Aktenzeichen 1 Ni 5/19 (EP)
Tenor
In der Patentnichtigkeitssache
…
gegen
…
betreffend das europäische Patent 1 439 976
(DE 602 16 491)
hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung am 11. März 2021 durch die Präsidentin Schmidt sowie den Richter Dr.-Ing. Baumgart, den Richter Heimen, den Richter Dipl.- Ing. Körtge und den Richter Dipl.-Ing. Sexlinger
für Recht erkannt:
I. Das Patent EP 1 439 976 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 439 976 (Az. DE 602 16 491.5). Die europäische Patenanmeldung geht zurück auf die internationale Patentanmeldung PCT/SE2002/001969, die am 30. Oktober 2002 unter Inanspruchnahme der schwedischen Priorität 0103630 vom 31. Oktober 2001 angemeldet worden ist. Das Streitpatent wurde am 29. November 2006 veröffentlicht und trägt in englischer Verfahrenssprache die Bezeichnung “Cruise Control for Vehicle”.
2
Das Patent ist in Kraft und umfasst den Anspruch 1 sowie die darauf rückbezogenen Ansprüche 2 bis 13. Der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung gemäß EP 1 439 976 B1 hat in englischer Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:
3
A motor vehicle comprising an internal combustion engine and a first electronic control unit (48) for controlling the engine depending on the setting of a manual throttle control, and a second electronic control unit (45) for controlling the transmission, depending on a set position of a manually operated electronic gear selector (46), characterized in that the vehicle is provided with a cruise control function arranged to control throttle opening and braking of the vehicle; means for providing information on instantaneous position of the vehicle with the aid of GPS; means for providing topology, information, wherein information about topology comprises information about gradients or elevation values for the route; wherein one of the control units is disposed, with fed-in parameters and thus at least knowledge of a set target speed of the vehicle, the surrounding topology and the throttle opening position, to reduce the throttle opening, in those cases where the vehicle, relative to the set target speed, has a speed below target speed and where a future gravity will subsequently accelerate the vehicle, and use the kinetic energy of the vehicle, in those cases where the vehicle has a speed above target speed and where a future gravity will subsequently retard the vehicle.
4
Wegen des Wortlauts der zumindest mittelbar auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 13 wird auf die Streitpatentschrift (im Folgenden SPS) verwiesen.
5
Mit ihrer Klage vom 21. Dezember 2018 greift die Klägerin das Streitpatent in vollem Umfang an.
6
Der in deutscher Sprache abgefasste Patentanspruch 1 wird vom Senat wie folgt gegliedert:
7
M1 Motorfahrzeug,
8
M2 umfassend einen Verbrennungsmotor und
9
M3 eine erste elektronische Steuereinheit (48) zum Steuern des Motors in Abhängigkeit von der Einstellung einer manuellen Drosselsteuerung,
10
M4
HA,H2
und eine zweite elektronische Steuereinheit (45) zum Steuern des Getriebes in Abhängigkeit von einer eingestellten Position eines manuell betätigten, elektronischen Gangauswählers (46),
11
dadurch gekennzeichnet, dass
12
M5 das Fahrzeug ausgestattet ist mit
13
M5.1 einer Geschwindigkeitsregelfunktion, die angeordnet ist, um die Drosselöffnung und das Bremsen des Fahrzeugs zu steuern;
14
M5.2 Mitteln zum Bereitstellen von Information über die gegenwärtige Position des Fahrzeugs mit Hilfe von GPS;
15
M5.3 Mitteln zum Bereitstellen einer Topologieinformation,
16
M5.3.1 wobei die Information über die Topologie Information über Gradienten oder Höhenwerte für die Straße aufweist;
17
M6
HA,H1,H2,H5-H8
wobei eine der Steuereinheiten vorgesehen ist, um mit zugeführten Parametern und damit zumindest Kenntnis einer eingestellten Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs, der umgebenden Topologie und der Drosselöffnungsposition
18
M6.1 die Drosselöffnung in solchen Fällen zu vermindern,
19
M6.1.1 in denen das Fahrzeug in Bezug auf die eingestellte Sollgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt, und
20
M6.1.2 in denen eine zukünftige Schwerkraft nachfolgend das Fahrzeug beschleunigen wird, und
21
M6.2 die kinetische Energie des Fahrzeugs in solchen Fällen zu nutzen,
22
M6.2.1 in denen das Fahrzeug eine Geschwindigkeit oberhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt und
23
M6.2.2 eine zukünftige Schwerkraft nachfolgend das Fahrzeug verlangsamen wird.
24
Die Klägerin stützt ihre Klage auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Offenbarung und der fehlenden Patentfähigkeit (Art. ll § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a. EPÜ i.V.m. Art. 52, Abs. 1, Art. 54, Abs. 1, 56, 100 EPÜ). Hinsichtlich der von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen beruft sich die Klägerin zum Teil auch auf den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gegenüber der ursprünglichen Offenbarung (Art. II § 6 (1) Nr.3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1lit. c EPÜ).
25
Die Klägerin stützt ihren Vortrag u.a. auf die folgenden Druckschriften und Unterlagen:
26
K5 HOOKER, J. N.: Optimal driving for single-vehicle fuel economy. In: Transportation Research (Part A: General), Band 22A, Ausgabe 3, Mai 1988, S. 183 – 201,
27
K6 US 5 995 895 A,K7 EP 0 795 700 B1,K8 DE 697 08 483 T2,K9 WO 96 / 40 534 A1,K10 DE 696 18 454 T2,K11 US 5 832 400 A,K12 US 4 467 428 A,K13 US 4 211 193 A,K14 DE 197 08 528 B4 (aus dem Prüfungsverfahren unter US 6 029 107A),K15 EP 1 053 903 A2,K16 US 5 894 731 A,K17 US 5 868 214 A,
28
K18 SCHWARZKOPF, A. B.; LEIPNIK , R. B.: Control of highway vehicles for minimum fuel consumption over varying terrain.In: Transportation Research, Band 11, 1977, S. 279 – 286,
29
K19 EP 1 013 520 A1,
30
K20 DE 38 31 449 A1,
31
K21 Urteil des Landgerichts Düsseldorf 4b O 35/19 vom 22. Oktober 2020,
32
K22 Urteil des schwedischen Patent- und Markengerichts in den Rechtssachen PMT 6335-19 und PMT 16395-19 vom 4. Dezember 2020 (schwedische Originalfassung),
33
K23 deutsche Übersetzung von K22,
34
K24 US 5 315 295 A (Querverweis aus Druckschrift K6),
35
K25 Urteil des Bundegerichtshofs X ZR 108/14 vom 1. Dezember 2016 und
36
K35 WO 03 / 041 987 A1 (Offenlegungsschrift des Streitpatents).
37
Die Beklagte hat der Nichtigkeitsklage widersprochen und verteidigt das Streitpatent in der geltenden Fassung sowie hilfsweise in der Fassung einer der zwölf Hilfsanträge 1 bis 3, 3A, 4, 4A, und 5 bis 10.
38
Mit den Hilfsanträgen modifiziert die Beklagte die Patentansprüche, insbesondere den Patentanspruch 1. Wegen der Gliederung des jeweiligen Patentanspruchs 1 und der Benennung der geänderten oder hinzugefügten Merkmale nach den Hilfsanträgen wird auf die durch den Senat in der mündlichen Verhandlung überreichte Merkmalsgliederung verwiesen.
39
Anstelle des im erteilten Anspruch 1 aufgeführten Merkmals M4
HA,H2
enthält der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 das geänderte Merkmal (Hinzufügung unterstrichen)
40
M4
H1,H3-H10
“…und eine zweite elektronische Steuereinheit (45) zum Steuern eines automatisierten manuellen Getriebes in Abhängigkeit von einer eingestellten Position eines manuell betätigten, elektronischen Gangauswählers (46),…” (Änderung gegenüber Hauptantrag unterstrichen).
41
Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 entspricht im Wesentlichen einer Kombination der erteilten Patentansprüche 1 und 5. Der Unteranspruch 5 entfällt. Stattdessen sind im Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 (sowie weiteren hilfsweise verteidigten Fassungen) Angaben betreffend die Ausstattung des Antriebsstrangs des Motorfahrzeugs mit einem automatisierten Getriebe, einer Kupplung und einer Hilfsbremse – entsprechend den Merkmalen M2.0
H2,H8-H10
und M2.1
H2,H8-H10
– aufgenommen. Die Merkmale lauten (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag sind unterstrichen):
42
M2.0
H2,H8-H10
der Motor mit einer Kupplung und (einem) dem automatisierten Getriebe zwischen dem Motor und den Antriebsrädern gekoppelt ist und
43
M2.1
H2,H8-H10
mit mindestens einer Hilfsbremse ausgestattet ist.
44
Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 kombiniert den Gegenstand gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 mit den zusätzlichen Merkmalen M4.1
H3,H9,H10
, M4.2
H3,H3A,H9,H10
, M4.3
H3,H3A,H9,H10
und M6
H3-H4A,H9,H10
. Die Merkmale lauten (Änderungen gegenüber dem Hilfsantrag 1 sind unterstrichen):
45
M4.1
H3,H9,H10
die zweite Steuereinheit vorgesehen ist, um Computersimulationen für eine Zeitdauer im Voraus auszuführen, wobei
46
M4.2
H3,H3A,H9,H10
die Informationen über (die) gegenwärtige Position mit Hilfe von GPS erhalten wird und/oder wobei
47
M4.3
H3,H3A,H9,H10
zukünftige Positionen des Motorfahrzeugs durch Informationen von einer elektronischen Karte bereitgestellt werden, und wobei
48
M6
H3-H4A,H9,H10
die zweite Steuereinheit vorgesehen ist, um mit zugeführten Parametern und damit zumindest in Kenntnis einer eingestellten Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs, der umgebenden Topologie und der Drosselöffnungsposition […].
49
Der Hilfsantrag 3A modifiziert den Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 bezüglich Merkmal M4.1
H3,H9,H10
wie folgt (Änderungen gegenüber dem Hilfsantrag 3 unterstrichen):
50
M4.1
H3A
die zweite Steuereinheit vorgesehen ist, um unter festgelegten Vorbedingungen Computersimulationen für eine Zeitdauer im Voraus auszuführen, wobei […].
51
Zusätzlichen zu dem Merkmal M6
H3-H4A,H9,H10
ergänzt Hilfsantrag 4 den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 um die Merkmale M7
H4,H10
, M7.0
H4,H4A,H10
und M7.1
H4,H4A,H10
, die wie folgt lauten:
52
M7
H4,H10
bei einem anderen physischen Standort als der ersten Steuereinheit oder der zweiten Steuereinheit Eingabedaten zugeführt werden, und
53
M7.0
H4,H4A,H10
bei einem anderen physischen Standort als der ersten Steuereinheit oder der zweiten Steuereinheit Computersimulationen durchgeführt werden, und wobei
54
M7.1
H4,H4A,H10
der andere physische Standort zur Kommunikation mit der zweiten Steuereinheit eingerichtet ist.
55
Der Hilfsantrag 4A wandelt das Merkmal M7
H4,H10
wie folgt ab:
56
M7
H4A
der zweiten Steuereinheit Eingabedaten zugeführt werden, […].
57
Gemäß Hilfsantrag 5 entfällt der geltende Unteranspruch 13, seine Merkmale werden dem Gegenstand nach Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 als Merkmale M8
H5
, M8.1
H5
, M8.2
H5
und M8.3
H5
hinzugefügt. Diese lauten:
58
M8
H5
eine der Steuereinheiten vorgesehen ist, um mit Hilfe von Elektronik und Sensoren die Hilfsbremsen zu lösen, wenn
59
M8.1
H5
sich das Fahrzeug einer Neigung bergauf nähert und
60
M8.2
H5
die Fahrzeuggeschwindigkeit die Sollgeschwindigkeit überschreitet, um
61
M8.3
H5
die Energie nicht abzubremsen, da die Verlangsamung des Fahrzeugs in der Neigung bergauf die Fahrzeuggeschwindigkeit auf die Sollgeschwindigkeit anpassen wird.
62
Die Fassung des Anspruch 1 nach Hilfsantrag 6 basiert auf dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unter Hinzufügung der Merkmale M9
H6,H8-H10
, M9.1
H6,H8-H10
, M9.2
H6,H8-H10
, M9.3
H6,H8-H10
und M9.3.1
H6,H8-H10
des Unteranspruchs 12 in der erteilten Fassung hinzugefügt, dieser entfällt. Die zusätzlichen Merkmale lauten:
63
M9
H6,H8-H10
eine der Steuereinheiten vorgesehen ist, um mit Hilfe von Elektronik und Sensoren möglicherweise aktivierte Hilfsbremsen einzustellen und
64
M9.1
H6,H8-H10
möglicherweise die Drosselöffnung einzustellen, wenn
65
M9.2
H6,H8-H10
sich das Fahrzeug dem Ende einer Neigung bergab nähert, um
66
M9.3
H6,H8-H10
einen temporären Anstieg der Geschwindigkeit zu erlauben,
67
M9.3.1
H6,H8-H10
dessen Maximalniveau in der zweiten Steuereinheit vorbestimmt ist.
68
Die Fassung des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 7 ist gegenüber dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 um die redaktionell überarbeiteten Merkmale M10
H7
und M10.1
H7
des Unteranspruchs 4 in der erteilten Fassung ergänzt, die wie folgt lauten:
69
M10
H7
eine der Steuereinheiten vorgesehen ist, um Informationen von Sensoren zu erhalten und
70
M10.1
H7
zumindest mit Kenntnis der gegenwärtigen Fahrzeugposition, der Geschwindigkeit und der Straßenneigung durch Berechnung eine zukünftige Position des Fahrzeugs zu extrapolieren.
71
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 8 enthält eine Kumulation der Ansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 1, 2 und 6 mit den Merkmalen M2.0
H2,H8-H10
, M2.1
H2,H8-H10
, M4
H1,H3-H10
und dem Merkmalskomplex M9.X
H6,H8-H10
.
72
Ausgehend von dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 8 weist die Fassung des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 9 zusätzlich die Merkmale M4.1
H3,H9,H10
, M4.2
H3,H3A,H9,H10
, M4.3
H3,H3A,H9,H10
und M6
H3-H4A,H9,H10
gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 auf.
73
Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 10 enthält kumulativ die im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 9 aufgeführten Merkmale, zusammen mit den Merkmalen M7
H4,H10
, M7.0
H4,H4A,H10
und M7.1
H4,H4A,H10
.
74
Wegen des genauen Wortlauts der Hilfsanträge 1 bis 3, 3A, 4, 4A und 5 bis 10, insbesondere hinsichtlich der jeweils rückbezogenen Ansprüche, wird auf die von der Beklagten mit Schriftsätzen vom 24. Dezember 2020 und 4. März 2021 eingereichten Anspruchssätze verwiesen.
75
Vorliegend hat die Klägerin ihrem Vortrag hinsichtlich der aufgebrachten Nichtigkeitsgründe eine Auslegung der Merkmale vorangestellt, auf der ihre Argumentation basiert. Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass die Lehre des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht in ausführbarer Art und Weise offenbart sei. Das Streitpatent enthalte Begriffe, deren Definitionen sich nicht unmittelbar und eindeutig aus der Gesamtoffenbarung ergeben würden. Darüber hinaus werde keiner der Steuereinheiten des beanspruchten Motorfahrzeugs eine Information über die IST- Geschwindigkeit des Fahrzeugs zugeführt, obwohl diese in Abhängigkeit der aktuellen Abweichung von einer eingestellten SOLL- Geschwindigkeit geregelt bzw. gesteuert werden soll.
76
Die Klägerin hält den Gegenstand gemäß Streitpatent ferner für nicht neu und auch nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhend. Sie führt dazu aus, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 und der Unteransprüche aus dem Stand der Technik vorbekannt sei, er jedoch zumindest für den Fachmann nahegelegt gewesen sei. Zusätzlich zum genannten druckschriftlichen Stand der Technik beruft sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 25. Februar 2021 auf zwei von ihr behauptete offenkundige Vorbenutzungen, wofür sie als Belege zwei Anlagenkonvolute (Vorbenutzung “Scania”, K26 – K33 sowie Vorbenutzung “Scania Testfahrten”, K34) in Bezug nimmt .
77
Die Klägerin ist zu den Hilfsanträgen der Auffassung, die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche 1 der Hilfsanträge 3, 4, 9 und 10 seien in unzulässiger Weise erweitert (Art. 100 lit. c EPÜ) und nicht ausführbar, zudem mangele es den jeweiligen Patentansprüchen 1 der Hilfsanträge 8 bis 10 auch an der erforderlichen Klarheit. Darüber hinaus seien die Gegenstände der Patentansprüche 1 in den Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 bis 9 nicht neu gegenüber der Offenbarung zumindest einer der Druckschriften K6 und K19, zumindest beruhten diese, ebenso wie der Gegenstand des Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 10 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, insbesondere ausgehend von der offenkundigen Vorbenutzung “Scania” in Verbindung mit einer der Druckschriften K6, K7, oder K19.
78
Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 28. Oktober 2020 übermittelt, auf den Bezug genommen wird. In der mündlichen Verhandlung hat der Senat einen weiteren Hinweis erteilt.
79
Die Klägerin beantragt,
80
das Patent EP 1 439 976 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
81
Die Beklagte beantragt,
82
die Klage abzuweisen,
83
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der zwölf Hilfsanträge 1 bis 10 (inkl. 3A und 4A), eingereicht mit den Schriftsätzen vom 24. Dezember 2020 bzw. 4. März 2021 erhält.
84
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
85
Die Beklagte rügt den ergänzenden Vortrag der Klägerin zu den offenkundigen Vorbenutzungen als verspätet und hat die Nichtzulassung des entsprechenden Vortrags aus dem Schriftsatz vom 25. Februar 2021 beantragt.
86
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des Streitpatents ausführbar offenbart und gegenüber dem Stand der Technik sowohl neu als auch erfinderisch sei. Das vom Streitpatent gelehrte Geschwindigkeitsregelsystem werde im Stand der Technik nicht gezeigt, da die einzelnen Bedingungen, die der Gegenstand nach Streitpatent berücksichtige, von den konventionellen Regelsystemen nicht berücksichtigt würden. Auch spiele die Aufgabe des Streitpatents, nämlich Kraftstoffeinsparung, in den wesentlichen Entgegenhaltungen, auf die sich die Klägerin stütze (z.B. K6), keine Rolle. Die Druckschrift K19 offenbare weder eine Getriebesteuereinheit noch ein mit dem Streitpatent vergleichbares Regelsystem. Es habe, so die Beklagte, für den zuständigen Fachmann auch nicht nahegelegen, die vorbekannten Geschwindigkeitsregelsysteme entsprechend der Lehre des Streitpatents weiterzubilden. So habe es keine Veranlassung gegeben, die Lehren der Druckschriften K19 und K20 zu kombinieren. Die Beklagte ist schließlich der Auffassung, insbesondere der geltende Unteranspruch 13 enthalte einen eigenständig patentwürdigen Gegenstand.
87
Die Beklagte ist weiter der Auffassung, sämtliche Hilfsanträge seien zulässig, insbesondere sei ihr jeweiliger Gegenstand ursprünglich offenbart worden. Dennoch trügen den von der Klägerin behaupteten, unzulässigen Erweiterungen hinsichtlich des Merkmals M4.1
H3,H9,H10
der Hilfsantrag 3A und in Bezug auf das Merkmal M7
H4,H10
der Hilfsantrag 4A jeweils Rechnung.
88
Weitere schutzwürdige Merkmalskombination ergeben sich nach Auffassung der Beklagten beispielsweise durch die Kumulation der Änderungen verschiedener Hilfsanträge, die zu dem jeweiligen Patentanspruch 1 geführt haben.
89
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.