Arbeitsrecht

Ambulante Autismustherapie

Aktenzeichen  W 3 K 16.1084

Datum:
8.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21643
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 28, § 35a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Die Entscheidung, welche Hilfe im konkreten Fall als geeignet und erforderlich anzusehen ist, steht im Beurteilungsspielraum des Jugendhilfeträgers und ist gerichtlich nur eingeschränkt auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar, nämlich darauf, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (vgl. BVerwG BeckRS 1999, 30064649; BayVGH BeckRS 2015, 40064 Rn. 19). (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein aus der Tatsache, dass eine bestimmte Therapie dem Hilfsbedürftigen neben anderen geeigneten Maßnahmen nützen und zu einer Verbesserung führen könnte, folgt nicht, dass sie bewilligt werden muss und ihre Ablehnung unvertretbar ist. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte ambulante Autismustherapie im Rhöner Autismus Therapie Zentrum (RATZ) in Bad Neustadt hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl I, S. 2022), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Oktober 2017 (BGBl I, S. 3618) – SGB VIII – haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn (Nr. 1) ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und (Nr. 2) daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Der Hilfefall wird gemäß § 35a Abs. 2 SGB VIII nach dem Bedarf im Einzelfall (Nr. 1) in ambulanter Form, (Nr. 2) in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, (Nr. 3) durch geeignete Pflegepersonen und (Nr. 4) in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet. Gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 53 Abs. 3 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Dezember 2003 (BGBl I, S. 3022), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2016 (BGBl I, S. 3234) – SGB XII – ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Nach Satz 2 dieser Norm gehört hierzu insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu.
Im vorliegenden Verfahren ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger grundsätzlich zum berechtigten Personenkreis im Sinne des § 35a SGB VIII gehört. Er erhält insoweit auch unstreitig seit dem 3. November 2014 Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung für 15 Wochenstunden an drei Tagen die Woche. Nach Auskunft des Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte die Schulbegleitung in ihrem Umfang mittlerweile reduziert werden.
Bei der Frage, welche Hilfe im konkreten Fall als geeignet und erforderlich anzusehen ist, besteht ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum des Jugendhilfeträgers (BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24/98 – juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 29). Bei der Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme handelt es sich um das Ergebnis eines kooperativen, von sozialpädagogischer Fachlichkeit geprägten Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und mehrerer Fachkräfte, die nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich daher darauf zu beschränken, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und die Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24/98 – juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 28.10.2014 – 12 ZB 13.2025 – juris Rn. 19; Kepert/Vondung in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 35a Rn. 72).
Ausgehend hiervon besteht der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht. Der Beklagte legte in seinem Ablehnungsbescheid vom 23. September 2016 schlüssig und nachvollziehbar dar, dass er die für den Kläger bereits gewährte Schulbegleitung im Rahmen der Eingliederungshilfe vorliegend als ausreichend erachtet. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Beklagte in diesem Zusammenhang von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Zudem ist die Entscheidung aufgrund der vom Beklagten angestellten Erwägungen für das Gericht nachvollziehbar und somit vertretbar.
Für den Beklagten war in diesem Zusammenhang zunächst maßgeblich, dass der Kläger in geordneten familiären Verhältnissen mit stabilen Bezugspersonen und guten familiären Ressourcen aufwächst. Insbesondere könnten auch die Eltern des Klägers durch Aufzeigen von adäquaten Verhaltensweisen in der Kontaktaufnahme zu Dritten unterstützen und hierdurch die Kompetenzen des Klägers verbessern oder weiter ausbauen. Gleichzeitig zeigte der Beklagte in seinem Ablehnungsbescheid auf, dass zur Unterstützung des Klägers im außerschulischen Bereich auch flankierende Angebote sinnvoll und notwendig sein könnten. Der Beklagte führte in diesem Zusammenhang beispielsweise Beratungsangebote auf. Der Beklagte geht davon aus, dass mit den angesprochenen möglichen Maßnahmen beim Kläger Verhaltensweisen verinnerlicht und verfestigend gefördert werden könnten. Im Übrigen legt der Beklagte dar, dass die vom Kläger vorgetragenen Konflikte mit seinen Geschwistern in einem üblichen Ausmaß bestünden. Dies sei im Rahmen einer Erziehungsberatung gemäß § 28 SGB VIII im familiären Setting zu bearbeiten. Schließlich stellt der Beklagte auch darauf ab, dass der Kläger mittlerweile schulisch integriert und akzeptiert sei. Er verbringe auch Schulpausen mit gleichaltrigen Freunden und treffe sich auch außerhalb der Schulzeit mit diesen.
Insgesamt zeigt der diesbezügliche Vortrag des Beklagten, dass er sich mit der Situation des Klägers eingehend auseinandergesetzt hat und nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Schulbegleitung ausreichende Hilfestellung für den Kläger ist und gegebenenfalls mit anderen Maßnahmen als der beantragten ambulanten Autismustherapie weiteren Problemen des Klägers begegnet werden könnte. Dabei ist besonders von Bedeutung, dass der Beklagte aufgrund der Entwicklung des Klägers – die insoweit vom Kläger nicht bestritten wurde – davon ausgehen durfte, dass die Schulbegleitung den Problemen des Klägers wirksam begegnen kann. Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass sich in dem Protokoll der Fachkräftekonferenz vom 19. Juli 2016 keine sachfremden Erwägungen finden lassen. Es wird sich dort vielmehr mit der Problematik des Klägers und auch den vorgelegten ärztlichen Berichten auseinandergesetzt und in schlüssiger Art und Weise ein Ergebnis für den Kläger erzielt. Insbesondere wird auch hier erörtert, dass der Kläger schulisch integriert sei, Freunde habe und in seiner Freizeit in der örtlichen Wasserwacht aktiv sei. Auch an dieser Stelle legt der Beklagte für das Gericht nachvollziehbar dar, dass etwaigen familiären Problemen des Klägers durch die Eltern bzw. einer Erziehungsberatung begegnet werden könnte.
Auch aus dem Bericht der Fachärztin Frau Dr. W. vom 22. April 2016 ergibt sich nicht, dass die Ablehnung der Bewilligung der ambulanten Autismustherapie durch den Beklagten unvertretbar ist.
Zunächst kann dem Bericht der Fachärztin entnommen werden, dass sich die Situation des Klägers durch die Schulbegleitung tatsächlich verbessert hat. Dort heißt es u.a., dass der Kläger ungemein von einem Schulbegleiter am Vormittag profitiere und dass unter diesem Umstand ein stetiger Lernzuwachs verzeichnet werden könne. Gleichzeitig ergibt sich aus dem Bericht gerade nicht, dass den Problemen des Klägers mit einem Schulbegleiter nicht wirksam begegnet werden könnte. Zudem legt die Fachärztin schon gar nicht dar, dass alleine die vom Kläger beantragte ambulante Autismustherapie als Eingliederungshilfe für den Kläger nach § 35a SGB VIII in Betracht kommt. Diesbezüglich heißt es im Bericht der Fachärztin, dass die Therapiemaßnahme, durchgeführt durch das RATZ, die bisher sehr positiv verlaufene Anbahnung der sozialen Integration für den Kläger intensivieren und stabilisieren könnte, vor allen Dingen im kritischen Alter der jetzt einsetzenden Pubertät. Daher geht bereits die Fachärztin selbst nicht davon aus, dass die Therapie die einzig geeignete Maßnahme zur Hilfe des Klägers ist, sie könnte lediglich zu einer Verbesserung führen. Alleine aus der Tatsache, dass die Therapie den Kläger unterstützen könnte, folgt nicht, dass der Beklagte diese Therapie hätte bewilligen müssen.
Auch die Klägerseite konnte nicht darlegen, dass die beantragte ambulante Autismustherapie die für ihn einzig richtige Maßnahme sei und die Ablehnung des Beklagten daher unvertretbar gewesen ist. Im Rahmen der Klagebegründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, die Fachärztin Frau Dr. W. habe die Therapie als medizinisch notwendig eingeschätzt. Zudem sei die vom Beklagten angeregte niedrigschwelligere Maßnahme im Rahmen einer Erziehungsberatung nicht zielführend, der Kläger benötige die beantragte Maßnahme dringend, um irgendwann ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Das Gericht konnte sich jedoch nicht davon überzeugen, dass die beantragte Therapie nicht vertretbar abgelehnt werden konnte. Insbesondere wird nicht dargelegt, warum die vom Beklagten gemachten Vorschläge von vorneherein ungeeignet seien. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das Schreiben der Fachärztin Frau Dr. W. selbst davon ausgeht, dass sich die Situation des Klägers durch die Schulbegleitung gebessert habe. Im Übrigen konnte der Kläger, unabhängig von der Geeignetheit etwaiger Erziehungsberatungen, auch nicht darlegen, dass die ambulante Autismustherapie für ihn derart wichtig ist, dass die Ablehnung durch den Beklagten unvertretbar war. Insofern kommt es nicht darauf an, dass die beantragte Maßnahme dem Kläger nützen könnte; es kommt darauf an, ob die jeweilige Entscheidung des Beklagten so nicht hätte ergehen dürfen. Hierfür ergeben sich allerdings aufgrund des oben aufgezeigten Beurteilungsspielraums keine Anhaltspunkte.
Eine andere Entscheidung ergibt sich auch nicht dadurch, dass der Kläger nunmehr daran denken muss, eine Ausbildung bzw. vorgelagert ein Praktikum zu bekommen. Auch insoweit steht für das Gericht nicht fest, dass den Problemen des Klägers insoweit alleine mit der Bewilligung der beantragten ambulanten Autismustherapie nachgekommen werden könnte.
Letztlich ändern auch die allgemeinen Ausführungen der Klägerbevollmächtigten über die Chancen im Berufsleben von Absolventen einer Förderschule an dieser Einschätzung nichts. Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, dass derartige Probleme alleine dadurch entstehen, weil dem Kläger die begehrte Therapie nicht bewilligt wurde. Zwar ist es für das Gericht grundsätzlich nachvollziehbar, dass der Kläger bzw. dessen Eltern sich die für den Kläger bestmögliche Bildung oder Ausbildung wünschen. Allerdings ergibt sich aufgrund der oben genannten Grundsätze über den Beurteilungsspielraum des Beklagten kein Anhaltspunkt dafür, dass die Entscheidung des Beklagten im vorliegenden Fall unsachgemäß oder unvertretbar ergangen ist. Letztlich ist auch nicht davon auszugehen, dass der Übertritt des Klägers auf die Mittelschule an der fehlenden Bewilligung der ambulanten Autismustherapie gescheitert ist. Zum einen hat die Klägerseite selbst diesen Zusammenhang nicht behauptet. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund seiner seelischen Behinderung einen sonderpädagogischen Förderbedarf hat. Denn andernfalls wäre er gar nicht dazu berechtigt, eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen zu besuchen (vgl. Art. 41 Abs. 4 Satz 2 BayEUG). Demgegenüber ist nicht erkennbar, dass der sonderpädagogische Förderbedarf zwingend entfallen würde, erhielte der Kläger die begehrte Autismustherapie. Damit hat die Frage, ob der tatsächlich bestmögliche Förderort zugleich auch der von den Eltern des Klägers gewünschte ist, keinen Einfluss auf die vom Gericht zu entscheidende Frage, ob dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Bewilligung der Autismustherapie zusteht oder ob die ablehnende Entscheidung des Beklagten für das Gericht nachvollziehbar und somit vertretbar ist.
Aus diesen Gründen konnte die Klage keinen Erfolg haben und war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO).


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