Patent- und Markenrecht

30 W (pat) 805/18

Aktenzeichen  30 W (pat) 805/18

Datum:
21.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:211021B30Wpat805.18.0
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Designnichtigkeitssache

(hier: Nichtigkeitsverfahren N 7/15)
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 21. Oktober 2021 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie des Richters Dr. Meiser und der Richterin Dr. Weitzel
beschlossen:
I. Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

Gründe

I.
1
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des eingetragenen Designs 40106907-0001 mit dem 6. August 2001 als Anmeldetag und dem 21. März 2002 als Eintragungstag. Das Design ist im Designregister mit der folgenden Darstellung wiedergegeben:
2
Als Bezeichnung ist „Seidel“ erfasst.
3
Die Antragstellerin hat beim Deutschen Patent- und Markenamt mit Schriftsatz vom 24. März 2015 beantragt, die Nichtigkeit des Designs festzustellen. Wegen der beiden eingetragenen deutschen Designs M9711614-0002 und M9711614-0003 fehle es ihm an Neuheit. Zudem sei es nicht eigentümlich, da am Anmeldetag eine Vielzahl von Trinkgläsern mit entsprechender äußerer Gestaltung bekannt gewesen seien, so die sechs deutschen Designs M9711614-0001 bis -0004, M9501190-0008 und M9601154-0023, die österreichischen Geschmacksmuster 701994000001050-0001 und 9492001, die französischen Designs 113428-0001 und 000819-0053 und das slowakische Design SK701993000000101-0001; auch die von der Designinhaberin (im weiteren Verfahren) in Abbildungen eingereichten Seidel „Club“, „Classic“ und „Deutschherren“ könnten als Formenschatz in Betracht kommen.
4
Die gestrichelte Innenwandung des angegriffenen Designs könne für die Beurteilung der Schutzfähigkeit nicht herangezogen werden, da durch eine Strichelung üblicherweise diejenigen Teile und Merkmale eines Designs dargestellt würden, für die kein Schutz beansprucht werde.
5
Der Nichtigkeitsantrag ist der Designinhaberin durch Übergabeeinschreiben, das am 26. März 2015 zur Post gegeben worden ist, zugestellt worden. Sie hat dem Nichtigkeitsantrag mit Eingabe vom 29. April 2015 widersprochen.
6
Mit Beschluss vom 20. März 2018 hat die Designabteilung 3.5 des Deutschen Patent- und Markenamts den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit zurückgewiesen und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auferlegt.
7
Zur Begründung ist ausgeführt, der zulässige Nichtigkeitsantrag sei unbegründet, da das angegriffene Design über Neuheit und Eigentümlichkeit (im Sinne des hier anwendbaren GeschmMG a. F.) verfüge.
8
Die „gestrichelten Linien“ seien Teil des angegriffenen Designs, denn Konturen im Inneren eines dreidimensionalen Gegenstands würden üblicherweise durch Strichelungen dargestellt. Diese Darstellungsweise sei bei dreidimensionalen Gegenständen üblich, so dass sie vorliegend die grundsätzlich ebenfalls mögliche Sichtweise verdränge, es handele sich bei der Strichelung um Merkmale, für die kein Schutz begehrt werde. Das angegriffene Design habe folgende Merkmale:
9
1. Die äußere Grundform des Seidelkörpers ist zylindrisch.
10
2. Der Zylinder verbreitert sich ab dem unteren Henkelansatz fließend zu einem um 1/9 seines Durchmessers breiteren Fuß („fließende leichte Fußverbreiterung“).
11
3. Die Wandstärke des Seidelkörpers nimmt von unten nach oben gleichmäßig ab und zwar innenseitig („gleichmäßige Wandstärkenverjüngung“).
12
4. Das Verhältnis der Breite zur Höhe des Seidelkörpers beträgt etwa 1 zu 3.
13
5. Das Verhältnis der Breite zur Höhe des Henkels beträgt etwa 1 zu 3.
14
6. Das Verhältnis der Breite zur Höhe des Henkeleingriffsraums beträgt etwa 1 zu 3.
15
7. Der Henkel nimmt ca. 2/3 der Seidelhöhe ein und ist damit relativ lang.
16
8. Der Henkel sitzt etwa mittig.
17
9. Der Henkel verläuft in seinem im rechten Winkel zum Seidelkörper stehenden oberen Teil sichelförmig-geschwungen („sichelförmige Henkeleinbuchtung“).
18
10. Der Henkel verbreitert sich an den Ansatzstellen zum Seidelkörper leicht und zwar am unteren Ansatz stärker als am oberen Ansatz.
19
11. Der Boden ist außenseitig zur Mitte hin sichelförmig eingebuchtet („sichelförmige Bodeneinbuchtung“).
20
12. Der Boden ist innenseitig plan.
21
13. Das Material ist unstrukturiert.
22
Der ästhetische Gesamteindruck des angegriffenen Designs werde in den Augen eines Durchschnittsbetrachters maßgeblich bestimmt durch den fließenden Übergang der Zylinderform des Seidelkörpers in eine leichte Fußverbreiterung (Merkmal 2), durch die gleichmäßige und innen erzeugte Wandstärkenverdünnung nach oben hin (Merkmal 3), durch den langgezogenen Henkel (Merkmal 7), durch die sichelförmige Henkeleinbuchtung (Merkmal 9) und durch die ebenfalls sichelförmige Bodeneinbuchtung (Merkmal 11). Diese Merkmale führten weg von geradlinigen und harten Konturen und bewirkten, dass das angegriffene Design im Gesamteindruck fließend-geschwungen, leichtfüßig, schlank und harmonisch wirke.
23
Mit diesem Gesamteindruck sei das angegriffene Design neu i.S.v. § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F. Das als Anlage D1 entgegengehaltene, am 10. September 1998 veröffentlichte und damit ältere deutsche Design M9711614-0002
24
nehme mit seiner „knollenförmigen“ Fußverbreiterung, dem nicht sichelförmig eingebuchteten Henkel und seinem geradlinigen Gesamteindruck den fließend-geschwungenen, leichtfüßigen Gesamteindruck des angegriffenen Designs nicht vorweg. Gleiches gelte für das weitere, als Anlage D2 entgegengehaltene ältere deutsche Design M9711614-0003 (veröffentlicht am 10. September 1998), das zudem weder die schlanke Form des angegriffenen Designs noch eine Fußverbreiterung aufweise:
25
(= D2)
26
Das angegriffene Design sei auch eigentümlich i.S.v. § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F. Neben den bereits zur Neuheit gezeigten Designs M9711614-0002 und M9711614-0003 gehörten am Anmeldetag noch die folgenden (gemäß den Anlagen D3 bis D11 sowie BLD 2 und 3 ins Verfahren eingeführten) Designs zum Formenschatz:
27
D3 = Dt. Design M9711614-0001 D4 = Dt. Design M9711614-0004
28
(veröffentlicht am 10.09.1998) (veröffentlicht am 10.09.1998)
29
D5 = dt. Design M9501190-0008 D6 = dt. Design M9601154-0023
30
(veröffentlicht am 25.07.1995) (veröffentlicht am 24.08.1996)
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
31
D7 = Int. Design AT701994000001049-0001 D8 = Int. Design SK701993000000101
32
(veröffentlicht am 20.05.1994) (veröffentlicht am 06.07.1994)
33
D9 = Int. Design AT702001000000949-0001 D10 =
34
Int. Design FR700000000113428-0001
35
(veröffentlicht am 20.05.2001) (veröffentlicht am 24.10.1974)
36
D11 = Int. Design FR703000000000819-0053 BLD 2/1 = Seidel „Club“
37
(veröffentlicht am 21.07.2000)
38
BLD2/2 = Seidel „Classic“ BLD3 = Seidel „Deutschherren“
39
Die Beteiligten gingen dabei „unausgesprochen“ davon aus, dass die Seidel „Club“, „Classic“ und „Deutschherren“ gemäß den (von der Designinhaberin vorgelegten) Anlagen BLD 2 und 3 vor dem Anmeldetag des angegriffenen Designs veröffentlicht worden seien.
40
Im Gesamtvergleich mit diesem vorbekannten Formenschatz zeichne sich das angegriffene Design durch schöpferische Eigentümlichkeit aus. Zwar seien aus dem Formenschatz zur Trinkglasgestaltung ansatzlose und geschwungene Elemente bereits bekannt gewesen, wie die Designs M9711614-0004 (D4) und M9601154-0023 (D6) mit ihrer fließenden Fußverbreiterung sowie ihrer Kelchform zeigten. Auch eine Wandstärkenverjüngung bei Gefäßen sei bereits bekannt gewesen, wie der Seidel „Deutschherren“ (BLD3) und das Int. Design FR703000000000819-0053 (D11) erkennen ließen. Der Seidel „Deutschherren“ zeige zudem bereits eine Einbuchtung des Henkels. Seien die wesentlichen Merkmale des angegriffenen Designs damit bereits bekannt, dürften nach der Rechtsprechung keine zu niedrigen Anforderungen an die Gestaltungshöhe gestellt werden.
41
Den danach erforderlichen, nicht zu niedrigen Anforderungen an die Gestaltungshöhe genüge das angegriffene Design. Denn es sei schöpferisch sehr anspruchsvoll, eine geschwungene Linienführung in sich stimmig und in den Proportionen aufeinander abgestimmt zu verwenden, dies mehrfach sowohl bei der Fußverbreiterung (Merkmal 2), als auch bei der Henkeleinbuchtung (Merkmal 9) und der Bodenflächeneinbuchtung (Merkmal 11), und diese geschwungenen Formen zusätzlich noch mit einer Wandstärkenverdünnung (Merkmal 3) und einem langgestreckten Henkel (Merkmal 7) harmonisch zu einem schlanken, leichtfüßig wirkenden Gesamteindruck zu verbinden. Die Gestaltung des angegriffenen Designs erschöpfe sich damit nicht in der bloßen Kombination vorbekannter Merkmale, sondern übersteige das rein Handwerkliche und das Durchschnittskönnen eines Mustergestalters auf dem Gebiet der Glas- und Gefäßgestaltung.
42
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
43
Sie trägt vor, es sei bereits unklar, welche Ansicht in der einzig hinterlegten Abbildung des angegriffenen Designs dargestellt sei. Die exakt horizontale, gerade Linienführung bei dem Füllstrich, der Bodenlinie sowie der oberen Behältniswandung stimmten nicht mit der im Ansatz perspektivisch dargestellten Anbringung des seitlichen Henkels an dem Behältnis überein. Dem Durchschnittsbetrachter sowie auch den inländischen Fachkreisen sei damit nicht klar, welche Ansicht des Seidels in der einzigen hinterlegten Abbildung dargestellt sei. Dies widerspreche dem in § 7 Abs. 3 Nr. 2 GeschmMG a.F. normierten Erfordernis der Deutlichkeit und Vollständigkeit der beanspruchten Merkmale, dessen Zweck es sei, ungerechtfertigte Rechtsvorteile zu verhindern, die sich aus einer mangelhaften Darstellung ziehen lassen könnten.
44
Die „gestrichelten Linien“ in der Darstellung seien entgegen der Auffassung der Designabteilung nicht vom Schutzumfang des angegriffenen Designs umfasst. Die Begründung im angefochtenen Beschluss, wonach Konturen im Inneren eines dreidimensionalen Gegenstands „üblicherweise durch Strichelungen dargestellt“ würden, sei nicht überzeugend. Denn regelmäßig würden bei Designanmeldungen gestrichelte Linien zur Kennzeichnung von Elementen der eingereichten Darstellung verwendet, die nicht am Schutz der Hinterlegung teilhaben sollten. Die Antragsgegnerin habe auch nicht mittels einer Beschreibung oder durch Hinterlegung weiterer Darstellungen aufgeklärt, welches Ziel mit den gestrichelten Linien verfolgt werde.
45
Ebenfalls nicht vom Schutzumfang des angegriffenen Designs umfasst seien die „Maßhilfslinien“ und Messstriche. Etwa bei der durchgezogenen horizontalen, an den Bodenbereich des Seidels angrenzenden Linie handele es sich um eine solche „Maßhilfslinie“, soweit sich diese zum einen über die horizontale maximale Breite des Seidels hinaus erstrecke und sie zum anderen zumindest abschnittsweise oberhalb des untersten Bereichs des Seidels eingezeichnet sei (unter Hinweis auf eine Vergrößerung des Bodenabschnitts des Streitdesigns, vgl. u. a. die Abbildungen auf Seiten 5, 6 des Schriftsatzes vom 23. Oktober 2015)
46
Schutzgegenstand des angegriffenen Designs sei daher – ohne die „gestrichelten Linien“ und die „Maßhilfslinien“ – lediglich die äußere Seitenwandung des dargestellten Seidels, nicht die Innenwandung sowie die Einbuchtung in Bodennähe. Das, was sich an äußerer Form aus der Abbildung nicht ergebe, werde auch nicht geschützt (unter Hinweis auf BGH GRUR 1977, 602 – Trockenrasierer).
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Ausgehend hiervon sei in der Merkmalsanalyse der Designabteilung u. a. fehlerhaft als „Merkmal 3“ eine gleichmäßige Wandstärkenverjüngung aufgeführt. Ein derartiger, gleichmäßig verlaufender „Wandungsdickenverlauf“ könne weder aus der Seitenperspektive noch von oben betrachtet visuell wahrgenommen werden.
48
Aber selbst wenn man unterstelle, dass tatsächlich ein gleichmäßig verlaufender Wandungsdickenverlauf und zugleich eine zylinderförmige Außenwandung vorlägen, könnten diese Elemente – ihre grundsätzliche visuelle Wahrnehmbarkeit unterstellt – aus der Seitenperspektive durch das Material des Behältnisses hindurch gerade nicht als linear verlaufender Wandungsdickenverlauf wahrgenommen werden. Dabei trete hinzu, dass der Designeintragung auch hinsichtlich des Materials des Seidels keine näheren Informationen entnommen werden könnten.
49
Bei der Beurteilung der Eigentümlichkeit habe die Designabteilung zu niedrige Anforderungen an die Gestaltungshöhe angesetzt. Wenn – wie hier – alle wesentlichen Merkmale des angegriffenen Designs aus dem Formenschatz bekannt seien, dürften – wie auch von der Designabteilung im Ausgangspunkt richtig ausgeführt – keine zu niedrigen Anforderungen an die Gestaltungshöhe gestellt werden. Vorliegend könne aber gerade nicht von einer in schöpferischer Hinsicht besonders anspruchsvollen Leistung ausgegangen werden. Das Verbinden mehrerer Merkmale durch eine „geschwungene Linienführung“ sei Teil des handwerklichen Könnens eines Fachmanns auf dem Gebiet der Glas- und Gefäßgestaltung und sei – wie im Formenschatz gezeigt – auch im Anmeldezeitpunkt bereits genutzt worden. Insbesondere seien „knickfreie“ Übergänge oftmals leichter herzustellen (und die Gebrauchsgegenstände auch leichter zu reinigen) als „nicht glatte“ Übergänge.
50
Es sei im Übrigen zu bezweifeln, dass die sichelförmigen Ausbuchtungen bzw. Mulden „in ihren Proportionen aufeinander abgestimmt“ seien. Vielmehr sei davon auszugehen, dass diese (hauptsächlich) in Bezug auf ihre jeweilige Bezugsgröße (Behältnisdurchmesser; Henkelbreite; Bodendurchmesser) gewählt worden seien. Jedenfalls sei eine derartige wechselseitige Abstimmung nicht ersichtlich. Dass etwa die Krümmungsradien der Ausbuchtungen genau entsprechend den wechselseitigen Proportionen aufeinander abgestimmt seien, sei weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
51
Die Designabteilung habe schließlich bei der Vornahme des Gesamtvergleichs nicht den gesamten vorbekannten Formenschatz ausreichend gewürdigt. Beispielsweise würden in den Entgegenhaltungen D1 und in der D2 auch mehrfach auftretende Elemente wie Ausbuchtungen verwendet. Insbesondere eine Bodenmulde sei bei Trinkgläsern im Allgemeinen keine Seltenheit.Insgesamt erschöpfe sich die Gestaltung des angegriffenen Designs damit in der bloßen Kombination vorbekannter Merkmale.Daher weise das angegriffene Design keine Eigentümlichkeit auf, so dass dessen Nichtigkeit festzustellen sei.
52
Die Antragstellerin beantragt.
53
den Beschluss der Designabteilung 3.5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. März 2018 aufzuheben und die Nichtigkeit des Designs 40106907-0001 festzustellen.
54
Die Designinhaberin hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt. Im amtlichen Nichtigkeitsverfahren hatte sie vorgetragen, die Merkmale, durch die sich das eingetragene Design auszeichne, seien insbesondere auch einer als Anlage BLD 1 vorgelegten Abbildung zu entnehmen:
55
Der Körper des Glases weise eine außergewöhnlich schlanke Form auf. Dieser Glaskörper verjünge sich nach oben. Dabei verlaufe diese Linie nicht linear, sondern sei unmittelbar unter dem Griff ansetzend in leicht ausstülpender Form nach außen gezogen. Das Design weise folgende Merkmale auf:
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– „Der seitlich angebrachte Griff weist einen besonders hohen Längsanteil zum Glas auf, wodurch nochmals die schlanke, in die Länge gezogene Form betont wird.
57
– Der Griff ragt nur gerade soweit heraus, wie es erforderlich ist, um mit der Hand hineinzugreifen. Im Übrigen wird auch hier die Ausformung so gewählt, dass sie die schlanke Silhouette betont. Dies gilt in gleicher Weise für die Muldenausformung, die durch den eher kurzen, leicht nach oben gebogenen oberen Steg und die nicht gerade, sondern leicht über diesen Steg hinausgehende angesetzten Längsgriff betont wird.
58
– Das Glas setzt am unteren Fuß nicht platt auf, sondern weist hier eine leichte Abrundung auf, die sich dann zur Mitte des Glasbodens in einen nach oben gewölbten Boden äußert. Dem entspricht die Ausformung der Innenwand, die diesen Bogen des Außenglases nachempfindet und parallel dazu leicht „wannenförmig“ den Bogen des Innenglases bildet.
59
– Die Außenwand des Glases ist oben deutlich schmaler als unten. Sie verbreitert sich dann gleichmäßig bis zur Krümmung im Innenboden.
60
– Das Glas ist klar ohne jede Facettierung ausgestaltet und stellt sich damit als leichte, sich nach oben hin verjüngende, modern schmal gehaltene Silhouette eines Seidels dar.“
61
Entgegen der Argumentation der Antragstellerin seien die „gestrichelten Innenwandungen“ vom Schutzumfang des angegriffenen Designs umfasst. Es entspreche einer allgemeinen Übung, Konturen, die sich im Inneren eines dreidimensionalen Gegenstandes befänden, bei einer dreidimensionalen Wiedergabe der Zeichnung entsprechend „gestrichelt“ darzustellen. Ein Verzicht liege darin erkennbar nicht.
62
Die Ausbuchtungen sowie die nach oben deutlich schmaler verlaufende Außenwand würden ohne weiteres vom Betrachter wahrgenommen. Diese Elemente seien außergewöhnlich und fänden sich bei anderen Trinkgläsern bzw. Seideln nicht. Daher fielen sie dem Betrachter sofort ins Auge.
63
Im Zeitpunkt der Anmeldung sei kein Design für ein Trinkglas bzw. für einen Seidel bekannt gewesen, das die dargelegten Elemente des Streitdesigns aufweise. Das von der Antragstellerin als D1 bezeichnete Design Nr. 9711614-0002 sei so nie produziert worden. Die Abweichungen der auf dieser Basis später entwickelten Seidel „Club“ bzw. „Classik“ seien in der Anlage BLD 2 dokumentiert.
64
Doch auch angesichts der Wiedergabe des Musters, wie es in Bezug auf das als D1 bezeichnete im Register des DPMA wiedergegeben sei, ließen sich die Unterschiede zum angegriffenen Design deutlich erkennen. Dasselbe gelte für alle weiteren Entgegenhaltungen, die sich jeweils deutlich von dem angegriffenen Design unterschieden. In Bezug auf die Entgegenhaltungen D7-D11 trete hinzu, dass es sich um ausländische (französische, slowakische und österreichische) Muster handele, die für den Formenschatz in Deutschland nicht maßgeblich sein könnten.
65
Ihren zunächst hilfsweise gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat die Antragstellerin nach Terminsladung mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2021 zurückgenommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Aktenlage Bezug genommen.
II.
67
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Designabteilung hat den nach § 74 Abs. 2 i. V. m. § 34a DesignG zulässigen Nichtigkeitsantrag zu Recht als unbegründet zurückgewiesen, da die geltend gemachten absoluten Nichtigkeitsgründe nicht vorliegen.
68
1. Gemäß § 72 Abs. 2 DesignG ist die Schutzfähigkeit des am 6. August 2001 angemeldeten und am 21. März 2002 eingetragenen Designs 40106907-0001 weiterhin nach dem Geschmacksmustergesetz in seiner vor dem Inkrafttreten des Geschmacksmusterreformgesetzes vom 12. März 2004 (BGBl. I, S. 390) am 1. Juni 2004 geltenden Fassung zu beurteilen (vgl. so auch BGH GRUR 2011, 1117, Rn. 24 – ICE; GRUR 2005, 600, 603 – Handtuchklemmen; GRUR 2010, 80 Rn. 48 – LIKEaBIKE). Dies gilt insbesondere auch für die – vorliegend in Streit stehenden – Voraussetzungen der Neuheit und Eigentümlichkeit (vgl. mwN Eichmann/v. Falckenstein/Kühne, DesignG, 5. Auflage 2015, § 72 Rn. 4).
69
2. Nach § 1 Abs. 2 GeschmMG aF werden als Muster oder Modelle im Sinne dieses Gesetzes nur „neue“ und „eigentümliche“ Erzeugnisse angesehen.
70
dd) Auch die weiteren Einwendungen der Antragstellerin greifen nicht durch. Soweit sie eine allgemeine Unbestimmtheit bzw. Undeutlichkeit der Darstellung wegen fehlerhafter perspektivischer Darstellung rügt, ist dies nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Sollte ggf. der Henkelansatz am Glas perspektivisch nicht ganz richtig dargestellt sein, wirkt sich dies jedenfalls im Ergebnis nicht aus. Denn der maßgebliche ästhetische Gehalt geht aus der Darstellung des Designs in jedem Fall hinreichend hervor.
71
d) Demnach stellt sich das angegriffene Design nach der maßgeblichen Wiedergabe – ohne die unzulässigen Maßangaben bzw. Elemente einer technischen Zeichnung, aber mit den gestrichelten Linien (Merkmale 3, 11 und 12: Innenwand mit Wandstärkenverjüngung; äußere Bodeneinbuchtung unter dem Seidelfuß; leicht wannenförmiger Innenboden) – in der Draufsicht wie folgt dar:
72
Im Bereich des äußeren Seidel-Bodens entfällt dabei die – über die Breite des Seidelfußes hinausgehende – Maßhilfslinie, während die darunterliegende horizontale Bodenlinie erkennbar Teil der Darstellung ist. Erst hierdurch ergibt die „gestrichelte“ Darstellung der (in der Draufsicht „versteckten“) außenseitigen Bodeneinbuchtung Sinn, und die Kontur des Seidelfußes erschließt sich insgesamt dahingehend, dass der Fuß nur an seinen Rändern aufsitzt, zur Mitte des Bodens hin aber gewölbt bzw. „sichelförmig eingebuchtet“ ist.
73
e) Ausgehend hiervon hat die Designabteilung die den Gesamteindruck bestimmenden Gestaltungsmerkmale des Designs im Wesentlichen zutreffend beschrieben, wobei die einzigen Einwendungen der Antragstellerin gegen die Merkmale 3 und 11 aus den dargelegten Gründen fehlgehen. Demnach sind folgende den Gesamteindruck bestimmende Merkmale des Designs festzustellen [geringfügige Abweichungen von der Designabteilung in Fettdruck]:
74
1. Die äußere Grundform des Seidelkörpers ist zylindrisch.
75
2. Der Zylinder verbreitert sich ab dem unteren Henkelansatz fließend zu einem um ca. 1/7 seines Durchmessers breiteren, an den Seiten abgerundeten Fuß („fließende leichte Fußverbreiterung“).
76
3. Die Wandstärke des Seidelkörpers nimmt von unten nach oben gleichmäßig ab und zwar innenseitig („gleichmäßige Wandstärkenverjüngung“).
77
4. Das Verhältnis der Breite zur Höhe des Seidelkörpers beträgt etwa 1 zu 3.
78
5. Das Verhältnis der Breite zur Höhe des Henkels beträgt etwa 1 zu 3.
79
6. Das Verhältnis der Breite zur Höhe des Henkeleingriffsraums beträgt etwa 1 zu 3.
80
7. Der Henkel nimmt etwas mehr als 2/3 der Seidelhöhe ein und ist damit relativ lang.
81
8. Der Henkel sitzt etwa mittig.
82
9. Der Henkel verläuft in seinem im rechten Winkel zum Seidelkörper stehenden oberen Teil sichelförmig-geschwungen („sichelförmige Henkeleinbuchtung“).
83
10. Der Henkel verbreitert sich an den Ansatzstellen zum Seidelkörper leicht und zwar am unteren Ansatz stärker als am oberen Ansatz.
84
11. Der Boden ist außenseitig zur Mitte hin sichelförmig eingebuchtet („sichelförmige Bodeneinbuchtung“).
85
12. Der Boden ist innenseitig leicht wannenförmig und zu den Seiten abgerundet.
86
13. Das Material ist unstrukturiert.
87
f) Keines der vorgenannten Merkmale ist aus Rechtsgründen auszublenden. Dass Merkmale des angegriffenen Designs ausschließlich technisch bedingt sind, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Merkmale wie die Henkelform oder die Boden- und Innenwandverstärkung mögen zwar auch technische Funktionen erfüllen, weisen aber vorliegend jeweils einen ästhetischen Überschuss über die durch den technischen Zweck gebotene Form auf und nehmen daher am Schutz teil (vgl. zum hier anwendbaren GeschmMG a. F. Eichmann/von Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 2. Aufl., § 1 Rn. 13, 50, jeweils mwN).
88
g) Ausgehend von den derart festgestellten Merkmalen ist der ästhetische Gesamteindruck des angegriffenen Designs zu ermitteln, wobei die Auffassung des für geschmackliche und ästhetische Fragen aufgeschlossenen und mit ihnen einigermaßen vertrauten Durchschnittsbetrachters maßgebend ist (st. Rspr., z.B. BGH GRUR 1977, 547, 550 – Kettenkerze; BGH GRUR 2008, 153, 155 – Dacheindeckungsplatten).
89
Soweit hierzu über die äußere Beschreibung der Merkmale hinaus erforderlich ist, diese in Bezug auf ihre Maßgeblichkeit für den Gesamteindruck zu bewerten und zu gewichten (vgl. BGH, GRUR 2001, 503, 504 – Sitz-Liegemöbel; GRUR 2000, 1023
– 3-Speichen-Felgenrad mwN), kann den Feststellungen der Designabteilung weitgehend beigetreten werden. Im angegriffenen Design sind demnach besonders prägend der fließende Übergang der Zylinderform des Seidelkörpers in eine leichte Fußverbreiterung (Merkmal 2), die gleichmäßige und innen erzeugte Wandstärkenverjüngung nach oben hin (Merkmal 3) sowie schließlich der langgezogene Henkel (Merkmal 7) mit der sichelförmigen Henkeleinbuchtung, der auch die insgesamt schmale Form des Seidels optisch unterstützt.
90
Lediglich die ebenfalls sichelförmige äußere „Bodeneinbuchtung“ (Merkmal 11) ist leicht unterzugewichten, da sie bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Seidels etwas weniger wahrgenommen wird als die sonstigen genannten Merkmale (vgl. BGH GRUR 2016, 803 – Armbanduhr). Andererseits ist das Merkmal auch nicht völlig auszublenden, zumal es bei Ausführung als Glasseidel auch von außen sichtbar sein kann und zudem beim Anheben des Glases im Rahmen der „bestimmungsgemäßen Verwendung“ wahrnehmbar ist.
91
h) Beigetreten werden kann der Designabteilung auch in der Beurteilung des Gesamteindrucks dahingehend, dass die o. g. Merkmale von harten Konturen wegführen und bewirken, dass das angegriffene Design im Gesamteindruck fließend-geschwungen, leichtfüßig, schlank und harmonisch wirkt.
92
Der Eindruck eines schlanken Seidelkörpers wird durch den lang gezogenen Henkel noch unterstützt. Ferner erzeugen die sichelförmigen Einbuchtungen (des Henkels und des äußeren Bodens) sowie die mehrfachen (Ab-)Rundungen – sowohl am Seidelkörper („abgerundeter Fuß“, wannenförmiger und an den Seiten abgerundeter innerer Boden) wie auch am Henkel – einen aufeinander abgestimmten, harmonischen, fließend-geschwungenen Gesamteindruck. Diese fließenden Formen werden zudem in harmonischen Gegensatz zu der strengen Zylinderform des Hauptkörpers (Merkmal 1) gebracht.
93
Die Neuheit des eingetragenen Designs stellt die Antragstellerin in der Beschwerdeinstanz zu Recht nicht mehr ernsthaft in Abrede. Innerhalb des vorbekannten Formenschatzes existiert kein Erzeugnis, für welches sich die vollständige Zusammenfassung der Kombinationsmerkmale, die den Gesamteindruck des angegriffenen Designs bestimmen, feststellen ließe (BGH GRUR 1975, 81, 83 – Dreifachkombinationsschalter; GRUR 1980, 235, 236 – Play-family).
94
3. Dem angegriffenen Design kommt aber auch Eigentümlichkeit zu. Ein Muster ist eigentümlich im Sinne des § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F., wenn es in den für die ästhetische Wirkung maßgebenden Merkmalen als das Ergebnis einer eigenpersönlichen, form- und farbschöpferischen Tätigkeit erscheint, die über das Durchschnittskönnen eines mit der Kenntnis des betreffenden Fachgebiets ausgerüsteten Mustergestalters hinausgeht. Die Prüfung der Eigentümlichkeit und ihres Grades ist dabei anders als die Prüfung der Neuheit nicht durch einen Einzelvergleich des Musters mit Entgegenhaltungen vorzunehmen, sondern durch einen Gesamtvergleich mit den vorbekannten Formgestaltungen. Ein solcher Gesamtvergleich muss ausgehen von der Feststellung des ästhetischen Gesamteindrucks des Musters und der Gestaltungsmerkmale, auf denen dieser Gesamteindruck beruht (vgl. BGH, GRUR 1996, 767, 769 – Holzstühle; GRUR 2001, 503, 505 – Sitz-Liegemöbel; BGH, GRUR 2000, 1023, 1025 = WRP 2000, 1312 – 3-Speichen-Felgenrad;  BGH, GRUR 2008, 153 Rn. 26 – Dacheindeckungsplatten).
95
3. 1. Die Designabteilung hat die sich aus der einzigen Darstellung ersichtlichen Gestaltungsmerkmale des angegriffenen Designs im Wesentlichen zutreffend beschrieben. Allerdings enthält die Darstellung des Designs zum Teil unzulässige Elemente und ist zudem auslegungsbedürftig, im Einzelnen:
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a) Inhalt und Umfang des Geschmacksmusters bestimmen sich bei der Hinterlegung von Abbildungen danach, welche konkrete, das ästhetische Empfinden ansprechende Form die Abbildung erkennbar macht, wobei es auf das Anschauungsvermögen eines durchschnittlichen, auf dem betreffenden Gebiet tätigen Modellgestalters ankommt. Was sich an äußerer Form aus der Abbildung nicht ergibt, wird auch nicht geschützt (BGH GRUR 1977, 602 – Trockenrasierer). Das in § 7 Abs. 3 Nr. 2 GeschmMG a.F. normierte Erfordernis der Deutlichkeit und Vollständigkeit der beanspruchten Merkmale soll ungerechtfertigte Rechtsvorteile verhindern, die sich aus einer mangelhaften Darstellung ziehen lassen können. Bleibt die Form der Darstellung hinter dem Beanspruchten zurück, geht das zu Lasten des Anmelders. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Bilddarstellungen in der Regel optische Unvollkommenheiten und Reduktionen enthalten (BGH GRUR 1977, 602, 604 – Trockenrasierer). Andererseits darf sich der ästhetische Gehalt aus der eingereichten Abbildung nicht nur erahnen lassen (BGH, a. a .O. – Trockenrasierer).b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze enthält das eingetragene Design zunächst unzulässige Zusätze in Form von Maßangaben nach Art technischer Zeichnungen. Das Verbot solcher Zusätze in der Wiedergabe (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 2 DesignV bzw. § 6 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 GeschmMV 2004) soll verhindern, dass beiwerks- und beschreibungsähnliche Erläuterungen in die Wiedergabe mit einbezogen werden (vgl. Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser [im Folgenden zitiert als EJFM], DesignG, 6. Aufl. 2019. § 11 Rn. 41). Sämtliche unzulässigen Zusätze in Form von Maßen und Maßangaben sind daher bei der Bestimmung der Gestaltungsmerkmale außer Betracht zu lassen.c) In Bezug auf die „gestrichelten Linien“ hat die Designabteilung dagegen zutreffend angenommen, dass diese am Designschutz teilnehmen und – im Sinne der Merkmale M 3, M 11 und M 12 (hierzu auch im Folgenden, e)) – im Innern des Seidels eine „gleichmäßige Wandstärkenverjüngung“ sowie einen leicht wannenförmigen Innenboden und außenseitig unter dem Seidelfuß eine „sichelförmige Bodeneinbuchtung“ darstellen.aa) Wenn die Darstellungsweise für ein Design – wie hier – auslegungsbedürftig ist, muss zu den Fachkreisen des betreffenden Sektors der Personenkreis hinzutreten, der mit Darstellungstechniken für Designs vertraut ist. Das sind insbesondere Rechercheure und Patentanwälte (EJFM, a. a. O., § 37 Rn. 25). Diesem Personenkreis ist bekannt, dass gepunktete oder gestrichelte Linien in einer graphischen Darstellung zur Kennzeichnung sowohl von versteckten Linien als auch von Elementen verwendet werden, für die kein Schutz beansprucht wird; entsprechend nimmt die Rechtsprechung jeweils eine Auslegung anhand des Einzelfalls vor (vgl. mwN adRspr EJFM, a. a. O., § 37 Rn. 25, unter Hinweis u.a. auf: Abschn 11.4 PrüfungsRL GGM; EUIPO BK BeckRS 2018, 44748; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2012, 200, 204 – Tablet PC; LG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 361, 365 – Tablet PC II; siehe ferner zu „gestrichelten Linien“ als Disclaimer EJFM, a. a. O., § 11 Rn. 34). Anders als die Antragstellerin meint, existiert somit kein allgemeiner Grundsatz, dass „gestrichelte“ Linien immer im Sinne eines sog. Disclaimers auszulegen wären, je nach Einzelfall kommt auch eine Interpretation im Sinne „versteckter“ Linien in Betracht.
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Ziel der Auslegung ist es, das vom Anmelder Gewollte zu ermitteln. Dabei ist zugunsten des Anmelders zu unterstellen, dass er eine nicht an Widersprüchen leidende und zur Erzielung eines angemessenen Schutzes sinnvolle Anmeldung einreichen wollte. Umgekehrt müssen die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigt werden, zumal der Anmelder die Ausgestaltung seiner Anmeldung im Rahmen der gesetzlichen Regelungen selbst in der Hand hat.
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bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend der Auslegung der Designabteilung, wonach die „gestrichelten Linien“ versteckte Linien – insbesondere eine innere „Wandstärkenverjüngung“ sowie eine außenseitige „sichelförmige Bodeneinbuchtung“ (unter dem Fuß des Seidels) – darstellen und als solche am Designschutz teilnehmen, beizutreten.Die gestrichelten Linien erschließen sich bei Ansicht der Darstellung auf Anhieb als Darstellungsweise der inneren Wand des Seidels (mit „Wandstärkenverjüngung“ nach oben), des leicht wannenförmigen inneren Seidelbodens sowie einer außenseitigen Bodeneinbuchtung unter dem Fuß des Seidels. Dagegen macht die Annahme von „ Disclaimern “ vorliegend bereits keinen Sinn (warum sollte die Designinhaberin Merkmale im Innern des Seidels bzw. unter dessen Boden darstellen, auf deren Schutz sie verzichtet?). Auch sonstige Interpretationen (etwa im Sinne einer – so abwegigen – äußeren Musterung des Seidels oder einer – völlig verfehlten – perspektivischen Darstellung) liegen fern.Ausgehend hiervon wird vorliegend, über den mit Darstellungstechniken vertrauten Personenkreis hinausgehend, auch der für geschmackliche und ästhetische Fragen aufgeschlossene und mit ihnen einigermaßen vertraute Durchschnittsverbraucher auf Anhieb erkennen, dass es sich bei den „gestrichelten“ Linien nicht um sog. Disclaimer handelt, sondern um die Darstellung von „versteckten“ Merkmalen im Inneren (Wandstärkenverjüngung; leicht wannenförmiger Innenboden) bzw. unter dem Fuß des Seidels (außenseitige Bodeneinbuchtung).cc) Soweit die Antragstellerin demgegenüber geltend macht, dass die Art des Materials des Seidels der Designanmeldung nicht entnommen werden könne, und sie sich auf eine fehlende Wahrnehmbarkeit der Merkmale M 3 und M 11 beruft, steht beides einer Berücksichtigung dieser Merkmale nicht entgegen. Die Argumentation geht bereits deshalb fehl, weil es für das Design und seinen Schutzumfang nur auf das Erscheinungsbild ankommt, das aus der grafischen Wiedergabe ersichtlich ist (vgl. Eichmann/Kur, Designrecht, 2. Aufl., § 2 Rn. 24). Dies hat zur Folge, dass hinsichtlich der Beschaffenheit der als Design hinterlegten Erscheinungsform des Gesamterzeugnisses alle denkbaren festen, auch durchsichtigen Materialien – wie zB Glas – in Betracht kommen (vgl. BPatG GRUR-RR 2021, 112 – Getränkekühler); ohnehin sind Glasseidel die klassische Ausführungsform, wie es auch der Formenschatz belegt. Im Übrigen wäre, selbst wenn man z. B. einen tönernen Seidel unterstellt, das Merkmal M 3 bei bestimmungsgemäßer Verwendung ebenso ohne Weiteres sichtbar, nämlich die Wandstärkenverjüngung bei Sicht in den (teilweise) geleerten Seidel hinein.
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3.2. Für den Vergleich des so ermittelten ästhetischen Gesamteindrucks des angegriffenen Designs mit den vorbekannten Formgestaltungen ist entscheidend, welche Formgestaltungen bei den inländischen Fachkreisen als bekannt anzusehen sind; denn von deren Durchschnittskönnen und Durchschnittswissen soll sich das Design durch seine schöpferische Eigentümlichkeit abheben (vgl. BGH GRUR 1977, 547, 550 – Kettenkerze).Dem vorbekannten Formenschatz können dabei nur solche Gestaltungen zugerechnet werden, die den inländischen Fachkreisen im Anmeldezeitpunkt bekannt waren oder bei zumutbarer Beachtung der auf den einschlägigen oder benachbarten Gewerbegebieten vorhandenen Gestaltungen bekannt sein konnten (BGH GRUR 2000, 1023 – Drei-Speichen-Felgenrad).a) Dies kann nicht für die von der Designinhaberin vorgelegten Seidel „Club“, „Classic“ und „Deutschherren“ (Anlagen BLD 2/1, 2 und 3) angenommen werden. Die Designabteilung hat zu Unrecht angenommen, die Beteiligten gingen „unausgesprochen“ davon aus, dass diese Seidel vor dem Anmeldetag des angegriffenen Designs veröffentlicht worden seien. Vielmehr fehlt es insoweit an jeglichem Vortrag zum Zeitpunkt der Vorveröffentlichung. Die Designinhaberin hat die Anlage BLD2 (Prospekt der Fa. R… mit Abbildungen der o. g. Seidel) lediglich zum Beleg dessen vorgelegt, dass das von der Antragstellerin als D1 bezeichnete Design Nr. 9711614-0002 so nie produziert worden sei, sondern nur in abweichenden Formgestaltungen. Der als Anlage zum Widerspruchsschriftsatz vom 29. April 2015 in Auszügen vorgelegte Prospekt ist undatiert. Im Übrigen haben die Beteiligten zu dem tatsächlichen Veröffentlichungsdatum der o. g. Seidelmuster nichts Konkretes vorgetragen, und es bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte für ein bestimmtes Veröffentlichungsdatum (bis auf die Tatsache, dass die Eintragung des Designs D1 schon 1998 veröffentlicht wurde, was aber keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die Produktion der o. g., in der Formgebung zudem abweichenden Seidel vor dem Anmeldezeitpunkt zulässt).Im Ergebnis kann die Frage aber dahinstehen. Denn selbst wenn man unterstellt, dass die Seidel „Club“, „Classic“ und „Deutschherren“ (Anlagen BLD 2/1, 2 und 3) als vorbekannter Formenschatz berücksichtigungsfähig sind, wirkt sich dies nicht entscheidungserheblich aus (hierzu im Folgenden).
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b) Die entgegengehaltenen Designs D1-D11 datieren, was die Veröffentlichung ihrer Eintragung betrifft, sämtlich vor dem Anmeldezeitpunkt und sind daher unproblematisch als Formenschatz berücksichtigungsfähig. Fehl geht das Argument der Designinhaberin, wonach internationale bzw. ausländische Designs (Entgegenhaltungen D 7-D11) nicht für den inländischen Formenschatz relevant sein könnten. Vielmehr führen Bekanntmachungen von ausländischen Designschutzrechten zur Offenbarung, wenn sie den – vorliegend maßgeblichen inländischen (vgl. zum hier anwendbaren GeschmG a. F. Eichmann/von Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 2. Aufl., § 1 Rn. 25 mwN) – Fachkreisen zugänglich sind; dabei genügt es, dass von der amtlichen Bekanntmachung des registrierten Schutzrechtes Kenntnis genommen worden konnte (vgl. BGH GRUR 2009, 79 – Rn. 23 – Gebäckpresse I; EJFM, a. a. O., § 5 Rn. 8 und 18), was vorliegend unproblematisch der Fall ist.
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3.3. Von diesem vorbekannten Formenschatz hebt sich das angegriffene Design durch eine hinreichende schöpferische „Eigentümlichkeit“ iSv § 1 Abs. 2 GeschmMG a. F. ab.
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a) Für die Bejahung von Eigentümlichkeit muss zumindest eine schöpferische Leistung vorliegen, die über das Können eines Durchschnittsgestalters und damit das rein Handwerksmäßige hinausgeht (vgl. etwa BGH GRUR 1980, 235, 236 – Play family; GRUR 1988, 269, 370 – Messergriff). Welcher schöpferische Gehalt im Einzelnen erreicht werden muss, bestimmt sich dabei nach den auf dem betreffenden Gebiet geleisteten Vorarbeiten in ihrer Gesamtheit und in Verbindung mit den zur Verfügung stehenden freien Formen (vgl. BGH GRUR 1980, 235, 236 – Play-family; BGH GRUR 1975, 81 – Dreifachkombinationsschalter m.w.N.).
103
b) Vorliegend waren zwar, wie auch die Designabteilung zutreffend ausgeführt hat, im Anmeldezeitpunkt aus dem berücksichtigungsfähigen Formenschatz bereits „ansatzlose und geschwungene Elemente“, wie sie auch den ästhetischen Gesamteindruck des angegriffenen Designs mitbestimmen, vorbekannt, im Einzelnen:
104
aa) die fließende Fußverbreiterung
105
wobei die Fußverbreiterung des angegriffenen Designs
106
mit Blick auf den ästhetischen Gesamteindruck doch insoweit abweicht, als sie seitlich stärker abgerundet ist. Die sonstigen im Formenschatz vorhandenen Fußverbreiterungen (vgl. D1, D7-9 sowie – unter Unterstellung der Vorbekanntheit – die Seidel „Club“ und „Classic“) weichen noch deutlicher ab, da sie nicht „fließend“, sondern gestuft bzw. „knollenförmig“ ausgestaltet sind,
107
bb) die – gleichmäßig zulaufende – Wandstärkenverjüngung, z. B:
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
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D4 Seidel „Club“ „Deutschherrn“
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wobei die Wandstärkenverjüngung in der Entgegenhaltung D4 allerdings – anders als im angegriffenen Design – nicht „innenwandig“ erzeugt wird, sondern durch eine Verjüngung der Außenwand, was zu einer erheblich abweichenden Ästhetik führt,
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cc) die „sichelförmige“ Einbuchtung des Henkels, vgl. etwa den Seidel „Deutschherren“:
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dd) Ferner existierten ausweislich des Formenschatzes auch bereits „schlanke“ Seidelgrundformen, vgl. z. B. die Entgegenhaltungen D 8 und D9
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sowie auch den Seidel „Club“.
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ee) Die Antragstellerin verweist mit der Beschwerdebegründung zudem auf die Entgegenhaltungen D1 und D2, die ebenfalls mehrfach auftretende Elemente wie „Ausbuchtungen“ und „Rundungen“ aufweisen
114
c) Auch wenn damit einige wesentliche Gestaltungsmerkmale des angegriffenen Designs im Anmeldezeitpunkt bereits bekannt waren, kann eine geschmacksmusterrechtliche Eigentümlichkeit festzustellen sein, nämlich wenn das Muster unter teilweiser Verwendung dieser bereits bekannten Kombinationselemente einen bisher nicht vorhandenen Gesamteindruck bzw. eine eigene ästhetische Gesamtwirkung hervorruft (vgl. BGH GRUR 1975, 81, 83 – Dreifachkombinationsschalter; BGH GRUR 1980, 235 – Play family). Allerdings dürfen die Anforderungen an die Gestaltungshöhe hier nicht zu niedrig angesetzt werden (vgl. BGH, a.a.O. – Dreifachkombinationsschalter; BGH GRUR 1988, 369, 370 – Messergriff; BGH GRUR 2001, 503, 505 – Sitz-Liegemöbel).
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Vorliegend sind zunächst nicht alle für den Gesamteindruck des angegriffenen Designs maßgeblichen ästhetischen Merkmale im vorbekannten Formenschatz dargestellt. So weicht etwa die „fließende Fußverbreiterung“ mit ihren seitlichen Abrundungen von den von der Antragstellerin vorgelegten vorbekannten Seideln mit Fußverbreiterung ab.
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Darüber hinaus wird bei dem angegriffenen Design eine über die Kombination vorbekannter Formelemente und Gestaltungen deutlich hinausgehende ästhetische Gesamtwirkung erzielt.
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Wie bereits die Designabteilung zutreffend beschrieben hat, wirkt die geschwungene Linienführung – mit Abrundungen sowie „sichelförmigen Einbuchtungen“ – ästhetisch in sich stimmig und in den Proportionen aufeinander abgestimmt. Dabei wiederholen bzw. „spiegeln“ sich diese geschwungenen Gestaltungselemente auch, nämlich sowohl bei der Fußverbreiterung (Merkmal 2), als auch bei der Henkeleinbuchtung (Merkmal 9) und der Bodenflächeneinbuchtung (Merkmal 11) sowie der leicht wannenförmigen Ausgestaltung des inneren Seidelbodens (Merkmal 12).
118
Demnach prägen überwiegend fließende, abgerundete Linien das Gesamtbild, während Kantiges bzw. hart Begrenzendes weitgehend vermieden wird. Diese fließende Linienführung verbindet sich mit der schlanken Grundform des Seidelkörpers, dem ebenso schlanken (langgestreckten) Henkel sowie der gleichmäßig nach oben zulaufenden Wandstärkenverjüngung zu einer eleganten, fließend-geschwungenen und leichtfüßig wirkenden Gestaltung. Zugleich wird der Gesamteindruck durch den harmonischen Gegensatz der fließenden Formen zu der streng zylindrischen Form des Hauptkörpers geprägt.
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Damit ist das angegriffene Design – auch wenn es zum Teil vorbekannte Gestaltungselemente kombiniert hat – eigenschöpferisch gestaltet. Die ästhetische Durchformung des Designs stellt keineswegs eine mehr oder weniger beliebige Zusammenfügung vorbekannter Gestaltungselemente dar. Vielmehr übersteigt die Gestaltung – mit einer anspruchsvollen, geschwungenen und in den Proportionen abgestimmten Linienführung, einschließlich eines harmonischen Kontrasts zwischen flüssigen Formen und strengem Zylinder – das rein Handwerkliche und das Durchschnittskönnen eines Mustergestalters auf dem Gebiet der Glas- und Gefäßgestaltung.
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Daraus folgt, dass es dem Schöpfer des eingetragenen Designs gelungen ist, ein Muster zu schaffen, welches – wenn auch unter teilweiser Verwendung bereits bekannter Kombinationselemente – einen ästhetischen Gesamteindruck hervorruft, der im vorbekannten Formenschatz so noch nicht vorhanden war; damit ist der Abstand gegenüber diesem Formenschatz hinreichend groß, um die geschmacksmusterrechtliche Eigentümlichkeit des Musters iSv § 1 Abs. 2 GeschmMG aF zu bejahen.
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4. Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.
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5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nach §§ 23 Abs.4 Satz 5 DesignG, 84 Abs. 2 Satz 2 PatG, 91 Abs. 1 ZPO der Antragstellerin aufzuerlegen.


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