Arbeitsrecht

Ablösung von allgemeinen Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung

Aktenzeichen  1 AZR 185/11

Datum:
17.7.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 75 Abs 1 BetrVG
§ 75 Abs 2 BetrVG
Art 14 Abs 1 GG
Art 2 Abs 1 GG
§ 305 BGB
§ 307 Abs 1 S 1 BGB
§ 307 Abs 1 S 2 BGB
§ 307 Abs 3 S 1 BGB
§ 308 Nr 4 BGB
§ 310 Abs 4 S 1 BGB
§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Frankfurt, 21. Januar 2009, Az: 22 Ca 5222/08, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 24. November 2010, Az: 6/18 Sa 747/09, Urteil

Tenor

I. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 24. November 2010 – 6/18 Sa 747/09 – aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 21. Januar 2009 – 22 Ca 5222/08 – wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über das Fortbestehen von Leistungen im Krankheitsfall.
2
Die Klägerin ist die Alleinerbin des 1949 geborenen und 2011 verstorbenen Erblassers. Dieser war vom 1. Oktober 1975 bis zum 31. Dezember 2009 zunächst bei der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) und anschließend bei der Beklagten beschäftigt. Nr. 5 des Arbeitsvertrags vom 21. Dezember 1999 lautet:
        
„Auf das Beschäftigungsverhältnis finden die Bestimmungen der Tarifregelung für die Beschäftigten der Deutschen Postgewerkschaft in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung.“
3
Bei der im Arbeitsvertrag genannten Tarifregelung handelte es sich um allgemeine Arbeitsbedingungen der DPG. Diese wurden von einer Personalkommission erarbeitet und – soweit sie nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung waren – vom Hauptvorstand der DPG beschlossen. In die Beratungen der Personalkommission war der Gesamtbetriebsrat eingebunden. Nach den bei Begründung des Arbeitsverhältnisses für die ständig Beschäftigten der DPG geltenden Tarifregelungen (§ 1 Satz 1 Buchst. b TR DPG) hatten die nicht krankenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer Ansprüche auf Beihilfen und Unterstützungen nach den für den öffentlichen Dienst geltenden Grundsätzen (§ 17 TR DPG).
4
Die Beklagte entstand im Jahr 2001 durch Verschmelzung der Einzelgewerkschaften Handel, Banken und Versicherungen, Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, DPG, Industriegewerkschaft Medien – Druck und Papier, Publizistik und Kunst und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft. In einer zuvor von den fünf Einzelgewerkschaften mit ihren Gesamtbetriebsräten im Juni 2000 abgeschlossenen „Grundsatzvereinbarung zur Gründung und Aufbau von ver.di“ heißt es:
        
        
„1.     
        
        
…       
        
        
Die allgemeinen Anstellungsbedingungen und -regelungen der fünf Gewerkschaften gelten für die aus ihrem ursprünglichen Geltungsbereich stammenden Beschäftigten über den Zeitraum der Verschmelzung hinaus solange fort, bis sie durch neue Vereinbarungen ersetzt werden.
        
        
Die Beteiligten der Vereinbarung sind sich dabei einig in dem Bestreben, einvernehmlich neue einheitliche allgemeine Anstellungsbedingungen für alle Beschäftigten zu schaffen.
        
        
Solche Regelungen, die üblicherweise tariflich normiert sind, können vor dem 30.06.2003 nicht ohne die Zustimmung der jeweils anderen Betriebspartei (Gesamtbetriebsrat und Bundesvorstand von ver.di) vereinbart werden; die Zustimmung kann nicht ersetzt werden. … Anstellungsbedingungen, die nicht einvernehmlich zustande gekommen sind, können frühestens am 1.7.2004 in Kraft treten. Jede/r Beschäftigte hat die Möglichkeit, bis zum 31.12.2007 seine/ihre bisherigen Vergütungsregelungen (…) beizubehalten.
        
        
2.    
        
        
Zusätzlich werden Besitzstandszusagen auch über den Zeitpunkt der Ablösung der gegenwärtig geltenden Anstellungsbedingungen hinaus gegeben. …“
5
Am 20./21. Juni 2000 beschloss die DPG eine Aktualisierung ihrer Tarifregelung. In einem mit „Anhang II Rechtsstandswahrungen“ überschriebenen Abschnitt war für die bis zum 31. August 1995 eingestellten Beschäftigten die bisher in § 17 TR DPG enthaltene Regelung aufgeführt.
6
Nach einer zwischen der Beklagten und ihrem Gesamtbetriebsrat im Dezember 2007 abgeschlossenen „Gesamtbetriebsvereinbarung über die Ablösung von Regelungen der Gründungsgewerkschaften („GBV Ablösung“) sollte § 17 Anhang II TR DPG mit Inkrafttreten der Allgemeinen Arbeitsbedingungen ver.di („AAB“) außer Kraft treten. Nach einer dazu angebrachten Fußnote war die Beklagte verpflichtet, eine Gruppenversicherung über die abgeschafften Leistungen abzuschließen. Bis zu diesem Zeitpunkt sollten diese noch wie bisher gewährt werden, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2008. Zum 1. Januar 2008 traten die AAB der Beklagten sowie die „Gesamtbetriebsvereinbarung über die Gewährung von Beihilfen für zahnärztliche Leistungen sowie Unterstützung bei anderen medizinischen Aufwendungen an die Beschäftigten von ver.di“ („GBV Beihilfe/Unterstützung 2008“) in Kraft. Gegenstand dieser Vereinbarung ist die Gewährung von finanziellen Unterstützungen bei zahnärztlichen Leistungen und in besonderen Härtefällen. Die Beklagte gewährte die in § 17 Anhang II TR DPG enthaltenen Leistungen zunächst bis zum 31. Juli 2008 weiter. Am 1. Juli 2008 trat die „Verhandelte Gesamtbetriebsvereinbarung zur Umstellung der Krankenversicherungsverhältnisse“ („GBV Umstellung“) in Kraft. Danach werden den Beschäftigten Mehrbelastungen aus der Umstellung des Krankenversicherungsschutzes über 300,00 Euro monatlich hinaus als Bruttobetrag mit dem laufenden Entgelt erstattet.
7
Die Klägerin hat gemeint, die im Arbeitsvertrag des Erblassers enthaltene Bezugnahmeklausel lasse eine Verschlechterung der in der Tarifregelung begründeten Ansprüche nicht zu. Die Klausel enthalte keinen Hinweis auf deren Änderungsmöglichkeit durch eine Betriebsvereinbarung. Mit einer Verschlechterung seiner bei Begründung des Arbeitsverhältnisses bestehenden krankenversicherungsrechtlichen Stellung habe der Erblasser nicht rechnen müssen. Bei der Tarifregelung handele es sich nicht um ein betriebsvereinbarungsoffenes Regelwerk. Die Übernahme der durch den Wechsel seines Krankenversicherungstarifs entstehenden Mehrkosten sei dem Erblasser unzumutbar. Er habe für die Beibehaltung seines Krankenversicherungsniveaus während des Arbeitsverhältnisses ca. 200,00 Euro aufwenden müssen. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses seien dem Erblasser für die Beibehaltung seines bisherigen Krankenversicherungsschutzes Mehrkosten iHv. 430,00 Euro entstanden, da die bei der Beklagten bestehenden betrieblichen Regelungen insoweit keine Kostenbeteiligung vorsähen.
8
Die Klägerin hat – soweit für die Revision von Bedeutung – beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, dem Erblasser über den 1. Januar 2009 hinaus als Arbeitnehmer bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses Beihilfe und Unterstützung nach den im öffentlichen Dienst geltenden Beihilfevorschriften und Unterstützungsgrundsätzen gemäß der vormals bestehenden Regelung des § 17 der Anstellungsbedingungen der DPG vom 20. Juni 2000 zu gewähren,
        
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu 1:
        
2.    
die Beklagte zu verpflichten, dem Erblasser über den 1. Januar 2009 hinaus alle Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge zu erstatten, die über eine monatliche Eigenbelastung des Erblassers in Höhe der Hälfte der Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungskosten einer Beihilfe-Ergänzungsversicherung nach Beitragsgruppe B 1 der Postbeamtenkrankenkasse für Beamte mit Beihilfeberechtigung nach den im öffentlichen Dienst geltenden Beihilfevorschriften und Unterstützungsgrundsätzen hinausgehen,
        
3.    
die Beklagte zu verpflichten, dem Erblasser über den Zeitpunkt des Renteneintritts hinaus Beihilfe und Unterstützung nach den im öffentlichen Dienst geltenden Beihilfevorschriften und Unterstützungsgrundsätzen gemäß der vormals bestehenden Regelung nach § 17 des Anhangs II der Tarifregelung der DPG vom 20. Juni 2000 zu gewähren,
        
höchst hilfsweise:
        
4.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Erblasser im Krankheitsfalle weiter Beihilfe und Unterstützung nach den im öffentlichen Dienst geltenden Beihilfevorschriften und Unterstützungsgrundsätzen gem. der vormals bestehenden Regelung nach § 17 des Anhangs II der Tarifregelung der DPG vom 20. Juni 2000 über den 1. Januar 2009 hinaus als Arbeitnehmer und als Rentner zu gewähren,
        
        
        
        
höchst hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Antrag zu 2:
        
5.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Erblasser für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 alle Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu erstatten, die über den hälftigen Eigenanteil einer Krankenversicherung und Pflegeversicherung auf der Basis einer Beihilfe-Ergänzungsversicherung nach Beitragsgruppe B 1 der Postbeamtenkrankenkasse für Beamte mit Anspruch und Unterstützung nach dem im öffentlichen Dienst geltenden Beihilfevorschriften und Unterstützungsgrundsätzen hinausgehen.
9
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
10
Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsanträge abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Anträge zu 1 und 3 als Feststellungsanträge angesehen und im Tenor dem Antrag zu 4 auf die Berufung der Klägerin entsprochen. Mit der Revision begehrt die Beklagte insoweit die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.


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