Arbeitsrecht

Ansprüche auf Spesenersatz

Aktenzeichen  17 Ca 8073/18

Datum:
26.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53448
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 9 Abs. 4 a
BGB § 611
TVG § 4 Abs. 4 S. 2
ArbGG § 46c, § 61 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, € 522,- brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 510,- mit dem 11.08.2018 und aus weiteren € 12,- seit dem 15.09.2018 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat August 2018 einen Betrag in Höhe von € 66,- brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.10.2018 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat September 2018 einen Betrag in Höhe von € 42,- brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.11.2018 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Oktober 2018 einen Betrag in Höhe von € 126,- brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.11.2018 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat November 2018 einen Betrag in Höhe von € 120,- brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.01.2019 zu zahlen.
6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Dezember 2018 einen Betrag in Höhe von € 60,- brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.01.2019 zu zahlen.
7. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 936,-.
8. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 4/10, die Beklagte 6/10.
9. Die Berufung wird für die Beklagte zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet, so dass ihr in vollem Umfang stattzugeben war: Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum (März 2018 bis Dezember 2018) Anspruch auf den von ihm geltend gemachten Differenzlohn, denn er erfüllte jeweils die Anspruchsvoraussetzungen von § 18 Ziffer 3 des Tarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes in Bayern vom 01.10.2014 (im Folgenden: TV Logistikgewerbe). Sein Anspruch ist auch nicht verwirkt.
I.
Der Kläger hat im Anspruchszeitraum (März 2018 einschließlich bis Dezember 2018 einschließlich jeweils monatlich) den von ihm begehrten Differenzlohnanspruch erworben, da er nach § 18 Ziffer 3 TV Logistikgewerbe einen täglichen Spesenpauschalsatz in Höhe von 12,00 € für seine acht Stunden überschreitende berufliche Tätigkeit außerhalb seiner Dienststätte in H-Stadt geltend machen kann im Unterschied zu den ihm von der Beklagten jeweils nur bezahlten 6,00 € brutto Spesenpauschale.
1. In der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2019 haben die Parteien klargestellt, dass sie nur noch über die Auslegung von § 18 Ziffer 3 TV Logistikgewerbe streiten; unstreitig ist demzufolge die Zahl der Arbeitstage, die der Kläger für seine Zahlungsansprüche in Ansatz gebracht hat, weil er nach seiner Behauptung mehr als acht Stunden mit seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit als Paketzusteller jeweils außerhalb des arbeitsvertraglich vorgesehenen Dienstorts, dem Betrieb in H-Stadt, für die Beklagte tätig war. Auch die sich im Falle der Anwendbarkeit des § 18 Ziffer 3 TV Logistikgewerbe aus der Verrechnung mit den bereits bezahlten täglichen Spesen ergebenden monatlichen Differenzlohnansprüche sind zwischen den Parteien rechnerisch unstreitig.
2. Unstreitig ist aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der TV Logistikgewerbe für das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar.
3. Unstreitig ist zwischen den Parteien auch, dass sich der Kläger für seinen Anspruch keinesfalls auf die Alternative 2 des § 18 Ziffer 3 TV Logistikgewerbe berufen kann: Er ist unstreitig kein „Kraftfahrer im Inlandsfernverkehr“ im Sinne des Tarifvertrags.
4. Die Auslegung von § 18 Ziffer 3 TV Logistikgewerbe ergibt, dass der Kläger sich für seinen Differenzlohnanspruch auf Alternative 1 dieser Tarifnorm berufen kann: Er ist ein Arbeitnehmer, der aufgrund der ihm übertragenen Arbeiten „vorübergehend von der regelmäßigen Arbeitsstätte abwesend“ ist, wenn er – wie im streitgegenständlichen Zeitraum auch – für seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit, den Paketzustelldienst, sich von seinem Dienstort in H-Stadt entfernt, wodurch ihm – durch den Verweis auf den Spesenpauschalsatz Inland i.S. des § 9 Abs. 4 a Satz 3 Nr. 3 EStG in Höhe von 12,00 € täglich – bei einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden zwischen dem Verlassen seines Arbeitsortes in H-Stadt und der Rückkehr nach H-Stadt ein Anspruch auf 12,00 € täglich jeweils erwachsen ist.
a. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach stä. Rspr. (vgl. nur BAG, Urteil vom 22.04.2010, NZA 2011, 1293) den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend, hinzuzuziehen sein. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien eine vernünftige und praktisch brauchbare Regelung treffen wollen.
b. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit als Paketzusteller „vorübergehend von der regelmäßigen Arbeitsstätte abwesend“ i.S. des § 18 Ziffer 3 TV Logistikgewerbe ist, wenn er sich – wie im streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig geschehen – zur Zustellung und Abholung von Paketsendungen, damit verbundenen Schreib- und Inkassotätigkeiten sowie Be- und Entladetätigkeiten (vgl. § 1 des Arbeitsvertrags vom 01.11.2014, Kopie als Anlage K1= Bl. 33 f. d.A.) mehr als acht Stunden täglich vom Betrieb in H-Stadt entfernt.
(1) Dies ergibt bereits die Auslegung des Wortlauts, die Ausgangspunkt jeder Auslegung ist.
Zurecht kann sich der Kläger dabei auf den allgemeinen Sprachgebrauch stützen, wenn er darauf hinweist, dass er unzweifelhaft an den jeweiligen Tagen wieder an seinen Arbeitsort zurückgekehrt ist, daher also nur für eine begrenzte Zeitdauer seiner Arbeitsstätte ferngeblieben ist – im Unterschied zu einem dauerhaften Fernbleiben. Nicht nachvollzogen werden kann demgegenüber der Auslegungsansatz der Beklagten. Sie argumentiert, ein im Nahverkehr tätiger Zusteller, wie der Kläger, sei „regelmäßig abwesend“ (Schriftsatz vom 21.11.2018, S. 9 = Bl. 186 d.A.). Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist aber der Gegensatz zu „vorübergehend“ nach Auffassung der Kammer „dauerhaft“, nicht aber „regelmäßig“, denn auch eine vorübergehende Abwesenheit könnte regelmäßig, beispielsweise an bestimmten Werktagen oder in bestimmten zeitlichen Abständen, erfolgen. Es wäre den Tarifvertragsparteien im Übrigen auch ein Leichtes gewesen, durch die Formulierung „nicht regelmäßig“ die Fallgruppe der regelmäßig abwesenden Zusteller im Nahverkehr von dem Anspruch auszunehmen.
Eine andere – vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichende – Auslegung des Wortlauts ergibt sich vorliegend auch nicht durch das gegenüber dem allgemeinen Sprachgebrauch vorrangige Auslegungskriterium eines von den Tarifvertragsparteien verwendeten Sprachgebrauchs, ggf. unter Bedienung einer juristischen Fachsprache (vgl. mit Nachweisen zur Rechtsprechung Franzen, in: Erfurter Kommentar, 19.Aufl.,§ 1 TVG Rz 97). Denn ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichendes Verständnis des Begriffs „vorübergehend“ durch die von den Tarifvertragsparteien verwendete juristische Fachsprache bzw. deren Sprachgebrauch ist weder ersichtlich noch von der Beklagten ansatzweise dargelegt.
Es findet sich auch keine Andeutung im Wortlaut für das von der Beklagten in Anspruch genommene Auslegungsergebnis, wonach die erste Alternative in Ziffer 3 von § 18 TV Logistikgewerbe (allein) für Vertriebsmitarbeiter geschaffen worden sei (Schriftsatz vom 21.11.2018, S. 9 = Bl. 176 d.A.) – eine Argumentation, die im Übrigen in eklatantem Widerspruch steht zu dem von der Beklagten behaupteten Regelungswillen der Tarifvertragsparteien mit dem Anspruchsmerkmal „vorübergehend“, gerade die regelmäßig abwesenden Arbeitnehmer vom Anspruch ausschließen zu wollen: Denn gerade die (äußeren) Vertriebsmitarbeiter sind es doch, die „regelmäßig abwesend“ sind (Die internen Vertriebsmitarbeiter sind ohnehin von einer Spesenregelung nicht betroffen.).
(2) Diese ohnehin eindeutige Wortlautauslegung wird zudem bestätigt durch den systematischen Zusammenhang und den Zweck der Tarifnorm.
Auch der systematische Zusammenhang gebietet keine Abweichung von dem Ergebnis, das durch die Wortlautauslegung gewonnen wurde: Denn dadurch, dass in der Alternative 2 „Kraftfahrer im Inlandsfernverkehr“ ausdrücklich als Anspruchsbegünstigte bezeichnet wurden, hätte es für die Tarifvertragsparteien nahegelegen, Kraftfahrer im Inlandsnahverkehr in diesem Zusammenhang ausdrücklich von der Anspruchsnorm auszuschließen – wenn dies tatsächlich dem Willen der Tarifvertragsparteien entsprochen hätte. Dieser ausdrückliche Ausschluss ist aber gerade nicht erfolgt.
Auch der Zweck einer Spesenregelung, die durch die längeren Abwesenheiten ausgelösten Belastungen auszugleichen, widerspricht einem Verständnis der Tarifnorm, wonach die Nahverkehrsfahrer – die mehr als acht Stunden abwesend sind – von der Vergünstigung auszunehmen sind. Auch insoweit leuchtet es nicht ein, wieso die Belastung für die Nahverkehrsfahrer weniger groß sein soll als für die Vertriebsmitarbeiter, sofern und solange sie die gleichen Zeiträume abwesend sind.
(3) Da nach Überzeugung der Kammer eine eindeutige Tarifauslegung bereits nach dem Tarifwortlaut unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs und des Zwecks der Tarifnorm möglich war, bestand keine Veranlassung zu gegebenenfalls auch von Amts wegen einzuholenden Tarifauskünften (vgl. nur BAG, Urteil vom 25.08.1982 – 4 AZR 1064/79, zit. nach Juris). Dies umso weniger, als die Beklagte ohne nähere Substantiierung des von ihr für ihre Auslegung in Anspruch genommenen „historischen Hintergrunds“ (Beklagtenvertreterschriftsatz a.a.O.) auf von ihr eingeholte Auskünfte beim tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverband verweist, die sich argumentativ ohnehin widersprechen (nach dem Wortlautverständnis von „vorübergehend“ als „nicht regelmäßig“ einerseits, nach der angeblich gewollt einbezogenen Gruppe der Vertriebsmitarbeiter andererseits, s.o.).
II.
Auch die von der Beklagten hilfsweise angenommene Verwirkung der geltend gemachten Ansprüche liegt nicht vor.
Zwar können Vergütungsansprüche grundsätzlich bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist verwirkt sein. Dies kommt nach ständiger Rechtsprechung dann in Betracht, wenn der Gläubiger den Anspruch längere Zeit nicht ausgeübt hat (Zeitmoment), der Schuldner darauf vertraut hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen werden, und diesem die Erfüllung unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben auch nicht mehr zuzumuten ist (Umstandsmoment; vgl. nur BAG, Urteil vom 25.04.2001, NZA 2001, 966).
Bereits dem Zeitmoment, jedenfalls aber dem Umstandsmoment steht vorliegend allerdings entgegen, dass die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche noch innerhalb bestehender tarifvertraglicher Verfallfristen geltend gemacht wurden; innerhalb dieser Fristen ist für eine Verwirkung grundsätzlich kein Raum (so auch Preis, in: Erfurter Kommentar, 19.Aufl.,§ 611 BGB, Rz 471). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Beklagte nicht dargelegt, zumal da diese sich für das Umstandsmoment ohnehin nur auf das bloße, rügelose Weiterarbeiten des Klägers beruft.
Daher kann an dieser Stelle offengelassen werden, ob der Verwirkungsausschlusstatbestand des § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG nur für die Verwirkung kraft Zeitablaufs gilt (vgl. Preis, ebenda, Rz 472).
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
2. Für den im Urteil gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG festzusetzenden Urteilsstreitwert war der Nennwert der Zahlungsanträge maßgeblich.
3. Für die Beklagte war das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Ziffer 2 b ArbGG nach näherer Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrung zu zulassen.


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