Europarecht

Qurantäne für Reiserückkehrer aus ausländischen Risikogebieten (hier: Tirol)

Aktenzeichen  20 NE 21.570

Datum:
2.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3815
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
EQV § 1
GG Art. 3 Abs. 1
IfSG § 2 Nr. 17, § 28a Abs. 3 S. 4, § 30, § 32 S. 1

 

Leitsatz

1. Bei Einreisenden aus ausländischen Risikogebieten und Personen, die nachhause zurückkehren, nachdem sie sich im Inland in einem Gebiet mit höheren Inzidenzwerten nach § 28a Abs. 3 S. 4 IfSG aufgehalten haben, dürfte es sich nicht um wesensgleiche Sachverhalte handeln. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sachgrund für die im Hinblick auf eine Qurantänepflicht bestehende Ungleichbehandlung zwischen Reiserückkehrern aus ausländischen und solchen aus inländischen Risikogebieten ist, dass Rückkehrer aus ausländischen Risikogebieten während des Auslandsaufenthalts nicht den bundes- bzw. landesweit abgestimmten Infektionsschutzmaßnahmen im Inland unterliegen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1. Der Antragsteller, der am 27./28. Februar 2021 und vom 5. bis 7. März 2021 eine touristische bzw. geschäftliche Reise nach Seefeld in Tirol (Österreich) geplant hat bzw. plant, beantragt nach § 47 Abs. 6 VwGO die vorläufige Außervollzugsetzung des § 1 der Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV) vom 5. November 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 630), die zuletzt mit Verordnung zur Änderung der Einreise-Quarantäneverordnung vom 12. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 114) geändert worden ist und mit Ablauf des 7. März 2021 außer Kraft tritt (vgl. § 5 EQV).
2. Zur Begründung seines Antrags trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, das aktuelle Infektionsgeschehen sei rückläufig. Die Unwirksamkeit des § 1 EQV ergebe sich im Wesentlichen aus der Entscheidung des OVG Münster vom 20. November 2020 (Az. 13 B 1770/20.NE). Die Auslastung von Intensivbetten habe bislang keine kritischen Werte erreicht. Bei Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine einfachere Kontaktnachverfolgung bei den Gesundheitsämtern wäre das Argument der begrenzten Möglichkeiten der Gesundheitsämter obsolet. Die Quarantänepflicht verstoße gegen Art. 3 GG und sei unverhältnismäßig. Nach der aktuellen EQV dürften sich die Normadressaten in Bayern und in Hochinzidenzgebieten in Deutschland frei bewegen. Im Übrigen sei der pauschale Verweis auf die Begriffsdefinition des Risikogebiets in § 2 Nr. 17 IfSG unzulässig. Die Vorschrift sei unbestimmt und intransparent. Die Einstufung für Österreich, insbesondere für Tirol, sei unsystematisch. Die für die Feststellung von Risikogebieten zuständigen Stellen bestimmten regelmäßig ein komplettes Staatsgebiet als Risikogebiet; eine Unterteilung in Bezirke oder gar Kommunen sei unüblich. Von dieser seit Monaten geübten Verwaltungspraxis werde für Österreich eine Ausnahme zugelassen, bei der detaillierte Regelungen bis auf Gemeindeebene, ja sogar für einzelne Täler getroffen worden seien. Durch die Impfungen sei eine stetig größer werdende Bevölkerungsgruppe gegen COVID-19 geschützt. Eine Folgenabwägung falle – vor allem wegen der langen Dauer der Einschränkungen und der stark rückläufigen Infektionszahlen – zu Gunsten des Antragstellers aus, zumal er sich wegen der parallel geltenden bundesrechtlichen Anmeldungs- und Testpflicht bei dem Aufenthalt im Ausland nicht unbemerkt infizieren könne.
3. Der Antragsgegner beantragt die Ablehnung des Antrags und tritt diesem entgegen.
4. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Die Erfolgsaussichten eines noch zu erhebenden Normenkontrollantrags in der Hauptsache gegen die Regelung des § 1 EQV sind unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO bei summarischer Prüfung als offen anzusehen (1. und 2.). Eine Folgenabwägung geht zulasten des Antragstellers aus (3.).
1. Der Senat verweist zur Begründung auf seinen Beschluss vom 14. Dezember 2020 (Az. 20 NE 20.2860), der zwischen den Beteiligten ergangen ist, sowie auf die Beschlüsse vom 3. Dezember 2020 (Az. 20 NE 20.2749 – BeckRS 2020, 33531) und vom 28. September 2020 (20 NE 20.2142 – BeckRS 2020, 27261). Die dortigen Erwägungen gelten weiterhin. Der Senat hat ausdrücklich offengelassen, ob die Voraussetzungen des § 30 i.V.m. § 32 Satz 1 IfSG erfüllt sind und vom Vorliegen einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der EQV ausgegangen werden kann. Daran wird trotz der sich zuletzt ausbreitenden besorgniserregenden Virusmutationen (VOC) mit potenziell leichterer Ansteckungsmöglichkeit und möglicherweise schwereren Krankheitsverläufen festgehalten. Nach der Aufnahme des Begriffes der Risikogebiete in § 2 Nr. 17 IfSG (vgl. Art. 1 Nr. 2b des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18.11.2020, BGBl I S. 2397) hätte es nahegelegen, hieran bei einer Absonderungspflicht für Einreisende aus Risikogebieten anzuknüpfen. Der Entwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 9. Februar 2021 (BT-Drs. 19/26545), enthält insoweit jedoch keine (klarstellende) Regelung.
2. Die in den o.g. Senatsentscheidungen angeführten Fragen sind für die Entscheidung in einer Hauptsache auch streitentscheidend, weil die vom Antragsteller im Übrigen vorgebrachten Einwendungen voraussichtlich nicht durchdringen.
a) Die Anmeldesowie Test- und Nachweispflichten bei der Einreise aus Risikogebieten (vgl. § 1 und § 3 CoronaEinreiseV, BAnz AT 13.1.2021 V1) lassen den mit der Quarantäneverpflichtung nach § 1 EQV verfolgten Zweck wohl nicht entfallen. Eine Testung (kurz) vor oder bei der Einreise kann bei einer mittleren Inkubationszeit von COVID-19 von fünf bis sechs Tagen (vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 25.2.2021, vgl. dort Nr. 5, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html) Ansteckungsgefahren bei Reiserückkehrern nicht vollumfänglich ausräumen.
b) Auch ein Gleichheitsverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt voraussichtlich nicht vor.
aa) Eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung von Einreisenden aus ausländischen Risikogebieten gegenüber Personen, die sich im Inland in einem Gebiet mit höheren Inzidenzwerten nach § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG aufgehalten haben, liegt am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG voraussichtlich nicht vor. Bei beiden Gruppen von Reiserückkehrern dürfte es sich bereits nicht um wesensgleiche Sachverhalte handeln. Selbst wenn man dies annähme, dürfte sich eine solche Differenzierung aber als sachlich gerechtfertigt erweisen. Besonders bei Massenerscheinungen, die sich – wie das gegenwärtige weltweite Infektionsgeschehen – auf eine Vielzahl von Lebensbereichen auswirken, darf der Normgeber generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen. Unebenheiten, Friktionen und Mängel sowie gewisse Benachteiligungen in besonders gelagerten Einzelfällen, die sich im Zusammenhang mit Differenzierungen ergeben, müssen in Kauf genommen werden, solange sich für das insgesamt gefundene Regelungsergebnis ein plausibler, sachlich vertretbarer Grund anführen lässt (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.11.2020 – Vf. 59-VII-20 – juris Rn. 78 m.w.N.). Ein solcher Sachgrund kann darin gesehen werden, dass Rückkehrer aus ausländischen Risikogebieten während ihres Auslandsaufenthalts nicht den bundes- bzw. landesweit abgestimmten (vgl. 28a Abs. 3 Satz 9 und 10 IfSG) Infektionsschutzmaßnahmen im Inland unterliegen (vgl. auch VGH NW, B.v. 7.1.2021 – 13 B 2046/20.NE – juris Rn. 81; VGH BW, B.v. 3.12.2020 – 1 S 3737/20 – juris Rn. 64).
bb) Soweit der Antragsteller beanstandet, dass Teile des österreichischen Bundeslands Tirol nicht als Risikogebiet eingestuft sind (vgl. § 2 Nr. 17 IfSG), ist ebenfalls kein Gleichheitsverstoß erkennbar, zumal für seine Annahme, wonach regelmäßig ein „komplettes Staatsgebiet“ als Risikogebiet festzustellen sei, weder der Wortlaut noch der Wille des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 24) sprechen.
3. Die Folgenabwägung ergibt, dass die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Schutzgüter, auf die sich der Antragsteller sinngemäß beruft (Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG) überwiegen.
a) Das pandemische Geschehen ist weiterhin auf hohem Niveau. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 1. März 2021 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-01-de.pdf? blob=publicationFile) ist nach wie vor eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI (Stand 26.2.2021, vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) ist die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten (VOC) von SARS-CoV-2 besorgniserregend. Es ist noch unklar, wie sich deren Zirkulation auf die Situation in Deutschland auswirken wird. Aufgrund der vorliegenden Daten zu einer erhöhten Übertragbarkeit der VOC besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer Verschlimmerung der Lage. Ob und in welchem Maße die VOC die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe beeinträchtigen, ist derzeit noch nicht sicher abzuschätzen. Das individuelle Risiko, schwer zu erkranken, kann anhand der epidemiologischen bzw. statistischen Daten nicht abgeleitet werden. Auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen kann es zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen können auch nach leichten Verläufen auftreten.
b) In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Grundrechte des Antragstellers. Gegenüber den bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet ist (vgl. auch BVerfG, B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20 – juris Rn. 16), müssen die Interessen des Antragstellers gegenwärtig zurücktreten.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 7. März 2021 außer Kraft tritt (§ 5 EQV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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