Arbeitsrecht

Arbeitnehmer, Betriebsvereinbarung, Einigungsstelle, Betriebsrat, Arbeitgeber, Gesamtbetriebsvereinbarung, Zustimmung, Beschwerde, Mitbestimmung, Antragsteller, Quartal, Mitbestimmungsrecht, Erteilung, Gesamtbetriebsrat, Beschwerde einlegen

Aktenzeichen  10 BV 21/21

Datum:
19.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 39571
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag wird in sämtlichen Einzelanträgen zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in AStadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen, Zielerreichungsprämien und sonstige Bonuszahlungen“.
A. Im Frühjahr 2021 entdeckte der Antragsteller im Intranet der Antragsgegnerin, Mitteilungen, dass optional im dritten Quartal 2021 über individuelle Gehaltsanpassungen gesprochen werden soll.
Gemäß Mitteilung des Antragstellers vom 03.05.2021 erklärte diese, dass hierdurch Mitbestimmungsrechte des Antragstellers berührt werden. Der Antragsteller forderte in dieser Mitteilung die Antragsgegnerin zu Verhandlungen auf, falls bis 14.05.2021 keine Reaktion erfolge, werde die Einigungsstelle angerufen.
Gemäß E-Mail der Antragsgegnerin vom 16.06.2021 teilte diese dem Antragsteller mit, dass man ein Entgeltkonzept erarbeite, das dem Antragsteller im dritten Quartal 2021 vorgelegt werde.
Zwischen den Beteiligten wurden sodann diverse E-Mails ausgetauscht, ohne dass eine Einigung erzielt werden konnte.
Mit E-Mail des Antragstellers vom 27.07.2021 forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin auf, der Einrichtung einer Einigungsstelle zuzustimmen und mindestens fünf mögliche Einigungsstellenvorsitzende zu benennen.
Die Antragsgegnerin antwortete mit E-Mail vom 04.08.2021 dahingehend, dass ein Konzept für die Entlohnungsgrundsätze erarbeitet werde und dieses dem Antragsteller vorgelegt werde.
Mit Email des Antragstellers vom 06.08.2021 teilte dieser der Antragsgegnerin mit, dass Regelungsgegenstand einer Betriebsvereinbarung auch Gehaltserhöhungen für 2021 sein sollen.
In einer von der Antragsgegnerin initiierten Videokonferenz vom 12.08.2021 teilte der Personalleiter der Antragsgegnerin mit, dass es für 2021 Gehaltserhöhungen gäbe, diese jedoch lediglich als individuelle Vereinbarungen zwischen der Antragsgegnerin und den Mitarbeitern zu betrachten seien und dies auch für Zielvereinbarungen und Bonuszahlungen gelte, so dass ein Mitbestimmungsrecht des Antragstellers nicht gegeben sei.
Unter dem 19.12.2017 war eine Gesamtbetriebsvereinbarung über individuell vereinbarte Leistungsziele (Zielvereinbarung) sowie der Entlohnungsgrundsätze bei Erreichung von vereinbarten Zielen (Tantiemeregelung) abgeschlossen worden.
Parteien dieser Gesamtbetriebsvereinbarung waren einerseits die Antragsgegnerin und die Firma E. und andererseits der Gesamtbetriebsrat der Antragsgegnerin.
B. Der Antragsteller trägt vor, er habe am 09.07.2021 beschlossen, insbesondere zu den Themen Gehaltserhöhungen und Leistungsentgelte ein Einigungsstelleneinsetzungsverfahren einzuleiten. Auf Anlage ASt1 zum Schriftsatz des Antragstellers vom 17.08.2021 wird Bezug genommen. Dieser Beschluss sei von dem Antragsteller mit Beschluss vom 13.08.2021 bestätigt worden.
C. Der Antragsteller beantragt,
1. Zum/zur Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in A-Stadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen, Zielerreichungsprämien und sonstige Bonuszahlungen“ wird ein Richter bzw. eine Richterin bzw. ein ehemaliger Richter bzw. eine ehemalige Richterin aus der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehaltlich dessen bzw. deren Zustimmung sowie vorbehaltlich der Erteilung einer eventuell erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigung bestellt.
Die von den Beteiligten in die Einigungsstelle zu entsendenden Beisitzer werden auf jeweils zwei festgesetzt.
2. Hilfsweise: Zum Vorsitzenden bzw. zur Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in A-Stadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen und sonstige Bonuszahlungen“ wird ein Richter bzw. eine Richterin bzw. ein ehemaliger Richter bzw. ehemalige Richterin aus der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehaltlich dessen bzw. deren Zustimmung sowie vorbehaltlich der Erteilung einer eventuell erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigung bestellt.
Die von den Beteiligten in die Einigungsstelle zu entsendenden Beisitzer werden auf jeweils zwei festgesetzt.
3. Hilfshilfsweise: Zum Vorsitzenden bzw. zur Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in A-Stadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen“ wird ein Richter bzw. eine Richterin bzw. ein ehemaliger Richter bzw. ehemalige Richterin aus der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehaltlich dessen bzw. deren Zustimmung sowie vorbehaltlich der Erteilung einer eventuell erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigung bestellt.
Die von den Beteiligten in die Einigungsstelle zu entsendenden Beisitzer werden auf jeweils zwei festgesetzt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge zurückzuwiesen.
D. Die Antragsgegnerin bestreitet die Beschlussfassung des Antragstellers zur Einleitung eines Einigungsstelleneinsetzungsverfahrens.
Sie meint, ein Rechtsschutzinteresse für die Anträge sei nicht gegeben; eine abschließende Stellungnahme, mit der das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers verneint werde, sei nicht getroffen worden.
In Ansehung der oben genannten Gesamtbetriebsvereinbarung vom 19.12.2017 sei die vom Antragsteller gewünschte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig. Die infrage stehenden Gehaltsanpassungen hätten keinen kollektiven Bezug.
Im Übrigen würde die Antragsgegnerin über die oben genannten Regelungsgegenstände nur eine unternehmensweite Regelung einführen wollen, so dass nicht die einzelnen Betriebsräte, sondern nur der Gesamtbetriebsrat zuständig sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten – einschließlich Anlagen – sowie im Übrigen auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Einzelanträge zu 1 bis 3 sind zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Einzelanträge zu 1 bis 3 liegen vor.
a) Die Anträge sind im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt.
Diese Bestimmung ist in Beschlussverfahren entsprechend anzuwenden (so z. B. BAG vom 03.05.2006, 1 ABR 360/04).
Der Regelungsgegenstand ist ausreichend konkretisiert; er bezieht sich auf die Strukturformen der in den Einzelanträgen genannten Vergütungen.
b) Ein ordnungsgemäßer Beschluss des Antragstellers zur Einleitung des Einigungsstelleneinsetzungsverfahrens liegt vor.
Die ordnungsgemäße Beschlussfassung wird durch den als Anlagen ASt1 vorgelegten Beschluss des Antragstellers vom 09.07.2021 hinreichend belegt.
Unerheblich bleibt daher, ob dieser Beschluss durch einen weiteren Beschluss des Antragstellers vom 13.08.2021 bestätigt wurde; es existiert jedenfalls kein Beschluss des Antragstellers, mit dem der Beschluss vom 09.07.2021 aufgehoben oder modifiziert wurde.
c) Für die Einzelanträge zu 1 bis 3 ist ein Rechtsschutzinteresse zu bejahen.
Für die Bildung einer Einigungsstelle nach § 100 ArbGG entfällt grundsätzlich das Rechtsschutzinteresse, wenn die Betriebsparteien in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit nicht den nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehenen Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen haben. Ein Rechtsschutzinteresse besteht nur, wenn der Antragsteller geltend macht, dass entweder die Gegenseite Verhandlungen über das Regelungsverlangen ausdrücklich oder konkludent verweigert hat oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind (so LAG Berlin-Brandenburg vom 23.07.2015, 26 TaBV 857/15).
Unter Berücksichtigung des oben dargestellten Ablaufs der Kommunikation zwischen den Beteiligten ist davon auszugehen, dass die Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung gescheitert sind.
2. Die Einzelanträge zu 1 bis 3 sind jedoch unbegründet.
Die von dem Antragsteller geforderte Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig im Sinne § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.
a) Das Mitbestimmungsrecht ergibt sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
Gemäß dieser Bestimmung hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und bei der Einführung und Anwendung neuer Entlohnungsmethoden. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist, das betriebliche Lohngefüge angemessen und durchsichtig zu gestalten und die betriebliche Lohn- und Verteilungsgerechtigkeit zu wahren. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist nicht die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts. Mitbestimmungspflichtig sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen. Mitbestimmungspflichtig ist auch die Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze durch den Arbeitgeber. Dabei kommt es für Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgte, ob etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. In allen Fällen unterliegt ihre Änderung der Mitbestimmung (so BAG vom 28.02.2006, 1 ABR 4/05).
Die von der Antragsgegnerin (möglicherweise) in Aussicht gestellten Änderungen der Vergütungen für einzelne Mitarbeiter haben einen kollektiven Bezug. Die einzelnen Arbeitnehmern gewährten Gehaltserhöhungen bzw. Gehaltsveränderungen wirken sich zwangsläufig auf die Vergütungsstruktur der im Betrieb der Antragsgegnerin (in A-Stadt) beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus.
b) Die oben genannte Gesamtbetriebsvereinbarung vom 19.12.2017 kann die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle nicht begründen.
Diese Gesamtbetriebsvereinbarung ist ihrerseits nach diesseitiger Auffassung offensichtlich unwirksam.
Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können; seine Zuständigkeit erstreckt sich insoweit auch auf Betriebe ohne Betriebsrat.
Demzufolge können Gesamtbetriebsvereinbarungen nur abgeschlossen werden zwischen dem Gesamtbetriebsrat und dem Arbeitgeber, bei dem der Gesamtbetriebsrat gebildet wurde.
Nicht möglich ist jedoch, eine Gesamtbetriebsvereinbarung unter Einbeziehung eines weiteren Arbeitgebers abzuschließen.
Diese Verkennung der Bestimmung des § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG führt zur offensichtlichen Unwirksamkeit der oben genannten Gesamtbetriebsvereinbarung.
c) Die von dem Antragsteller begehrte Einigungsstelle ist dennoch gemäß § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG offensichtlich nicht zuständig.
Das oben genannte Mitbestimmungsrecht kann von dem Betriebsrat im Betrieb der Antragsgegnerin in A-Stadt nicht wahrgenommen werden.
Bei (freiwilligen) Gehaltserhöhungen bzw. Gehaltsveränderungen kann der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, welches Gesamtvolumen er an welchen Adressatenkreis verteilen will. Erklärt der Arbeitgeber – wie hier – er wolle für die Regelungsgegenstände eine einheitliche Regelung für das Gesamtunternehmen, kann nur der Gesamtbetriebsrat das Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wahrnehmen (so BAG vom 11.02.1992, 1 ABR 51/91).
3. Das Verfahren ist gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.
Gegen diesen Beschluss kann der Antragsteller Beschwerde einlegen; für die Antragsgegnerin ist mangels Beschwer kein Rechtsmittel gegeben.
Im Einzelnen gilt folgendes:


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