Arbeitsrecht

Anweisung zur Durchführung und zum Nachweis von Therapien im Rahmen der beamtenrechtlichen Gesunderhaltungspflicht

Aktenzeichen  6 D 194/19 Me

Datum:
22.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Meiningen 6. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VGMEINI:2021:0722.6D194.19ME.00
Normen:
Art 33 Abs 5 GG
§ 29 Abs 4 BeamtStG
§ 34 S 1 BeamtStG
§ 47 Abs 2 BeamtStG
§ 3 Abs 2 S 1 BG TH 2014
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Aus § 34 S 1 BeamtStG, wonach Beamtinnen und Beamten sich mit vollem persönlichen Einsatz ihrem Beruf zu widmen haben, folgt die Verpflichtung zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung ihrer Gesundheit; die Gesunderhaltungspflicht gilt ebenso für Ruhestandsbeamte, die wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurden.(Rn.25)
2. Ein wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzter Beamter, der sich weigert, alles Zumutbare zu unternehmen, um wieder gesund, und damit dienstfähig, zu werden, begeht ein schwerwiegendes Dienstvergehen, weil ansonsten der Dienstherr gezwungen wäre, einen dienstunfähigen Beamten, der möglicherweise gesunden kann, über einen gegebenenfalls sehr langen Zeitraum zu alimentieren, ohne dessen Gegenleistung in Form der Dienstleistung erhalten zu können.(Rn.29)

Tenor

1. Der Disziplinarbeklagten wird wegen eines Dienstvergehens das Ruhegehalt für die Dauer von sechs Monaten um fünf Prozent gekürzt.
2. Die Disziplinarbeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1. Die am … 1975 geborene Disziplinarbeklagte (im Folgenden: Beklagte) absolvierte ab 01.09.1995 den Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des mittleren Justizdienstes und wurde nach Bestehen der Laufbahnprüfung mit Wirkung vom 02.10.1997 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Justizanwärterin zur Anstellung ernannt. Zugleich wurde sie als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beim Gericht X bestellt. Mit Urkunde vom 02.10.2002 wurde sie unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zur Justizsekretärin ernannt. Mit Wirkung vom 01.10.2010 wurde die Beklagte zur Justizobersekretärin befördert und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 7 ThürBesO eingewiesen.
Die Beklagte ist  geschieden. Sie hat zwei  erwachsene Söhne sowie zwei Töchter.
Nach Eingang eines amtsärztlichen Gutachtens versetzte der Präsident des Gerichts (im Folgendem: Präsident) die Beklagte mit Wirkung zum 01.04.2012 in den Ruhestand.Im Rahmen der Feststellung ihrer Dienstfähigkeit ordnete der Präsident mit bestandskräftiger Verfügung vom 20.05.2014 an, dass die Beklagte sich in psychiatrische Behandlung zu begeben und sich einer leitliniengerechten Behandlung und einer stationären bzw. ambulanten Therapie nach Vorschlag des behandelnden Arztes zu unterziehen hat. Ihr wurde aufgegeben, bis zum 31.07.2014 den Beginn der Behandlung durch Vorlage einer fachärztlichen Bestätigung nachzuweisen und beginnend ab dem 01.08.2014 in Abständen von drei Monaten Bescheinigungen des behandelnden Arztes über ihre weitere Behandlung vorzulegen. Mit Abänderungsbescheid vom 29.03.2016 wurde der Beklagten gestattet, die Behandlung in anderer Weise als durch ärztliche Bescheinigungen nachzuweisen.
Mit – ebenfalls bestandskräftiger – Disziplinarverfügung vom 29.06.2017 hat der Präsident gegen die Beklagte eine Geldbuße von 500,00 EUR verhängt. Sie habe entgegen der Weisung vom 20.04.2014 nicht alles Mögliche und Zumutbare getan, um ihre Dienstfähigkeit wiederherzustellen. Sie habe keinen Nachweis über die Durchführung einer leitliniengerechten psychiatrischen Behandlung geführt. Sie habe lediglich eine Bescheinigung der Diplom-Psychologin H… vom 11.12.2014 über eine Vorstellung am 05.12.2014 und ein Schreiben der Psychologin vom 20.04.2015, wonach sie sich dort in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung befinde, vorgelegt. Unter dem 25.11.2015 hätte die Psychologin bestätigt, dass die Behandlung fortdauere. In der Folge seien keine Nachweise erbracht worden, auch nicht auf andere Weise, nachdem die Psychologin erklärt haben soll, keine solchen Bescheinigungen mehr ausstellen zu wollen.Noch im Jahr 2017 forderte das Gericht die Beklagte auf, sich erneut amtsärztlich untersuchen zu lassen. Der Amtsarzt erstellte unter dem 10.04.2018 sein amtsärztliches Gutachten, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. In der Folge wies der Präsident die Beklagte mit Schreiben vom 15.05.2018 daraufhin, dass sie weiterhin gegen seine Weisung vom 20.05.2014 verstoße und forderte sie – unter Androhung der Einleitung eines weiteren Disziplinarverfahrens – auf, umgehend ernsthafte Therapiemaßnahmen aufzunehmen und diese nachzuweisen.
Mit Verfügung vom 25.07.2018 leitete der Präsident gegen die Beklagte erneut ein Disziplinarverfahren ein. Es bestehe der Verdacht, dass sie auch nach Erlass der Disziplinarverfügung vom 29.06.2017 gegen ihre Pflicht, alles Mögliche und Zumutbare für die alsbaldige Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit zu tun, verstoßen habe. Von der Bestellung eines Ermittlungsführers wurde abgesehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der Einleitungsverfügung Bezug genommen.
Mit Schreiben vom gleichen Tag, der Beklagten am 28.07.2018 zugestellt, wurde sie über die Einleitung des Disziplinarverfahrens und den Tatvorwurf informiert und zugleich darüber belehrt, dass es ihr frei stehe, sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und sie sich jederzeit eines Bevollmächtigten oder Beistands bedienen könne. Für die Abgabe einer schriftlichen Äußerung wurde ihr eine Frist von einem Monat gesetzt. Für die Abgabe der Erklärung, sich mündlich äußern zu wollen, wurde ihr eine Frist von einer Woche gesetzt.
Unter dem 29.09.2018, der Beklagten mit Anschreiben vom gleichen Tag am 02.11.2018 zugestellt, wurde das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen erstellt. In dem Anschreiben vom gleichen Tag wies der Präsident die Beklage darauf hin, dass sie sich dazu binnen eines Monats schriftlich oder auch mündlich äußern könne. Für die Abgabe der Erklärung, sich mündlich äußern zu wollen, wurde ihr eine Frist von einer Woche gesetzt. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass das Disziplinarverfahren eingestellt werden könne, wenn die Beklagte umgehend eine Therapie bei einem Facharzt für Psychiatrie beginnen würde bzw. einen entsprechenden Behandlungsvorschlag eines Facharztes vorlegen würde.Eine Äußerung der Beklagten erfolgte nicht.
2. Am 13.02.2019 hat der Kläger, vertreten durch den Präsidenten, Disziplinarklage erhoben.
Der Beklagten werde zur Last gelegt, als Ruhestandsbeamtin gegen die ihr nach § 29 Abs. 4 BeamtStG in Verbindung mit § 45 Nr. 2 ThürBG obliegende Pflicht, alles Mögliche und Zumutbare für die alsbaldige Wiederherstellung der Dienstfähigkeit zu tun und dies dem Dienstherrn gegenüber nachzuweisen, verstoßen zu haben, indem sie entgegen der bestandskräftigen Weisung des Gerichts vom 20.05.2014 in der Gestalt des Abänderungsbescheids vom 29.03.2016 auch nach Erlass der Disziplinarverfügung vom 29.06.2017 eine leitliniengerechte Behandlung weder durchgeführt noch nachgewiesen habe.
Die Beklagte habe daher vorsätzlich und schuldhaft handelnd gegen ihre Dienstpflicht aus § 29 Abs. 4 BeamtStG in Verbindung mit § 45 Abs. 2 ThürBG verstoßen. Das Dienstvergehen wiege schwer. Ihm sei eine weitere Zusammenarbeit mit der Beklagten nicht mehr zumutbar. Die Verhängung einer Geldbuße scheide aus, da die Beklagte eine solche bereits beglichen hätte, ohne dass sich ihr Verhalten geändert hätte. Im Gegenteil habe jedenfalls seit Januar 2017 keine Therapie mehr stattgefunden. Auch eine Kürzung des Ruhegehalts sei der Schwere des Dienstvergehens nicht angemessen. Unter Berücksichtigung der Dauer der Pflichtverletzung sowie der Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit der Beklagten sei die Annahme ihrer Untragbarkeit gerechtfertigt. Dabei sei besonders erschwerend zu berücksichtigen, dass sie auch nach Erlass der Disziplinarverfügung weiter gegen ihre Pflichten verstoßen habe. Zu ihren Gunsten könne allenfalls sprechen, dass sie den Termin beim Amtsarzt wahrgenommen habe. Dies vermöge ihr Verhalten aber nicht in einem durchgreifend milderen Licht erscheinen zu lassen, zumal nach dem amtsärztlichen Gutachten erhebliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass durch eine Behandlung ihre Dienstfähigkeit wiederhergestellt werden könnte. Ihr angegriffener Gesundheitszustand könne ebenfalls nicht zu ihren Gunsten herangezogen werden. Aus der Stellungnahme des Amtsarztes ergebe sich, dass sie voll geschäftsfähig sei. Sie verweigere seit Jahren eine leitliniengerechte Behandlung. Es liege somit nicht nur ein vorübergehendes Fehlverhalten in einer besonderen Krisensituation vor.
Die Disziplinarklage wurde der Beklagten unter Hinweis auf die Fristen der § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 2 ThürDG am 26.02.2019 zugestellt.
Die Beklagte hat sich im gerichtlichen Verfahren schriftlich nicht geäußert. Ein Rechtsanwalt, der sich als ihre anwaltliche Vertretung bestellt hatte, hat später mitgeteilt, sie nicht mehr zu vertreten.In der mündlichen Verhandlung hat sich die Beklagte umfangreich zu den Vorwürfen eingelassen. Insoweit wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
In der mündlichen Verhandlung hat die Disziplinarkammer den Beteiligten mitgeteilt, dass es vorhabe, auf Grundlage des § 55 Abs. 1 Satz 5 ThürDG über die Disziplinarklage durch Beschluss zu entscheiden. Es sei beabsichtigt gegen die Beklagte auf eine Kürzung des Ruhegehalts von 5 % für die Dauer von sechs Monaten zu erkennen. Der Kläger und die Beklagte haben der angekündigten Entscheidung im Wege des Beschlusses sowie der Disziplinarmaßnahme nach Belehrung über die Rechtsfolgen ausdrücklich zugestimmt.
Dem Gericht liegen die beim Gericht geführten Personalakten der Beklagten (bestehend aus den Teilakten A, B, B1, E2, E2.1, E2 und E3) vor. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung.
II.
1. Nach § 55 Abs. 1 Satz 4 ThürDG kann die Kammer durch Beschluss entscheiden, sofern kein Einstellungsgrund nach § 38 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 ThürDG vorliegt oder keine Klageabweisung in Betracht kommt (§ 55 Abs. 1 Satz 2 und 3 ThürDG) und für das Dienstvergehen nur ein Verweis, eine Geldbuße, eine Kürzung der Dienstbezüge oder eine Kürzung des Ruhegehaltes erforderlich ist. Nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung müssen die Beteiligten zuvor einer Entscheidung im Wege des Beschlusses zugestimmt haben (§ 55 Abs. 1 Satz 5 ThürDG). Der Beschluss steht, nachdem er Rechtskraft erlangt hat, einem rechtskräftigen Urteil gleich (§ 55 Abs. 1 Satz 7 ThürDG).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beteiligten wurden in der mündlichen Verhandlung zu der beabsichtigten Disziplinarmaßnahme angehört und über die aus dem Tenor ersichtliche Ruhegehaltskürzung unterrichtet. Sie haben der Entscheidungsart und der Disziplinarmaßnahme zu Protokoll des Gerichts zugestimmt.
2. Die Disziplinarklage ist zulässig.
Der Präsident des Gerichts ist für die Erhebung der Klage nach § 41 Satz 3 ThürDG zuständig. Danach kann die oberste Dienstbehörde des Beamten die Befugnis zur Klageerhebung durch Verwaltungsvorschrift, die im Thüringer Staatsanzeiger zu veröffentlichen ist, auf nachgeordnete Behörden übertragen. Dies ist vorliegend mit der Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums über die Zuständigkeiten in Personalangelegenheiten der Beamten und Richter im Geschäftsbereich des Ministeriums vom 01.10.2014 (ThürStA 2014, 1638) erfolgt. Nach Nr. 1 e) dieser Verwaltungsvorschrift wurde den Präsidenten der oberen Landesgerichte für die Beamten des mittleren und gehobenen Dienstes ihres Geschäftsbereichs die Befugnis zur Erhebung der Disziplinarklage übertragen.
Die Klage ist auch ansonsten wirksam erhoben worden. In der Klageschrift vom 04.09.2019 ist das Dienstvergehen, das der Beklagten vorgeworfen wird, hinreichend bestimmt dargelegt. Auch entspricht die Klageschrift den Anforderungen des § 50 Abs. 1 Satz 1 ThürDG. Danach hat die Klageschrift die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beamten und die für die Entscheidung bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu enthalten.
3. Das behördliche Disziplinarverfahren ist ohne erkennbare gewichtige Fehler durchgeführt worden (vgl. § 51 Abs. 1 ThürDG). Der Präsident hat als Dienstvorgesetzter der Beklagten (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 ThürBG) das Verfahren ordnungsgemäß auf Grundlage des § 22 Abs. 1 ThürDG eingeleitet und dabei die gegen die Beklagte erhobenen Vorwürfe ausreichend konkret dargelegt. Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 25.07.2018 über die Einleitung des Verfahrens informiert und über ihre Rechte nach § 26 ThürDG belehrt. Mit Schreiben vom 29.09.2018 wurde der Beklagten das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen übersandt und ihr Gelegenheit gegeben, sich abschließend zu äußern (§ 36 Satz 5 und Satz 6 ThürDG). Ihr wurde jedoch keine Gelegenheit eingeräumt, innerhalb einer Woche weitere Ermittlungen zu beantragen (§ 36 Satz 1 ThürDG). Dieser Verfahrensfehler ist jedoch kein wesentlicher Mangel im Sinne des § 51 Abs. 1 ThürDG, da die Beklagte auch im gerichtlichen Verfahren Gelegenheit hatte, sachdienliche Beweisanträge zu stellen. Im Übrigen hat sie den Mangel nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Zustellung der Disziplinarklage gerügt (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 2 ThürDG). Eine Beteiligung des Personalrats bei der Erhebung der Disziplinarklage (vgl. § 73 Abs. 2 Nr. 9 ThürPersVG) findet bei Ruhestandsbeamten nicht statt (hierzu grundlegend: BVerwG, B. v. 28.01.2015 – 2 B 15/14 -, juris, Rdnr. 9 f.).
Das Disziplinarverfahren leidet auch sonst an keinem für die disziplinarrechtliche Beurteilung maßgeblichen Fehler, der einer Sachentscheidung entgegensteht.
4. Die Disziplinarklage ist auch begründet. Zur Überzeugung des Gerichtes steht fest, dass die Beklagte schuldhaft eine innerdienstliche Dienstpflichtverletzung begangen hat. Das Gericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 20.05.2014 hatte der Präsident die Beklagte angewiesen, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben, sich einer leitliniengerechten Behandlung zu unterziehen und hierüber Nachweise vorzulegen. Die Beklagte hat versucht, dieser Anordnung nachzukommen und eine Therapie bei der Diplom-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin H… begonnen. Ob die dort 2015 bis 2016 durchgeführte Behandlung, die nicht zur Gesundwerdung der Beklagten führte, leitliniengerecht war, war jedoch nicht festzustellen, da die Therapeutin sich – auch auf Aufforderung des Landessozialgerichts – weigerte, Befundberichte zu erstellen. Allerdings steht für die Kammer fest, dass die Beklagte jedenfalls eine Psychotherapie durchgeführt hat. Die Psychotherapeutin hat mit Schreiben vom Dezember 2014, April 2015 und November 2015 jeweils bestätigt, dass sich die Beklagte weiterhin regelmäßig in ihrer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung befinde. Außerdem hat die Beklagte im März 2016 eine Kopie ihrer Terminkarte vorgelegt, aus der ersichtlich ist, dass sie im Zeitraum von Dezember 2014 bis Juli 2016 bei der Therapeutin Termine hatte. Soweit der Kläger gleichwohl noch einen Verstoß gegen seine Anweisung vom 20.05.2014 gesehen hat, ist dieses durch die bestandskräftige Disziplinarverfügung vom 29.06.2017 geahndet worden.
Jedoch hatte das Gericht die Beklagte mit Schreiben vom 15.05.2018 unter Hinweis, dass sie erneut und weiterhin gegen die Weisung vom 20.05.2014 verstoße, dazu aufgefordert, nunmehr unverzüglich ernsthafte Therapieversuche zu unternehmen und diese nachzuweisen. Zudem wurde sie ausdrücklich darüber belehrt, dass beabsichtigt sei, gegen sie ein weiteres Disziplinarverfahren einzuleiten, welches die Aberkennung des Ruhegehalts zum Ziel haben könnte. Für den Fall einer unverzüglichen Therapieaufnahme bzw. Bemühungen um Aufnahme einer Therapie, wurde ihr zugesagt, auf die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zu verzichten. Auch in der Einleitungsverfügung vom 25.07.2018 wurde sie nochmals darauf hingewiesen, umgehend mit einer Therapie zu beginnen und einen entsprechenden Behandlungsvorschlag eines Facharztes vorzulegen. Aus diesen Schreiben wurde für die Beklagte deutlich, dass das Landessozialgericht weiterhin, also auch nach Erlass der Disziplinarverfügung vom 29.06.2017, von ihr Therapiemaßnahmen verlangt, die diese nachzuweisen hat. Dies war ihr auch bewusst, wie sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat. Sie hat jedoch, wie sie eindrücklich in der Verhandlung geschildert hat, den Kopf in den Sand gesteckt, nachdem der Amtsarzt im April 2018 sein Gutachten erstellt hatte, ohne auf den Befundbericht des Chefarztes der psychiatrischen Klinik N… zu warten, und sich damit allen Verpflichtungen entzogen.
Mit diesem Verhalten hat die Beklagte – wie dargelegt vorsätzlich handelnd – ein Dienstvergehen begangen. Nach § 45 Nr. 2 ThürBG gilt bei Ruhestandsbeamten über § 47 Abs. 2BeamtStG hinaus als Dienstvergehen, wenn sie ihrer Verpflichtung nach § 29 Abs. 4 oder 5 Satz 1 BeamtStG verletzen. Nach § 29 Abs. 4 BeamtStG sind Beamtinnen und Beamte, die wie die Beklagte wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden sind, verpflichtet, sich geeigneten und zumutbaren Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit zu unterziehen; die zuständige Behörde kann ihnen entsprechende Weisungen erteilen. Diese Regelung dient der Vermeidung dauerhafter Dienstunfähigkeit (BT-Drs. 16/4027, S. 29) und ist Ausfluss der aus Art. 33 Abs. 5 GG folgenden, in § 34 Satz 1 BeamtStG normierten Verpflichtung von Beamtinnen und Beamten, sich mit vollem persönlichen Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Daraus folgt die Verpflichtung der Beamten zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung ihrer Gesundheit. Diese Gesunderhaltungspflicht gilt auch, was § 29 Abs. 4 BeamtStG ausdrücklich klarstellt, für Ruhestandsbeamte, die wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurden.
5. Durch die festgestellte Dienstpflichtverletzung hat die Beklagte schuldhaft ein innerdienstliches Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen. Dieses Dienstvergehen ist gravierend und erfordert die Verhängung einer entsprechenden Disziplinarmaßnahme, nämlich die Kürzung des Ruhegehalts nach § 9 ThürDG.
Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall zu verhängen ist, richtet sich gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 ThürDG danach, in welchem Umfang der Beamte seine Pflichten verletzt und das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat. Zentrale Bedeutung gewinnt damit die Schwere des Dienstvergehens. Dabei ist das Persönlichkeitsbild des Beamten angemessen zu berücksichtigen. Über die erforderliche Disziplinarmaßnahme ist insofern auf Grund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (vgl. zu allem BVerwG, U. v. 23.02.2012 – 2 C 38/10 -, juris, Rdnr. 11 m. w. N.).
Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere auch nach der Höhe eines etwa entstandenen Schadens. Das Bemessungskriterium „Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 ThürDG erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion. Das weitere Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 ThürDG erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten, und zwar vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht. Aus § 11 Abs. 1 Satz 2 ThürDG folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums zu gewährleisten (vgl. im Einzelnen zu all dem BVerwG, U. v. 25.03.2010 – 2 C 83/08 -, juris, Rdnr. 10 ff. und B. v. 28.06.2010 – 2 B 84/09 -, juris, Rdnr. 13 ff.).
Bei Anwendung dieses Maßstabs ist es vorliegend geboten, aber auch ausreichend, das Ruhegehalt der Beklagten für einen relativ kurzen Zeitraum von sechs Monaten zu kürzen. Zwar ist das Dienstvergehen dem Grunde nach geeignet auch die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme, also die Aberkennung des Ruhegehalts, zu verhängen. Ein wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzter Beamter, der sich weigert, alles Zumutbare zu unternehmen, um wieder gesund, und damit dienstfähig, zu werden, begeht ein schwerwiegendes Dienstvergehen. Das Eigengewicht der Tat ist hoch, weil ansonsten der Dienstherr gezwungen wäre, einen dienstunfähigen Beamten, der möglicherweise gesunden kann, über einen gegebenenfalls sehr langen Zeitraum zu alimentieren, ohne dessen Gegenleistung in Form der Dienstleistung erhalten zu können. Vorliegend ergeben sich aber aus den Umständen der Dienstpflichtverletzung, aber auch aus dem Persönlichkeitsbild der Beklagten erhebliche Milderungsgründe. Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Beklagte zunächst versucht hat, der Weisung des Präsidenten vom 20.05.2014, eine Therapie zu beginnen und diese nachzuweisen, zu erfüllen, ja in Teilen auch erfüllt hat. Wie dargelegt, ist die Disziplinarkammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte ab Ende 2014 jedenfalls bis Sommer 2016 eine psychotherapeutische Behandlung bei der Diplom-Psychologin H… durchgeführt hat. Ihr ist es nur nicht gelungen, nachzuweisen, dass diese leitliniengerecht war, weil die Therapeutin sich geweigert hat mitzuwirken. Dass diese Therapie von vornherein nicht den Anforderungen an eine leitliniengerechte Behandlung einer Depression erfüllt hat, ist nicht zu erkennen und wird auch vom Kläger nicht behauptet. Der Beklagten ist also nur vorzuwerfen, dass sie nach Erlass der Disziplinarverfügung vom 29.06.2017 und dem Schreiben des Gerichts vom 15.05.2018, in dem ihr deutlich gemacht wurde, dass weiterhin von ihr eine Therapie verlangt wird, keine weiteren Therapieversuche unternommen hat. Hier ist jedoch zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass sie gerade wegen ihrer auch vom Amtsarzt diagnostizierten Depression mit Anpassungsstörung bei der Erfüllung dieser Weisung beeinträchtigt war. Die Beklagte hat in der Verhandlung glaubhaft geschildert, dass sie seit 2018 nicht in der Lage war, angemessen auf dienstliche Schreiben zu reagieren; dass sie bei dem Erstellen von Schriftsätzen an das Gericht ständig ins Weinen geraten ist und überhaupt teilweise „wochenlang heulend“ im Bett gelegen hat. Unabhängig von der Frage, ob insoweit Anzeichen für eine verminderte Schuldfähigkeit vorliegen, war ihr angegriffener Gesundheitszustand zu berücksichtigen, weil dieser es ihr deutlich erschwert hat, eine Behandlung aufzunehmen. Hinzu kommt, dass die Beklagte nach ihrer glaubhaften Darstellung bereits seit annähernd 20 Jahren depressiv erkrankt ist und sie nach ihrer Einschätzung alle Behandlungsmöglichkeiten erfolglos versucht hat, darunter auch die langjährige Einnahme von Psychopharmaka. Diese Mittel hätten ihren Magen angegriffen, so dass sie heute nicht mehr in der Lage sei, überhaupt Tabletten einzunehmen. Es spricht hier also manches dafür, dass auch eine weitere Therapie nicht ohne weiteres zur Gesundung der Beklagten geführt hätte.Schließlich ist einzubeziehen, dass das Gericht zwar dienstrechtlich korrekt tätig geworden ist und die Beklagte angehalten hat, sich zu bemühen, gesund zu werden. Es wurde jedoch – soweit ersichtlich – nur mit Verfügungen und Disziplinarverfahren gearbeitet. Versuche, die Beklagte persönlich zu kontaktieren, ihr auch bei der Aufnahme einer geeigneten Therapie zu helfen, dabei auch mit und für sie die Frage der Kostenerstattung zu klären, im Ganzen also mehr den Fürsorgegedanken in den Mittelpunkt zu stellen, fanden nicht statt.
Für die Zukunft muss sich die Beklagte jedoch bewusst machen, dass sie weiterhin der Gesund-erhaltungspflicht unterliegt. Das Gericht ist weiter berechtigt und gegebenenfalls sogar verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Beklagte alles Zumutbare unternimmt, um zu gesunden. Bei weiteren Verstößen gegen die Gesunderhaltungspflicht muss sie mit der Aberkennung des Ruhegehalts rechnen.
Der ausgesprochene Kürzungssatz von 5 % entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für Beamte des mittleren Dienstes (U. v. 21.03.2003 – 1 D 29/00 -, juris, Rdnr. 20), wobei die Kammer diese Kürzungssätze auch auf die Kürzung des Ruhegehalts anwendet.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 1 Satz 1 ThürDG. Das Disziplinarverfahren ist gemäß § 77 Abs. 5 ThürDG gerichtsgebührenfrei.


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