Arbeitsrecht

Abgrenzung von abhängiger und selbstständiger Tätigkeit von Schauspielern

Aktenzeichen  M 12 K 16.4073

Datum:
16.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Satzung der Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen § 12 Abs. 1, § 26 Abs. 1, § 46

 

Leitsatz

1 Eine abhänigige Beschäftigung setzt voraus, dass der Beschäftigte seine Dienstleistungen im Rahmen einer von einem Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Diese äußert sich regelmäßig in der Eingliederung des Beschäftigten in einen fremden Betrieb, sei es, dass er umfassend einem Zeit, Dauer und Ort der Arbeit betreffenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, sei es auch nur, insbesondere bei Diensten höherer Art, dass er funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess des Arbeitgebers teil hat. Demgegenüber kennzeichnen eine selbstständige Tätigkeit das eigene Unternehmerrisiko, die Verfügungsfreiheit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit (ebenso BSG DStR 1999, 1328). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Neben der persönlichen Abhängigkeit kann auch die wirtschaftliche Abhängigkeit als Abgrenzungsmerkmal von Bedeutung sein (ebenso VG München BeckRS 2006, 31221). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Tatsache, dass immer mehr Schauspieler sich wegen der abnehmenden Zahl an Theatern mit festem Ensemble ihren Lebensunterhalt durch verschiedenartige Tätigkeiten bei mehreren Theatern verdienen müssen, ändert nichts daran, dass auch derartige zT nur kurzfristige Engagements bei entsprechender Eingliederung in den Betrieb des jeweiligen Theaters als abhängige Beschäftigung einzustufen sind.  (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Die Voraussetzungen für eine Pflichtmitgliedschaft gemäß § 12 Abs. 1 der Satzung der Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen liegen im Falle des von der Klägerin betriebenen Theaters vor. Die Klägerin unterliegt deshalb auch den an die Pflichtmitgliedschaft anknüpfenden Verpflichtungen aus §§ 17, 26 Abs. 1 und 46 der Satzung.
Rechtsgrundlage für die Feststellung der Pflichtmitgliedschaft ist § 12 Abs. 1 der Satzung. Danach ist Pflichtmitglied jeder Rechtsträger eines Theaters (Theaterunternehmer) nach Maßgabe der Tarifordnung für die deutschen Theater vom 27. Oktober 1937 (Reichsarbeitsblatt 1937 Teil VI S. 1080) – im Folgenden: TO – (vgl. zur Rechtsgültigkeit der Tarifordnung: BVerwG, U.v. 20.2.1987 – 7 C 2/85 – juris; BayVGH, U.v. 25.2.1997 – 9 B 96.2028 – juris). Aus § 1 Abs. 1 TO geht hervor, dass jeder Theaterunternehmer verpflichtet ist, für die in seinem Theaterbetrieb beschäftigen Bühnenschaffenden eine Alters- und Hinterbliebenenversicherung nach Maßgabe der Bestimmungen der Tarifordnung abzuschließen. Der in der Tarifordnung verwendete Begriff des Bühnenschaffenden wird in der Rechtsprechung dahingehend ausgelegt, dass darunter abhängig beschäftigte, künstlerisch tätige Personen fallen (vgl. BayVGH, U.v. 18.12.2003 – 9 B 03.1286 – juris Rn. 28 ff.; VG München, U.v. 25.4.2013 – M 12 K 12.6210 – juris Rn. 33). Der unbestimmte Rechtsbegriff des Theaterunternehmers wird des Weiteren durch die Vollzugsvorschriften zu §§ 12 und 13 der Satzung vom 3. März 1994 in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung näher konkretisiert. Danach ist unter Theaterunternehmer jede natürliche oder juristische Person zu verstehen, die zum Zwecke eigener öffentlicher Theateraufführungen einen oder mehrere Bühnenangehörige beschäftigt, die überwiegend künstlerisch tätig sind (vgl. Nr. 1 der Vollzugsvorschrift).
Voraussetzung für eine Pflichtmitgliedschaft ist mithin, dass die Klägerin in einem Abhängigkeitsverhältnis stehende Bühnenschaffende beschäftigt. Dies ist aus Sicht der Kammer gegeben.
a) Das Kriterium der Abhängigkeit dient zur Abgrenzung von Arbeitnehmern gegenüber selbstständig Tätigen, insbesondere Freiberuflern, und setzt voraus, dass der Beschäftigte seine Dienstleistungen im Rahmen einer von einem Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung ist für die Wertung einer Beschäftigung als abhängig ausschlaggebend, dass sie in persönlicher Abhängigkeit verrichtet wird. Diese äußert sich regelmäßig in der Eingliederung des Beschäftigten in einen fremden Betrieb, sei es, dass er umfassend einem Zeit, Dauer und Ort der Arbeit betreffenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, sei es auch nur, insbesondere bei Diensten höherer Art, dass er funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess des Arbeitgebers teil hat. Demgegenüber kennzeichnen eine selbstständige Tätigkeit das eigene Unternehmerrisiko, die Verfügungsfreiheit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit (vgl. BSG, U.v. 28.1.1999 – B 3 KR 2/98 – juris Rn. 20). Neben der persönlichen Abhängigkeit kann auch die wirtschaftliche Abhängigkeit als Abgrenzungsmerkmal von Bedeutung sein (vgl. VG München, U.v. 23.1.2006 – M 3 K 04.6527 – juris Rn. 19). Maßgebend ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung. Weist im Einzelfall eine Tätigkeit sowohl Merkmale der Abhängigkeit wie der Selbstständigkeit auf, so kommt es bei der Beurteilung des Gesamtbildes darauf an, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG, U.v. 28.1.1999, a.a.O.). Grundlage der Beurteilung sind dabei stets die tatsächlichen Verhältnisse und nicht die in einer vertraglichen Vereinbarung gewählte Bezeichnung oder rechtliche Einordnung der Tätigkeit (BSG, U.v. 17.5.1973 – 12 RK 23/72 – juris Rn. 36). Es ist daher unerheblich, dass der Vertrag vorliegend als „Engagementvertrag“ bezeichnet wird und in einem Passus des Vertrages steht: „Der/die Künstler/in arbeitet freiberuflich (…).“
b) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze lässt sich im vorliegenden Fall bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung feststellen, dass die Klägerin mindestens einen abhängig beschäftigten Schauspieler angestellt hatte.
Zunächst ist festzuhalten, dass der Umstand, dass die bei der Klägerin beschäftigten Schauspieler nach Auskunft der Klägerin alle Mitglieder der Künstlersozialkasse sind, für die Einordnung der Tätigkeit bei der Klägerin als selbstständig oder unselbstständig nicht erheblich ist.
Vielmehr muss jede künstlerische Betätigung im Einzelfall beurteilt werden. Die Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse schließt nicht aus, dass neben einer selbstständigen künstlerischen Tätigkeit auch unselbstständige künstlerische Tätigkeiten ausgeübt werden. Die Künstlersozialversicherung betrifft den grundlegenden Sozialversicherungsschutz (Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung). Demgegenüber handelt es sich bei der Versorgung bei der Beklagten um eine Zusatzversorgung, die eine Ergänzung der gesetzlichen Rente darstellt.
Die Tatsache, dass immer mehr Schauspieler sich wegen der abnehmenden Zahl an Theatern mit festem Ensemble ihren Lebensunterhalt durch verschiedenartige Tätigkeiten bei mehreren Theatern verdienen müssen, ändert nichts daran, dass auch derartige z.T. nur kurzfristige Engagements bei entsprechender Eingliederung in den Betrieb des jeweiligen Theaters als abhängige Beschäftigung einzustufen sind. Im Gegenteil spricht gerade diese Entwicklung für die Schutzbedürftigkeit der betroffenen Schauspieler und das mit dem Versorgungswerk verfolgte Ziel, diese vor einem sozialen Abstieg im Alter zu bewahren. Somit ist die vorgelegte Bestätigung zweier Darsteller, dass sie neben ihrem Engagement bei der Klägerin noch andere Engagements wahrnähmen, für die Beurteilung der Abhängigkeit der Beschäftigung bei der Klägerin ohne Bedeutung.
Dass im Rahmen der Spielplanerstellung zunächst eine terminliche Abstimmung mit den Schauspielern erfolgt, hat nicht die Einordnung als selbstständige Tätigkeit zur Folge, sondern ist letztlich dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der Klägerin eben nicht um ein Ensembletheater handelt, bei dem die Schauspieler in Vollzeit beschäftigt sind. Daher ist die Klägerin gezwungen, mit den Schauspielern deren zeitliche Verfügbarkeit für die Tätigkeit bei der Klägerin vorab zu klären. Eine Einordnung der für die Klägerin geleisteten Arbeit als selbstständige oder unselbstständige Tätigkeit lässt sich daraus nicht ableiten. Hierfür sind allein die Verhältnisse im Rahmen des von den Schauspielern zur Verfügung gestellten Zeitrahmens maßgeblich.
Es lässt sich eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Künstler in Bezug auf ihre Tätigkeit bei der Klägerin feststellen. Ausweislich der vorgelegten Tourliste war die Zeugin M. D. im Zeitraum von 26. Dezember 2015 bis 20. März 2017 an 46 Tagen an 61 Aufführungen beteiligt. Somit war die Zeugin sowohl ausgehend von einer Sechstagewoche zu 60% zeitlich als auch nach eigenen Aussagen zu 90 – 95% von ihrem Einkommen her bei der Klägerin beschäftigt, so dass von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der Zeugin in diesem Zeitraum und einer Eingliederung in den Betrieb der Klägerin, nicht nur einer gelegentlichen Beschäftigung, ausgegangen werden muss. Zusätzlich spricht für die Eingliederung, dass zwar im Falle eines höher dotierten Engagements bei einem anderen Theater grundsätzlich getrauscht werden kann, wenn eine Doppelbesetzung gegeben ist. Falls aber keine Doppelbesetzung vorliegt oder keine andere Vertretung aktiviert werden kann, der Schauspieler nach eigener Aussage der Klägerin bei der Klägerin spielen muss.
Als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit ist des Weiteren zu werten, dass die bei der Klägerin mitwirkenden Darsteller nicht maßgeblich am unternehmerischen Risiko beteiligt sind. Die Bezahlung der Schauspieler erfolgt unabhängig von dem Erfolg des Stückes und sie tragen somit insoweit kein unternehmerisches Risiko. In der Vergangenheit erhielten nur zwei Schauspieler, die an der Konzeption des Stückes mitwirkten, eine Gewinnbeteiligung. Das fehlende unternehmerische Risiko zeigt sich des Weiteren in der gezahlten Tagespauschale für Make-up, Verpflegungsaufwand und Reinigung der Kostüme. Zudem organisiert und finanziert die Klägerin die Ab- und Anreise, trägt die Kosten für Fahrgemeinschaften innerhalb der Tourblöcke, wobei sie in der Regel die Fahrzeuge stellt, organisiert die Unterkünfte und stellt die Kosten dafür. Auch diese Punkte sprechen für ein fehlendes unternehmerisches Risiko und somit für eine abhängige Beschäftigung. Zudem hat die Klägerin die Verwertungsrechte aller Bild- und Tonaufnahmen. Dass die Schauspieler im Krankheitsfall und bei Ausfall einer Aufführung keine Bezahlung erhalten, ist demgegenüber weniger Ausdruck einer selbständigen Tätigkeit als vielmehr ihrer schwachen sozialen Stellung, der nicht zuletzt die Pflichtversicherung bei der Beklagten entgegenwirken will.
Zudem spricht für eine abhängige Beschäftigung, dass die Schauspieler zwar bei der Entwicklung eines Stückes Ideen einbringen können, letztlich jedoch die Klägerin entscheidet – wie sich aus ihrer eigenen Aussage ergibt -, wie sich das Zusammenspiel der Schauspieler gestaltet und die Schauspieler somit weisungsgebunden gegenüber der Klägerin sind. Zudem müssen sich die Schauspieler nach Aussagen der Zeugin M.D. weitestgehend an die ihnen geschickten Videos halten, in denen ihre Rolle in einem früheren Auftritt aufgezeichnet wurde. Auch dadurch übt die Klägerin ihr Weisungsrecht aus. Dass ggf. kleine Veränderungen an der Rolle vorgenommen werden dürfen, ändert nichts an der grundsätzlichen Einstufung der Beschäftigung als abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Welche Stücke überhaupt zur Aufführung kommen oder auf Tournee gehen, liegt zudem in der Entscheidungsbefugnis der Klägerin.
Bei einer Gesamtwürdigung all dieser Umstände überwiegen die Merkmale, die dafür sprechen, dass die Klägerin abhängig Tätige beschäftigt. Die Voraussetzungen für eine Pflichtmitgliedschaft nach § 12 Abs. 1 der Satzung liegen damit vor.
2. Die Verpflichtung der Klägerin zur Entrichtung der Pflichtbeiträge für die in ihren Eigenproduktionen mitwirkenden Sänger und Schauspieler (Nr. 2 des Bescheids) sowie der sonstigen überwiegend künstlerisch tätigen Mitwirkenden aus dem nicht-darstellerischen Bereich (Nr. 3 des Bescheids) beruht auf § 26 Abs. 1 i.V.m. § 23a der Satzung. Der Personenkreis der Versicherten, für die Beiträge abzuführen sind, ergibt sich aus § 17 Abs. 1 der Satzung i.V.m. § 1 Abs. 3 TO.
3. Rechtsgrundlage der Verpflichtung zur Entrichtung der Altersversorgungsabgabe ist § 26 Abs. 1 i.V.m. § 25 der Satzung. Pflichtmitglieder haben danach als Sonderbeitrag eine Altersversorgungsabgabe zur Sicherung der Altersversorgung der Bühnenangehörigen in Höhe von 0,10 Euro für jede ausgegebene Theatereintrittskarte zu entrichten.
4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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