Arbeitsrecht

Änderungskündigung

Aktenzeichen  2 AZR 446/09

Datum:
9.9.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 1 KSchG
§ 2 KSchG
§ 1 TVG
§ 2 TVG
Spruchkörper:
2. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Frankfurt, 27. Juni 2006, Az: 17 Ca 11517/04, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 29. April 2009, Az: 18 Sa 1196/07, Urteil

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 29. April 2009 – 18 Sa 1196/07 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer unter Vorbehalt angenommenen Änderungskündigung.
2
Der 1964 geborene, ledige Kläger ist seit 1985 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin tätig. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 2. Juli 1985 heißt es ua.:
        
„Der Arbeitsvertrag richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) einschließlich der für die Flughafen Frankfurt/Main AG geltenden Zusatzbestimmungen, den betriebsüblichen Regelungen und den Dienstvorschriften. …“
3
Auf dieser Grundlage war der Kläger zuletzt als Gefahrgutabfertiger in der Abteilung Bodenverkehrsdienste, Bereich Fracht (BVD-F) beschäftigt. Gemäß seiner Eingruppierung in die Vergütungsgruppe Vc erzielte er einen monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 2.994,58 Euro. Im Verlauf des Arbeitsverhältnisses legte er erfolgreich die IHK-Prüfung zum „Flugzeugabfertiger“ ab. Außerdem verfügt er über eine abgeschlossene Berufsausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann und besitzt neben dem Pkw-Führerschein den sog. Vorfeldführerschein sowie einen Führerschein für Stapler und Sondergeräte.
4
Die Beklagte beschäftigt etwa 13.000 Arbeitnehmer. Sie betrieb ua. die Abfertigung von Luftfracht am Flughafen Frankfurt/Main in der Abteilung BVD-F. Dort waren ca. 600 Arbeitnehmer – darunter der Kläger – tätig.
5
Im September 2003 beschloss die Beklagte, den Bereich BVD-F zur Vermeidung weiterer Verluste auf ein Tochterunternehmen, die Tradeport Frankfurt GmbH, zu übertragen. Während die Beklagte durch Verbandsmitgliedschaft an den BAT und den BMT-G II gebunden war und mit allen Arbeitnehmern die Geltung dieser Tarifwerke zwecks Gleichstellung vereinbart hatte, unterliegt die Tochtergesellschaft diesen Bindungen nicht. Die Tradeport Frankfurt GmbH ist stattdessen Mitglied in der Vereinigung des Verkehrsgewerbes Hessen e.V. und wendet die von dieser mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) abgeschlossenen Tarifverträge für die Arbeitnehmer des privaten Transport- und Verkehrsgewerbes in Hessen an.
6
Als sich abzeichnete, dass die Mehrzahl der Beschäftigten der Abteilung BVD-F einem Betriebsübergang widersprechen würde, richtete die Beklagte im Bereich Bodenverkehrsdienste die neue Abteilung „Frachtservice“ ein (BVD-FS). In dieser Abteilung sollten widersprechende Beschäftigte aus der Abteilung BVD-F „aufgefangen“ werden. Die Arbeitnehmer sollten sodann im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bei der Tradeport Frankfurt GmbH eingesetzt werden.
7
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2003 unterrichtete die Beklagte den Kläger über den beabsichtigten Betriebsübergang. Der Kläger und ca. 550 weitere Arbeitnehmer widersprachen dem Übergang.
8
Unter dem Datum 19. Dezember 2003 schlossen der Hessische Arbeitgeberverband der Gemeinden und Kommunalverbände, dessen Mitglied die Beklagte ist, und ver.di, vertreten durch die Landesbezirksleitung Hessen, die Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 741 (TVb Nr. 741). Sie enthält Sonderregelungen zu BAT und BMT-G II für die Beschäftigten der Abteilung „Frachtservice“ bei der Beklagten. Sie gilt nach § 1 für alle Arbeitnehmer, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Tochtergesellschaft widersprochen haben. Sie sieht in § 2 ua. vor, dass die Arbeitnehmer „im Sinne der Beschäftigungssicherung“ verpflichtet sind, einen ggf. auch im Wege der Änderungskündigung angebotenen Arbeitsplatz in der Abteilung BVD-FS anzunehmen und für einen Entleiher tätig zu sein. Dabei ist grundsätzlich vorgesehen, dass der Einsatz bei der Tradeport Frankfurt GmbH erfolgt. Die TVb Nr. 741 regelt ferner, dass die Vergütung bei einer Beschäftigung in der Abteilung BVD-FS geringer als bisher ist. Nehmen die Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen im Sinne der Änderungskündigung nicht an, sind nach § 2 Abs. 6 TVb Nr. 741 Beendigungskündigungen zulässig, § 53 Abs. 3, § 55 Abs. 2 BAT und § 52 BMT-G II finden insoweit keine Anwendung.
9
Am 22. Dezember 2003 wurde der Beklagten die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern erteilt. Am 30. Januar 2004 schloss sie mit der Tradeport Frankfurt GmbH einen Vertrag zur Übertragung des Frachtgeschäfts mit Wirkung zum 1. Juli 2004. Mit Änderungskündigung vom März 2004 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2004 und bot dem Kläger die Weiterbeschäftigung ab 1. Juli 2004 zu den Bedingungen der TVb Nr. 741 an. Der dagegen erhobenen Änderungsschutzklage wurde – rechtskräftig – mit der Begründung stattgegeben, das Änderungsangebot sei sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte den Lohn des Klägers vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist habe ändern und damit erheblich in das Vertragsgefüge habe eingreifen wollen (vgl. Senat 21. September 2006 – 2 AZR 155/06 -).
10
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien nach Anhörung des Betriebsrats erneut, nunmehr zum 30. Juni 2005 und bot dem Kläger abermals die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in der Abteilung BVD-FS zu den Bedingungen der TVb Nr. 741 an.
11
Der Kläger, der nicht tarifgebunden ist, hat das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG angenommen und Änderungsschutzklage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, sein Arbeitsverhältnis sei gemäß § 53 Abs. 3 BAT ordentlich nicht kündbar. Daran habe sich durch die tarifvertraglichen Sonderregelungen nichts geändert. Die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag sei unklar und könne nicht als „große dynamische Verweisung“ ausgelegt werden. Jedenfalls stelle die TVb Nr. 741 keine Zusatzbestimmung zum BAT im Sinne der Klausel dar. Die Tarifvereinbarung sei ihrerseits – auch formell – unwirksam. Die Arbeitnehmer des Bereichs Fracht würden ungerechtfertigt gegenüber denen anderer Abteilungen benachteiligt. Die Änderungen der Arbeitsbedingungen seien zudem sozial ungerechtfertigt. Es fehle an deren Dringlichkeit, da er weiterhin dieselbe Tätigkeit verrichte, nur als Leiharbeitnehmer. Tatsächlich handele es sich um eine Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung. Die hieran zu stellenden Anforderungen seien nicht erfüllt. Die Beklagte habe Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zu unveränderten finanziellen Bedingungen nicht ordnungsgemäß geprüft. Insbesondere habe sie den im Zeitpunkt der ersten Änderungskündigung freien und geeigneten Arbeitsplatz einer Vorfeldaufsicht zwischenzeitlich treuwidrig anderweitig besetzt. Auch habe sie keine Sozialauswahl durchgeführt und fehle es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats.
12
Der Kläger hat – soweit noch von Bedeutung – beantragt
        
        
festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung der Beklagten vom 15. Dezember 2004 rechtsunwirksam ist.
13
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, die TVb Nr. 741 sei wirksam. Die Änderung der Arbeitsbedingungen trage den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten nach Widerspruch des Klägers gegen den Betriebsübergang Rechnung. Das Änderungsangebot berücksichtige die wirtschaftlichen Gegebenheiten in dem umkämpften Markt des Frachtservice. Ein freier gleichwertiger Arbeitsplatz außerhalb der Frachtabfertigung sei weder im maßgeblichen Zeitraum ab September 2004 noch ab 2003 vorhanden gewesen. Einer Sozialauswahl habe es mit Rücksicht auf die Regelungen der TVb Nr. 741 nicht bedurft. Außerdem liege kein Auswahlfehler vor. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Sie habe dem Betriebsrat sämtliche aus ihrer Sicht kündigungsrelevanten Tatsachen mitgeteilt.
14
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.


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