderungen, §§ 387 BGB. Bei den zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen der Beklagten handelt es sich um Forderungen aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß §§ 812 ff BGB, deren Schuldner jedoch nicht die Klägerin als Verband, sondern die übrigen Wohnungseigentümer wären. Ferner stünde einer Aufrechnung auch die Bestandskraft der jeweiligen Abrechnungen entgegen (vgl. Bärmann, WEG, 13. Auflage 2015, § 28, 138; BayObLG NZM 2005, 624).
4. Die Nebenforderungen gründen auf §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung erfolgte nach § 49 a GKG. Nach den die Klägerin die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderungen der Beklagten nicht bestritten hat und über diese keine der Rechtskraft fähige Entscheidung ergangen ist, wirkte sich die Hilfsaufrechnung der Beklagten nicht streitwerterhöhend aus, § 45 Abs. 3 GKG.