Arbeitsrecht

Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit

Aktenzeichen  S 22 AL 129/21

Datum:
8.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5167
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 03.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2021 verurteilt, der Klägerin vom 06.01.2021 bis 31.01.2021 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die Klage hat vollumfänglich Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Gegenstand dieses Rechtsstreites ist der Bescheid vom 03.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2021, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld abgelehnt hat.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 und 92 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
Die Klage ist begründet, weil die Klägerin einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, insbesondere hat sie die Anwartschaftszeit erfüllt.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Leistungsanspruch ist § 137 Abs. 1 SGB III. Danach hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat.
Die Klägerin war unstreitig nach Vollbeendigung des Studiums und nach ihrer Urlaubsrückkehr ab dem 05.01.2021 bis zur Beschäftigungsaufnahme am 01.02.2021 arbeitslos. Sie hat sich mit Wirkung zum 24.12.2020 auch arbeitslos gemeldet.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch die Anwartschaftszeit erfüllt. Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist dies der Fall, wenn die oder der Arbeitslose in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld und beträgt nach § 143 Abs. 1 SGB III in der aktuellsten Fassung vom 18.12.2018 zwar 30 Monate. Für Personen, die nach dem 31.12.2019 nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden haben, finden aber die §§ 142, 143 und 147 in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung Anwendung, womit sich die Rahmenfrist in diesen Fällen auf zwei Jahre bzw. 24 Monate verkürzt.
Die Klägerin hat jedoch nach dem 31.12.2019 in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Ihre Tätigkeit vom 18.05.2020 bis zum 28.08.2020 bei F. war nicht versicherungsfrei.
Nach § 27 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III sind Personen in der Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule eine Beschäftigung ausüben. Ordentliche Studenten sind solche, die an einer Hochschule eingeschrieben sind (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 27 SGB III, Stand: 18.08.2021, Rn. 36; Scheidt in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, Sozialgesetzbuch III – Arbeitsförderung, 7. Auflage 2021, Rn. 85). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Fachschüler und Studenten, die während ihrer Ausbildung eine Beschäftigung ausüben, versicherungsfrei sein, wenn sie ihrem Erscheinungsbild nach weiterhin Schüler oder Student sind (BT-Drs. 11/3603, 12) bzw. der Beschäftigung neben dem Studium keine prägende Bedeutung zukommt. Versicherungsfreiheit kann ausnahmsweise auch bestehen, wenn der Student mehr als 20 Stunden in der Woche arbeitet. Das Bundessozialgericht sieht eine Überschreitung der 20-Stunden-Grenze als ein wesentliches Indiz für die Versicherungspflicht eines Studenten an (BSG, Urteil vom 19.02.1987, B 12 RK 9/85), wobei dies keine starre Grenze darstellt. Die Dauer der wöchentlichen Arbeitsbelastung soll nicht allein für die Frage der Versicherungspflicht entscheidend sein, vielmehr sind die Umstände des Einzelfalles zu werten. Dabei ist zu klären, ob das Studium die Hauptsache und die Beschäftigung die Nebensache darstellt und das äußere Erscheinungsbild eines Studenten erhalten bleibt oder nicht (BSG, Urteil vom 10.12.1998, B 12 KR 22/97 R; BSG, Urteil vom 11.11.2003, B 12 KR 24/03 R; BSG, Urteil vom 23.02.1988, 12 RK 36/87).
Die Klägerin war während ihrer Tätigkeit bei F. keine Studentin in diesem Sinne. Bereits formal war sie zum Summer Term 2020 nicht angemeldet. Das Gericht trifft diese Feststellung aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten E-Mail der Stipendien-Stiftung, wonach die Klägerin eine Genehmigung zur Unterbrechung des Postgraduiertenstudiums erhalten hat, um einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Sie hätte auch gar nicht an (Online-)Kursen teilnehmen können, denn sie hat die Studiengebühren für das Summer Term 2020 nicht entrichtet. Damit ist der hier streitige Zeitraum weder mit der „vorlesungsfreien Zeit“ an deutschen Hochschulen vergleichbar (in der die Studenten weiter immatrikuliert sind und häufig Hausarbeiten anzufertigen haben), noch mit einem Werkstudenten, der neben dem Studium einer bezahlten Tätigkeit nachgeht, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Aber auch nach dem äußeren Erscheinungsbild kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in dieser Zeit als Studentin anzusehen war, die sich auf das Studentenprivileg der Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung berufen könnte. So war sie mit einem für eine Studentin beachtlichen Gehalt in Vollzeit bei der Firma F. tätig und musste ihre ganze Arbeitszeit und Arbeitskraft der Arbeitgeberin widmen. Sie war aktiv in ein Projekt eingebunden und musste Arbeitsergebnisse abliefern. Sie konnte, selbst wenn sie an Online-Kursen der amerikanischen Hochschule hätte teilnehmen dürfen, neben dieser Tätigkeit nach Überzeugung der Kammer faktisch kein Studium betreiben. Jedenfalls kann sie unter Berücksichtigung dieser Einzelfallumstände nach dem Erscheinungsbild in dieser Zeit nicht als Studentin angesehen werden.
Vor diesem Hintergrund war die Klägerin nach decm 31.12.2019 sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so dass nach § 143 Abs. 1 SGB III in der aktuellsten Fassung vom 18.12.2018 eine Rahmenfrist von 30 Monaten gilt. In der Zeit vom 05.07.2018 bis 04.01.2021 (30 Monate) war die Klägerin 392 Tage bei der Firma S. und weitere 103 Tage bei der Firma F. versicherungspflichtig beschäftigt. Sie erfüllt demzufolge mit 495 Tagen unzweifelhaft die Anwartschaftszeit nach § 142 Abs. 1 SGB III, so dass sie dem Grunde nach einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.
Im Ergebnis war die Klage erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gegen dieses Urteil findet gemäß § 143 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrung statt.


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