Arbeitsrecht

Attestvorlagepflicht ab dem 1. Tag – Willkürverbot

Aktenzeichen  4 Sa 514/18

Datum:
13.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 42786
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 133, § 157, § 242, § 612a
EFZG § 5 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, § 12
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 520 Abs. 3

 

Leitsatz

Die vorliegende arbeitsvertragliche Regelung, die eine Attestvorlage bei länger als drei Tage andauernder Arbeitsunfähigkeit für den dritten Tag vorsieht, stellt keine konstitutive besserstellende Bestimmung dar, die gemäß § 12 EFZG das Recht des Arbeitgebers aus § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG ausschließt. Die Regelung in § 8 b) des Arbeitsvertrages modifiziert die Attestvorlage insoweit, als der Arbeitgeber die Vorlage bereits am dritten Tag, also einen Tag früher als die gesetzliche Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG verlangt. Dass dadurch das Recht des Arbeitgebers gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG, die ärztliche Bescheinigung (noch) früher zu verlangen, tangiert, insbesondere nunmehr ausgeschlossen sein soll, ist weder dem Wortlaut der vertraglichen Regelung noch im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) dieser Regelung zu entnehmen. (Rn. 50 – 57)

Verfahrensgang

31 Ca 1313/18 2018-06-28 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 28.06.2018, Az. 31 Ca 1313/18, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die die Klage zu Recht abgewiesen.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 1, 2 Buchst. c ArbGG statthaft und formund fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3, 222 ZPO. Der Kläger setzt sich in der Begründung seiner Berufung in noch ausreichender Weise mit den Gründen des Ersturteils auseinander.
1. Eine Berufung kann nur darauf gestützt werden, die angegriffene Entscheidung enthalte eine Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) oder rechtfertige nach den nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG  i. V.m. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG, Urteil vom 18.05.2011 – 4 AZR 552/09, NZA 2012, 231, m.w.N.).
2. Vorstehenden Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers noch gerecht. So trägt er vor, welche Gründe, die erstinstanzlich vorgetragen wurden, die arbeitsgerichtliche Entscheidung aus seiner Sicht nicht oder nicht ausreichend bei der Prüfung, ob es sich bei § 8 b) des Arbeitsvertrages um eine konstitutive Regelung gehandelt habe, berücksichtige. Auch setzt er sich mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts auseinander, wonach der § 8 b) des Arbeitsvertrages zwar leicht von der gesetzlichen Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG abweiche, eine konstitutive Regelung dadurch aber nicht geschlossen worden sei. Er ist der Auffassung, dass dem Gericht erster Instanz nicht dahingehend zu folgen sei, dass aus dem Text des § 8 b) des Arbeitsvertrages nicht der Wille der Beklagten erkennbar sei, die Vorlagefrist abweichend von der gesetzlichen Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG zu regeln. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Regelung stark, weniger stark oder nur leicht von der Grundregel des EFZG abweiche, sondern darauf, dass die Beklagte als Verwender der AGB „Arbeitsvertrag“ den Gesetzestext im Vertrag abwandele. Außerdem trägt er hinsichtlich der Frage des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats vor, dass ein kollektiver Bezug gegeben sei, da das Vorgehen der Beklagten nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe von Arbeitnehmern betroffen habe. Zur Begründung verweist er darauf, dass es sich bei den Aufzählungen der Beklagten offensichtlich um planvolles Handeln der Beklagten nach abstrakten Merkmalen handele.
II.
Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entfernung der Ermahnung und der Abmahnung aus seiner Personalakte. Die Anweisung der Beklagten vom 17.07.2016 bzw. 10.08.2016 an den Kläger, bereits vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, ist wirksam. Zur Vermeidung von Wiederholungen schließt sich die Kammer ausdrücklich den ausführlichen und zutreffenden Gründen des Ersturteils an und folgt diesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Von der Darstellung eigener Entscheidungsgründe wird deshalb abgesehen. Im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren ist Folgendes zu ergänzen:
1. Dem Verlangen der Beklagten im Rahmen des § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG nach einer vorzeitigen Vorlage der Arbeitsbescheinigung ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit steht die arbeitsvertragliche Regelung in § 8 b) nicht entgegen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Parteien arbeitsvertraglich in § 8 b) eine konstitutive Vereinbarung zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung getroffen hätten. Dies ist jedoch nicht der Fall.
a) Wollen die Vertragsparteien das Weisungsrecht des Arbeitgebers durch eine konstitutive Regelung einschränken, müssen hierfür konkrete Anhaltspunkte bestehen (vgl. BAG, Urteil vom 15.09.2009 – 9 AZR 757/08, NZA 2009, 1333). Die vorliegende arbeitsvertragliche Regelung, die eine Attestvorlage bei länger als drei Tage andauernder Arbeitsunfähigkeit für den dritten Tag vorsieht, stellt keine konstitutive besserstellende Bestimmung dar, die gemäß § 12 EFZG das Recht des Arbeitgebers aus § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG ausschließt. Der Kläger hat solche besonderen Umstände, die ihn berechtigt hätten, darauf zu vertrauen, dass die Beklagte die Vorlage des Attestes nicht bereits vor dem dritten Tag verlangen kann, nicht behauptet. Sie sind auch nicht ersichtlich. Die Regelung in § 8 b) des Arbeitsvertrages modifiziert die Attestvorlage insoweit, als der Arbeitgeber die Vorlage bereits am dritten Tag, also einen Tag früher als die gesetzliche Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG verlangt. Dass dadurch das Recht des Arbeitgebers gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG, die ärztliche Bescheinigung (noch) früher zu verlangen, tangiert, insbesondere nunmehr ausgeschlossen sein soll, ist weder dem Wortlaut der vertraglichen Regelung noch im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) dieser Regelung zu entnehmen.
b) Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen (st. Rspr., vgl. etwa BAG, Urteil vom 10.12.2014 – 10 AZR 63/14, NZA 2015, 483). Wird für die Erklärung ein Formular des Arbeitgebers verwendet, ist analog § 305 c Abs. 2 BGB darauf abzustellen, wie der Arbeitnehmer das Formular verstehen durfte (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl., § 133, Rn. 10). Der Regelungsgehalt des § 8 b) des Arbeitsvertrags ist weder überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB, noch unklar i.S.v. § 307 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB. Vertragsbestimmungen, die ausdrücklich nur einen Teil des Sachverhalts regeln – hier die Attestvorlage bereits am dritten Tag – und im Übrigen konkludent auf das Gesetzesrecht verweisen, entsprechen einer nicht nur im Arbeitsrecht gebräuchlichen und durchschaubaren Regelungstechnik (vgl. BAG, Urteil vom 14. März 2007 – 5 AZR 630/06, Rn. 28 f., NZA 2008, 45). Sinn des Transparenzgebotes ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Arbeitnehmer von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Bei der streitgegenständlichen Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG ist aber nicht ein Recht des Arbeitnehmers geregelt, sondern eine Pflicht. Dass besondere Umstände den Kläger berechtigt hätten, darauf zu vertrauen, dass die Beklagte die Vorlage des Attestes wegen der vertraglichen Regelung nicht wie gesetzlich vorgesehen bereits vor dem dritten Tag verlangen kann, ist nicht ersichtlich und kann auch nicht aus – hier nicht vorgetragenen – Begleitumständen entnommen werden. Aufgrund der arbeitgeberseitig bestehenden Interessenlage, das gesetzlich eingeräumte Recht ausüben und die Attestvorlage im Einzelfall auch früher verlangen zu können, kann von einer konstitutiven, eigenständigen Regelung, die die Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG ausschließt, nicht ausgegangen werden. Auch bietet der Wortlaut der Regelung keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme eines Ausschlusses der Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG. Vielmehr ist der vom Klägervertreter geforderte ausdrückliche Hinweis auf die Geltung der gesetzlichen Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG wegen des hier anzunehmenden konkludenten Verweises entbehrlich.
2. Bei der Anweisung der Beklagten vom 17.07.2016 bzw. 10.08.2016 an den Kläger, bereits vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, handelt sich auch nicht um eine gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zustimmungspflichtige Maßnahme.
Ein kollektiver Bezug der arbeitgeberseitigen Anordnung, der für die Anwendbarkeit des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hier erforderlich wäre, ist nicht ersichtlich. Die Ausführungen des Klägers, dass das Vorgehen der Beklagten eine ganze Reihe von Arbeitnehmern betroffen habe, die weitgehend zeitgleich die Aufforderung erhalten hätten, ist völlig unsubstantiiert und deshalb nicht berücksichtigungsfähig. Wenn die Beklagte vorträgt, dass sie nach den Kriterien Häufigkeit, häufige Kurzerkrankung, Krankmeldung ohne Arbeitsunfähigkeit sowie zeitliche Lage von Arbeitsunfähigkeitszeiten entscheide, dann bestätigt das ihren Vortrag, wonach gerade kein abstrakt generelles Vorgehen der Beklagten vorgelegen habe, sondern sie jeweils eine Entscheidung im Einzelfall trifft. Eine solche Maßnahme ist nicht mitbestimmungspflichtig und unterliegt nur den allgemeinen Schranken jeder Rechtsausübung.
3. Das Verlangen der Beklagten nach einer vorzeitigen Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung steht im nicht gebundenen Ermessen des Arbeitgebers und unterliegt keiner Billigkeitskontrolle. Ihre Grenze findet das Verlangen nach einer Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon ab dem ersten Tag einer Erkrankung in den allgemeinen Schranken jeder Rechtsausübung, insbesondere darf das Verlangen nicht schikanös oder willkürlich sein und weder gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen Diskriminierungsverbote verstoßen (BAG, Urteil vom 14. November 2012 – 5 AZR 886/11, NZA 2013, 322, Rn. 15). Die Anweisung der Beklagten vom 17.07.2016 bzw. 10.08.2016 erfolgte nicht ohne jeglichen Anlass. Es ist unstreitig, dass der Kläger in den Monaten zuvor wiederholt an einem Tag arbeitsunfähig gewesen ist, nämlich am 08.02.2016, 08.03.2016 und 08.04.2016. Für diese Tage hat der Kläger der Beklagten – entsprechend der zuvor geltenden vertraglichen Regelung – keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Dass die Maßnahme in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der letzten Erkrankung des Klägers vom 07.07. bis 15.07.2016 lag, für die er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hatte, macht sie weder schikanös noch willkürlich. Denn das vorherige wiederholte Erkranken des Klägers gab der Beklagten einen berechtigten Anlass, die Attestvorlage künftig früher zu verlangen. Die Tatsache, dass zwischen dem letzten Einzelkrankheitstag und der Anordnung etwas mehr als drei Monate lagen macht sie – angesichts des berechtigten Anlasses – weder schikanös noch willkürlich.
4. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot liegt nicht vor. Die Beklagte hat ihr Recht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 BGB ausgeübt. Die rechtmäßige Ausübung arbeitgeberseitiger Rechte schließt einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB aus.
III.
Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Für die Zulassung der Revision bestand kein Grund i.S.d. § 72 Abs. 2 ArbGG, da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehung der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben