Aktenzeichen 25 O 20760/15
VVG § 28
UKlaG § 1
VB-ERV 2014 B Ziff. 1, 4, 13.2 B), 14
Leitsatz
Die in den Bedingungen einer Reiseabbruchversicherung enthaltene Bestimmung (hier: B Ziff. 13.2 B) VB-ERV 2014) “13. Welche Obliegenheiten haben Sie nach Eintritt des Versicherungsfalles? … 13.2. Damit wir Ihren Versicherungsfall bearbeiten können, müssen Sie … die folgenden Unterlagen bei uns einreichen: … – 2 – B) Bei unerwarteter schwerer Erkrankung; schwerer Unfallverletzung; Schwangerschaft; Bruch von Prothesen; Lockerung von implantierten Gelenken: Ein ärztliches Attest mit Diagnose und Behandlungsdaten eines Arztes am Aufenthaltsort.” ist weder iSv § 307 Abs. 1 S. 2 BGB intransparent noch gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers unwirksam. (Rn. 25 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet, da die streitgegenständliche Versicherungsklausel weder intransparent ist, noch zu einer unangemessenen Benachteiligung führt. Die Klägerin hat daher gegen die Beklagte keinen Anspruch gemäß § 1 UKlaG.
Die Klägerin ist als qualifizierte Einrichtung im Sinne von §§ 3,4 UklG klagebefugt, sie ist berechtigt, den geltend gemachten Anspruch einzuklagen.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen (BGH, Urteil vom 18.7.2012, VIII ZR 337/11).
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs auszulegen. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (BGHZ 194, 208, bei juris Rz. 21, u.H. u.a. auf BGHZ 123, 83, 85, m.w.N.). Die AVB sind aus sich heraus zu interpretieren (BGHZ 194 208, bei juris Rz. 21, m.w.N.). In erster Linie ist vom Wortlaut der Klausel auszugehen. Der mit ihr verfolgte Zweck und der erkennbare Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGHZ 194, 208, bei juris Rz. 21).
Zweifel bei der Auslegung gehen nach § 315 Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Diese Auslegungsregel führt im Verbandsprozess dazu, dass bei einer mehrdeutigen Klausel von den möglichen Auslegungen diejenige zugrunde zu legen ist, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt. Dies setzt allerdings voraus, dass nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar sind, wobei lediglich Verständnismöglichkeiten außer Betracht bleiben, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend sind und für die an solchen Geschäften typischerweise Beteiligten nicht ernsthaft in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 18.7.2012, VIII ZR 337/11, Randziffer 16).
1. Der von der der Beklagten in der streitgegenständlichen Klausel verwendete Begriff „Aufenthaltsort“ führt nicht zu einer Intransparenz der Klausel. Bei diesen der Betreff handelt es sich in der konkreten Verwendung um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der auch bei der Verwendung in Versicherungsbedingungen der Auslegung zugänglich ist. Die streitgegenständliche Klausel dient dazu, für eine Vielzahl von möglichen und unterschiedlichen Situationen eine abstrakt formulierte Obliegenheit zu beschreiben, die von dem Versicherungsnehmer bei Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten ist.
Der hier relevante Versicherungsfall ist in den Versicherungsbedingungen unter B 1. definiert. Es handelt sich dabei um um die außerplanmäßige Beendigung der Reise, die Unterbrechung der Reise, die Verlängerung des Aufenthaltes oder die Unterbrechung einer Rundreise wegen unerwarteter schwerer Erkrankung, schwerer Unfallverletzung, Schwangerschaft, Bruch von Prothesen oder Lockerung von implantierten Gelenken. Bei der Auslegung des Begriffs „Aufenthaltsort“ in diesem Zusammenhang wird in der verständige Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse den Begriff so verstehen, dass damit der Ort beschrieben wird, an dem einer der oben beschriebene Versicherungsfälle eintritt und an dem er einen Arzt aufsuchen kann. Dem Versicherungsnehmer erschließt sich dabei, dass für die Auslegung des Begriffs die konkrete Situation, in der der Versicherungsfall eintritt, relevant und bei der Auslegung des Begriffs zu berücksichtigen ist. Er wird daher ohne Probleme erkennen, dass er den nächstgelegenen Arzt, der ihn behandelnd kann, aufsuchen soll. Ihm erschließt sich darüber hinaus, dass je nach Ursache für den Reiseabbruch mit dem nächstgelegenen Arzt entweder derjenige vor Ort oder das nächstgelegene Krankenhaus gemeint ist.
Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass der hier relevante Versicherungsfall es für den Versicherten ohnehin erforderlich macht, sich ärztlich behandeln zu lassen. Der Versicherungsnehmer wird daher ohne weiteres erkennen, dass er sich von dem ihn ohnehin behandelnden Arzt das erforderliche Attest ausstellen lassen soll. Dies ergibt sich auch daraus, dass das Attest eine Diagnose sowie die Behandlungsdaten enthalten soll. Auch dies zeigt dem verständigen Versicherungsnehmer, dass der ihn behandelnden Arzt das erforderliche Attest ausstellen soll.
Damit fehlt es an einem nicht behebbaren Zweifel und mehreren Auslegungsmöglichkeiten.
Die von der Klägerin angeführten Beispiele sind fernliegend. So wird kein Versicherungsnehmer, dessen Prothese während einer Busfahrt bricht oder dessen Implantat sich während dieser Busfahrt lockert, auf die Idee kommen, den Bus an Ort und Stelle und sei es mitten in der Wüste anhalten zu lassen und einen Arzt einzufliegen. Vielmehr wird er das Anhalten des Busses dort veranlassen, wo eine ärztliche Versorgung möglich ist. Auch wird kein Versicherungsnehmer sich an den im Dorf ansässigen Zahn- oder Tierarzt wenden, wenn sein künstliches Hüftgelenk gelockert oder gebrochen ist, sondern den nächstgelegenen Orthopäden oder Allgemeinarzt aufsuchen. Entsprechendes gilt für Schwangerschaft oder Unfallverletzungen.
Auch die von der Beklagten angeführten finanziellen Belastungen durch das unsinnige Aufsuchen von zwei Ärzten oder das Herbeirufen eines Arztes ohne entsprechende medizinische Notwendigkeit ergeben sich damit nicht.
Die streitgegenständliche Klausel verstößt damit nicht gegen § 307 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB.
2. Die Klausel benachteiligt die Versicherungsnehmer auch nicht unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Eine gesetzliche Bestimmung, von der die Klausel abweicht, hat die Klägerin nicht genannt. Sie ist auch nicht ersichtlich.
Der von der Beklagten angeführte Zweck der Klausel, den medizinischen Grund des Reiseabbruchs zeitnah feststellen und bestätigen zu lassen, beschreibt ein nachvollziehbares und keinesfalls unbilliges Interesse des Versicherers. Dieser Zweck kann bei der Auslegung der Klausel Berücksichtigung finden, da er für den Versicherungsnehmer aus der Klausel und dem Zusammenhang, in dem sie steht, erkennbar ist. Der verständige Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse erkennt, dass der Sinn der Regelung eine zeitnahe Feststellung und Dokumentation der Ursache des Reiseabbruchs ist, und wird dies bei der Auslegung des Begriffs Aufenthaltsort einbeziehen.
Durch die Klausel werden auch nicht wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so eingeschränkt, dass das Erreichen des Vertragszwecks gefährdet wird (§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB).
Da die streitgegenständliche Klausel daher weder intransparent ist, noch den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt, verstößt die Klausel nicht gegen §§ 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Die Klägerin hat daher gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Unterlassung gemäß § 1 UKlaG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO. Der Streitwert entspricht dem Interesse der Klägerin an der geltend gemachte Unterlassung.