Arbeitsrecht

Arbeitnehmer, Betriebsvereinbarung, Arbeitgeber, Einkommen, Betriebsrat, Inhaltskontrolle, Urlaubsanspruch, Mitbestimmungsrecht, Kurzarbeit, Arbeitsvertrag, Widerruf, Mitbestimmung, Direktionsrecht, Klausel, Treu und Glauben, berechtigtes Interesse, wirtschaftliche Lage

Aktenzeichen  33 Ca 13634/20

Datum:
19.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24333
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, den Urlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2020 infolge der im Zeitraum 01.07.2020 bis 30.11.2020 durchgeführten Kurzarbeit „Null“ um 12,5 Tage zu kürzen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 71,43 %, die Klägerin zu 28,57 %.
4. Der Streitwert wird auf 4.200 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die Klage hat überwiegend Erfolg.
I.
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, § 2 Abs. 1 Nr. 3a) ArbGG.
II.
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 12, 17 ZPO.
III.
Der Feststellungsantrag der Klägerin ist in der zuletzt gestellten Fassung zulässig. Die Voraussetzungen von § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, §§ 256 Abs. 1, 495 Abs. 1 S. ZPO liegen vor. Das Bestehen eines Urlaubsanspruchs kann im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden, denn der Umfang des Urlaubsanspruchs ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Der Vorrang der Leistungsklage gilt nur, wenn ein Urlaubsantrag für einen konkreten Urlaubszeitraum gestellt wird. Die Klägerin hat aber ein Interesse daran, unabhängig von einem derartigen konkreten Urlaubsantrag bereits vorab den Umfang des ihr zustehenden Urlaubs klären zu lassen (vgl. LAG Düsseldorf vom 12.03.2021 – 6 Sa 824/20 Rn. 23). Das besondere Feststellungsinteresse gem. § 256 Abs. 1 ZPO ergibt sich daraus, dass zwischen den Parteien einzig der Umfang des Urlaubsanspruchs streitig ist. Dabei ergibt sich aus der Klagebegründung, dass sich die Streitigkeit allein auf die mit der angeordneten Kurzarbeit in den Monaten Mai bis November einhergehende Kürzung seitens der Beklagten bezieht (was daher zur Klarstellung auch im Tenor seinen Niederschlag findet) und ein hierauf bezogenes Feststellungsurteil geeignet ist, den Streit um den Urlaubsanspruch für das Jahr 2020 beizulegen und weitere Prozesse in Bezug darauf zwischen den Parteien zu vermeiden. Das rechtfertigt die Annahme eines rechtlichen Interesses.
IV.
Die Klage ist überwiegend begründet. Entgegen der Ansicht der Klägerin wurde Kurzarbeit ordnungsgemäß eingeführt und es kann daher der Urlaub für Zeiten der Kurzarbeit „Null“ anteilig gekürzt werden. Jedoch war die Beklagte nicht berechtigt, den Urlaubsanspruch der Klägerin für die Monate Juli bis November 2020 zu kürzen, weil die konkrete Anordnung der Kurzarbeit gegenüber der Klägerin in diesen Monaten nicht billigem Ermessen entsprach.
1. Die Einführung von Kurzarbeit wurde zwischen den Parteien wirksam vereinbart. Insbesondere verstößt die Vereinbarung, die für eine Vielzahl von Fällen gelten soll, nicht gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
a) Rechtsgrundlage für die Einführung von Kurzarbeit ist vorliegend eine individualvertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien. Sofern die Parteien keine Regelung im Arbeitsvertrag getroffen hatten, kann der Arbeitgeber entweder eine Änderung des Arbeitsvertrags mit dem Arbeitnehmer individuell vereinbaren oder es muss eine Änderungskündigung ausgesprochen werden. Die Beklagte hat mit ihrem an alle Arbeitnehmer gerichteten Schreiben vom 07.04.2020 angekündigt, dass wegen der Covid-19 Pandemie Kurzarbeit eingeführt werden soll. Dies erfolgte zu Recht nicht im Wege der Ausübung des Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO (vgl. BAG vom 27.01.1994 – 6 AZR 541/93 unter II.2a der Gründe), sondern dadurch, dass die Arbeitnehmer unterschreiben sollen, sofern sie damit einverstanden sind. Da auch die Klägerin unterschrieben hat, wurde eine Änderung des Arbeitsvertrags herbeigeführt.
b) Die Vereinbarung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Sie hält insbesondere einer Kontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB stand.
aa) Es liegt eine Allgemeine Geschäftsbedingung vor, da das Schreiben der Beklagten für eine Vielzahl von Verträgen herangezogen und von ihr gestellt wurde (Vermutung gem. § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB).
bb) Die Klausel zur Einführung von Kurzarbeit unterliegt als eine von Rechtsvorschriften abweichende Bestimmung der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, § Abs. 3 S. 1 BGB. Einseitige Leistungsbestimmungsrechte, die dem Verwender das Recht einräumen, die Hauptleistungspflichten einzuschränken, zu verändern, auszugestalten oder zu modifizieren, unterliegen der Inhaltskontrolle. Sie weichen von dem allgemeinen Grundsatz pacta sunt servanda ab (BAG vom 24.01.2017 – 1 AZR 772/14 Rn. 12 zu Widerrufsvorbehalten); zudem wird der Änderungskündigungsschutz des § 2 KSchG unterlaufen. Auch die vorliegende Klausel ermöglicht es dem Arbeitgeber, einseitig in das Leistungsgefüge einzugreifen und durch die Anordnung von Kurzarbeit in einem von ihm zu bestimmenden Umfang Einfluss auf die Gegenleistung zu nehmen.
cc) Entgegen der Ansicht der Klägerin verstößt die Vereinbarung nicht gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.
(1) Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners klar und verständlich darzustellen. Eine Klausel, die die Rechtslage unzutreffend oder missverständlich darstellt und auf diese Weise dem Verwender ermöglicht, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die in der Klausel getroffene Regelung abzuwehren, und die geeignet ist, dessen Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abzuhalten, benachteiligt den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (BAG vom 22.10.2019 – 9 AZR 532/18 Rn. 37). Bei einer Klausel, die dem Arbeitgeber die Einführung von Kurzarbeit erlauben soll, erfordert es das Transparenzgebot, dass jedenfalls Anlass, zeitliche Dauer und Umfang einer möglichen Kurzarbeit angegeben werden (vgl. zu den Transparenzanforderungen im Falle eines Widerrufsvorbehaltes BAG vom 24.01.2017 – 1 AZR 772/14 Rn. 14 [es muss zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, z.B. wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers]; für eine Heranziehung dieser Maßstäbe auf Kurzarbeitsklauseln: Müller/Deeg, ArbRAktuell 2010, 209, 210; Schmeisser/Fauth COVuR 2020, 363, 366/367). Die Angabe, auf welchen Personenkreis sich die Kurzarbeit möglicherweise erstrecken wird bzw. die Angabe bestimmter Auswahlkriterien ist hingegen unter Transparenzgesichtspunkten nicht erforderlich. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in Bezug auf Betriebsvereinbarungen zu Einführung von Kurzarbeit ausgeführt, diese müssten (auch) eine Regelung zur Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer enthalten (BAG vom 18.11.2015 – 5 AZR 491/14). Dies ist aber auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im Falle der Einführung von Kurzarbeit durch Betriebsvereinbarung geht es um die Frage, ob eine wirksame Betriebsvereinbarung vorliegt, d.h. insbesondere auch, dass der Betriebsrat die sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ergebenden zwingenden Mitbestimmungsrechte ausgeübt und sich nicht seines Mitbestimmungsrechts begeben hat. Die Arbeitnehmervertretung kann nämlich über ihr Mitbestimmungsrecht im Interesse der Arbeitnehmer nicht in der Weise verfügen, dass sie in der Substanz auf die ihr gesetzlich obliegende Mitbestimmung verzichtet (BAG vom 26.04.2005 – 1 AZR 76/04). Unter diesem Gesichtspunkt mag es gerechtfertigt sein, für die Auswahl der in Zukunft möglicherweise betroffenen Arbeitnehmer bereits in der Betriebsvereinbarung Kriterien festzulegen und dies nicht allein dem Arbeitgeber zu überlassen. Die Betriebsvereinbarung unterliegt aber wegen § 310 Abs. 4 S. 1 BGB keiner Kontrolle anhand des Transparenzgebotes des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Dies ist allein bei individualvertraglichen Regelungen der Maßstab. Transparent ist aber auch eine Regelung, die den Kreis der Arbeitnehmer unbestimmt lässt, solange im Übrigen die möglichen Gründe für die Kurzarbeitsanordnung und ihr zeitlicher Umfang bestimmt und – wie vorliegend – darüber hinaus der zeitliche Rahmen (hier 01.04.2020 bis 31.12.2020) eng gefasst ist. Bei der konkreten Auswahl der Arbeitnehmer ist dieser nicht schutzlos gestellt, sondern es erfolgt eine Ausübungskontrolle in Bezug auf den betroffenen Personenkreis und die Art und Weise der Einbeziehung der Arbeitnehmer durch das Direktionsrecht nach § 106 S. 1 GewO, § 315 Abs. 3 S. 1 BGB (siehe dazu unten).
(2) Unter Beachtung dieses Maßstabs ist die vorliegende Klausel nicht intransparent. Sie enthält eine Begründung, aus welchem Anlass Kurzarbeit eingeführt werden soll („aufgrund des Wegfalls von festeingeplanten Aufträgen“), ab wann sie beginnt (April) und wann sie endet (Dezember), welche Arbeitnehmer davon betroffen sind (zunächst an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerichtet) und dass die Höhe der Kurzarbeit je nach Auftragslage festgesetzt wird. Dass die Kurzarbeit „bis hin zur Kurzarbeit null reichen“ kann, ist nicht schädlich, weil für die betroffenen Arbeitnehmer erkennbar ist, dass auch Kurzarbeit „Null“ für den gesamten zeitlich genannten Rahmen angeordnet werden kann, wenn sie unterschreiben. Insgesamt ist für den betroffenen Arbeitsnehmer ersichtlich, welche Rechtsfolgen er zu gewärtigen hat, wenn er die Vereinbarung unterschreibt.
dd) Die Klausel benachteiligt die Klägerin auch nicht unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB.
(1) Unangemessen ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwerte Vorteile ausgeglichen werden. Dies ist aufgrund einer umfassenden Würdigung der beiderseitigen Positionen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben festzustellen, wobei ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen ist. Zu prüfen ist, ob der Klauselinhalt bei der in Rede stehenden Art des Rechtsgeschäfts generell und unter Berücksichtigung der typischen Interessen der beteiligten Verkehrskreise eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners ergibt (BAG vom 04.03.2004 – 8 AZR 196/03).
(2) Die einseitige Änderungsmöglichkeit verbunden mit der Lohnabsenkung beeinträchtigt das Interesse der Arbeitnehmer, die wirtschaftlich in der Regel von der stetigen Zahlung des (vollen) Lohnes abhängig sind. Gleichzeitig ist ein berechtigtes Interesse eines Arbeitgebers anzuerkennen, zur Sicherung des Bestands des Betriebes und der Arbeitsverhältnisse in wirtschaftlichen Notlagen auf der Grundlage einer Vereinbarung Kurzarbeit einzuführen (LAG Berlin-Brandenburg vom 19.01.2011 – 17 Sa 2153/10). Dies gilt vorliegend umso mehr, weil die wirtschaftliche Lage angesichts der Auswirkungen der Covid-19 Pandemie, insbesondere mit dem Lockdown ab März 2020 in Deutschland, sehr angespannt war, zumal die Beklagte auch nicht in einem „systemrelevanten“ Bereich zuzuordnen ist. Mit dem Wegfall von Aufträgen war zu rechnen, ohne dass absehbar sein konnte, wie sich die Situation entwickelte. Es ist daher nachvollziehbar und nicht zu beanstanden, dass die Beklagte für die kommenden Monate ab April 2020 zumindest bis zum Jahresende eine stärkere Flexibilität erhalten wollte, d.h. den Arbeitsumfang (und damit die Personalkosten) je nach Auftragslage zu gestalten. Angesichts dieser Umstände ist es vorliegend auch unschädlich, dass die Regelung keine Ankündigungsfrist für die konkrete Anordnung von Kurzarbeit vorsieht (a.A. LAG Berlin-Brandenburg vom 19.01.2011 – 17 Sa 2153/10, wobei allerdings im dortigen Fall die Klausel überhaupt keine Eingrenzungen beinhaltete, sodass die Kammer nicht einmal ein Mindestmaß an Planungssicherheit für die dortige Klägerin gegeben sah). Die Einführung von Kurzarbeit eröffnet eine Hilfsmöglichkeit von staatlicher Seite (§§ 95 ff. SGB III). Es geht darum, schnell auf geänderte betriebliche Umstände zu reagieren. Das generelle Verlangen einer Ankündigungsfrist könnte demgegenüber das Regelungsziel der Kurzarbeit unterlaufen (Fuhlrott ArbRAktuell 2021, 225). Im laufenden Arbeitsverhältnis steht es dem Arbeitnehmer zudem frei, ob er die jeweilige Vereinbarung – ohne Ankündigungsfrist – unterzeichnet oder nicht (Fuhlrott ArbRAktuell 2021, 225). Im vorliegenden Fall führt daher das Fehlen einer Ankündigungsfrist nicht zur Unangemessenheit der Klausel, weil die geschilderten Umstände der Covid-19 Pandemie ein anerkennenswertes Interesse für den Arbeitgeber darstellen, schnell auf die sich rasant ändernde Lage ab März 2020 zu reagieren und die Beklagte sich zudem darauf beschränkt hat, die kurzfristig einführbare Kurzarbeit auf die Monate bis zum Jahresende zu begrenzen.
2. Für den Zeitraum der auf Basis der wirksamen Vereinbarung durchgeführten Kurzarbeit „Null“ ist der Jahresurlaubsanspruch des betroffenen Arbeitnehmers grundsätzlich anteilig zu kürzen.
a) § 3 Abs. 1 BurlG regelt diese Verknüpfung von Arbeitspflicht und Urlaubstagen nicht ausdrücklich. Sie folgt jedoch aus einer insbesondere an Sinn und Zweck des Urlaubsanspruchs ausgerichteten Auslegung der Bestimmung. Bereits der Wortlaut von § 1 und § 3 Abs. 1 BUrlG bietet Anhaltspunkte für eine Verknüpfung der Anzahl der Urlaubstage mit der Anzahl der Tage, an denen eine Arbeitspflicht besteht. Die Verwendung des Begriffs „Erholungsurlaub“ in § 1 BUrlG legt ein solches Verständnis nahe. Zudem spricht das Abstellen auf „Werktage“ und nicht auf „Kalendertage“ in § 3 Abs. 1 BUrlG dafür, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung der dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaubstage entsprechend dem Regelfall bei Inkrafttreten des Bundesurlaubsgesetzes von einer an sechs Tagen der Woche bestehenden Arbeitspflicht ausging. Die Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub setzt zudem voraus, dass der Arbeitnehmer durch eine Freistellungserklärung des Arbeitgebers zu Erholungszwecken von seiner sonst bestehenden Arbeitspflicht befreit wird. Entscheidend für die Abhängigkeit der Anzahl der Urlaubstage von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht spricht der Erholungszweck des gesetzlichen Anspruchs auf Mindesturlaub, der in den Gesetzesmaterialien und § 8 BUrlG seinen Ausdruck gefunden hat. Der Ausschuss für Arbeit des Deutschen Bundestags führte zur Begründung des von ihm vorgeschlagenen, später verabschiedeten Entwurfs des Bundesurlaubsgesetzes in seinem schriftlichen Bericht vom 29.11.1962 aus, der Mindesturlaub diene „der Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft“. Mit der in § 3 Abs. 1 BurlG vorgesehenen Mindestanzahl von Urlaubstagen solle angesichts einer gestiegenen „Arbeitsbelastung der Menschen in der modernen Wirtschaft“ dem „Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer … Rechnung getragen“ werden (BT-Drs. IV/785, 1 f.). Das Ziel, es dem Arbeitnehmer durch Urlaubsgewährung zu ermöglichen, sich zu erholen, setzt voraus, dass der Arbeitnehmer verpflichtet war, eine Tätigkeit auszuüben. Dementsprechend verpflichtet § 8 BurlG den Arbeitnehmer, während des Urlaubs keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit zu leisten (BAG vom 19.03.2019 – 9 AZR 406/17 Rn. 23 ff.).
b) Basierend auf diesen dargestellten Grundsätzen hat die Rechtsprechung bereits für mehrere Fallgestaltungen, in denen die Arbeitspflicht suspendiert worden ist, angenommen, dass diese Zeiträume zu einer Verminderung des Urlaubsanspruchs führen. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für Zeiten, in denen ein unbezahlter Sonderurlaub vereinbart wird (BAG vom 19.03.2019 – 9 AZR 406/17) oder für die Freistellungsphase einer Altersteilzeit im Blockmodell (BAG vom 03.12.2019 – 9 AZR 33/19). Jedenfalls für die Fälle, in denen konjunkturbedingt für ganze Kalendermonate Kurzarbeit „Null“ vereinbart worden ist, gilt nichts anderes (LAG Düsseldorf vom 12.03.2021 – 6 Sa 824/20 Rn. 35 ff., mit umfassender Darstellung des Meinungsstandes auch in der Literatur). Mit Kurzarbeit „Null“ einigen sich die Parteien auf eine vorübergehende Suspendierung der Arbeitspflicht. Während dieser Dauer ist der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet. Der Erholungszweck kann in den Monaten mit Kurzarbeit „Null“ nicht erreicht werden, sodass eine Kürzung mit dem Gesetzeszweck grundsätzlich vereinbar ist.
c) Die Kürzung des Urlaubsanspruchs bei Kurzarbeit „Null“ steht im Einklang mit dem Unionsrecht. Der EuGH hat mit der Entscheidung vom 13.12.2018 (C-385/17) festgestellt, dass der Zweck des in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub darin bestehe, dass eine Erholung des Arbeitnehmers von der Arbeit erfolgen kann. Dieser Erholungszweck kann während der Monate, in denen Kurzarbeit „Null“ vereinbart wurde, nicht eintreten (LAG Düsseldorf vom 12.03.2021 – 6 Sa 824/20).
d) Es gibt auch keine sonstigen Normen, die einer Kürzung des Urlaubsanspruchs infolge der Vereinbarung konjunktureller Kurzarbeit entgegenstehen. Das Bundesurlaubsgesetz enthält insoweit diesbezüglich keine Sonderregelungen. Soweit in § 11 Abs. 1 S. 3 BurlG geregelt ist, dass Verdienstkürzungen infolge Kurzarbeit bei der Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht zu haben bleiben, betrifft dies nach Überschrift, Wortlaut und Gesetzessystematik nur die Höhe der Urlaubsvergütung, nicht die davon zu trennende Frage, wie viele Urlaubstage dem Arbeitnehmer zustehen (LAG Düsseldorf vom 12.03.2021 – 6 Sa 824/20 Rn. 42 f.). Eine Kürzung des Urlaubsanspruchs ist dem Gesetz auch nicht fremd. Insbesondere befinden sich derartige Regelungen beispielsweise in § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG, § 4 Abs. 4 PflegeZG.
e) Auch der Vortrag der Klägerin, dass eine Erholung nicht möglich sei, weil die Kurzarbeit „Null“ vorzeitig beendet werden könne, steht der Kürzung nicht entgegen. Insbesondere besteht keine Vergleichbarkeit zur Rechtsprechung des BAG der widerruflichen Freistellung (hierzu BAG vom 19.05.2009 – 9 AZR 433/08). Für die Frage der Entstehung des Urlaubsanspruchs kommt es allein auf die Arbeitspflicht, nicht auf die Frage des konkreten Erholungserfolgs des jeweiligen Arbeitnehmers an (LAG Düsseldorf vom 12.3.2021 – 6 Sa 824/20 Rn. 46). Bei Kurzarbeit „Null“ ist die Arbeitspflicht suspendiert, dies ist entscheidend und ausreichend für die anzunehmende Kürzung. Vorliegend hat die Beklagte zudem mitgeteilt, dass die Anordnung von Kurzarbeit „Null“ mit einer Ankündigungsfrist von ein bis zwei Wochen geändert würde.
f) Bei 30 vereinbarten Urlaubstagen ist folglich eine Kürzung von 2,5 Urlaubstagen pro Monat, in dem Kurzarbeit „Null“ vorlag, rechtmäßig (30 Urlaubstage : 12 Monate).
3. Die Kürzung kann nur erfolgen, soweit die konkrete Anordnung der Kurzarbeit unter Beachtung der § 106 S. 1 GewO, § 315 Abs. 3 S. 1 BGB einer Ausübungskontrolle standhält. Dies ist vorliegend für die Monate Mai und Juni 2020 erfüllt, nicht hingegen für die Monate Juli bis November 2020, sodass sich im Ergebnis eine Kürzung von 2,5 Tagen × zwei Monaten = fünf Urlaubstage ergibt. Im Umfang von 2,5 Tagen × fünf Monate = 12,5 Urlaubstagen war die Kürzung nicht zulässig.
a) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist bei einer personellen Auswahlentscheidung wie der vorliegenden nicht der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz heranzuziehen. Die Beklagte hat hier jeweils pro Monat ihr Direktionsrecht dahingehend auszuüben, ob sie einem Arbeitnehmer Arbeit zuweist oder nicht; das erfordert eine – einseitige – Leistungsbestimmung der Beklagten in Bezug auf die kraft Vereinbarung mögliche Anordnung von Kurzarbeit. Maßstab hierfür sind die § 106 S. 1 GewO, § 315 Abs. 3 S. 1 BGB. Zwar kann die Berücksichtigung schutzwürdiger Belange des Arbeitnehmers bei der Ausübung des Direktionsrechts auch eine personelle Auswahlentscheidung des Arbeitgebers gegen den Willen eines anderen Arbeitnehmers erfordern, dessen Interessen weniger schutzwürdig sind. Für eine solche personelle Auswahlentscheidung gelten nicht etwa die Grundsätze zur sozialen Auswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung; es ist daher in einem solchen Fall auch keine soziale Auswahl in entsprechender Anwendung von § 1 Abs. 3 KSchG zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern durchzuführen (BAG vom 23.09.2004 – 6 AZR 567/03).
b) Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Der Arbeitgeber darf sein Weisungsrecht außerdem nur nach billigem Ermessen ausüben, § 315 BGB. Dies verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG vom 13.06.2012 – 10 AZR 296/11). Für die Feststellung, ob die Grenzen billigen Ermessens gewahrt oder überschritten sind, kommt es damit nicht unmittelbar auf eine Abwägung der Interessenlage verschiedener Arbeitnehmer an. Auch dann, wenn berechtigte Belange eines von einer Anordnung des Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmers geringfügig schutzwürdiger sind als die eines von der Weisung nicht betroffenen Arbeitnehmers, kann die Ausübung des Direktionsrechts noch billigem Ermessen entsprechen, wenn der Arbeitgeber ein anzuerkennendes eigenes Interesse verfolgt (BAG vom 23.09.2004 – 6 AZR 567/03). Der Arbeitgeber, der sich auf die Wirksamkeit einer an § 106 GewO zu messenden Maßnahme beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 106 GewO (BAG vom 21.07.2009 – 9 AZR 404/08 Rn. 23).
c) Danach entsprach die Anordnung von Kurzarbeit gegenüber der Klägerin nur für die Monate Mai und Juni 2020 billigem Ermessen, nicht aber für den weiteren Zeitraum bis November 2020.
aa) Wie aus der Übersicht zu den Arbeits- bzw. Einsatztagen der … und damit einhergehenden Auftragslage bei der Beklagten ersichtlich, war der Arbeitsanfall in den Monaten Mai und Juni 2020 stark zurückgegangen. Nach insoweit unbestrittenem Vortrag der Beklagten wurden in diesem Zeitraum lediglich Restaufträge abgearbeitet. Diesbezüglich ist das von der Beklagten vorgetragene betriebliche Interesse anzuerkennen, die bereits bis dahin mit den Aufträgen befassten Mitarbeiter diese zu Ende bringen zu lassen, um nicht – im Verhältnis zur Restarbeitsmenge (insgesamt zwei Arbeitstage im Mai und neun Arbeitstage im Juni in der gesamten Abteilung) – unangemessenen zusätzliche Kosten dadurch zu generieren, dass ein Mitarbeiter den anderen in den Sachstand einweisen und dieser neue sich einarbeiten muss.
bb) Im Juli bis November 2020 konnten hingegen drei von fünf … in einem nicht unerheblichen Umfang beschäftigt werden. Die Beklagte hat insoweit vorgetragen, „ab August“ seien „weitere“ Aufträge erteilt worden, ohne dies näher darzulegen. Allerdings ergeben sich aus der Liste mit den Arbeitstagen der Abteilung bereits im Juli 32 Arbeitstage, ebenso dann für den August 2020. Dieser Arbeitsumfang wurde aber nur auf drei (anstatt auf fünf) Arbeitnehmer aufgeteilt, d.h. dass für drei Mitarbeiter nicht Kurzarbeit „Null“ angeordnet wurde. Das gleiche Bild zeigt sich in den Monaten September (13 Arbeitstage) und dann nochmal deutlich Oktober (22 Arbeitstage) und November (48 Arbeitstage). Die Klägerin wurde im gesamten Zeitraum Juli bis November 2020 für keinen Arbeitstag eingeteilt, wohingegen ein anderer Arbeitnehmer (…) auf insgesamt 56 Arbeitstage in diesem Zeitraum kam, gefolgt von Herrn … mit 43 Arbeitstagen und … mit 38 Arbeitstagen. Ein betriebliches Interesse für die Nichtberücksichtigung der Klägerin bei der Verteilung der „weiteren“ Arbeitsaufträge ist nicht hinreichend dargetan. Auf den Einwand der Klägerin, dass auch mehrere Konstrukteure an einem Auftrag arbeiten könnten, indem jeder ein bestimmtes Teil konstruiert, hat die Beklagte lediglich darauf abgestellt, das müsse „umfangreich abgesprochen und immer wieder abgestimmt werden“, ohne den diesbezüglichen Aufwand näher darzulegen. Insbesondere ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, ob es sich hier wirklich nur um drei Aufträge (an denen dann die Mitarbeiter … eingesetzt wurden, handelte; sollte es sich um mehr Aufträge gehandelt haben, wäre auch ein Wechsel der Mitarbeiter in Betracht gekommen. Die hier pauschal bleibenden Ausführungen der Beklagten genügen nicht der Darlegungslast. Insbesondere ist der Einwand der Beklagten nicht überzeugend, dass aus Solidaritätsgründen nur den Arbeitnehmern die Auftragsbearbeitung (im Homeoffice) ermöglicht wurde, die weniger verdienen als die Klägerin. Die damit einhergehende Kostenersparnis der Beklagten nimmt zu einseitig die betrieblichen Interessen zulasten der Klägerin in den Blick. Dies kann nicht dazu führen, dass für die Klägerin pauschal Kurzarbeit „Null“ angeordnet werden darf, wohingegen die anderen Arbeitnehmer weiterhin arbeiten durften und mithin den Urlaubsanspruch nicht verloren haben. Auch die Schwangerschaft der Klägerin führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Die Beklagte scheint daran möglicherweise eine erhöhte Schutzbedürftigkeit zu knüpfen, die einem Arbeiten vor Ort entgegensteht- ohne dass dies konkret dargelegt oder belegt wäre; ohnehin hat die Beklagte aber eingeräumt, dass eine Homeoffice-Tätigkeit grundsätzlich möglich gewesen wäre. Auch hier fehlt es wieder an einem nachvollziehbaren betrieblichen Interesse, warum der Klägerin diese Möglichkeit nicht eröffnet wurde.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 1 Alt. 2 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.
Die Voraussetzungen für eine gesonderte Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG sind nicht gegeben.
Gegen diese Entscheidung können beide Parteien nach Maßgabe der folgenden Rechtsmittelbelehrung Berufung einlegen.


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