Arbeitsrecht

Annahmeverzug – unterlassener Zwischenverdienst – Böswilligkeit

Aktenzeichen  5 AZR 420/20

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2021:190521.U.5AZR420.20.0
Normen:
§ 613a BGB
§ 615 S 1 BGB
§ 611a Abs 2 BGB
§ 615 S 2 BGB
§ 293 BGB
Spruchkörper:
5. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Offenbach, 21. Januar 2020, Az: 3 Ca 329/19, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 12. August 2020, Az: 2 Sa 331/20, Urteil

Tenor

1. Die Revision der Klägerin und die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 12. August 2020 – 2 Sa 331/20 – werden zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass Zinsen aus 2.566,27 Euro erst seit dem 3. September 2019 und Zinsen aus 240,91 Euro erst seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen sind.
2. Von den Kosten des Revisionsverfahrens haben die Klägerin 91 % und die Beklagte 9 % zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsentgelt sowie weiteres tarifliches Urlaubsgeld und restliche tarifliche Jahresleistung.
2
Die Klägerin ist seit 2008 bei der Beklagten, einem Unternehmen des E-Konzerns, als kaufmännische Arbeitnehmerin für den Bereich Financial Services – Accounts Receivable beschäftigt und hat zuletzt – einschließlich einer Leistungszulage – 4.835,00 Euro brutto monatlich verdient. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge für die chemische Industrie in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung.
3
Die Klägerin war seit dem 1. Oktober 2018 einem sog. Methacrylat-Verbund zugeordnet, den die Beklagte wegen der beabsichtigten Ausgliederung und Veräußerung bestimmter Geschäftsgebiete nach Maßgabe einer Gesamtbetriebsvereinbarung vom 18. September 2018 gebildet hatte. Anfang März 2019 verkaufte die Beklagte den Methacrylat-Verbund an einen Investor, wobei der abschließende Vollzug des Kaufvertrags (sog. Closing) mit Ablauf des 31. Juli 2019 erfolgen sollte.
4
Mit Schreiben vom 17. Mai 2019 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über den anstehenden Betriebsteilübergang und einen damit einhergehenden Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB. Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses. Daraufhin wies sie die Beklagte mit Schreiben vom 15. Juli 2019 darauf hin, mit der Erwerberin des Methacrylat-Verbunds sei vereinbart, dass im Falle eines Widerspruchs gegen den Betriebsübergang die bei der Erwerberin entstehende Vakanz für einen Zeitraum von zwölf Monaten im Wege der Arbeitnehmerüberlassung kompensiert werden soll. Sie bot daher der Klägerin an, vom 1. August 2019 bis zum 31. Juli 2020 zu ansonsten unveränderten Bedingungen mit ihrer bisherigen Tätigkeit als Leiharbeitnehmerin bei der Erwerberin zu arbeiten. Das lehnte die Klägerin ab. Mit Schreiben vom 29. Juli 2019 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, sie wegen des Teilbetriebsübergangs ab dem 1. August 2019 nicht mehr beschäftigen und keinen Zugang zu den Betriebsstätten ermöglichen zu können. Weil sie das Angebot einer zumutbaren und gleichwertigen Beschäftigung abgelehnt habe, werde die Klägerin ab dem 1. August 2019 keine Gehaltszahlungen mehr erhalten. Sollte sich ihre Einschätzung ändern, möge sie sich kurzfristig mit der Beklagten in Verbindung setzen.
5
Vom 30. Juli bis zum 9. August 2019 war die Klägerin arbeitsunfähig krank, anschließend nahm sie vom 12. bis zum 16. August 2019 einen von der Beklagten gewährten Urlaub. Am 19. August 2019 erschien sie im Betrieb der Beklagten, wurde jedoch von der für sie zuständigen HR-Managerin nach Hause geschickt. Für die Zeit ab August 2019 stellte die Beklagte wie angekündigt die Gehaltszahlung ein, von der tariflichen Jahresleistung zahlte sie anteilig 7/12, tarifliches Urlaubsgeld gewährte sie für 20 Urlaubstage.
6
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. August 2019 zum 31. Januar 2020. In dem von der Klägerin angestrengten Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien am 21. Januar 2020 einen gerichtlichen Teilvergleich, in welchem sich die Beklagte ua. dazu verpflichtete, die Klägerin „zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen ab dem 1. Februar 2020 als Senior Referent Cost Accounting“ zu beschäftigen.
7
Im Wege mehrfacher Klageerweiterungen im Kündigungsschutzprozess hat die Klägerin Vergütung für den Zeitraum August 2019 bis Januar 2020 verlangt. Sie hat gemeint, nicht böswillig Zwischenverdienst unterlassen zu haben. Die angebotene Tätigkeit als Leiharbeitnehmerin sei ihr nicht zumutbar gewesen. Neben der Vergütung wegen Annahmeverzugs stünden ihr Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum ihrer Erkrankung und Urlaubsentgelt für den von der Beklagten gewährten Urlaub im August 2019 zu. Ferner könne sie das tarifliche Urlaubsgeld und die tarifliche Jahresleistung jeweils in voller Höhe beanspruchen.
8
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 31.323,86 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter Staffelung zu zahlen.
9
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Klägerin habe böswillig anderweitigen Zwischenverdienst unterlassen. Mangels Arbeitswilligkeit könne sie auch keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und kein Urlaubsentgelt beanspruchen.
10
Das Arbeitsgericht hat die Klage – soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist – abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin dieser Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsentgelt und ein weiteres Zwölftel der tariflichen Jahresleistung – insgesamt 2.807,18 Euro brutto nebst Zinsen – zugesprochen und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält die Klägerin an ihren weitergehenden Anträgen fest, während die Beklagte mit ihrer Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben