Baurecht

Rechtsschutzbedürfnis für Antrag nach § 123 VwGO

Aktenzeichen  13 AE 21.724

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18511
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
FlurbG § 140 S. 1, § 151 S. 1

 

Leitsatz

Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt unter anderem dann, wenn der Erfolg eines Antragstellers seine Rechtsstellung nicht verbessern könnte. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Für die baren Auslagen des Gerichts wird ein Pauschsatz von 15 Euro erhoben. Das Verfahren ist gebührenpflichtig.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Teilnehmer des mit Flurbereinigungsbeschluss des Bayer. Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 9. Juni 1969 angeordneten Flurbereinigungsverfahrens „L.“. Dieses wurde mit Schlussfeststellung der Flurbereinigungsdirektion W. vom 13. März 1985 abgeschlossen. Die Antragsgegnerin blieb gemäß § 151 Satz 1 FlurbG über die Schlussfeststellung hinaus bestehen, um noch verbliebene Aufgaben wie insbesondere die Unterhaltung und Ergänzung der gemeinschaftlichen Anlagen sowie die Verwaltung ihrer Grundstücke zu erfüllen (vgl. § 1 Abs. 2 der Satzung der Antragsgegnerin).
Zur Finanzierung ihrer verbliebenen Aufgaben verpachtet die Antragsgegnerin die ihr zugewiesenen landwirtschaftlichen Grundstücke (4 Acker- und 2 Grünlandflächen). Da die bisherigen Pachtverhältnisse zum 31. Oktober 2020 endeten, schloss sie im September 2020 vier neue Pachtverträge für die Zeit ab 1. November 2020 ab. Eine öffentliche Ausschreibung dieser Verpachtungen unterblieb. Nach Angaben der Antragsgegnerin war ursprünglich eine öffentliche Ausschreibung gemeinsam mit der für das Jahr 2020 anstehenden Ladung zur Vorstandswahl vorgesehen gewesen. Nachdem diese Wahlen wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnten, sei die Ausschreibung versehentlich unterblieben.
Auf Antrag des Antragstellers vom 10. November 2020 überprüfte das Amt für Ländliche Entwicklung U. (ALE) als Aufsichtsbehörde der Antragsgegnerin (§ 17 FlurbG) die Vergabe der Pachtverträge. Mit Schreiben an die Antragsgegnerin vom 5. März 2021 verweigerte das ALE die Zustimmung zu den Pachtverträgen, da diese ihre Grundstücke nicht öffentlich ausgeschrieben habe. Die Pachtverträge seien außerordentlich zum 31. Oktober 2021 zu kündigen und die Grundstücke öffentlich auszuschreiben. Daraufhin kündigte die Antragsgegnerin die vier Pachtverträge jeweils mit Schreiben an die Pächter vom 31. März 2021 zum 31. Oktober 2021; zudem kündigte sie an, dass die Pachtverträge 2021 öffentlich ausgeschrieben würden.
Am 9. März 2021 hat sich der Antragsteller wegen des Erlasses einstweiliger Anordnungen an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof – Flurbereinigungsgericht – gewandt. Er forderte unter anderem, die Pachtverträge sofort für ungültig zu erklären, da diese bei der Verpachtung nicht öffentlich angeboten worden seien. Obwohl die Vorstandswahl ungültig gewesen sei, habe sich eine Gruppierung ins Amt „gehieft“ und rechtswidrige Verpachtungen vorgenommen. Da die Aufsichtsbehörde nicht tätig geworden sei, sei das Gericht angerufen worden. Die Antragsgegnerin habe kein Recht gehabt, die Grundstücke zu verpachten. Insbesondere seien die Pachtflächen nicht öffentlich angeboten worden. Die Pachtverträge hätten keine Gültigkeit und müssten sofort aufgehoben werden. Soweit die Antragsgegnerin die Pachtverträge zum 31. Oktober 2021 aufgelöst habe, werde beantragt, die Verträge sofort aufzuheben.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß
die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, die Pachtverträge mit sofortiger Wirkung aufzuheben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie führt in ihrer Antragserwiderung unter anderem aus, es erscheine fraglich, ob sie überhaupt Gegnerin der Anträge sei oder ob der Antragsteller ausschließlich ein aufsichtsbehördliches Tätigwerden des ALE begehre. Soweit sich der Antrag gegen sie richten sollte, bestünden Zweifel an der Zuständigkeit des Flurbereinigungsgerichts, da dieses nach Unanfechtbarkeit der Schlussfeststellung gemäß § 140 FlurbG nur noch über die Anfechtung von Verwaltungsakten und die Verurteilung zum Erlass von Verwaltungsakten entscheide. In der Sache weist die Antragsgegnerin auf Folgendes hin: Sie habe die bestehenden Pachtverträge weisungsgemäß zum 31. Oktober 2021 gekündigt und werde die Grundstücke für die Zeit ab dem 1. November 2021 zur Verpachtung ausschreiben. Ein auf frühere Beendigung der Rechtswirkungen der Pachtverträge gerichteter Anordnungsanspruch stehe dem Antragsteller nicht zu. Eine Rechtsgrundlage sei nicht erkennbar. Sie sehe keine Möglichkeit, die bis zum 31. Oktober 2021 wirksamen und bindenden Pachtverträge in rechtmäßiger Weise – insbesondere durch außerordentliche Kündigung – vorzeitig aufzulösen. Es sprächen schwerwiegende Gesichtspunkte gegen eine vorzeitige Beendigung der Pachtverträge vor dem Ende des Wirtschaftsjahres 2020/2021. Die Pächter hätten auf die Wirksamkeit der Pachtverträge vertraut und bereits Investitionen in Form von Arbeiten auf den Pachtgrundstücken getätigt. Eine sofortige Neuverpachtung sei nicht möglich, da die Grundstücke zunächst auszuschreiben wären, was mehrere Monate in Anspruch nehmen würde. Demgegenüber seien besondere Vorteile für den Antragsteller aus einer verfrühten Vertragsbeendigung nicht erkennbar: Ein Pachtvertrag könnte auch mit diesem erst nach öffentlicher Ausschreibung und Auswahlentscheidung, also in einigen Monaten, abgeschlossen werden. Somit könne der Antragsteller die Pachtflächen im Wirtschaftsjahr 2020/2021 nicht mehr sinnvoll bewirtschaften. Damit sei eine besondere Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Vertragsauflösung nicht erkennbar. Ergänzend werde auf die Stellungnahme des ALE vom 6. April 2021 und die von diesem übersandten Unterlagen verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Senat legt das Begehren des Antragstellers dahingehend aus (§ 88 VwGO), dass sich sein Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnungen nicht nur auf die Verpflichtung des ALE zum aufsichtlichen Tätigwerden gegenüber der Antragsgegnerin bezieht (siehe dazu das weitere Verfahren Az. 13 AE 21.711), sondern dass er auch eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, die Pachtverträge nicht erst mit Wirkung zum 31. Oktober 2021, sondern mit sofortiger Wirkung aufzuheben.
Für diesen Antrag nach § 123 VwGO ist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof – Flurbereinigungsgericht – zuständig. Dem steht nicht entgegen, dass bereits eine unanfechtbare Schlussfeststellung (vom 13. März 1985) vorliegt. Zwar bestimmt § 140 Satz 1 Alt. 3 FlurbG, dass das Flurbereinigungsgericht unter anderem über alle Streitigkeiten entscheidet, die durch ein Flurbereinigungsverfahren hervorgerufen werden und „vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Schlussfeststellung anhängig geworden sind“. Allerdings endet die Zuständigkeit des Flurbereinigungsgerichts nur bei den sogenannten sonstigen Rechtsstreitigkeiten im Sinne des § 140 Satz 1 Alt. 3 FlurbG mit der Unanfechtbarkeit der Schlussfeststellung. Für Klagen und Anträge im Sinne von § 140 Satz 1 Alt. 1 und 2 FlurbG verbleibt es hingegen auch nach der Schlussfeststellung bei der Zuständigkeit des Flurbereinigungsgerichts (Mayr in Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Auflage 2018, § 140 Rn. 15). Dabei trifft § 140 Satz 1 Alt. 1 und 2 FlurbG trotz der besonderen Erwähnung von „Anfechtung“ und „Verpflichtung“ keine Regelung über die zulässigen Prozessarten. Vielmehr kommen in der Hauptsache neben Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen insbesondere auch Feststellungs- und (allgemeine) Leistungsklagen in Betracht (Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 140 Rn. 3 ff. m.w.N.). Vorliegend bezieht sich das Begehren des Antragstellers, die Pachtverträge mit sofortiger Wirkung aufzuheben, unmittelbar auf die Antragsgegnerin als fortbestehende Teilnehmergemeinschaft und die dieser nach der Schlussfeststellung im Vollzug des Flurbereinigungsgesetzes verbliebenen Aufgaben, nämlich die Verwaltung ihrer Grundstücke zur Finanzierung der (weiteren) verbliebenen Aufgaben (vgl. § 1 Abs. 2 der Satzung). Es handelt sich dabei nicht nur um eine sonstige Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 140 Satz 1 Alt. 3 FlurbG, die (mittelbar) durch das Flurbereinigungsverfahren hervorgerufen worden ist, etwa in Bezug auf Rechte Dritter (vgl. dazu Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O. § 140 Rn. 6). Vielmehr liegt eine Rechtsstreitigkeit im Sinne von § 140 Satz 1 Alt. 1 und 2 FlurbG vor, die (unmittelbar) den Vollzug des Flurbereinigungsgesetzes durch die Antragsgegnerin betrifft und für die das Flurbereinigungsgericht auch nach der Schlussfeststellung zuständig bleibt.
Der Antrag nach § 123 VwGO ist allerdings wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis, eine ungeschriebene, jedoch für die Zulässigkeit jeglicher Inanspruchnahme eines Gerichts notwendige Prozessvoraussetzung, fehlt unter anderem dann, wenn der Erfolg eines Antragstellers seine Rechtsstellung nicht verbessern könnte (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, vor § 40 Rn. 11, 16 ff. m.w.N.).
So liegt der Fall auch hier: Selbst wenn der Antragsteller einen (dringlichen) Anspruch gegen die Antragsgegnerin haben sollte, dass diese die vier Pachtverträge nicht erst zum 31. Oktober 2021, sondern noch während des laufenden Wirtschaftsjahrs mit sofortiger Wirkung kündigt oder sonst aufhebt (was schon im Hinblick auf die berechtigten Interessen der bisherigen Pächter durchaus zweifelhaft ist), könnte er durch eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur sofortigen Aufhebung der Pachtverträge keine durchgreifende Verbesserung seiner Rechtsstellung erreichen. Denn allein die Aufhebung der bisherigen Pachtverhältnisse führte nicht dazu, dass stattdessen der Antragsteller noch vor dem 31. Oktober 2021 Pächter (eines Teils) der Grundstücke würde. Vielmehr wäre hierfür der Abschluss eines Pachtvertrages zwischen Antragsteller und Antragsgegnerin erforderlich. Dazu wäre die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung nötig, die – wie die Antragsgegnerin nachvollziehbar darlegt – einige Monate in Anspruch nehmen würde. Selbst wenn es gelänge, die neuen Pachtverträge nach öffentlicher Ausschreibung und Auswahlentscheidung noch vor dem 31. Oktober 2021 abzuschließen, ist weder vom Antragsteller dargelegt noch sonst erkennbar, inwiefern der Antragsteller angesichts des dann sehr fortgeschrittenen Wirtschaftsjahrs im Zeitraum bis zum 31. Oktober 2021 noch Nutzen hieraus ziehen könnte.
Ist mithin der Antrag des Antragstellers mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig, kommt es nicht mehr darauf an, inwiefern ihm überhaupt Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zur Seite stünden.
Nach alledem war der Antrag abzulehnen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 147 Abs. 1 FlurbG, § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2, § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 13.2.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 147 Abs. 1 FlurbG, § 152 Abs. 1 VwGO).


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