Arbeitsrecht

Arbeitsleistung, Betriebsrat, Arbeitnehmer, Gemeinde, Versetzung, Beteiligung, Zuweisung, Gemeinschaftsbetrieb, Abordnung, Rechtsweg, Bestimmtheit, Arbeitsplatz, Antragsbefugnis, Verfahren, mitbestimmungspflichtige Versetzungen, Beteiligung des Betriebsrats

Aktenzeichen  3 BV 19/20

Datum:
30.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 52216
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, die Versetzung der Frau I. J. ab dem 01.03.2020 vom Standort Süd zum Standort Nord aufzuheben.
2. Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, die Versetzung des Herrn K. L. ab dem 01.03.2020 vom Standort Süd zum Standort Nord aufzuheben.
3. Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, die Versetzung des Herrn M. N. ab dem 01.03.2020 vom Standort Nord zum Standort Süd aufzuheben.

Gründe

I.
Mit seinem Antrag begehrt der Beteiligte zu 1 die Rückgängigmachung der Versetzungen von drei im Betrieb der Beteiligten zu 2 und 3 beschäftigten Mitarbeitern.
Der Beteiligte zu 1 ist der bei den Beteiligten zu 2 und 3 gebildete Betriebsrat. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind selbständige Gesellschaften, die gemeinsam einen Servicebereich betreiben und einen Gemeinschaftsbetrieb im Sinne des BetrVG bilden. Der Betrieb der Beteiligten zu 2 und 3 umfasst unter anderem einen Standort Nord und einen Standort Süd, die ca. 12 Kilometer voneinander entfernt sind und sich beide in der Stadt Nürnberg befinden.
Die Beteiligten zu 2 und 3 haben mit Wirkung zum 01.03.2020 zwei Mitarbeiter (Frau I. J., Herr K. L.) Tätigkeiten statt am Standort Süd am Standort Nord und einem Mitarbeiter (Herr M. N.) statt am Standort Nord am Standort Süd zugewiesen. Der Beteiligte zu 1 wurde jeweils nicht gemäß § 99 BetrVG beteiligt.
Die Mitarbeiter sind im Bereich des Kranken-/Warentransports beschäftigt und waren bislang ausschließlich an dem jeweiligen Standort eingesetzt. Ein standortübergreifender Einsatz der Mitarbeiter erfolgt nicht.
Nachdem eine außergerichtliche Verständigung nicht erzielt werden konnte, begehrt der Beteiligte zu 1 auf Grundlage eines Beschlusses vom 04.03.2020 mit seinem Antrag vom 06.04.2020, eingegangen beim Arbeitsgericht Nürnberg am selben Tag, die Rückgängigmachung der Versetzungen der Mitarbeiter.
Der Beteiligte zu 1 ist der Auffassung, dass allein infolge der Veränderung des Arbeitsortes eine Versetzung vorliege. Zudem liege eine Änderung in der Person des unmittelbaren Vorgesetzten vor und die Tätigkeit sei durch ihre räumliche Umgebung maßgebend verändert worden. Auch habe die zugewiesenen Tätigkeiten im Detail Änderungen erfahren. Auf eine erhebliche Änderung der Umstände der Erbringung der Arbeitsleistung komme es infolge des zeitlichen Umfangs der Zuweisung nicht an. Ein Bagatellfall liege nicht vor.
Der Beteiligte zu 1 beantragt,
1.Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, die Versetzung der Frau I. J. ab dem 01.03.2020 vom Standort Süd zum Standort Nord aufzuheben.
2.Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, die Versetzung des Herrn K. L. ab dem 01.03.2020 vom Standort Süd zum Standort Nord aufzuheben.
3.Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, die Versetzung des Herrn M. N. ab dem 01.03.2020 vom Standort Nord zum Standort Süd aufzuheben.
Die Beteiligten zu 2 und 3 beantragen,
die Anträge zurückzuweisen.
Die Beteiligten zu 2 und 3 sind der Auffassung, dass mitbestimmungspflichtige Versetzungen nicht vorliegen. Dies folge bereits daraus, dass die Beteiligten eine BGB-Innengesellschaft darstellen und eine erhebliche Änderung der Umstände der Arbeitsleistung nicht vorliege. Ein anderer Arbeitsbereich sei gerade nicht zugewiesen worden und das Gesamtbild der Erbringung der Arbeitsleistung habe sich nicht verändert. Beide Standorte lägen in derselben Gemeinde und seien unweit voneinander entfernt. Die Tätigkeit sei weitgehend identisch und die räumlichen Gegebenheiten seien für die Arbeitsleistung von untergeordneter Bedeutung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften vom 19.05.2020 und vom 30.11.2020 verwiesen. Eine Beweisaufnahme erfolgte nicht.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß § 2 a Abs. 1 Nr. 1, 80 Abs. 1 ArbGG eröffnet. Die Klage ist auch zulässig. Das Arbeitsgericht Nürnberg ist örtlich zuständig, § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Die Antragsbefugnis des Betriebsrats und die Beteiligung der Arbeitgeberinnen am vorliegenden Verfahren ergeben sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG. Der Beteiligte zu 1 ist antragsbefugt, weil er ein eigenes betriebsverfassungsrechtliches Recht geltend macht. Bedenken gegen die Bestimmtheit der Anträge bestehen nicht, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
22. Die Anträge sind begründet. Die zwischen den Beteiligten in ihrer rechtlichen Bewertung streitigen Arbeitszuweisungen stellen mitbestimmungspflichtige Versetzungen gemäß § 95 Abs. 3 BetrVG dar. Da der Beteiligte zu 1 nicht nach Maßgabe von § 99 BetrVG beteiligt worden ist und seine Zustimmung nicht erteilt hat, sind die personellen Maßnahmen nach Maßgabe von § 101 BetrVG aufzuheben.
Entgegen der Einschätzung der Beteiligten zu 2 und 3 liegen mitbestimmungspflichtige Versetzungen im Sinne der §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG vor.
Nach § 95 Abs. 3 Satz 1 ist Versetzung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes unter anderem die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet. Nur diese Alternative des Betriebsverfassungsgesetzes kommt vorliegend in Betracht, weil die fraglichen Arbeitnehmer bestimmungsgemäß für einen Zeitraum von mehreren Monaten an dem jeweiligen Standort eingesetzt werden sollten und eingesetzt wurden.
Der Begriff des Arbeitsbereichs wird in § 81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG durch die Aufgabe und Verantwortung sowie die Art der Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs umschrieben. Arbeitsbereich ist danach der konkrete Arbeitsplatz und seine Beziehung zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs liegt nicht nur vor, wenn dem Arbeitnehmer ein neuer Tätigkeitsbereich zugewiesen wird, so dass der Gegenstand der geschuldeten Arbeitsleistung den Inhalt der Arbeitsaufgabe ein anderer wird und sich das Gesamtbild der Tätigkeit ändert, sondern auch dann, wenn mit der Umsetzung des betreffenden Arbeitnehmers hinsichtlich der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung ein Ortswechsel sowie der Wechsel der betrieblichen Einheit verbunden ist (BAG v. 02.11.1993 – 1 ABR 36/93). Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs ist folglich insbesondere dann anzunehmen, wenn sich der Arbeitsort ändert, d. h. der Arbeitnehmer aus einer betrieblichen Einheit herausgenommen und einer anderen zugeordnet wird (BAG v. 27.06.2006 – 1 ABR 35/05). Infolgedessen ist beispielsweise auch die Abordnung eines Arbeitnehmers zu einer Filiale an einem anderen Ort als Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs anzusehen, weil der Arbeitnehmer aus seiner bisherigen betrieblichen Einheit herausgenommen wird und vorübergehend einen anderen Arbeitsplatz erhält (BAG v. 19.02.1991 – 1 ABR 21/90). Ob es sich um eine erhebliche „Änderung“ handelt, hat nur dann rechtliche Relevanz, wenn die Zuweisung eines anderen Arbeitsorts von weniger als einem Monat Dauer erfolgt (BAG v. 19.02.1991 – 1 ABR 21/90). Für den Wechsel des Arbeitsorts kommt es auch nicht darauf an, ob der Wechsel zu einem Wechsel der politischen Gemeinde führt oder eine erhebliche Wegstrecke zu überbrücken ist (BAG v. 28.09.1988 – 1 ABR 37/87).
Allerdings macht nicht jede noch so geringe Veränderung der beschriebenen Art den bisherigen Arbeitsbereich zu einem anderen. Jede einem Arbeitnehmer zugewiesene Tätigkeit ist laufenden Veränderungen unterworfen, die in der technischen Gestaltung des Arbeitsablaufs, neuen Hilfsmitteln und Maschinen oder einer Umorganisation des Arbeitsablaufs ihre Ursache haben können. Erforderlich ist, dass die eingetretene Änderung über solche im üblichen Schwankungsbereich liegenden Veränderungen hinausgeht und zur Folge hat, dass die Arbeitsaufgabe oder die Tätigkeit eine “andere” wird. Die Veränderung muss so erheblich sein, dass sich das Gesamtbild der Tätigkeit ändert (BAG v. 17.06.2008 – 1 ABR 38/07).
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze liegen mitbestimmungspflichtige Versetzungen i.S. von § 95 Abs. 3 BetrVG vor.
Maßgebend für diese Feststellung ist bereits die Zuweisung eines anderen Arbeitsortes, welcher nach allgemeiner Auffassung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs zur Folge hat. Nachdem die Zuweisungen jeweils länger als einen Monat andauern sollten, bedarf es vorliegend gerade keiner Bewertung, ob die Zuweisung der Erbringung der Arbeitsleistung an einem 12 Kilometer entfernten Standort innerhalb einer politischen Gemeinde als „erheblich“ im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG anzusehen ist. Das Gesamtbild der Tätigkeit der Mitarbeiter hat sich allein dadurch bereits maßgebend verändert, dass diese aus ihrer bestehenden Organisationseinheit herausgenommen und an einem anderen Ort beschäftigt wurden. Darüber hinaus liegt auch kein sogenannter Bagatellfall vor, wonach die Veränderung des Arbeitsbereichs als „unerheblich“ und damit nicht der Mitbestimmung unterliegend angesehen werden kann (vgl. auch BAG v. 17.08.1982 – 1 ABR 40/80). Zuweisungen eines anderen Arbeitsortes, bei denen die Mitarbeiter aus einer betrieblichen Einheit herausgenommen und einer anderen zugewiesen werden, können diesem Bereich vornherein nicht zugeordnet werden (vgl. BAG v. 27.06.2006 – 1 ABR 35/05). Ohne Berücksichtigung hat auch zu bleiben, dass die Zuweisungen nach wie vor zu einer Beschäftigung innerhalb des Betriebes führen. Für die Frage des Vorliegens eines anderen Arbeitsbereiches ist es von vornherein ohne Bedeutung, ob die Tätigkeit innerhalb eines Betriebes oder in einem anderen selbständigen/unselbständigen Betriebsteil erfolgt. Maßgebend ist auch insoweit allein die räumliche Veränderung in Form der Herausnahme aus einer betrieblichen Einheit und die Zuweisung einer neuen Einheit.
Inwieweit darüber hinaus der erfolgte Wechsel des Vorgesetzten und die Umstände der Erbringung der Arbeitsleistung zusätzlich für das Vorliegen einer Versetzung sprechen, bedarf folglich keiner Vertiefung.


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