Arbeitsrecht

Anforderungen an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  21 C 19.1147

Datum:
10.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2021, 176
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Die Anforderungen an die zur Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht dürfen nicht überspannt werden. Es genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit, die bereits dann gegeben ist, wenn ein Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 8 K 18.1467 2019-05-06 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren darüber, ob der Kläger von der beklagten Versorgungskammer statt des ihm gewährten Ruhegelds wegen vorübergehender Berufsunfähigkeit ab dem 1. September 2017 ein Ruhegeld wegen dauernder Berufsunfähigkeit ab Dezember 2016 beanspruchen kann.
Der am … … 1959 geborene Kläger war in leitenden Positionen der … … … sowie als Syndikusanwalt tätig. Er war bis zum 31. Januar 2009 Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Hessen. Seit dem 1. Februar 2009 ist er Pflichtmitglied der Beklagten. Am 23. August 2017 beantragte er bei der Beklagten ein dauerndes Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit ab Dezember 2016. In dem Antragsformular versicherte er, dass er seit Dezember 2016 keinerlei berufliche Tätigkeit ausgeübt habe.
Nach einem vom Kläger in Auftrag gegebenen Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. … vom 3. August 2017 leide der Kläger an einer rezidivierenden depressiven Störung – chronifizierte schwergradige Episode (ICD-10 F33.2) und an einer gemischten Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F61.0). Er sei derzeit außerstande, den Beruf als Rechtsanwalt oder Steuerberater in wirtschaftlich sinnvoller Weise auszuüben. Die zumutbaren Tätigkeiten könnten unter drei Stunden/Tag verrichtet werden. Dieses Leistungsvermögen bestehe gesichert seit Dezember 2016 (Beginn der AU). Nach Abschluss einer suffizienten und umfassenden psychiatrisch-psychotherapeutischen stationären wie ambulanten Behandlung könne binnen drei Jahren ab dem Begutachtungstag (5.5.2017) mit einer Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers gerechnet werden.
Der von der Beklagten beauftragte Gutachter Prof. Dr. … (Klinikum … … …*) diagnostizierte in seinem Gutachten vom 21. November 2017 eine mittelgradig bis schwer ausgeprägte depressive Episode (ICD-10 F32.2). Das depressive Syndrom bestehe anhaltend seit dem Jahr 2013. Der Kläger sei derzeit von seiten der Depression so schwer krank, dass er keine wirtschaftlich verwertbare Tätigkeit im anwaltlichen Bereich ausüben könne. Die derzeitige Situation liege in dieser Schwere seit dem Jahr 2014 vor. Der Kläger habe sich jetzt in stationäre und nachfolgend teilstationäre Behandlung begeben, er gehe einer intensiven medikamentösen und psychotherapeutischen Therapie nach. Beide Faktoren seien dazu geeignet, die berufliche Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Aufgrund der zeitlichen Dauer der beklagten Beschwerden sei im Augenblick nicht absehbar, wann der Kläger voraussichtlich seine berufliche Tätigkeit wieder ausüben könne. Es werde davon ausgegangen, dass der Kläger ein bis zwei Jahre brauchen werde, um zu alter Leistungsfähigkeit zurückzukehren.
Einer „Erklärung zur Einstellung der beruflichen Tätigkeit“ des Klägers vom 9. Januar 2018 ist zu entnehmen, er „… versichere wahrheitsgemäß, dass ich meine gesamte berufliche Tätigkeit mit Wirkung vom 1. August 2017 eingestellt habe.“ Am 28. Juni 2018 legte der Kläger zudem eine von der Beklagten erbetene Bestätigung des Steuerberaters … vom 25. Juni 2018 vor, wonach der Kläger zum 1. August 2017 die Tätigkeit als Rechtsanwalt aufgrund seiner Berufsunfähigkeit eingestellt habe.
Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 6. August 2018 „Ruhegeld wegen vorübergehender Berufsunfähigkeit ab 1. September 2017 bis 31. Mai 2019“ und wies dessen Antrag im Übrigen zurück.
Der Kläger hat am 28. August 2019 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Nach dem in der Klageschrift enthaltenen Antrag begehrt der Kläger, dass die Beklagte verpflichtet wird, ihm dauerhaft Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit ab Dezember 2016 zu gewähren.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 6. Mai 2019 abgelehnt.
Der Kläger hat am 21. Mai 2019 Beschwerde eingelegt, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat.
II.
1. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1, § 147 VwGO) ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter anderem voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Ausgehend von den verfassungsrechtlichen Vorgaben, dem Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen und die eigentliche Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht aus dem Hauptsacheverfahren in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern, dürfen die Anforderungen an eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit, die bereits dann gegeben ist, wenn ein Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26 m.w.N.).
Bei Anwendung dieses Maßstabs hat die vom Kläger erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg. Nach der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung hat der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife seines Prozesskostenhilfegesuchs weder einen Anspruch darauf, dass ihm die Beklagte Ruhegeld wegen dauernder Berufsunfähigkeit gewährt (1.1) noch darauf, dass ein Ruhegeld bereits ab Dezember 2016 bewilligt wird (1.2).
1.1 Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Satzung der beklagten Versorgungsanstalt (Satzung) hat ein Mitglied Anspruch auf Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit, wenn es – soweit in diesem Zusammenhang von Interesse – infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte (dauernd oder vorübergehend) außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in den rechts- oder steuerberatenden Berufen, im Beruf des Patentanwalts oder eine Tätigkeit, die mit diesen Berufen vereinbar ist, auszuüben. Den Nachweis für die Berufsunfähigkeit hat das Mitglied durch ärztliche Atteste, Befunde, Gutachten und ähnliche Unterlagen zu erbringen (§ 29 Abs. 4 Satz 1 der Satzung). Die Versorgungsanstalt holt auf ihre Kosten Gutachten ein, soweit diese Nachweise nicht hinreichend erscheinen (§ 29 Abs. 4 Satz 3 der Satzung).
Nach derzeitigem Sachstand ist nicht ersichtlich, dass der Kläger dauernd berufsunfähig im Sinn der Satzung der Beklagten ist.
1.1.1 Das vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegte psychiatrische Fachgutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. … vom 3. August 2017 kommt auf der Grundlage der Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung – chronifizierte schwergradige Episode (ICD-10 F33.2) sowie einer gemischten Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F61.0) zu dem Ergebnis, der Kläger sei derzeit außerstande, den Beruf als Rechtsanwalt oder Steuerberater in wirtschaftlich sinnvoller Weise auszuüben. Allerdings geht der Gutachter nicht von einer dauernden Berufsunfähigkeit aus, denn er prognostiziert in seinem Gutachten (S. 50 f.), dass nach Abschluss einer suffizienten und umfassenden psychiatrisch-psychotherapeutischen stationären wie ambulanten Behandlung binnen drei Jahren ab dem Begutachtungstag (5.5.2017) mit einer Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers gerechnet werden könne.
Der von der Beklagten beauftragte Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. … (Klinikum … … …*) diagnostizierte in seinem Gutachten vom 21. November 2017 eine mittelgradig bis schwer ausgeprägte depressiven Episode (ICD-10 F32.2), aufgrund derer der Kläger keine wirtschaftlich verwertbare Tätigkeit im anwaltlichen Bereich ausüben könne. Auch dieser Gutachter stellte keine dauernde Berufsunfähigkeit fest und führte insoweit aus: Die derzeitige Situation liege in dieser Schwere seit dem Jahr 2014 vor. Der Kläger habe sich jetzt in stationäre und nachfolgend teilstationäre Behandlung begeben, er gehe einer intensiven medikamentösen und psychotherapeutischen Therapie nach. Beide Faktoren seien dazu geeignet, die berufliche Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Aufgrund der zeitlichen Dauer der beklagten Beschwerden sei im Augenblick nicht absehbar, wann der Kläger voraussichtlich seine berufliche Tätigkeit wieder ausüben könne. Es werde davon ausgegangen, dass der Kläger ein bis zwei Jahre brauchen werde, um zu alter Leistungsfähigkeit zurückzukehren.
1.1.2 Der Kläger hat auch im gerichtlichen Verfahren nichts vorgebracht, was dafür spricht, dass seine auf die Gewährung eines Ruhegelds bei dauernder Berufsunfähigkeit gerichtete Klage hinreichende Erfolgsaussicht hat.
Die von ihm vorgelegte „Ärztliche Bescheinigung zur Vorlage bei der Versicherung“ vom 25. Juli 2019, ausgestellt von Prof. Dr. med. … (Bezirkskrankenhaus …*), bestätigt nur die bisher gutachtlich festgestellte vorübergehende Berufsunfähigkeit. Sie spricht lediglich davon, dass die weitere voraussichtliche Dauer der Berufsunfähigkeit des Klägers nach derzeitigem Stand der Behandlung noch mindestens zwei Jahre andauern werde.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das Ergebnis einer weiteren Begutachtung des Klägers, die im Auftrag des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Hessen am 2. Juni 2020 durchgeführt wurde. Das dem Gericht (auszugsweise) in Kopie vorgelegte psychiatrische Gutachten des Prof. Dr. … vom 30. Juni 2020 belegt wiederum keine dauernde Berufsunfähigkeit, denn danach besteht „derzeit und mindestens für die Dauer von zwei weiteren Jahren eine umfassende Berufsunfähigkeit“.
1.2. Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist auch insoweit unbegründet, als der Kläger mit seiner Klage erreichen will, dass ihm die Beklagte ein Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit bereits ab Dezember 2016 gewährt.
Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 der Satzung besteht der Anspruch auf Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit ab dem Ersten des Monats, der auf den Eintritt des Versorgungsfalls folgt. Der Versorgungsfall tritt ein, wenn ein Mitglied der beklagten Versorgungsanstalt, das vor dem Zeitpunkt, zu dem es erstmals vorgezogenes Altersruhegeld beziehen kann, berufsunfähig geworden ist, Antrag auf Ruhegeld stellt und die berufliche Tätigkeit einstellt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 der Satzung).
Vorliegend ist der Versorgungsfall im Augst 2017 eingetreten mit der Folge, dass Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit entsprechend dem verfahrensgegenständlichen Bescheid ab dem 1. September 2017 zu gewähren ist. Insoweit ist das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss davon ausgegangen, dass der Kläger die anwaltliche Tätigkeit ab 1. August des Jahres 2017 eingestellt hat. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist nicht ersichtlich, dass das nicht zutrifft, denn die Feststellung des Verwaltungsgerichts beruht auf den Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren.
Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 11. Januar 2018 unter Verweis darauf, dass er auf dem Antragsformblatt bestätigt habe, die Tätigkeit ab Dezember 2016 eingestellt zu haben, darum gebeten, das Formblatt über die „Einstellung der beruflichen Tätigkeit“ ausgefüllt zurückzusenden und schriftlich mitzuteilen, ob ein Vertreter das Büro weiterführe oder ob es geschlossen worden sei. Daraufhin legte der Kläger eine „Erklärung zur Einstellung der beruflichen Tätigkeit“ vom 9. Januar 2018 vor, der zu entnehmen ist, er „… versichere wahrheitsgemäß, dass ich meine gesamte berufliche Tätigkeit mit Wirkung vom 1. August 2017 eingestellt habe.“ Am 28. Juni 2018 legte der Kläger zudem eine von der Beklagten erbetene Bestätigung des Steuerberaters … vom 25. Juni 2018 vor, wonach der Kläger zum 1. August 2017 die Tätigkeit als Rechtsanwalt aufgrund seiner Berufsunfähigkeit eingestellt habe. Vor diesem Hintergrund ist das Beschwerdevorbringen nicht nachvollziehbar, das Datum „01.08.2017“ beziehe sich nur auf einen schriftlichen Nachweis der Einstellung vom Steuerberater, nachdem immer neue Nachweise verlangt worden seien.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als im Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz fallen im Beschwerdeverfahren Gerichtskosten an, die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind allerdings nicht zu erstatten (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Eine Streitwertfestsetzung ist nicht erforderlich, denn Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) bestimmt für das Beschwerdeverfahren eine Festgebühr.
Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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