Arbeitsrecht

Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte

Aktenzeichen  1 Sa 459/17

Datum:
6.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 41088
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 1004
ZPO § 286

 

Leitsatz

1. Trotz in der Zwischenzeit erfolgter Kündigung kann der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Entfernung des Abmahnungsschreibens aus den Personalakten weiterverfolgen, wenn er ein rechtliches Interesse hieran hat. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn der Arbeitgeber die Kündigung gerade mit einer durch Beweisaufnahme des Arbeitsgerichts widerlegten Einlassung des Arbeitnehmers im Prozess begründet (versuchter Prozessbetrug) und wenn der Arbeitnehmer diese Beweiswürdigung angreift. (Rn. 32 – 33)
2. Der Arbeitgeber hat in der Regel kein Interesse an der Beibehaltung mehrerer Abmahnungsschreiben in der Personalakte, in denen der identische Vorfall gerügt wird. Fügt er ein abgeändertes Abmahnungsschreiben der Personalakte hinzu, ohne ein Rechtsinteresse an der Beibehaltung beider Schreiben in der Personalakte begründen zu können, ist das vorherige Abmahnungsschreiben schon aus diesem Grund aus der Personalakte zu entfernen. (Rn. 38 – 39)
3. Enthält das Abmahnungsschreiben außer der zutreffend dargestellten Pflichtverletzung die Aussage, hieraus hätten sich „erhebliche Störungen im betrieblichen Ablauf“ ergeben, fehlt es jedoch völlig an solchen Störungen, die durch die Pflichtverletzung verursacht wurden, enthält das Schreiben durch den hierdurch erweckten Eindruck einer besonderen Bedeutung der Pflichtverletzung eine überschießende Tendenz und ist schon deswegen aus der Personalakte zu entfernen. (Rn. 40 – 41)
4. Vernimmt das Gericht eine im Arbeitgeberlager stehende Zeugin über einen Sachverhalt, bei dem außer ihr nur noch der klagende Arbeitnehmer anwesend war, muss die Begründung der Beweiswürdigung ergeben, dass das Gericht – auch wenn es den Arbeitnehmer nicht im Hinblick auf die „Waffengleichheit“ als Partei vernommen hat – auch die Aussage des Arbeitnehmers in die Beweiswürdigung einbezogen und sie wertend im Verhältnis zur Aussage der Zeugin berücksichtigt hat. (Rn. 42)

Verfahrensgang

1 Ca 3087/17 2017-10-25 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers hin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.10.2017, Az. 1 Ca 3087/17, abgeändert.
II. Die Beklagte hat die Abmahnung vom 30.03.2017 aus der Personalakte der Klägers zu entfernen.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht beim Landesarbeitsgericht eingereicht und auch begründet. Die Begründung des Klägers, das Arbeitsgericht hätte die Zeugenaussage nicht in der von diesem vorgenommenen Weise würdigen dürfen, wäre, wenn sie zuträfe, geeignet, das vom Arbeitsgericht gefundene Ergebnis in Frage zu stellen, und genügt daher den Anforderungen. Dies gilt unabhängig davon, dass die vom Kläger vorgetragenen Argumente jedenfalls nicht erschöpfend sind.
Die Berufung ist auch in der Sache begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, das Abmahnungsschreiben vom 30.03.2017 aus den Personalakten zu entfernen. Im einzelnen gilt folgendes:
1. Der Klage fehlt es nicht deswegen am Rechtsschutzbedürfnis, weil die Beklagte das Arbeitsverhältnis in der Zwischenzeit gekündigt hat.
a. Auch die Kammer vertritt entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Auffassung, dass das Rechtsschutzinteresse für einen Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte nur dann besteht, wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch schaden kann (BAG vom 19.04.2012, 2 AZR 33/11, Rn. 51 der Entscheidungsgründe; BAG vom 17.11.2016, 2 AZR 730/15, Rn. 47 der Entscheidungsgründe, jeweils zitiert nach juris).
b. Eine solche Konstellation ist jedoch vorliegend gegeben. Die Beklagte hat dem Kläger mit der Begründung gekündigt, er habe versuchten Prozessbetrug begangen, und sich hierbei auf die Behauptung gestützt, sein Sachvortrag im Abmahnungsprozess sei falsch, die Abmahnung zu Recht ausgesprochen. Über die Frage, ob der Sachvortrag des Klägers falsch sei, hat das Arbeitsgericht Beweis erhoben. Es hat sein Urteil auf die von ihm – dem Arbeitsgericht – gewonnene Überzeugung gestützt, die Ausführungen der Beklagten seien zutreffend, diejenigen des Klägers tatsächlich falsch. Würde nunmehr mit der Kündigung das Rechtsschutzinteresse entfallen, blieben diese Überzeugung und Feststellung des Arbeitsgerichts bestehen. Der Kläger könnte sie nicht mehr zu Fall bringen. In dieser besonderen Konstellation liegt der für den Kläger im Verbleib der Abmahnung bei den Personalakten liegende Nachteil auf der Hand. Die Klage ist also nicht unzulässig geworden.
c. Die Klage ist auch nicht deswegen unzulässig geworden, weil die Beklagte nunmehr ein zweites Abmahnungsschreiben, dessen Rüge sich auf exakt denselben Vorwurf bezieht, das lediglich in der Formulierung in einem Wort abweicht, zu den Personalakten genommen hat. Wäre dem Kläger hierdurch die Möglichkeit genommen, die Entfernung des ursprünglichen Schreibens durchzusetzen, bliebe dies in der Personalakte, und zwar unabhängig davon, ob der Kläger in einer eventuellen Klage auf Entfernung des späteren Schreibens Erfolg hätte.
2. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat das Schreiben vom 30.03.2017 aus der Personalakte zu entfernen.
a. Das Recht zu verlangen, dass Abmahnungen aus den Personalakten entfernt werden, ergibt sich entsprechend §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Anspruch ist begründet, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Auch eine zu Recht erteilte Abmahnung ist aus der Personalakte zu entfernen, wenn kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG vom 19.07.2012, 2 AZR 782/11, Rn. 13; BAG vom 02.11.2016, 10 AZR 596/15, Rn. 10, jeweils zitiert nach juris).
b. Vorliegend besteht nach diesen Grundsätzen die Pflicht der Beklagten, das Schreiben vom 30.03.2017 aus der Personalakte zu entfernen, schon daraus, dass die Beklagte zur Rüge desselben Vorfalls nunmehr ein weiteres Schreiben zur Personalakte genommen hat.
Personalakten müssen ein zutreffendes Bild von Person und Leistung des Arbeitnehmers wiedergeben. Schreiben sind aus den Akten zu entfernen, wenn sie unrichtige Tatsachen enthalten und den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung oder in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können (Schmidt in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Aufl. 2019, Art. 2 GG, Rn. 97). Ein falsches Bild könnte dadurch entstehen, dass für denselben Vorfall mehrere Abmahnungen zur Personalakte genommen sind. Ein oberflächlicher Betrachter könnte den Eindruck gewinnen, dass sich der Arbeitnehmer eine Mehr- oder Vielzahl von Pflichtverletzungen hat zuschulden kommen lassen, obwohl es doch nur um einen einzigen, bereits gerügten Vorfall geht. Andererseits ist ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten, ein- und denselben Vorfall mit mehreren Schreiben abzumahnen, in keiner Weise erkennbar.
Die Beklagte hat sich nicht geäußert, welches der beiden fast gleichlautenden Schreiben nunmehr für sie bedeutsam sein soll. Die Kammer geht daher davon aus, dass sie mit dem zweiten Schreiben den Vorfall bzw. die hierdurch entstandenen betrieblichen Störungsfolgen präzisieren wollte. Unterstellt man dies, hat sie am Verbleib des Abmahnungsschreibens vom 30.03.2017 in der Personalakte jedoch kein erkennbares Interesse mehr. Das Schreiben ist schon deswegen zu entfernen. Allein dieses Schreiben ist vorliegend streitgegenständlich. Über die Pflicht zur Entfernung des Schreibens vom 13.08.2018 ist vorliegend nicht zu befinden.
c. Die Pflicht, dieses Schreiben vom 30.03.2017 aus der Personalakte zu entfernen, ergibt sich jedoch auch daraus, dass im Text dieses Schreibens der Eindruck erweckt wird, die Pflichtverletzung habe zu erheblichen betrieblichen Störungen geführt. Damit wird zwar nicht die Pflichtverletzung als solche unzutreffend beschrieben. Es wird aber mit dem Hinweis auf solche erheblichen betrieblichen Störungen im betrieblichen Ablauf der Eindruck erweckt, der Verstoß sei auch deswegen erheblich, weil sich entsprechende Auswirkungen ergeben hätten.
Das Vorhandensein solcher – noch dazu „erheblicher“ – betrieblicher Störungen hat die Beklagte in keiner Weise vorgetragen. Diese Störungen müssten auch nach dem von der Beklagten verfassten Text „indem Sie unentschuldigt fehlten und uns nicht über Ihre Erkrankung informierten, verursachten Sie …“ durch die von der Beklagten gerügte nicht rechtzeitige Anzeige des Nichterscheinens entstanden sein. Solche Störungen sind aber in keiner Weise erkennbar. Die von der Beklagten dargelegten Störungen beziehen sich darauf, dass der Kläger als Betriebshausmeister am 30.03.2017 nicht zur Verfügung stand. Sie beziehen sich aber nicht darauf, dass die Beklagte am Vormittag des 30.03., wie sie es darstellt, nicht wusste, dass der Kläger nicht einsatzbereit war und seine Arbeit nicht aufnehmen würde. Damit ist gerade nicht erkennbar, dass die verspätete Anzeige irgendwelche Störungen im betrieblichen Ablauf verursacht hätte. Der im Abmahnungsschreiben enthaltene Hinweis suggeriert aber genau dies. Die – behauptete – Verfehlung des Klägers erscheint in einem anderen Licht, erscheint im Abmahnungsschreiben als schwerwiegender, als dies – jedenfalls bezüglich der entstandenen Schwierigkeiten im Betriebsablauf – tatsächlich der Fall war. Das Schreiben gibt gerade kein zutreffendes Bild von der Pflichtverletzung wieder und erweist sich daher als unzutreffend und unverhältnismäßig. Auch dies rechtfertigt den Entfernungsanspruch.
d. Unabhängig hiervon ist darauf hinzuweisen, dass die Würdigung der Zeugeneinvernahme durch das Arbeitsgericht in der vorliegenden Form tatsächlich keinen Bestand hätte haben können. Ob der Vorwurf zutrifft, hängt davon ab, ob die Darstellung des Klägers oder diejenige der Angestellten E., die sich die Beklagte zu eigen gemacht hat, zutrifft. Da die Zeugin E. als Beauftragte der Beklagten gehandelt hat und daher in deren „Lager“ steht, wäre es veranlasst gewesen, die Einlassung des Klägers gleichgewichtig neben diejenige der Zeugin E. zu stellen und die Aussagen gegeneinander abzuwägen. Dies gebietet der Grundsatz fairen Verfahrens (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte vom 25.10.1993, 27/1993/382/40, zitiert nach juris; weitere Einzelheiten vgl. etwa bei Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2017, § 448 Rn. 4a). Vorliegend ist weder aus der Niederschrift über die Vernehmung noch aus der Beweiswürdigung erkennbar, dass die Überzeugungsbildung diesen Umstand ausreichend berücksichtigt hat. Es bleibt daher offen, ob der Kläger die gerügten Pflichten tatsächlich verletzt hat und ob der Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs gegeben ist.
3. Nach alldem ist die Berufung begründet. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass.


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