Arbeitsrecht

Anwendbarkeit des Arbeitszeitrechts auf Fahrpersonal im Bereich der Entsorgung tierischer Nebenprodukte

Aktenzeichen  8 C 24/19

Datum:
16.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:161221U8C24.19.0
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. § 21a Abs. 4 ArbZG regelt die Höchstarbeitszeit für Fahrer und Beifahrer im Sinne des Absatzes 1 der Norm nicht abschließend. Ergänzend ist gemäß § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG auf diese Personen § 3 ArbZG nach Maßgabe der in § 21a Abs. 2 bis 8 ArbZG geregelten Abweichungen anzuwenden.
2. Diese Ergänzung der Beschränkung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit um eine Begrenzung der werktäglichen Höchstarbeitszeit stellt eine unionsrechtskonforme besser schützende Vorschrift im Sinne des Art. 10 der Richtlinie 2002/15/EG dar.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 10. Oktober 2019, Az: 4 A 1334/17, Urteilvorgehend VG Münster, 3. Mai 2017, Az: 9 K 2560/15, Verfügung

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes auf die bei der Klägerin als LKW-Fahrer beschäftigten Arbeitnehmer. Die Klägerin betreibt eine Einrichtung zur Entsorgung und Verarbeitung von Tierkörpern und anderen tierischen Nebenprodukten. Ihre Fahrer führen den Transport von den Anfallstellen zur Fabrik der Klägerin durch.
2
Mit Bußgeldbescheid vom 11. Juni 2013 setzte der Beklagte gegen den Geschäftsführer der Klägerin eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen §§ 3 und 4 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) fest. Im Rechtsbeschwerdeverfahren stellte das Oberlandesgericht das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG ein.
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Im Dezember 2015 hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt festzustellen, dass die Arbeitszeiten ihrer Fahrer im Bereich der Entsorgung tierischer Nebenprodukte im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 14 Fahrpersonalverordnung (FPersV) nicht unter die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes fallen. Der Beklagte hat widerklagend beantragt festzustellen, dass hinsichtlich des Fahrpersonals der Klägerin § 3 ArbZG nicht durch § 21a Abs. 4 ArbZG – soweit der Anwendungsbereich der letztgenannten Vorschrift eröffnet ist – verdrängt wird. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Das Arbeitszeitgesetz sei nach § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG auf die im Bereich der Entsorgung tierischer Nebenprodukte beschäftigten Fahrer der Klägerin anzuwenden. § 3 ArbZG werde durch § 21a Abs. 4 ArbZG nicht verdrängt, sondern ergänze dessen Regelungen.
4
Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, das Berufungsurteil verletze § 18 Abs. 1 Nr. 14 FPersV i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Buchst. n der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 sowie §§ 21a und 3 ArbZG.
5
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2019 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 3. Mai 2017 zu ändern und festzustellen, dass die Arbeitszeiten der Fahrer der Klägerin im Bereich der Entsorgung tierischer Nebenprodukte im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 14 FPersV nicht unter die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes fallen,
sowie
die Widerklage abzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das Berufungsurteil für zutreffend. § 18 Abs. 1 Nr. 14 FPersV beziehe sich nicht auf die gesetzlichen Regelungen zur Arbeitszeit, sondern nur auf die Lenk- und Ruhezeiten. § 3 ArbZG finde neben § 21a Abs. 4 ArbZG Anwendung.

Entscheidungsgründe

8
Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Feststellungsklage ist zulässig, aber unbegründet (1), die Widerklage ist zulässig und begründet (2).
10
1. a) Das Berufungsgericht hat die Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zu Recht für zulässig gehalten. Zwischen den Beteiligten besteht ein hinreichend konkretes Rechtsverhältnis. Das berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung ergibt sich aus der Wiederholungsgefahr wegen drohender weiterer Bußgeldverfahren.
11
b) Das Berufungsgericht ist ohne Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass das Arbeitszeitgesetz auf die Fahrer der Klägerin im Bereich der Entsorgung tierischer Nebenprodukte im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 14 der Verordnung zur Durchführung des Fahrpersonalgesetzes (Fahrpersonalverordnung – FPersV) vom 27. Juni 2005 (BGBl. I S. 1882), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 8. August 2017 (BGBl. I S. 3158), Anwendung findet.
12
aa) Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) vom 6. Juni 1994 (BGBl. I S. 1170, 1171), zuletzt geändert durch Art. 6 des Arbeitsschutzkontrollgesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3334), gelten für die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Fahrer oder Beifahrer bei Straßenverkehrstätigkeiten im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. L 102 S. 1), die Vorschriften dieses Gesetzes, soweit nicht die folgenden Absätze abweichende Regelungen enthalten. Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsurteils üben die Fahrer der Klägerin eine Straßenverkehrstätigkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 aus. Ihre Tätigkeit ist nicht nach Art. 3 der Verordnung von deren Anwendungsbereich ausgenommen. Auch § 21a Abs. 2 bis 8 ArbZG schließen eine Anwendung des Arbeitszeitgesetzes auf Fahrer und Beifahrer im Sinne von Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift nicht aus; die in ihnen für dessen Anwendungsbereich getroffenen Spezialregelungen verdrängen sonstige Vorschriften des Gesetzes lediglich, soweit sie jeweils von diesen abweichen.
13
bb) § 21a Abs. 1 Satz 2 ArbZG steht der Anwendung des Arbeitszeitgesetzes auf solche Fahrer und Beifahrer ebenfalls nicht entgegen. Nach seinem Wortlaut bleiben die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und des AETR unberührt. Daraus, aus dem systematischen Zusammenhang und aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergibt sich, dass dem Arbeitszeitrecht neben den Regelungen über Lenk- und Ruhezeiten eine eigenständige Bedeutung zukommt.
14
Das Arbeitszeitrecht regelt die gesamte Zeitspanne zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende ohne die Ruhepausen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG; Art. 3 Buchst. a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben – ABl. L 80 S. 35 – nachfolgend: Fahrpersonalrichtlinie). Dagegen begrenzen die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 über die Lenk- und Ruhezeiten die in die Arbeitszeit fallende, sie aber nicht zwangsläufig völlig ausfüllende Fahrtätigkeit (vgl. die auf die Arbeitszeit im Sinne der Fahrpersonalrichtlinie Bezug nehmende Definition “anderer Arbeiten” in Art. 4 Buchst. e der Verordnung).
15
§ 21a ArbZG dient der Umsetzung der Fahrpersonalrichtlinie in nationales Recht und nimmt den in Art. 2 Abs. 4 dieser Richtlinie festgelegten Vorrang der Regelung über die Lenk- und Ruhezeiten ausdrücklich in das Gesetz auf, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 31. Mai 2006, BT-Drs. 16/1685 S. 12, zur entsprechenden Vorgängerverordnung Nr. 3820/85). Danach gehen die Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten in ihrem Geltungsbereich den arbeitszeitrechtlichen Regelungen vor, ohne deren ergänzende Anwendung auf Fahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG auszuschließen. Dies wird durch teleologische Erwägungen bestätigt. Das Arbeitszeitrecht dient der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer (§ 1 Nr. 1 ArbZG). Die Fahrpersonalrichtlinie verfolgt neben dem Zweck, die Sicherheit und Gesundheit des Fahrpersonals zu schützen, auch das Ziel, die Straßenverkehrssicherheit zu gewährleisten sowie die Wettbewerbsbedingungen anzugleichen (Erwägungsgründe 4 und 10 sowie Art. 1 der Fahrpersonalrichtlinie). Diese Ziele verfolgt auch die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 (Erwägungsgründe 17 und 22 sowie Art. 1 der Verordnung). Die parallele unionsrechtliche Zielsetzung beider Regelungsbereiche berücksichtigt, dass nicht nur die Lenkzeit, sondern auch die darüber hinausgehende Arbeitszeit des Fahrpersonals (beispielsweise das Be- und Entladen des Fahrzeugs) Einfluss auf dessen Gesundheit und die Straßenverkehrssicherheit hat. Dem widerspräche es, auf das Fahrpersonal nur die Regelungen über die Lenk- und Ruhezeiten, nicht aber die Bestimmungen über die höchstzulässige Arbeitszeit anzuwenden.
16
cc) Die Annahme des Berufungsgerichts, das Fahrpersonal der Klägerin sei von der Anwendung des Arbeitszeitgesetzes nicht schon wegen der Privilegierung nach § 2 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes über das Fahrpersonal von Kraftfahrzeugen und Straßenbahnen (Fahrpersonalgesetz – FPersG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 640) zuletzt geändert durch Art. 138 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626), § 18 Abs. 1 Nr. 14 FPersV ausgenommen, ist revisionsrechtlich fehlerfrei. Die Ausnahmebestimmung des § 18 Abs. 1 Nr. 14 FPersV erstreckt sich nicht auf die Arbeitszeit der Fahrer.
17
Nach § 18 Abs. 1 Nr. 14 FPersV sind Fahrzeuge, die in einem Umkreis von 250 km vom Standort des Unternehmens zum Transport tierischer Nebenprodukte verwendet werden, von der Anwendung der Art. 5 bis 9 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 ausgenommen. Diese Ausnahmeregelung macht von der gesetzlichen Ermächtigung in § 2 Nr. 3 Buchst. a und b FPersG nicht durch Modifizierungen der Arbeitszeitgrenzen, sondern nur in Bezug auf die Lenkzeiten, Ruhezeiten und Fahrtunterbrechungen Gebrauch. Nur darauf erstreckt sich auch die den Mitgliedstaaten in Art. 13 Abs. 1 Buchst. n der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 eingeräumte Befugnis, für Fahrzeuge, die zur Beförderung von tierischen Abfällen oder von nicht für den menschlichen Verzehr bestimmten Tierkörpern verwendet werden, Abweichungen von den Art. 5 bis 9 der Verordnung zuzulassen. Die Ausnahme von den Lenkzeiten des Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 ist ebenfalls auf diesen Regelungsgegenstand beschränkt. Aus der Bezugnahme des Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 auf die Fahrpersonalrichtlinie folgt nichts Anderes. Nach Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 darf die wöchentliche Lenkzeit 56 Stunden nicht überschreiten und nicht dazu führen, dass die in der Fahrpersonalrichtlinie festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit überschritten wird. Diese Bestimmung unterstreicht, dass Lenk- und Arbeitszeitregelungen nebeneinander anzuwenden sind.
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dd) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage:
Ist Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 so auszulegen, dass eine nach dieser Vorschrift durch den Mitgliedstaat zugelassene Abweichung des Inhalts, bestimmte Fahrtätigkeiten von den Vorgaben über Lenkzeiten des Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 auszunehmen, zugleich zur Folge hat, dass die Regelungen über die Arbeitszeit der Personen, die diese Fahrtätigkeiten ausüben, insbesondere die Vorgaben der Richtlinie 2002/15/EG bzw. der zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechtsvorschriften für diese Fahrtätigkeiten nicht gelten,
gibt keinen Anlass, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen, weil die Voraussetzungen des Art. 267 AEUV nicht erfüllt sind. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Art. 6 und 13 Abs. 1 der zitierten Verordnung sowie dem in Art. 2 Abs. 4 der Fahrpersonalrichtlinie klargestellten systematischen Verhältnis der unionsrechtlichen Lenk- und Arbeitszeitregelungen ist die aufgeworfene Frage derart offenkundig zu verneinen, dass – auch unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender mitgliedstaatlicher Gerichtsentscheidungen – keinerlei Raum für vernünftige Zweifel bleibt (acte clair, vgl. EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982 – C-283/81 [ECLI:EU:C:1982:335], CILFIT – Rn. 16 ff., vom 15. September 2005 – C-495/03 [ECLI:EU:C:2005:552], Intermodal Transports – Rn. 33 und vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 [ECLI:EU:C:2021:799], Consorzio Italian Management Rn. 39). Wie bereits dargelegt, betreffen die Fahrpersonalrichtlinie und die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 verschiedene Regelungsgegenstände. Die in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung enthaltene Ermächtigung zu Abweichungen von Art. 6 der Verordnung deckt nur abweichende Lenkzeit- und nicht auch Arbeitszeitregelungen. Zulässige Abweichungen bezüglich der Lenkzeit können deshalb keine Arbeitszeitvorschriften suspendieren. Diese Auslegung steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs. Danach betrifft die Lenkzeitregelung der – inzwischen durch die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 abgelösten – Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 nur eine der Gefahrenquellen für die Sicherheit des Straßenverkehrs, nämlich zu lange Lenkzeiten des Fahrpersonals; sie wird durch die Richtlinie 2002/15/EG über die Arbeitszeit des Fahrpersonals mit Blick auf Gefahren wegen der übermäßigen Häufung anderer Tätigkeiten “sachgerecht ergänzt” (EuGH, Urteil vom 9. September 2004 – C-184/02 und C-223/02 [ECLI:EU:C:2004:497], Königreich Spanien und Republik Finnland – LS 1 und Rn. 36).
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2. a) Die Widerklage ist gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 VwGO zulässig, weil der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch zusammenhängt. Beide resultieren aus demselben zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnis und finden ihren Ursprung in demselben Lebenssachverhalt. Die Widerklage ist auch als Feststellungsklage zulässig. Der Beklagte kann sich wegen der nach wie vor streitigen Befugnis, gegenüber der Klägerin die werktägliche Begrenzung der Höchstarbeitszeit durchzusetzen, auf ein berechtigtes Feststellungsinteresse berufen und ist insoweit entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Er kann nicht darauf verwiesen werden, zur Klärung des Rechtsverhältnisses einen Feststellungsbescheid zu erlassen, weil die Klägerin für diesen Fall eine weitere gerichtliche Auseinandersetzung angekündigt hat.
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b) Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass für Fahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 ArbZG neben der wöchentlichen Höchstarbeitszeit des § 21a Abs. 4 ArbZG ergänzend auch die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit gemäß § 3 ArbZG gilt. § 21a Abs. 4 ArbZG regelt die Höchstarbeitszeit für Fahrer und Beifahrer im Sinne des Absatzes 1 der Norm nicht abschließend, sondern trifft eine Spezialregelung, die gemäß § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG eine ergänzende Anwendung des § 3 ArbZG unter Berücksichtigung der in § 21a Abs. 2 bis 8 ArbZG geregelten Abweichungen (etwa bezüglich der Arbeitszeitdefinition gemäß § 21a Abs. 3 ArbZG) zulässt. Soweit das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 18. April 2012 – 5 AZR 195/11 – (NZA 2012, 796 Rn. 21) die Auffassung vertreten hat, für Fahrer und Beifahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 ArbZG gelte nur die wöchentliche Höchstarbeitszeit des § 21a Abs. 4 ArbZG, nicht aber die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf höchstens zehn Stunden gemäß § 3 Satz 2 ArbZG, hat der zuständige Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Anfrage des erkennenden Senats (BVerwG, Beschluss vom 11. November 2020 – 8 C 24.19 – NZA 2021, 1131) gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (RsprEinhG) vom 19. Juni 1968 (BGBl. I S. 661), zuletzt geändert durch Art. 144 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) mitgeteilt, dass er daran nicht festhält (BAG, Beschluss vom 19. Mai 2021 – 5 AS 2/21 – NZA 2021, 1134).
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aa) Der Wortlaut der Regelungen steht einem Verständnis des § 21a Abs. 4 ArbZG als Spezialregelung, die gemäß § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG durch § 3 ArbZG mit den in § 21a Abs. 2 bis 8 ArbZG geregelten Abweichungen ergänzt wird, nicht entgegen. § 3 Satz 1 ArbZG begrenzt die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer auf acht Stunden. Sie kann nach Satz 2 der Vorschrift auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. § 21a Abs. 4 Satz 1 ArbZG bestimmt, dass die Arbeitszeit von Fahrern und Beifahrern im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten darf. Sie kann nach § 21a Abs. 4 Satz 2 ArbZG auf bis zu 60 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden. Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG verdrängt die in § 21a Abs. 4 ArbZG getroffene Spezialregelung für Fahrer und Beifahrer andere Vorschriften des Gesetzes nur, soweit sie von diesen abweicht. Das trifft jedenfalls auf die Ausgleichszeiträume zu, die durch § 21a Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 ArbZG gegenüber § 3 Satz 2 ArbZG modifiziert, nämlich nach Kalender- statt Sieben-Tages-Wochen berechnet und verkürzt werden. Dagegen lässt sich der Formulierung des § 21a Abs. 4 ArbZG nicht entnehmen, dass damit zugleich jede werktägliche Begrenzung der Höchstarbeitszeit gemäß § 3 ArbZG ausgeschlossen werden soll.
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bb) Die Entstehungsgeschichte des § 21a ArbZG spricht gegen einen abschließenden Charakter der Regelung. Sie dient der Umsetzung der Fahrpersonalrichtlinie, die laut Art. 1 nur Mindestvorschriften für die Gestaltung der Arbeitszeit des Fahrpersonals festlegt. Nach Art. 10 Satz 1 der Richtlinie bleibt die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, günstigere Vorschriften für das Fahrpersonal zu erlassen und ein im Vergleich zur Richtlinie höheres Schutzniveau der Arbeitnehmer zu gewähren. Art. 10 Satz 2 der Richtlinie verbietet ausdrücklich, deren Umsetzung als Begründung für ein Absenken des generellen Schutzniveaus der Arbeitnehmer heranzuziehen.
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Dementsprechend ging der nationale Gesetzgeber bei Erlass des § 21a ArbZG davon aus, dass dessen Absatz 4 die wöchentliche Höchstarbeitszeit des Fahrpersonals “ergänzend zu § 3” des Gesetzes regele. “Neben” der dort normierten werktäglichen Höchstarbeitszeit dürfe die Höchstarbeitszeit pro Woche 48 Stunden nicht übersteigen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 31. Mai 2006, BT-Drs. 16/1685 S. 13). Auch im Übrigen hielt er nur einige Anpassungen – etwa bei der Definition der Woche (vgl. § 21a Abs. 2 ArbZG; Art. 3 Buchst. g der Fahrpersonalrichtlinie) – für erforderlich, weil das Arbeitszeitgesetz im Wesentlichen bereits den Vorgaben der Fahrpersonalrichtlinie entspreche (BT-Drs. 16/1685 S. 12). Er ließ damit deutlich erkennen, dass er den bislang durch das Arbeitszeitgesetz gewährten Schutz für die von der Fahrpersonalrichtlinie erfassten Arbeitnehmer nicht aus Anlass der Richtlinienumsetzung absenken, sondern die über das Schutzniveau der Richtlinie hinausgehende Höchstarbeitszeitregelung auch für diese Arbeitnehmergruppe beibehalten wollte. Andernfalls würde die werktägliche zeitliche Inanspruchnahme solcher Arbeitnehmer nur durch die Lenk- und Ruhezeitenregelungen begrenzt. Danach dürfte die tägliche Lenkzeit bis zu zweimal wöchentlich von höchstens neun auf höchstens zehn Stunden verlängert werden, ohne dass am selben Tag eine Beschäftigung mit außerhalb der Lenkzeit zu erbringenden, nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 21a Abs. 3 ArbZG ebenfalls als Arbeitszeit anzurechnenden anderen Arbeiten ausgeschlossen wäre (vgl. § 1 Abs. 1 FPersG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006).
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cc) Der systematische Zusammenhang spricht ebenfalls für eine ergänzende Anwendbarkeit des § 3 ArbZG. Nach § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 ArbZG kann in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zugelassen werden, die Arbeitszeit abweichend von Absatz 4 sowie den §§ 3 und 6 Abs. 2 festzulegen, wenn objektive, technische oder arbeitszeitorganisatorische Gründe vorliegen. Das setzt voraus, dass § 3 ArbZG für die in den Anwendungsbereich des § 21a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 ArbZG fallenden Fahrer und Beifahrer gilt.
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Dies führt nicht zu systematischen Widersprüchen. Die Begrenzung der werktäglichen Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden gemäß § 3 Satz 2 ArbZG vermittelt den Fahrern auch, wenn die Modifizierung des Arbeitszeitbegriffs durch § 21a Abs. 3 ArbZG berücksichtigt wird, einen über die Begrenzung der kalenderwöchentlichen Höchstarbeitszeit gemäß § 21a Abs. 4 ArbZG hinausgehenden Schutz.
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dd) Für die ergänzende Anwendbarkeit des § 3 ArbZG und gegen dessen völlige Verdrängung durch § 21a Abs. 4 ArbZG sprechen schließlich Sinn und Zweck der Regelungen. Die im Jahr 1918 eingeführte werktägliche Regelarbeitszeit von acht Stunden dient dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Bei Erlass des Arbeitszeitgesetzes 1994 hielt der Gesetzgeber an dem Grundsatz des Acht-Stunden-Tages ausdrücklich fest, weil er nach den bisherigen arbeitswissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen und Erfahrungen eine gesetzliche Regelung der täglichen Höchstarbeitszeit zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer für erforderlich hielt (vgl. den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts – Arbeitszeitrechtsgesetz – vom 13. Oktober 1993 – BT-Drs. 12/5888 S. 20, 22, insbesondere S. 24). Diese Überlegungen trafen und treffen auch auf das Fahrpersonal zu. Dessen Gesundheit wird – ebenso wie die anderer Arbeitnehmer – durch eine über die Grenzen des § 3 ArbZG hinausgehende werktägliche Arbeitszeit beeinträchtigt. Außerdem wirkt sich eine Überbeanspruchung bei Übermüdung auch auf die Straßenverkehrssicherheit aus. Dass die Fahrpersonalrichtlinie unter anderem bezweckt, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden (vgl. Erwägungsgrund 10 und Art. 1 der Richtlinie), steht der ergänzenden Anwendung des § 3 ArbZG nicht entgegen. Art. 1 und 10 der Fahrpersonalrichtlinie lassen keinen Zweifel daran, dass Wettbewerbsverzerrungen nicht durch ein Absenken des Schutzstandards beseitigt werden sollen, sondern durch die Gewährleistung unionsweit gleicher Mindeststandards ohne Reduzierung des mitgliedstaatlich bereits erreichten Schutzniveaus.
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ee) Die ergänzende Anwendbarkeit der Regelung der werktäglichen Höchstarbeitszeit gemäß § 3 ArbZG nach Maßgabe der in § 21a Abs. 2 bis 8 ArbZG normierten Abweichungen auf Fahrer und Beifahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 ArbZG steht mit Unionsrecht im Einklang. Die Hinweise des Bundesarbeitsgerichts auf mögliche Bedenken (BAG, Beschluss vom 19. Mai 2021 – 5 AS 2/21 – NZA 2021, 1134 Rn. 17 f.) und die von der Klägerin aufgeworfene, diese Hinweise aufnehmende Frage:
Kann eine nationale Regelung wie § 21[a] Abs. 1, Abs. 4 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), die für Arbeitnehmer, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben, neben der wöchentlichen Höchstarbeitszeit nach Art. 4 der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 eine tägliche Höchstarbeitszeit von 8 Stunden (unter bestimmten Voraussetzungen bis zu 10 Stunden) vorgibt, eine besser schützende Rechtsvorschrift im Sinne des Art. 10 S. 1 der Richtlinie 2002/15/EG sein, angesichts des Umstands, dass
1. keine Belege (z.B. medizinische Untersuchungen) existieren, die tatsächliche Verbesserungen des Gesundheitsschutzes belegen; und
2. es für selbstständige Kraftfahrer an einer entsprechenden Regelung fehlt und insoweit – wie durch § 3 des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern geschehen – nur die wöchentliche Höchstarbeitszeit entsprechend des Art. 4 der Richtlinie 2002/15/EG gilt?
geben nach der aktuellen, teils erst nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keinen Anlass, eine Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV einzuholen.
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Danach ist das in letzter Instanz entscheidende einzelstaatliche Gericht nicht zur Vorlage verpflichtet, wenn die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, die Vorschrift des Unionsrechts bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (stRspr, vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19, Consorzio Italian Management – Rn. 33 m.w.N.). Dabei sind die Eigenheiten des Unionsrechts, die besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und die Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu berücksichtigen. Wird dem in letzter Instanz entscheidenden einzelstaatlichen Gericht das Vorliegen voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen – von Gerichten ein und desselben Mitgliedstaats oder zwischen Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten – zur Auslegung einer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Vorschrift des Unionsrechts zur Kenntnis gebracht, muss es bei seiner Beurteilung zwar besonders sorgfältig vorgehen und dabei insbesondere das mit dem Vorabentscheidungsverfahren angestrebte Ziel, die einheitliche Auslegung des Unionsrechts zu gewährleisten, berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19, Consorzio Italian Management – Rn. 49). Die Verpflichtung zur Vorlage gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV kann hingegen entfallen, wenn eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs vorliegt, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst ist, gleich in welcher Art von Verfahren sich diese Rechtsprechung gebildet hat, und selbst dann, wenn die strittigen Fragen nicht vollkommen identisch sind (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19, Consorzio Italian Management – Rn. 36 m.w.N.). So liegt es hier.
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Nach Art. 10 der Fahrpersonalrichtlinie (“Günstigere Vorschriften”) berührt diese Richtlinie nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Sicherheit und Gesundheit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben, besser schützende Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder einzuführen. Die Vorschrift lässt über die in der Richtlinie festgelegten Mindestvorschriften für die Gestaltung der Arbeitszeit (vgl. Art. 1 Fahrpersonalrichtlinie) hinaus günstigere Regelungen durch den nationalen Gesetzgeber zu. Im Bereich der Sozialpolitik besteht nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b AEUV eine geteilte Zuständigkeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten. Beide können in diesem Bereich gemäß Art. 2 Abs. 2 AEUV gesetzgeberisch tätig werden und zu diesem Zweck durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen, welche die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu treffen, die mit den Verträgen vereinbar sind (Art. 153 Abs. 2 Buchst. b i.V.m. Abs. 1 Buchst. a, Abs. 4 AEUV).
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Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zu Art. 15 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, wonach das Recht der Mitgliedstaaten unberührt bleibt, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere nationale Vorschriften anzuwenden, bereits entschieden, dass diese Vorschrift den Mitgliedstaaten keine im Recht der Union begründete Rechtsetzungsbefugnis verleiht, sondern sich darauf beschränkt, ihre nach nationalem Recht bestehende Befugnis anzuerkennen, solche günstigeren Bestimmungen außerhalb des durch die Richtlinie geschaffenen Regelungsrahmens vorzusehen (EuGH, Urteil vom 19. November 2019 – C-609/17 und C-610/17 [ECLI:EU:C:2019:981], TSN, AKT – Rn. 49, unter Hinweis auf das Urteil vom 10. Juli 2014 – C-198/13 [ECLI:EU:C:2014:2055], Julián Hernández u.a. – Rn. 44). Entsprechendes gilt für die weitgehend identische Bestimmung des Art. 10 der Fahrpersonalrichtlinie. Sie erkennt die nach nationalem Recht bestehende Befugnis der Mitgliedstaaten an, besser schützende Bestimmungen außerhalb des durch die Richtlinie geschaffenen Regelungsrahmens vorzusehen.
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Als solche Regelungen sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Arbeitszeit- und Arbeitsschutzrecht alle Vorschriften einzuordnen, die strengere – und deshalb für den Arbeitenden günstigere, ihn besser schützende – Anforderungen stellen als die unionsrechtlichen Mindestvorschriften, ohne sonstige Bestimmungen der Richtlinie oder deren Kohärenz und Ziele zu beeinträchtigen (EuGH, Urteil vom 19. November 2019 – C-609/17 und C-610/17, TSN, AKT – Rn. 50 f. u. 53). Dies trifft auf § 3 ArbZG bei ergänzender Anwendung auf Fahrer und Beifahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 ArbZG nach Maßgabe der in § 21a Abs. 2 bis 8 ArbZG geregelten Abweichungen zu. Damit wird die Regelung der kalenderwöchentlichen Höchstarbeitszeit durch eine Regelung der werktäglichen Höchstarbeitszeit vervollständigt, die das Fahrpersonal im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG bei abhängiger Beschäftigung davor schützt, dass ihm innerhalb des kalenderwöchentlichen Arbeitszeitrahmens an einzelnen Werktagen – vorbehaltlich im Arbeitszeitgesetz zugelassener Ausnahmen – mehr als zehn Stunden werktäglicher Arbeitszeit abverlangt werden. Unabhängig von der arbeitsmedizinischen Begründung dieser Verstärkung des Arbeitnehmerschutzes liegt in der Erhöhung der Schutzanforderungen gegenüber den unionsrechtlichen, nur die Wochenarbeitszeit begrenzenden Richtlinienvorgaben eine günstigere Regelung, die sich oberhalb des von Art. 4 der Fahrpersonalrichtlinie festgelegten Mindestschutzes und damit außerhalb des Regelungsrahmens der Richtlinie bewegt. Danach bedarf keiner Aufklärung, ob – wie die Klägerin behauptet – arbeitsmedizinische Belege für eine tatsächlich bessere Schutzwirkung fehlten (zu gegenteiligen, im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigten und späteren arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen vgl. etwa Kohte, AuR 2019, 402, 406). Ebenso wenig muss der Frage nachgegangen werden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Einschätzungsprärogative des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers beim Erlass von Regelungen unionsrechtlich begrenzt sein könnte, wenn die mitgliedstaatliche Regelung – anders als hier – in den Anwendungsbereich einer einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinie fiele.
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Die Beschränkung der ergänzenden Anwendbarkeit des § 3 ArbZG auf Fahrer und Beifahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG, die als Arbeitnehmer tätig sind, verletzt nicht den unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 20 der Grundrechtecharta (GRC). Art. 10 Satz 1 der Fahrpersonalrichtlinie erfasst zwar mit der Formulierung “Personen, die Fahrtätigkeiten … ausüben” nach Art. 3 Buchst. f der Richtlinie nicht nur die als Arbeitnehmer tätigen, sondern auch die selbständigen Kraftfahrer, für die das nationale Recht eine Anwendbarkeit der werktäglichen Höchstarbeitszeit des § 3 ArbZG nicht vorsieht. Indessen gilt die Charta nach deren Art. 51 Abs. 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Sie dehnt nach ihrem Art. 51 Abs. 2 GRC den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Europäischen Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten oder neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben. Der bloße Umstand, dass nationale Maßnahmen zu einem Bereich gehören, in dem die Union über Zuständigkeiten verfügt, führt nicht dazu, dass sie in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen und die Charta anwendbar wird (EuGH, Urteil vom 19. November 2019 – C-609/17 und C-610/17, TSN, AKT – Rn. 42 und 46). Die über den Mindestschutz des Art. 4 der Fahrpersonalrichtlinie hinausgehende ergänzende Anwendbarkeit des § 3 ArbZG auf Kraftfahrer, die als Arbeitnehmer tätig sind, fällt nach der oben erläuterten Rechtsprechung des Gerichtshofs als “besser schützende Regelung” nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie und stellt keine Durchführung des Unionsrechts dar, sondern beruht auf der den Mitgliedstaaten verbliebenen originären Zuständigkeit. Sie wird daher auch nicht vom Anwendungsbereich der Charta umfasst, so dass deren Bestimmungen nicht zur rechtlichen Beurteilung herangezogen werden können (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2019 – C-609/17 und C-610/17, TSN, AKT – Rn. 52 f.). Dass Art. 10 der Fahrpersonalrichtlinie die mitgliedstaatliche Befugnis zur Gestattung oder Förderung der Anwendung tariflicher, die Sicherheit und Gesundheit des (nach der Legaldefinition in Art. 3 Buchst. d der Richtlinie abhängig beschäftigten) Fahrpersonals besser schützender Regelungen hervorhebt und Art. 15 der Richtlinie 2003/88/EG nur von günstigeren Vorschriften zum Schutz von Arbeitnehmern spricht, deutet im Übrigen darauf hin, dass eine völlige arbeitszeitrechtliche Gleichbehandlung von abhängig beschäftigten und selbständigen Kraftfahrern unionsrechtlich nicht geboten ist. Sachlich zu rechtfertigen ist dies und die bislang auch im nationalen Recht unvollständige Gleichbehandlung beider Kraftfahrergruppen mit der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers gegenüber abhängig Beschäftigten, die weitergehende Einschränkungen ihrer Zeitgestaltung ermöglicht als diejenigen, denen – de jure – selbständige Kraftfahrer unterliegen.
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Der ergänzenden Anwendung des § 3 ArbZG auf die Fahrer und Beifahrer der Klägerin im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG nach Maßgabe der in Absatz 2 bis 8 dieser Vorschrift geregelten Abweichungen steht die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) nicht entgegen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Klägerin nicht grenzüberschreitend tätig und weist die Streitsache auch keine anderen grenzüberschreitenden Bezüge auf, so dass eine Anwendung der mitgliedstaatlichen Regelung hier nicht an den Grundfreiheiten zu messen ist. Unabhängig davon bestehen keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit und Kohärenz einer Ergänzung der arbeitnehmerschützenden Regelung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit durch eine Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.


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