Arbeitsrecht

Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Arbeitsvertrag, Arbeitszeit, Mitgliedstaat, Arbeitsleistung, Arbeit, Zahlung, Anerkennung, Hoheitsgebiet, Berufung, Fahrer, Verfahren, Klage, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, Gericht eines Mitgliedstaats, Freistaat Bayern

Aktenzeichen  6 Ca 877/20

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41705
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Das Arbeitsgericht Regensburg – Kammer Landshut – ist international zuständig.
2. Der Streitwert für dieses Zwischenurteil wird auf 11.262 € festgesetzt.

Gründe

I.
Das Arbeitsgericht Regensburg – Kammer Landshut – ist für den vorliegenden Rechtsstreit international zuständig. Dies war durch Zwischenurteil auszusprechen, nachdem das Gericht die Verhandlung gemäß § 280 ZPO, § 46 Abs. 2 ArbGG auf die Zulässigkeit der Klage hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit beschränkt hat.
1. Die internationale Zuständigkeit für das vorliegende Verfahren bestimmt sich nach der EuGVVO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen).
2. Die EuGVVO ist seit ihrem Inkrafttreten in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EU (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO ist diese sachlich anzuwenden, da die Parteien eine zivilrechtliche Streitigkeit führen, wozu auch arbeitsrechtliche Streitigkeiten gehören. Ferner handelt es sich auch um eine Streitigkeit mit Auslandsbezug, weil die Beklagte ihren Sitz in Polen hat.
3. Die internationale Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Regensburg – Kammer Landshut – richtet sich vorliegend nach Abschnitt 5 der EuGVVO (Art. 20 bis 23) und folgt in diesem Fall aus Art. 21 Abs. 1 lit. b (i) EuGVVO.
a) Ein ausschließlicher Gerichtsstand gemäß Art. 24 EuGVVO ist nicht gegeben.
b) Nach Art. 21 Abs. 1 lit. b (i) EuGVVO kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, verklagt werden.
aa) Der Anwendungsbereich von Art. 20 bis 23 EuGVVO ist vorliegend eröffnet. Ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand ist zwar streitig. Im Rahmen der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit genügt jedoch im vorliegenden Fall der schlüssige Vortrag der Klägerin, es habe ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten bestanden.
(1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH v. 28.01.2015 – C- 375/13 -, Rn. 65, juris) ist es im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeit nach der EuGVVO nicht erforderlich, zu strittigen Tatsachen, die sowohl für die Frage der Zuständigkeit als auch für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs von Relevanz sind, ein umfassendes Beweisverfahren durchzuführen. Dem angerufenen Gericht steht jedoch frei, seine internationale Zuständigkeit im Licht aller ihm vorliegenden Informationen zu prüfen, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören. Diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist vergleichbar mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die hinsichtlich der Rechtswegzuständigkeit zwischen drei Fallgruppen (sicnon, et-et und aut-aut) unterscheidet (vgl. BAG v. 21.01.2019 – 9 AZB 23/18 -, BAGE 165, 61-73, Rn. 20; BAG v. 08.09.2015 – 9 AZB 21/15 -, Rn. 18, juris). Es ist daher naheliegend, die drei vorgenannten Fallgruppen vorliegend auch im Rahmen der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit heranzuziehen (LAG Bremen v. 30.10.2018 – 1 Sa 157/17 -, Rn. 59, juris).
(2) Vorliegend begehrt die Klägerin nur noch die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Hierbei handelt es sich um eine sic-non-Fallgestaltung, weil der gesetzliche Mindestlohn nur Arbeitnehmern (§ 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG; sowie unter Umständen auch Praktikanten, § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG) zusteht, somit das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung für die Begründetheit der Klage und damit die Arbeitnehmereigenschaft eine doppelrelevante Tatsache ist (vgl. LAG Köln v. 30.09.2020 – 9 Ta 117/20 -, Rn. 22, juris; LAG Berlin-Brandenburg v. 13.12.2019 – 12 Ta 2007/19 -, Rn. 16, juris).
(a) In sic-non-Fällen, also wenn die Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist, reicht die bloße Rechtsbehauptung des Klägers, er sei Arbeitnehmer, in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten zur Begründung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit aus (BAG v. 24.04.1996 – 5 AZB 25/95 -, Rn. 42, juris). Hierzu bedarf es eines schlüssigen Vortrags des Klägers (a.a.O., Rn. 39). Diesen hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren erbracht.
(aa) Nach § 611a Abs. 1 BGB wird ein Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet (S. 1). Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen (S. 2). Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmten kann (S. 3). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab (S. 4). Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen (S. 5). Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an (S. 6).
(bb) In der Gesamtschau kann, selbst wenn ein freier Dienstvertrag abgeschlossen worden sein sollte, auf Basis des klägerischen Vortrags hinsichtlich der tatsächlichen Vertragsdurchführung nur ein Arbeitsverhältnis angenommen werden. Die Klägerin hat substantiiert vorgetragen, dass ihr seitens der Beklagten sowohl der Arbeitsort als auch die Arbeitszeit wie auch die Verweildauer an einem Arbeitsort vorgegeben wurden. Die Klägerin konnte nach ihrem eigenen Vortrag in keiner Weise Einfluss darauf nehmen, wo sie als nächstes oder für wie lange sie an einem Ort arbeiten möchte. Nach ihrem Vortrag wurde die Klägerin vielmehr im freien Belieben der Beklagten an verschiedenen Orten im Freistaat Bayern eingesetzt. Ferner trägt die Klägerin vor, dass ihr seitens der Beklagten Vorgaben hinsichtlich Umgangsformen und Hygiene gemacht wurden, sodass die Arbeitsleistung im Allgemeinen auch inhaltliche Konkretisierungen erfuhr. Dass die Klägerin in der täglichen Arbeit keinen konkreten Weisungen durch die Beklagte unterlag, solche wurden jedenfalls nicht vorgetragen, ist nicht hinderlich, sondern vielmehr typisch in Fallkonstellationen, in denen der Arbeitnehmer im Außendienst tätig ist und nicht der ständigen Kontrolle durch den Arbeitgeber unterliegt.
bb) Die Klägerin hat zudem im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. b (i) EuGVVO ihre Arbeit zuletzt gewöhnlich an einem Ort verrichtet, der im Zuständigkeitsbereich des Arbeitsgerichts Regensburg – Kammer Landshut – liegt, nämlich …
(1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dienen die Vorschriften des 5. Abschnitts der EuGVVO dazu, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, seinen Arbeitgeber vor dem Gericht zu verklagen, das ihm seiner Ansicht nach am nächsten steht, indem sie ihm die Befugnis einräumen, vor einem Gericht des Ortes eines Mitgliedstaats zu klagen, an dem er z. B. die Arbeit gewöhnlicher Weise verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat (EuGH v. 14.09.2017 – C-168/16 und C-169/16 -, Rn. 50, juris). Dabei hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass das vorgenannte Kriterium weit auszulegen ist (a.a.O., Rn. 57). Bei einem Arbeitsvertrag, der im Hoheitsgebiet mehrerer Vertragsstaaten erfüllt wurde, ist es dabei notwendig, den Ort zu bestimmen, mit dem der Rechtsstreit die engste Verknüpfung aufweist, um so das zur Entscheidung des Rechtsstreits aufgrund seiner Lage am besten geeignete Gericht zu bezeichnen und dem Arbeitnehmer als der sozial schwächeren Partei einen angemessenen Schutz zu gewährleisten sowie eine Häufung von Gerichtsständen zu vermeiden (a. a. O., Rn. 58). Es gehe dabei um den Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfülle. Denn an diesem Ort könne der Arbeitnehmer mit dem geringsten Kostenaufwand Klage gegen seinen Arbeitgeber erheben und das Gericht dieses Ortes ist am besten zur Entscheidung eines Rechtsstreits befähigt, der den Arbeitsvertrag betrifft (a. a. O., Rn. 58). Bei kurzen Arbeitsverhältnissen mit wechselndem Arbeitseinsatz an verschiedenen Orten ist es zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dabei zweckdienlich, auf den Ort abzustellen, an welchem der Arbeitnehmer während des Bestands des Arbeitsverhältnisses überwiegend eingesetzt war (vgl. BAG v. 29.05.2002 – 5 AZR 141/01 -, BAGE 101, 244-246, Rn. 14; EuGH v. 27.02.2002 – C- 37/00 -, juris). Dabei wird in der Literatur vertreten, dass der Arbeitnehmer wenigstens 60% seiner Arbeit an diesem Ort verrichten muss (Makridou ZZPInt 15 (2010), 199 (206 f.) zit. nach MüKoZPO/Gottwald, 5. Aufl. 2017, Brüssel Ia-VO Art. 21 Rn. 6). Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht die Zuständigkeit am letzten gewöhnlichen Arbeitsort (MüKoZPO/Gottwald, 5. Aufl. 2017, Brüssel Ia-VO Art. 21 Rn. 10).
(2) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen war festzustellen, dass …, das sich im Zuständigkeitsbereich des Arbeitsgerichts Regensburg – Kammer Landshut – befindet, als der Ort zu bestimmen war, an dem die Klägerin zuletzt für gewöhnlich ihre Tätigkeit ausgeübt hat, Art. 21 Abs. 1 lit. b (i) EuGVVO.
(a) Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin ihre Arbeitsleistung (abgesehen von der kurzen Schulung in Rumänien) ausschließlich in Deutschland erbracht hat. Ferner war die Klägerin unstreitig den weit überwiegenden Teil des Arbeitsverhältnisses in …eingesetzt.
Dort arbeitete sie an 50 von den insgesamt 66 Tagen, die das Vertragsverhältnis tatsächlich gelebt wurde. Somit auch mehr als 60% der Arbeitsleistung, sodass es dahinstehen kann, ob diese Grenze tatsächlich heranzuziehen ist. Ein anderer Ort, zu dem die Klägerin einen engeren Bindungsort aufweisen könnte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere weist die Tätigkeit der Klägerin auch keinen engeren Bezug zu Polen auf. Zwar ist der Sitz der Beklagten in Polen und es mögen auch die Telefonate mit der Klägerin aus Polen geführt worden sein, diese stellen jedoch nur einen vernachlässigbaren Zeitanteil dar. Gleiches gilt für die Schulung der Klägerin in Rumänien, die auch nur wenige Tage gedauert hat.
(b) Für die Frage der internationalen Zuständigkeit war es ferner nicht von Belang, dass die Beklagte vortragen ließ, dass die Tätigkeit in D^ … nicht gegenüber der Beklagten, sondern der erbracht worden sei. Auch hier genügt der schlüssige Vortrag der Klägerin. Oenn die Frage, für wen die Klägerin die Tätigkeiten erbracht hat, ist genauso eine Frage der internationalen Zuständigkeit wie der Begründetheit. Wenn die Klägerin die behaupteten Tätigkeiten entgegen ihres eigenen Vortrags nicht in Gänze in Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber der Beklagten erbracht haben sollte, wird sie insoweit unterliegen, weil jedenfalls die Beklagte dann nicht zur Lohnzahlung verpflichtet wäre. Es ist vor diesem Hintergrund nicht angezeigt, eine Fragestellung, die sich insbesondere in der Begründetheit stellt, im Rahmen der Entscheidung über die internationale Zuständigkeit zu prüfen, womöglich noch eine umfangreiche Beweisaufnahme durchzuführen, und dadurch die Prüfung der internationalen Zuständigkeit zu überfrachten.
(c) Oa vorliegend die Art. 20 bis 23 EuGVVO zur Anwendung kamen, konnte die Beklagte mit ihrem Einwand, es sei zuvor eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen worden, nicht durchdringen, denn eine vorherige Gerichtsstandsvereinbarung ist unzulässig nach Art. 23 Nr. 1 EuGVVO. Ourch die von der Beklagten vorgetragene Gerichtsstandsvereinbarung mit Gerichtsstand Polen wird der Klägerin auch nicht die Befugnis eingeräumt, andere als die im Abschnitt 45 EuGVVO geregelten Gerichte anzurufen, Art. 23 Nr. 2 EuGVVO.
II.
Eine Kostenentscheidung war im Zwischenurteil nicht zu treffen.
III.
Die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung beruht auf den Vorschriften der §§ 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO. Dabei hat das Gericht den Streitwert der Hauptsache zugrunde gelegt, da die Frage der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte das gesamte Verfahren betrifft.


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